Paradise Papers -
Die Schattenwelt des großen Geldes

Herzenssache

Die Paradise Papers zeigen, wie viel Geld Hits wie "Leaving on a Jet Plane" oder "Disco Inferno" in nur einem Jahr einspielen. Einblick in eine lautstarke Branche, die in Gelddingen erstaunlich verschwiegen ist

Von Katrin Langhans - 09. November 2017

Auf der großen schwarzen Bühne sieht John Denver fast ein wenig verloren aus. "Dieser eine Song ist irgendwie immer noch die Story meines Lebens", sagt er. G-Dur, C-Dur, Denver spielt die ersten Akkorde, das Licht des Scheinwerfers scheint grell auf die Gitarre, die vor seiner Brust hängt. "All my bags are packed, I’m ready to go." Mit diesen Zeilen, die vom Trennungsschmerz eines Vielgereisten erzählen, sang sich Denver vor 40 Jahren in die Herzen seiner Fans. Den Live-Auftritt zum Stück "Leaving on a Jet Plane" kann man sich bei Youtube ansehen, das Lied läuft immer noch im Radio.

Es ist einer dieser Songs, die man beim Roadtrip mit den Freunden laut im Auto sang. Die an den ersten Kuss erinnern. Oder an den ersten Liebeskummer. Eine der Melodien, die einen durchs Lebens begleiten.

Für kühl kalkulierende Investoren aber ist Denvers Stück mehr als nur ein Lied, das an gute Zeiten erinnert. Der Song ist eine vielversprechende Investition in die Zukunft. Wer Songschreibern und Komponisten und Verlagen die Rechte an den Werken abkauft, streicht fortan das Geld ein, das fließt, wenn die Musik im Radio läuft, im Supermarkt, im Aufzug, wenn jemand einen Klingelton kauft. Die Paradise Papers zeigen, dass allein Denvers "Leaving on a Jet Plane" fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Erscheinen immer noch mehr als 80 000 Dollar in nur einem Jahr einspielte.

Investoren verdienen, wenn der Song im Radio läuft, im Aufzug oder im Supermarkt

Investoren verdienten den internen Geschäftsunterlagen zufolge über Jahre hinweg an Songs von Künstlern wie Denver, Bob Marley und Avril Lavigne. Sie erwarben all die Rechte an den Werken ganz oder in Teilen, fassten die Songs in einem Musikkatalog zusammen – und deponierten ihn offshore. Wer bis ins Jahr 2014 hinein ein Werk des Katalogs im Radio hörte, hat – ohne es zu wissen – ein bisschen mitgeholfen, Millionen Dollar in eine Steueroase zu verschieben.

Den Daten zufolge war der Musikkatalog wohl einer der größten seiner Zeit. Er umfasste die Rechte von mehr als 26 000 Stücken. Darunter große Klassiker wie Bob Marleys "Get Up, Stand Up", "Because of You" von Kelly Clarkson oder "Last Resort" von Papa Roach. Rock, Pop, Reggae, Jazz und Soul aus mehr als siebzig Jahren. Das Herzstück des Katalogs sind Lieder der amerikanischen Rocksängerin und Songwriterin Sheryl Crow, darunter ihr Tophit "My Favorite Mistake". Crows Werke gehören seit 2009 zu dem Musikkatalog – 153 ihrer Lieder wechselten damals für etwa 14 Millionen Dollar den Besitzer.

26 000 Songrechte wurden steuersparend über ein Offshore-Konstrukt verwaltet

Die Geschäftsunterlagen, die bis ins Jahr 2014 reichen, dokumentieren einen Handel, der auch unter Investoren immer beliebter wird. "Der Markt der Musikkataloge boomt, weil Anleger sich zuverlässige Umsätze in der Zukunft versprechen", sagt Chris Hayes, ein Ökonom der Marketingfirma Enders Analysis. Insidern zufolge verspricht ein gut gemanagter Katalog zehn bis 15 Prozent Rendite im Jahr. Das lockt neben Verlagen längst auch Großinvestoren wie zum Beispiel Fondsgesellschaften an.

So gehörte auch der Musikkatalog aus den Paradise Papers einem englischen Fonds mit dem sperrigen Namen "First State Media Works Fund 1". Zu den Investoren zählten Pensionsfonds aus Europa, Australien und den USA. Verwaltet wurden die Werke zuerst von einer Firma mit Sitz in Irland, dann übernahm ein englischer Verlag. Von 2011 an betreute die Bertelsmann-Tochter BMG Rights Management drei Jahre lang die Musikrechte.

Wer Geld in den Musikmarkt steckt, sichert sich in der Regel die Rechte an Liedern, die schon seit Jahren gut laufen, oder investiert in Stücke, von denen er glaubt, dass sie in Zukunft viel gespielt werden – im Radio, in der Werbung oder im Kino. Der Wert eines Songs kann schnell in die Höhe schießen, zum Beispiel dann, wenn man es schafft, einen nachgefragten Remix auf den Markt zu bringen. Oder das Lied in einer erfolgreichen Fernsehserie wie zum Beispiel "Friends" zu platzieren.

Einer der wohl bekanntesten Musikinvestoren war Michael Jackson. Er bewies seinen guten Geschäftssinn, als er 1985 für 47,5 Millionen Dollar einen Musikkatalog kaufte, der Stücke von den Beatles wie "Hey Jude" und "Let It Be" umfasste. Jackson überbot damals in einer spektakulären Aktion den Beatles-Sänger und Komponisten Paul McCartney. Im vergangenen Jahr verkauften Jacksons Erben die Beatles-Werke gemeinsam mit einem Teil des Katalogs für 750 Millionen Dollar an Sony.

Aber nicht nur mit Evergreens kann man gutes Geld verdienen, auch mit Stücken, die Jahr für Jahr an Feier- oder Festtagen gehört werden: 1893 komponierten die Kindergärtnerinnen Mildred und Patty Hill "Good Morning to All" – heute bekannt unter dem Titel "Happy Birthday". Der Song spielt rund zwei Millionen Dollar ein, Jahr für Jahr.

Die Paradise Papers zeigen auch, was die wertvollsten Stücke des Musikkatalogs im Jahr 2009 einbrachten – es flossen Summen, mit denen leicht ein Einfamilienhaus zu finanzieren wäre.

An der Spitze des Katalogs steht ein Lied, das in den 70ern Erfolge feierte und später von Tina Turner gecovert wurde: "Disco Inferno" von der Band The Trammps spielte 460 000 Dollar ein. Auf Platz zwei folgt John Denvers "Take Me Home, Country Roads" mit immerhin 281 000 Dollar. Der Song "Paralyzer" der kanadischen Rockbank Finger Eleven brachte immerhin noch rund 240 000 Dollar ein und landet damit auf Platz drei der Hitliste. Insgesamt, so zeigt die interne Aufstellung der BMG-Tochter aus den Paradise Papers, setzte der Katalog von 2010 bis 2012 etwa 4,6 Millionen Dollar im Jahr um.

Nur Steuern wurden darauf offenbar ganz wenig gezahlt.

"Wir gehen davon aus, dass die Steuerstruktur der Firma eine Offshore-Struktur ist, bei der keine Steuern auf die Einnahmen des Katalogs anfallen", schrieben die Wirtschaftsprüfer von KPMG im Jahr 2013 in einer Vermögensanalyse.

Die Verwalter des Fonds wollten sich auf Anfragen nicht zu der Steuerstruktur äußern. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KMPG teilt mit, man habe den Katalog nicht in Steuerfragen beraten, sondern nur für den Finanzbericht ausgewertet. Und die Firma BMG Rights Management, die den Katalog verwaltete, schreibt, man habe die englischen Firma geerbt, deren Aufgabe es ist die Musikrechte der Jerseyfirma zu managen und nutze selbst keine Steueroasen. Zudem sei es nie ein "attraktives Geschäft" gewesen, den Katalog zu vermarkten.

Ein Lied allein spielte so viel Geld ein, dass man damit ein Haus hätte bauen können

Diese Einschätzung stimmt mit den internen Unterlagen der Daten überein. Aus einer Analyse der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse Coopers geht hervor, dass der Wert des Portfolios allein im Jahr 2010 von 153 auf 73 Millionen Dollar sank. Ein Bericht aus dem Jahr 2013 bestätigt den Abwärtstrend. Ein Jahr später erwarb den internen Unterlagen zufolge ein New Yorker Verlag all die Hits des Katalogs für nur 38 Millionen Dollar – ein Viertel des Wertes, den der Katalog noch fünf Jahre zuvor gehabt hatte.

Zu dem Niedergang des Investorenprojekts trug neben der schlechten Vermarktung wohl auch bei, dass sich das Herzstück des Katalogs nicht wie erhofft entwickelte: Die Einnahmen von Sheryl Crows Stücken sanken um fast ein Viertel, besonders ihr neues Album "100 Miles from Memphis" spielte weniger ein als erwartet. Als einen der Gründe nannten die Analysten: Crows Wechsel vom Rock hin zur Countrymusik.

Das sind die Paradise Papers

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