Just do it
Das Codewort zum Steuersystem Nike, zum Geheimnis von gebunkerten Offshore-Milliarden, ist kurz und einprägsam, und wunderbar lautmalerisch.
Es lautet: Swoosh.
Der Swoosh ist fast so bekannt wie der Coca-Cola-Schriftzug und die Ohren der Mickymaus. Ein Symbol für den Kapitalismus, für die Globalisierung an sich. Erfunden hat ihn vor bald fünfzig Jahren eine Studentin für Grafikdesign, als eine nach oben schießende Kreuzung aus Haken und Pfeil. Der Swoosh - zu Deutsch das Rauschen, das Brausen - sollte Dynamik zeigen, schnell und rasant. Dass er zum prägenden Markenzeichen von Nike geworden ist, war trotzdem eher Zufall. Die Firmengründer mochten den Entwurf nicht, doch die ersten Schuhkartons mussten schnell bedruckt werden damals. So trat der Swoosh seinen Siegeszug an.
Versteht man den Swoosh, dann begreift man auch, wie es dem Weltkonzern Nike gelingen kann, kaum nennenswerte Steuern zu zahlen auf all die Gewinne, die er erzielt. Die Paradise Papers - in diesem Fall die internen Daten aus der Kanzlei Appleby - helfen dabei, dieses System zu entschlüsseln, denn Appleby hat Nike vor einem guten Jahrzehnt und dann wieder vor ein paar Jahren dabei unterstützt, seine Geschäfte neu zu sortieren. Und zwar so, dass das Geschäft mit Schuhen und Trikots für Nike noch besser, für das Finanzamt und damit für die Gesellschaft hingegen immer noch schlechter geworden ist. Herausgekommen ist ein Konstrukt, in dem am Ende auf Gewinne außerhalb der USA kaum noch Steuern anfallen. In mancher Hinsicht ist Nike und Appleby gemeinschaftlich das ultimative Kunststück zur Gewinnmaximierung gelungen: der Steuer-Swoosh, der dem Staat davonbraust.
In der Brunnthaler Filiale des Weltkonzerns beginnt die Recherche, um das verzwickte System Nike besser zu verstehen. Kartons mit Laufschuhen, Basketballstiefeln und Sneakers, mit Regen-, Wind- und Trainingsjacken, mit Shorts, Socken und Taschen stapeln sich bis unter die Decke des Nike-Factory-Stores in dem Gewerbegebiet knapp vor den Toren Münchens. Es gibt etwas für fast jede Sportart, in beinahe jeder Farbe, in beinahe jeder Größe. Eins haben all diese Dinge gemeinsam: den Swoosh.
Ein Verkäufer fischt ein Paar Air Pegasus Racer in strahlendem Blau aus den Regalen. 70 Euro kosten die Sneaker, davon bleibt eine Menge bei Nike hängen: Die Produktionskosten für Laufschuhe liegen im Schnitt bei höchstens zehn bis 20 Prozent des Verkaufspreises, schätzen Experten von Nichtregierungsorganisationen.
Die Frage lautet nun: Wo landet der ganze Gewinn – und wo wird er besteuert? Falls er überhaupt besteuert wird?
Die deutschen Büros der Nike Deutschland GmbH – zugleich Nike-Hauptquartier für Deutschland, Österreich und die Schweiz – liegen in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise 7. Die Adresse hat in der Sportwelt einen besonderen Klang: In dieser Straße, in direkter Nachbarschaft zum Frankfurter Fußballstadion, sitzen auch der Deutsche Fußball-Bund und der Deutsche Olympische Sportbund . Eigentlich sollte man ja denken, dass hier, in der Zentrale des deutschsprachigen Nike-Geschäfts, in einem modernen Gebäude mit viel Glas und Stahl, all das Geld landet, das Nike in Deutschland umsetzt. Als Laie könnte man auch vermuten, dass irgendeine Firma namens „Nike Deutschland“ dann ihren Gewinn in Deutschland versteuert. So, wie es andere Firmen im deutschen Handel auch tun. Aber das wäre vielleicht naiv.
Denn der Swoosh ist ganz woanders zu Hause als man denkt. Werfen wir einen Blick auf den Kassenzettel der Pegasus Racer aus dem Nike-Store Brunnthal.
Das Gleiche gilt, wenn man von Deutschland aus seine Schuhe im Internet bestellt, auf nike.de ist das Modell Pegasus schnell gefunden. Als die Lieferung eintrifft, findet sich im Karton ein Lieferschein, der bestätigt: Nike Retail BV hat die Schuhe verkauft, also dieselbe Firma, die auch in deutschen Nike-Läden die Swoosh-Ware verkauft. Zu einem anderen Ergebnis gelangt auch nicht, wer sich seine Sneakers in einem gewöhnlichen Schuhladen oder Kaufhaus besorgt, dem Vertriebsweg, über den Nike laut Branchenkennern die meisten Schuhe absetzt . Diese Händler bezahlen ebenfalls bei einer niederländische Firma für die Nike-Produkte, die sie dann in Deutschland verkaufen - bei der Nike European Operations Netherlands (Neon), wie Insider berichten.
Die Spuren führen immer wieder in die Niederlande. Recherchen und Testkäufe internationaler Journalisten unter dem Dach des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) bestätigen, dass dies für weite Teile Westeuropas zutrifft. Ob Nike Stores, Internet oder Fachhandel – immer wieder sind die Kunden mit niederländischen Firmen im Geschäft, mittelbar oder unmittelbar.
Das alles ist kein Zufall. Die Niederlande haben sich zur wohl wichtigsten europäischen Steueroase für Konzerne entwickelt, vor allem für US-Konzerne. Auf Kosten seiner Nachbarn holt der Staat, der 1957 eines der Gründungsmitglieder der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft war, große Unternehmen ins Land, speziell aus den USA. So richtig viel verdienen die Niederlande mit dieser Politik zwar nicht. Hohe Steuern auf den Gewinn von Nike sind es jedenfalls kaum. Allenfalls entstehen Arbeitsplätze, weil etliche Firmen ihr Europageschäft von den Niederlanden aus lenken. Aber hier verfängt eben das generelle Steueroasen-Prinzip: Ein bisschen was im eigenen Land ist mehr als ein großer Haufen in einem anderen.
Nike hat, wie alle Weltkonzerne, als bodenständiges Unternehmen angefangen.
Das ändert sich Mitte der Nullerjahre, als Nike und die Kanzlei Appleby einen Steuertrick umsetzen, der dem Sportartikel-Konzern fortan Milliarden an Steuern für Gewinne außerhalb der USA spart. Die wichtigste Voraussetzung dafür: Der Swoosh, das mittlerweile weltberühmte Firmenlogo, ist umgezogen auf die Bermudas - eine Gruppe von Koralleninseln im britischen Überseegebiet, die zur Steueroase umfunktioniert wurde. Genauer gesagt: Die Rechte zur Nutzung diverser Nike-Marken für die Märkte außerhalb der USA. Im Heimatland des Swoosh bleibt alles beim Alten.
Auf den Bermudas residiert der Ableger Nike International und um diese Firma herum entstehen etliche weitere Nike-Offshore-Firmen, meist benannt nach Schuhen: Nike Jump, Nike Air Max oder eben Nike Pegasus. Deren genaue Funktionen sind nicht immer klar, wohl aber das: Nike-Niederlassungen weltweit, etwa die in den Niederlanden, schicken fortan astronomisch hohe Summen auf die Bermudas, damit sie weiterhin Nike-Schuhe mit dem berühmten Logo darauf verkaufen dürfen.
Nike zahlt Geld an Nike, damit Nike-Schuhe wie Nike-Schuhe aussehen dürfen.
Das mag komisch klingen, ist es aber nicht. Denn nun fallen beim niederländischen Firmenkonglomerat, das Schuhe in ganz Europa verkauft, nicht bloß Erlöse an, sondern auch erhebliche Kosten.
Das niederländische Firmengebilde muss für den Swoosh und andere Lizenzen so viel Geld an Nike International auf den Bermudas zahlen, dass allenfalls ein geschmälerter Gewinn übrig bleibt. Allein für die Jahre 2010, 2011 und 2012 fließen für die Nutzung des Markenlogos und anderer Rechte 3,86 Milliarden US-Dollar an die Nike International auf den Bermudas, diese Zahlen nennt Nike selbst in einem Gerichtsstreit mit der US-Steuerbehörde. Die Niederlande bestehen, anders als Deutschland und die meisten europäischen Länder, nicht auf Quellensteuer für Lizenzzahlungen. So kann das Geld ungehindert zu der Nike-Bermuda-Firma fließen - wo es wiederum für ansässige Unternehmen keine Steuern auf ausländische Gewinne gibt.
Deswegen die Niederlande. So wird man den Staat los.
Das Ergebnis von Nikes Bermuda-Strategie lässt sich in den Jahresberichten nachlesen: Die effektive Steuerlast des Sportartikelherstellers fällt von 2005 bis 2008 vom Regelsteuersatz von 35 Prozent auf unter 25 Prozent.
Gleichzeitig wachsen die außerhalb der USA so gut wie unbesteuert gelagerten Gewinne rasant, von etwa einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2005 auf mehr als sechs Milliarden US-Dollar im Jahr 2014.
Wie glücklich der damalige Unternehmenschef Mark Parker darüber ist, lässt er Ende 2006 in einer Telefonkonferenz mit Finanzexperten erkennen, dessen offizieller Mitschnitt von der US-Börsenaufsicht veröffentlicht wurde. „Wie es uns geht?“, fragt Parker da, und antwortet: „Ich würde sagen: gut.“ Er zählt diverse Erfolge auf, darunter auch eine langfristig angelegte Vereinbarung mit Steuerbehörden in Europa. „Das hat uns einen großen Vorteil gebracht“, sagt der Nike-Chef. Sein Jahreseinkommen verdoppelt sich in den folgenden Jahren nahezu - auf 13 Millionen Dollar im Jahr 2010.
Nike möchte sich zu Steuerfragen nicht äußern. Auf Anfrage der der Süddeutsche Zeitung und des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), mit dem die SZ die Paradise Papers geteilt und ausgewertet hat, erklärt Nike nur, dass der Konzern "sämtliche Steuer-Auflagen" einhalte und sicher stelle, "dass unsere Steuererklärungen unsere Geschäftsstrategie reflektieren, mit unseren Investments abgestimmt sind und den Arbeitsplätzen entsprechen, die wir schaffen".
Es ist keine Überraschung, dass Nike sich rechtskonform verhält, im Gegenteil: Es ist geradezu eine zentrale Erkenntnis aus den Paradise Papers, dass man sich als globaler Konzern an alle Steuervorschriften weltweit halten kann - und trotzdem der Steuer weitgehend entkommen. Man muss nur alle Tricks und Lücken kennen, und jederzeit flexibel und beweglich bleiben.
Und so kommt es, dass der Swoosh ein weiteres Mal umziehen muss.
Die Hauptursache liegt wohl darin, dass 2014 die oben erwähnte und vom Nike-Chef so gelobte Steuervereinbarung zwischen Nike und den Niederlanden ausläuft - dort war wohl auch geregelt, dass die Lizenzzahlungen weiter auf die Bermudas fließen können. Eine Lösung muss her, und die lautet - erstaunlicher Weise - dass Nike für sein europäisches Geschäft künftig nicht mehr so sehr auf die Bermudas, sondern noch mehr auf die Niederlande setzt. Aus den Paradise Papers lässt sich nachvollziehen, dass Nike in dieser Zeit etliche Firmen auf den Bermudas auflöst und deren Anteile an Gesellschaften in den Niederlanden überträgt. Appleby stellt Nike damals Rechnungen für die An-, Um- und Abmeldung etlicher Unterfirmen aus, all dies läuft unter der Überschrift „Umstrukturierung“.
Fortan gehören hunderte Nike-Markenrechte der niederländischen Firma „Nike Innovate CV“ - allein in der internationalen Markenrechtsdatenbank ist die Firma für knapp 2000 Marken und Patente eingetragen. Auf ihren Konten landen demnach offenbar die Zahlungen dafür, dass andere Nike-Firmen den Namen Nike, den Swoosh und diverse Produktnamen benutzen dürfen - in den vergangenen beiden Jahren war das jeweils rund eine Milliarde Euro.
Die Nike Innovate wiederum ist eine sehr besondere Firma, sie ist eine Art niederländische Entsprechung der deutschen Kommanditgesellschaft - dort Commanditaire vennootschap genannt, kurz: CV. Ihr Sitz ist eigentlich in den USA, aber steuerlich betrachtet ist die Innovate auf eine Art staatenlos.
Warum diese CVs nacheinandergeschaltet sind, ist von außen unklar - möglicherweise geht es nur darum, die Sicht auf das Konstrukt zu vernebeln. In welcher dieser CVs die Milliarden Lizenzzahlungen verbleiben, ist ebenso unklar, und spielt auch nicht die entscheidende Rolle. Wichtig ist: Die niederländischen Behörden betrachten sich als nicht zuständig, weil CVs dort nicht besteuert werden. Die US-Steuerbehörden dagegen - die ja ein Tochterunternehmen einer US-Firma vor sich haben - sehen die niederländische CV in der Steuerpflicht. Aber eben in den Niederlanden
Die USA zeigen auf die Niederlande, die Niederlande auf die USA. Zwei Länder weigern sich, die Steuern einzutreiben – und am Ende freut sich Nike. Denn so fällt der effektive Steuersatz des Konzerns durch den Umzug des Swooshs noch einmal drastisch, auf sagenhafte 13,2 Prozent für 2017.
Dieser Wert fällt auch deswegen so niedrig aus, weil Nike nach einer Auseinandersetzung mit der US-Steuerbehörde einmalig Vergünstigungen erhielt. Nike-Chef Mark Parker erklärte aber jüngst in seinem Ausblick für das Jahr 2018, man werde weiterhin weltweit mit einem Steuersatz von 15 bis 17 Prozent davonkommen. Das ist immer noch weniger als die Hälfte dessen, was in den USA oder Deutschland anfallen würde.
Der frühere US-Senator Carl Levin nannte eine ein solch komplexes Firmennetzwerk, das am Ende nirgends mehr besteuert wird, mit Bezug auf die damalige Situation bei der Computerfirma Apple einmal den „Heiligen Gral der Steuervermeidung“. So läuft es ja inzwischen in den meisten internationalen Konzernen: Die Swooshes dieser Welt ziehen dauernd um den Globus, lassen sich mal in dieser, mal in jener Steueroase nieder, sind aber letztlich nirgendwo so richtig zu fassen.
Für US-Konzerne jedenfalls sind die Niederlande inzwischen die wichtigste Steueroase weltweit. Nicht die Bermudas, nicht die Kaiman-Inseln, nicht Panama, sondern die Niederlande, aus der Mitte der Europäischen Union. Allein in den Paradise Papers finden sich außer Nike auch der Taxi-Dienst Uber, der Elektroautohersteller Tesla, der Schreibwarenkonzern Office Depot. Hinzu kommen Firmen, die nicht in den Paradise Papers auftauchen: CBS, das Kurierunternehmen Fedex, der Pharmakonzern Pfizer und so weiter. Im holländischen Firmenregister finden sich allein mehr als 150 CV-BV-Konstruktionen, die von US-Firmen genutzt werden .
Experten kritisieren das CV-BV-Modell schon seit langem, sie werfen der niederländischen Regierung sogar vor, illegale staatliche Beihilfe zu leisten. Die Regierung hat zwar nachgegeben und angekündigt, die Rechtslage zu ändern, sie hat sich aber auch ausbedungen, das Schlupfloch noch bis 2020 offenhalten zu dürfen.
Deutschland hat diesem Treiben lange eher still zugesehen. Das ist erstaunlich, denn der deutsche Fiskus bekommt von all dem Geld, das Nike mit dem Swoosh verdient, nur sehr wenig ab. Nike setzt nach eigenen Angaben in Westeuropa gut sechs Milliarden Euro um , einen ordentlichen Teil davon in Deutschland, dem wichtigsten Markt für Sportartikel in Westeuropa. Laut Insidern, die mit den Branchenzahlen vertraut sind, erzielt Nike allein in der Bundesrepublik rund 600 Millionen Euro Umsatz pro Jahr . Die Nike Deutschland GmbH meldet aber, laut Handelsregister, für das Jahr 2016 gerade einmal rund 76 Millionen Umsatz . Davon bekam der Staat etwa 3,8 Millionen Euro.
Die Umzüge des Swoosh von den USA auf die Bermudas und von den Bermudas in die Niederlande haben gleichzeitig dazu geführt, dass Nike ein gigantisches Auslandsvermögen angehäuft hat: Im Mai dieses Jahres lag es bei mehr als zwölf Milliarden Dollar. Darauf "hat die Firma so gut wie keine Einkommensteuer bezahlt, in keinem Land", erklärt Steuerexperte Matt Gardner vom Netzwerk Steuergerechtigkeit nach Prüfung des Jahresberichts von 2017.
Vielleicht, denkt man sich, sollte man doch wieder bei der guten alten Firma Adidas einkaufen, beim weltweit zweitgrößten Hersteller von Sportartikeln. Dessen Hauptsitz ist das fränkische Herzogenaurach. Kauft man allerdings ein Paar Turnschuhe im Internet bei adidas.de, findet sich auf der Rechnung eine seltsame Firma: Adidas International Trading BV. Firmensitz: Amsterdam.