Ganz schön abgezockt
Zum runden Geburtstag ließ Paul Gauselmann mehr als 100 weiße Zelte errichten, ein Riesenrad und eine große Bühne, drei Tage lang wurde Anfang September im ostwestfälischen Lübbecke gefeiert. Sein Unternehmen war 60 Jahre alt geworden, aus einem Vertrieb für Jukeboxen und Spielgeräte hat der Unternehmer Deutschlands größten Glücksspielkonzern geschmiedet. Gauselmann und seine Merkur-Spielotheken haben das Gesicht der Innenstädte geprägt, die lachende Sonne im Logo, er selbst wurde zum Milliardär. Heute ist Gauselmann 83 Jahre alt und immer noch Chef seines Imperiums. Der ehemalige Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, Garrelt Duin von der SPD, adelte ihn in seiner Rede zum Auftakt des Fests: "Sie sind ein Teil der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik."
Das Glücksspielgeschäft, das war einmal ein gut sortierter Monopol-Markt, sauber aufgeteilt zwischen staatlichen Lotterien und Sportwetten, staatseigenen Spielbanken und dem gewerblichen Automatenspiel. Doch seitdem jeder ständig online ist, ist daraus ein kaum zu durchschauendes Geflecht geworden, mit ungezählten Internet-Kasinos, die von Steuerparadiesen wie der Isle of Man aus in rechtlichen Graubereichen um das Geld der Spieler konkurrieren. Der Staat ist heillos überfordert, die strengen Verbote für das Glücksspiel im Netz setzt er seit Jahren nicht durch. Der Internet-Glücksspielmarkt hat sich zu einer Wildwestbranche entwickelt, zu einer Spielwiese für Kriminelle und Geldwäscher, mit tatkräftiger Unterstützung der Finanzindustrie.

Paul Gauselmann konnte diese Entwicklung nicht ignorieren. Er war der Automatenkönig, der Pate des deutschen Glücksspiels, das sollte auch in Zukunft so bleiben. Anhand der internen Unterlagen aus der Kanzlei Appleby lässt sich nun erstmals nachvollziehen, was Gauselmann alles unternommen hat, um den Boom im Online-Geschäft nicht zu verpassen. Sein Vorgehen zeigt, wie einfach es mithilfe findiger Anwälte sein kann, die deutschen Glücksspielgesetze auszuhebeln.
Gauselmanns Vorstoß in die Online-Welt beginnt 2008, da kauft er einen Hamburger Spiele-Entwickler, die Edict Egaming. Kaum zwei Jahre später gründet er auf der Isle of Man einen Ableger der Firma namens Edict IoM. Appleby-Anwälte entwickeln für die neue Tochterfirma Geschäftsbedingungen und Lizenzvereinbarungen, sie bekommt eine Genehmigung von der Glücksspielaufsicht in der Inselhauptstadt Douglas. Auf Anfrage bestätigt die Gauselmann-Gruppe dieses Vorgehen und schreibt, man habe "lediglich eine Vertriebsorganisation auf der Isle of Man geschaffen, die nach den dortigen Bestimmungen ordnungsgemäß lizenziert ist". Gauselmanns Einstieg ins Online-Geschäft ist von da an aufs Engste mit der Isle of Man und mit Appleby verbunden.
Seine Software gibt es als Komplettpaket, inklusive Internetadresse
Die Online-Zockerei ist auch für die Kanzlei ein wichtiger Geschäftszweig. Appleby wirbt gar damit, die Glücksspiel-Regulierung der Isle of Man mitgestaltet zu haben. In einem Handbuch fürs Online-GlücksspielgeschäftBuch mit dem Titel "You Can!",Handbuch fürs Online-Glücksspielgeschäft herausgegeben von Appleby, erfährt der Leser en détail, wie man eine Online-Glücksspielfirma auf der Isle of Man gründet, lizenziert und erfolgreich betreibt.
In Broschüren und auf ihrer Webseite werben die Berater mit einem Komplettpaket für Firmen, die Internet-Wetten, Lotterien oder Kasinospiele anbieten wollen. Man halte alles vor, was nötig sei, um "das Geschäft Offshore voranzutreiben". Wer dann von der Isle of Man aus eine Kasino-Webseite betreiben will, muss nicht einmal programmieren können. Die Software gibt es gleich mitsamt Internetadresse.
Die Inselregierung wiederum ist stolz darauf, ein Paradies für diese Internet-Spiele geschaffen zu haben. Als eines der ersten Länder überhaupt regulierte sie das Online-Spiel, 2001 schuf man die sehr liberalen Gesetze für die Kasinos der digitalen Zukunft. So wurde es möglich, sehr einfach und ganz legal offizielle Glücksspiel-Lizenzen zu erwerben. Für die Isle of Man ist dieser Sektor inzwischen der zweitwichtigste nach der Finanzindustrie.

Orange Elephant Photography/mauritius images
Von der Insel aus kann Gauselmann nun weltweit seine Spiele verkaufen. "Für die Gauselmann-Gruppe ist das Engagement im Bereich des Online-Glücksspiels zwingend geboten", schreibt das Unternehmen in einer Stellungnahme. In Spanien, Italien, Großbritannien oder Dänemark betreibe die Gruppe bereits eigene Spielangebote im Netz. Und Gauselmann kann zumindest mittelbar auch an den deutschen Spielern verdienen, ohne die restriktiven Gesetze hierzulande zu übertreten. Denn er verkauft einfach Online-Lizenzen für die bekannten Merkur-Automatenspiele wie "Fruit Slider" oder "Double Triple Chance" an andere Kasinobetreiber. Ob die die Software dann nutzen, illegal Spiele in Deutschland anzubieten? "Die Gauselmann-Gruppe arbeitet nicht mit Unternehmen zusammen, die offenkundig deutsche Gesetze brechen", erklärt der Konzern.
Nur, woher weiß ein Unternehmen wie die Gauselmann-Gruppe, wie genau ihre Software eingesetzt wird? Der Glücksspielmarkt im Internet ist inzwischen so unübersichtlich, dass selbst staatliche Kontrolleure kapitulieren. Vielleicht will Gauselmann es auch schlicht nicht so genau wissen. Das Geschäft ist eben sehr lukrativ.
Lucas Jager (Name geändert) hat es eine halbe Million Euro gekostet, er hat seine Familie und viele seiner Freunde verloren. Spielautomaten, Spielothek, Kasino, die Gänsehaut, wenn der Kontostand stieg, wenn er eine Runde beim Poker gewann, wenn der Automat klackernd die Münzen auswarf, Jager machte Karriere – die eines Süchtigen. Als die Spiele ins Netz wanderten, wanderte er mit. Zuerst spielte er Poker, dann die gleichen Spiele wie am Automaten. Rotierende Früchte und Symbole auf dem Smartphone, am PC, mindestens sieben bis zehn Stunden am Tag. Am Ende, sagt er, habe er sich nur noch zu Hause eingesperrt. Dann begab er sich in stationäre Therapie. "Aus Spielersicht würde ich sagen: Macht die Dinger alle zu und überschüttet sie mit Klagen bis zum Gehtnichtmehr", meint Jager heute.

Lem/imago
Der Fall von Lucas Jager ist vielleicht ein besonders harter. Aber Internet-Kasinos gelten als die gefährlichste Form des Spiels für Suchtanfällige. Sie sind nie geschlossen, es gibt keine soziale Kontrolle, Nutzer können stets mehrere Seiten gleichzeitig bespielen. Die Auszahlungsraten sind höher als im stationären Automaten- oder Kasinospiel, weil die Kosten geringer sind. Die Einsätze sind oft genauso wenig begrenzt wie der maximale Verlust pro Stunde. Spielerschutz findet so gut wie nicht statt.
Deshalb sind Kasinospiele im Netz in Deutschland – bis auf Schleswig-Holstein – verboten. Das Geschäft läuft trotzdem. Beinahe 1,3 Milliarden Euro nehmen Kasinoanbieter von deutschen Spielern ein, mit zweistelligen Steigerungsraten, so das hessische Innenministerium. Es ist der am schnellsten wachsende Bereich im Glücksspielsektor. Demnach gibt es fast 500 deutschsprachige Angebote auf ausländischen Servern. Die EU-Kommission drohte Deutschland mehrfach mit einem Vertragsverletzungsverfahren – unter anderem, weil es das Online-Verbot nicht durchsetzt. Versuche, mithilfe von Banken und Kreditkartenfirmen Geldtransfers an Glücksspielfirmen zu blockieren, blieben bislang erfolglos. Mehr sieht das Gesetz aber nicht vor.
Die Buchmacher beobachten das genau. Bekannte Unternehmen wie Tipico oder Bwin haben in der Regel auch Kasinospiele im Angebot. Die Firmen sind teilweise börsennotiert und betreiben eine große Zahl von Wettshops in Deutschland. Die Lage ist verzwickt: Landesbehörden, die Verbote erlassen, sie aber nicht durchsetzen können. Unternehmen, die sich wissentlich strafbar machen. Anwälte, die ihnen Schützenhilfe gegen die Verwaltung geben und lange Prozesse in Kauf nehmen. Die EU-Kommission, die immer wieder unangenehme Fragen stellt.

Mit den Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR konfrontiert, schickt Gauselmann eine 14-seitige Stellungnahme. Darin betont er, er sei nicht an illegalen Geschäften in Deutschland beteiligt. Die Tochterfirma auf der Isle of Man vertreibe "Online-Casino-Produkte an Dritte, die ebenfalls über die notwendigen glücksspielrechtlichen Lizenzen verfügen und die von ihnen eigenständig betriebenen Online-Casinos weltweit vermarkten", schreibt das Unternehmen. Für den Betrieb der Internetseiten und die Bewerbung ihrer Angebote seien die jeweiligen Betreiber verantwortlich. Soweit deren Angebote auch von Deutschland aus erreichbar seien, sei dies "rechtlich nicht vorwerfbar".
Nur, wozu braucht Gauselmann dann Scheinfirmen als Treuhänder? Wenn nicht, um etwas zu verschleiern?
Es sind die Appleby-Dokumente, die solche Fragen aufwerfen. Sie lassen die Gründung der Firma Edict IoM auf der Isle of Man nicht ganz so unschuldig erscheinen, wie Gauselmann es gerne darstellt. Im Juli 2012 tritt nämlich der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft, mit dem das Verbot von Online-Spielen in Deutschland zementiert wird. Kurz darauf trifft sich ein Gauselmann-Justiziar mit einem Mitarbeiter der Kanzlei Appleby. In einem Zeitungsartikel ist später zu lesen, Gauselmann habe mitgeteilt, er habe Edict IoM – beziehungsweise Alliance Gaming Solutions, wie sie inzwischen heißt – bereits verkauft. Offenbar wollte sich Gauselmann mit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages von seiner Tochterfirma auf der Isle of Man distanzieren.
Und der Eigentümer wechselt tatsächlich: Alleiniger Anteilseigner von Edict IoM/Alliance ist von Januar 2013 an eine Firma namens Bruncaster Limited, die schon in den Panama Papers als Scheineigentümer zahlreicher Briefkastenfirmen aufgefallen war. Und Bruncaster hält die Anteile treuhänderisch für die Gauselmann-Tochter Merkur Interactive. Gauselmann hat also seine Tochterfirma verkauft, sie aber bis heute treuhänderisch behalten. Solche Trust-Strukturen seien als Mittel zum Verkauf "durchaus üblich", entgegnet der Konzern im Antwortschreiben. Das Treuhandverhältnis seiner Firmen sei den Glücksspielbehörden und auch den deutschen Finanzbehörden offengelegt. Weitere Geschäftsbeziehungen zu der Firma gebe es nicht. "Die Unterstellung der Verschleierung entbehrt jeder sachlichen Grundlage."
Aber warum dann diese Konstruktion? Darauf gibt Gauselmann keine Antwort. Die Geschäfte mit den Merkur-Lizenzen laufen derweil weiter.
Dieser Artikel erschien erstmals am 05.11.2017 in der SZ. Die besten digitalen Projekte finden Sie hier.