Mineralwasser

Sprudelnde Geschäfte

Bisher können Getränkehersteller Grundwasser fast kostenlos aus dem Boden holen. Doch dagegen wehren sich immer mehr Bürger. Wie in Treuchtlingen.

22. September 2025 | Lesezeit: 9 Min.

Der Ursprung des Streits liegt mitten im Städtchen. Von der Hauptstraße geht es rechts weg, an der Lambertuskirche vorbei in eine verkehrsberuhigte Zone. Dort muss man sie suchen, die Brunnen, die in und neben der Grünanlage im ehemaligen Burggraben des Treuchtlinger Stadtschlosses versteckt liegen. Vier Schächte mit pilzförmigen Hauben obendrauf, abgedeckt mit quadratischen Stahlplatten und gesichert mit stabilen Vorhängeschlössern. Ihretwegen also begann der ganze Ärger.

Anneliese Dischinger hat vorgeschlagen, den kleinen Stadtrundgang hier zu beginnen. Sie ist Sprecherin einer Bürgerinitiative und führt mit einer Handvoll Mitstreitern am Schloss vorbei und durch einen kleinen Park. Die Tour endet vor dem breiten Haupttor eines Firmengeländes, das fast den halben Stadtkern einnimmt: die Zentrale des Mineralwasserherstellers Altmühltaler.

Wieso, fragen sich Dischinger und ihre Mitstreiter, zahlen die Haushalte in Treuchtlingen die höchsten Wassergebühren weit und breit, während die Firma Altmühltaler, die seit Ende 2022 zum Aldi-Konzern gehört, kostenlos Grundwasser entnehmen und verkaufen darf? Und das, obwohl Wasser doch ein Allgemeingut ist, das allen Menschen gehört. Und das, obwohl es der Stadt Treuchtlingen finanziell so miserabel geht, dass sie überall sparen muss. Wieso dann diese Großzügigkeit gegenüber einem Milliardenkonzern, der mit dem Wasser Millionen und Abermillionen erwirtschaftet?

Treuchtlingen ist kein Einzelfall, die Konflikte ums Wasser nehmen bundesweit zu. In immer mehr Städten und Gemeinden in Deutschland stoßen sich viele Menschen daran, dass sich nicht nur Mineralwasserhersteller, sondern beispielsweise auch die Energie-, Papier- oder Chemieindustrie am Lebenselixier Wasser großzügig bedienen, dafür nichts oder so gut wie nichts bezahlen müssen und die Gewinne aus dem Verkauf allein einstreichen. Die Bürger wehren sich – nicht selten mit Erfolg.

Die Treuchtlinger bekommen ihr Leitungswasser per Fernleitung

Große Aufmerksamkeit erregte etwa Lüneburg, wo der Coca-Cola-Konzern unter dem Eindruck hartnäckiger Proteste seinen Plan verwarf, zusätzliche Brunnen zu bohren und die Entnahmemenge für seine Mineralwassermarke Vio mehr als zu verdoppeln. Das Erste widmete dem Konflikt sogar einen Themenabend samt Doku und einem Spielfilm mit Ulrich Tukur und Sebastian Bezzel in den Hauptrollen, in dem ein Mineralwasserkonzern eine Stadt trockenlegt.

Im Südosten Bayerns stoppte die Gemeinde Bergen im Juli Adelholzeners Plan einer Standorterweiterung. Und in Baruth/Mark, südlich von Berlin, wehrt sich eine neue Bürgerinitiative dagegen, dass ihre Kommune mitten im bröseltrockenen Brandenburg jährlich 2,2 Millionen Kubikmeter Grundwasser dem Energydrink-Konzern Red Bull und dessen Abfüllpartner Rauch überlässt.

Das bayerische Treuchtlingen an der Altmühl ist ein nationales Kuriosum. Hier gibt es 20 Brunnen, doch vom örtlichen Thermalbad einmal abgesehen, werden sie ausschließlich privat und gewerblich genutzt.

Größter Abnehmer daraus ist: Altmühltaler. Der Sprudelhersteller entnimmt so viel Wasser, wie die 13 000 Einwohner der Stadt zusammen verbrauchen. Deren Leitungswasser kommt aus keinem der örtlichen Brunnen, sondern per Fernleitung aus dem 50 Kilometer entfernten Donau-Lech-Mündungsgebiet. Es ist absurd: Will ein Treuchtlinger oder eine Treuchtlingerin Wasser aus Treuchtlingen trinken, muss er oder sie es bei Aldi abgepackt in Kunststoffflaschen kaufen.

Nun hat Altmühltaler beim Landratsamt beantragt, über zwei neue Brunnen eine bislang ungenutzte Mineralwasserader anzapfen zu dürfen. Einer liegt auf dem Firmengelände, der andere auf städtischem Grund. Anneliese Dischinger von der Bürgerinitiative, eine selbstbewusste und beim Thema Wasser sehr bewanderte Frau, sieht das als Chance für die Stadt, die Firma bei der Wasserentnahme endlich zur Kasse zu bitten. 

„Wir wollen die Firma Altmühltaler nicht kaputt machen oder vertreiben“, sagt Dischinger. „Aber wir wollen, dass sie für das Wasser, das sie uns nimmt, vernünftig bezahlt. Es kann doch nicht sein, dass die Stadt verarmt und die Firma mit unserem Wasser immer reicher wird.“

126 Liter Mineralwasser im Jahr trinkt der Deutsche im Schnitt

Treuchtlingen war schon früher Schauplatz für den Kampf ums Wasser. 2019 stellten sich hier erstmals in Deutschland Bürgerinnen und Bürger den Interessen eines Mineralwasserkonzerns in den Weg – mit Erfolg. Inzwischen wird die Branche vielerorts kritisch beäugt. Gleichzeitig ist sie konstant erfolgreich. 95 Prozent der Deutschen trinken Mineralwasser. 150 Hersteller erwirtschafteten 2024 mit mehr als 500 verschiedenen Mineral- und Heilwassersorten knapp 3,6 Milliarden Euro Umsatz, Schorlen und Limonaden nicht mitgerechnet.

Die meisten sind kleine und mittlere Familienunternehmen, wenngleich der Markt von den Riesen MEG (gehört zum Schwarz-Imperium mit seinen Handelsketten Lidl und Kaufland), Hassia und Gerolsteiner dominiert wird. Hinzu kommen Importe aus anderen Ländern, wie etwa die zum Danone-Konzern gehörende französische Marke Volvic oder die beiden italienischen Wässer San Pellegrino oder Aqua Panna, die von Nestlé vertrieben werden. Alle Hersteller profitieren davon, dass Mineralwasser Durstlöscher Nummer eins ist in Deutschland. 2024 trank jeder hierzulande im Schnitt 126 Liter, mehr als das Zehnfache des Pro-Kopf-Verbrauchs im Jahr 1970.

Damals noch als Gänsewein oder Sekt für Arme verspottet, gelingt es der Branche seither perfekt, Mineralwasser als gesundes und natürliches Trend- und Lifestylegetränk zu inszenieren. Dafür zahlt die Kundschaft locker mal das Hundertfache dessen, was dieselbe Menge Trinkwasser aus der Leitung kostet. Auch die Erfindung der leichten PET-Kunststoffflaschen in den 1970er-Jahren hat das Geschäft angetrieben, weil dadurch der Transport handlicher und günstiger wurde. Und weil vor allem die jüngere Generation weniger Alkohol trinkt, steigt die Nachfrage nach Mineralwasser. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) erwartet auch im laufenden Jahr ein kräftiges Plus. Allein bis Ende Juli stieg der Absatz um fünf Prozent gemessen am Vorjahreszeitraum.

Das ist eine Seite. Die andere Seite ist das besondere Geschäftsmodell der Mineralwasserfirmen, das nicht nur in Treuchtlingen mehr und mehr Menschen kritisch sehen. Denn es ist ein Geschäft auf Kosten der Allgemeinheit und verglichen mit anderen Branchen einzigartig. Ob Handwerker, Autobauer, Chiphersteller oder Metzger – jeder, der etwas produziert, muss die notwendigen Rohstoffe vorher häufig teuer einkaufen. Mineralwasserhersteller hingegen holen den Rohstoff Wasser für maximal ein paar Cent pro Kubikmeter aus der Erde. In Bayern, Hessen und Thüringen zahlen sie sogar gar nichts. Obwohl Wasser ein Allgemeingut ist und rechtlich allen Menschen gehört, machen die Firmen damit ein Milliardengeschäft. Für die Verbraucher wird Mineralwasser immer teurer, seit 2020 stiegen die Preise um fast 30 Prozent, allein 2024 waren es mehr als acht Prozent.

Auch hierzulande wird das Grundwasser knapp

Solange es mehr als genug davon gab, störte sich kaum jemand daran. Doch die Zeiten ändern sich. Viele Grundwasserspeicher, aber auch viele Bäche, Flüsse und Seen schrumpfen. Gleichzeitig steigt der Wasserverbrauch und der Klimawandel bringt die Balance zwischen Regen und Trockenheit ins Ungleichgewicht. Allmählich wird klar: Die gefühlte Unerschöpflichkeit ist eine Täuschung. Der Umgang mit Wasser muss sich auch hierzulande ändern.

Der Streit in Treuchtlingen entzündete sich 2019 an den vier unscheinbaren Brunnen im Graben vor dem Stadtschloss, die Anneliese Dischinger gerade gezeigt hat. Aus denen schöpft Altmühltaler jährlich 400 000 Kubikmeter oberflächennahes Grundwasser, um daraus im Werk nebenan hauptsächlich Limonaden und Schorlen zu mischen. Plus 250 000 Kubikmeter Tiefengrundwasser, das 10 000 Jahre alt und besonders rein ist, weil es in gut 200 Meter Tiefe, eingebettet in Sandsteinkeuper, gegen Schadstoffe von oben geschützt ist. Altmühltaler füllt es in Kunststoffflaschen ab und Aldi verkauft es als Mineralwasser in seinen Filialen.

Im besagten Jahr 2019 – Altmühltaler gehörte damals noch der Unternehmerfamilie Schäff – wollte die Firma ihr Tiefenwasserkontingent um weitere 300 000 Kubikmeter mehr als verdoppeln. Die Stadt wollte ihr dafür sogar einen ursprünglich für die öffentliche Trinkwasserversorgung gebohrten Brunnen fast kostenlos überlassen. Das Genehmigungsverfahren lief als geheime Kommandosache. Die Öffentlichkeit blieb ausgeschlossen und sollte erst dann davon erfahren, wenn alles unter Dach und Fach sei. Behörden, Firma, Stadt, Kommunalpolitiker, sogar die Lokalzeitung – alle beteiligten sich am Schweigekartell.

Doch der Plan sickerte durch und die öffentliche Aufregung war groß. Zumal sich herausstellte, dass der betreffende Tiefengrundwasserspeicher seit Jahren bereits übernutzt wird. Das liegt daran, dass sich neben Altmühltaler auch öffentliche Wasserversorger im weiten Umkreis daraus bedienen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt sah die Zeit gekommen, ein Zeichen zu setzen und lehnte die von Altmühltaler verlangte Mehrentnahme ab. Es war das erste Mal, dass der im CSU-Bayern politisch bestens verdrahteten Familie Schäff ein solcher Wunsch abgeschlagen wurde. Wenig später verkaufte sie Altmühltaler an Aldi Nord.

Man könnte genauso gut Wasser aus der Leitung trinken

Gegner und viele öffentliche Wasserversorger halten Mineralwasser ohnehin für ein überflüssiges Getränk. Sie räumen zwar ein, dass dafür strengere Vorschriften gelten und es in der Regel mehr Mineralien enthält. Doch das Trinkwasser hierzulande stehe dem Mineralwasser qualitativ kaum nach. Trinkwasser sei das am besten überwachte Lebensmittel.

Umweltvereine wie „a tip: tap“ aus Berlin halten Mineralwasser gar für schädlich. Allein schon wegen des Plastikmülls. Und würde ganz Deutschland auf Mineralwasser verzichten, könnten anderthalbmal so viele Treibhausgasemissionen eingespart werden, wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr verursacht, heißt es in einer Studie des Vereins.

Zeit für einen Besuch bei Jürgen Reichle. Der Geschäftsführer des Mineralbrunnenverbands VDM residiert mit seinen Leuten in einem umgebauten Wohnhaus in Bonn. Von seinem Büro führt eine großzügige Terrasse in viel Grün, gleich dahinter beginnt der Bonner Zentralfriedhof. Es ist ein sonniger Spätsommertag und Reichle ist von vornherein wichtig, dass er nicht für irgendein Produkt spricht. „Mineralwasser ist seit Generationen Teil unserer Trinkkultur“, sagt er. Und: „Wir können in Deutschland froh sein, dass wir eine sehr gute Trinkwasserversorgung und eine solch gute Mineralwasserqualität mit solch einer großen Auswahl haben.“

Die Niederschläge im Frühjahr waren historisch niedrig

Er hält die Kritik an der Branche und ihrem Tun für übertrieben. „Wenn man sich alle Wassernutzer in Deutschland anschaut, liegt unser Anteil an den Grundwasserentnahmen bei weniger als 0,6 Prozent“, sagt Reichle. „Wir sind die Hüter der Quellen, denn ihr Erhalt sichert die Existenzgrundlage unserer Unternehmen. Deswegen haben wir auch ein existenzielles Interesse daran, dass mit den Wasservorräten sorgsam und verantwortungsvoll umgegangen wird.“ Und im Übrigen: Über Gewerbesteuern, Investitionen und Arbeitsplätze profitiere die Allgemeinheit sehr wohl vom Mineralwassergeschäft.

Zurück von der Terrasse wirft Reichle in seinem Büro allerhand Statistiken, Karten und Kurven an die Wand. Allenfalls „regional und zeitlich beschränkt“, so das Fazit, könne es zu Wasserknappheiten kommen. Denn das Dargebot, also die zur Verfügung stehende Wassermenge, „ist ausreichend, Deutschland hat keinen flächendeckenden Wasserstress“. Der bricht erst dann aus, wenn die Entnahmen den Vorrat um 20 Prozent übersteigen. Aktuell liegt die Quote etwa bei zwölf Prozent.

Es gibt aber auch andere Parameter. Mitte August etwa warnten öffentliche Versorger zum wiederholten Mal, dass sie aufgrund des Klimawandels immer häufiger in die Bredouille kämen. In vielen Regionen sind die Grundwasserstände drastisch gesunken. Obwohl 2025 als wettermäßig durchwachsen wahrgenommen wird, lagen die Niederschläge im Frühjahr auf einem historischen Tiefststand. „Bereits die Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte ist von akutem oder strukturellem Grundwasserstress betroffen“, warnte unlängst Volkswirtschaftsprofessor Erik Gawel, Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig.

„Altmühltaler ist unser größter Gewerbesteuerzahler.“

Er verwies dabei auf eine im Juni veröffentlichte Studie im Auftrag des BUND, wonach es in Teilen Ost-, Nord- und Westdeutschlands bereits „nachhaltige Probleme bei der Grundwasserversorgung“ gebe. „Künftige Klimaprojektionen sagen tendenziell niederschlagsärmere Sommer und häufigere Hitzeperioden voraus“, so Gawel. „Die Folge wären regional erhebliche Engpässe in der Wasserverfügbarkeit und verschärfte Nutzungskonflikte zwischen Landwirtschaft, Industrie, Energieerzeugung und Trinkwasserversorgung.“ Das Gleichgewicht zwischen Wassernachfrage und -angebot drohe „aus den Fugen zu geraten“.

Zurück nach Treuchtlingen. Im Rathaus sitzt Kristina Becker und weiß, dass sie ihre Wahl zur Bürgermeisterin 2020 ganz wesentlich der Tatsache verdankt, dass sie 2019 als Stadträtin gegen mehr Tiefengrundwasser für Altmühltaler gestimmt hat. „Ich habe meine Meinung seither nicht geändert“, sagt die CSU-Politikerin. „Aber Altmühltaler ist unser größter Gewerbesteuerzahler. Wenn die weg sind, sind wir pleite. Wir hängen an diesem Betrieb.“

Die CSU-Politikerin setzt große Hoffnungen darauf, dass der neueste Altmühltaler-Plan vom Landratsamt genehmigt wird. Der sieht vor, dass die Entnahme von Tiefengrundwasser von 250 000 auf 50 000 Kubikmeter jährlich reduziert und die Differenz aus einer neuen, weniger tief gelegenen Wasserschicht im Eisensandstein geholt wird. Das ist zwar auch Tiefengrundwasser, aber lediglich 70 und keine 10 000 Jahre alt. „Das ist der richtige Weg“, sagt Becker.

Bei der Bürgerinitiative hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Egal aus welcher Schicht – die Ressource Wasser ist nicht unendlich“, sagt Anneliese Dischinger. Es sei doch ein Unding, dass der Gewerbesteuerzahler Altmühltaler mit der klammen Stadt scheinbar machen könne, was er wolle. Vom Gehweg am Werkstor aus beobachtet die Bürgerinitiative, wie im Innenhof unablässig Lastwagen mit Paletten voller Wasserflaschen beladen werden. „Wir brauchen eine gerechte Lösung“, sagt einer. „Und es ist nicht gerecht, wenn alle zahlen, nur der Konzern nicht.“

Hinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Nestlé-Konzern sei eines jener Unternehmen, die den Mineralwasserkonzern in Deutschland dominieren. Diese Formulierung haben wir angepasst, denn Nestlé vertreibt zwar in Deutschland die Marken San Pellegrino und Aqua Panna, gehört aber nicht zu den größten Mineralwasseranbietern hierzulande.  

Mineralwasser

Sprudelnde Geschäfte

Bisher können Getränkehersteller Grundwasser fast kostenlos aus dem Boden holen. Doch dagegen wehren sich immer mehr Bürger. Wie in Treuchtlingen.

Der Ursprung des Streits liegt mitten im Städtchen. Von der Hauptstraße geht es rechts weg, an der Lambertuskirche vorbei in eine verkehrsberuhigte Zone. Dort muss man sie suchen, die Brunnen, die in und neben der Grünanlage im ehemaligen Burggraben des Treuchtlinger Stadtschlosses versteckt liegen. Vier Schächte mit pilzförmigen Hauben obendrauf, abgedeckt mit quadratischen Stahlplatten und gesichert mit stabilen Vorhängeschlössern. Ihretwegen also begann der ganze Ärger.

Anneliese Dischinger hat vorgeschlagen, den kleinen Stadtrundgang hier zu beginnen. Sie ist Sprecherin einer Bürgerinitiative und führt mit einer Handvoll Mitstreitern am Schloss vorbei und durch einen kleinen Park. Die Tour endet vor dem breiten Haupttor eines Firmengeländes, das fast den halben Stadtkern einnimmt: die Zentrale des Mineralwasserherstellers Altmühltaler.

Wieso, fragen sich Dischinger und ihre Mitstreiter, zahlen die Haushalte in Treuchtlingen die höchsten Wassergebühren weit und breit, während die Firma Altmühltaler, die seit Ende 2022 zum Aldi-Konzern gehört, kostenlos Grundwasser entnehmen und verkaufen darf? Und das, obwohl Wasser doch ein Allgemeingut ist, das allen Menschen gehört. Und das, obwohl es der Stadt Treuchtlingen finanziell so miserabel geht, dass sie überall sparen muss. Wieso dann diese Großzügigkeit gegenüber einem Milliardenkonzern, der mit dem Wasser Millionen und Abermillionen erwirtschaftet?

Treuchtlingen ist kein Einzelfall, die Konflikte ums Wasser nehmen bundesweit zu. In immer mehr Städten und Gemeinden in Deutschland stoßen sich viele Menschen daran, dass sich nicht nur Mineralwasserhersteller, sondern beispielsweise auch die Energie-, Papier- oder Chemieindustrie am Lebenselixier Wasser großzügig bedienen, dafür nichts oder so gut wie nichts bezahlen müssen und die Gewinne aus dem Verkauf allein einstreichen. Die Bürger wehren sich – nicht selten mit Erfolg.

Die Treuchtlinger bekommen ihr Leitungswasser per Fernleitung

Große Aufmerksamkeit erregte etwa Lüneburg, wo der Coca-Cola-Konzern unter dem Eindruck hartnäckiger Proteste seinen Plan verwarf, zusätzliche Brunnen zu bohren und die Entnahmemenge für seine Mineralwassermarke Vio mehr als zu verdoppeln. Das Erste widmete dem Konflikt sogar einen Themenabend samt Doku und einem Spielfilm mit Ulrich Tukur und Sebastian Bezzel in den Hauptrollen, in dem ein Mineralwasserkonzern eine Stadt trockenlegt.

Im Südosten Bayerns stoppte die Gemeinde Bergen im Juli Adelholzeners Plan einer Standorterweiterung. Und in Baruth/Mark, südlich von Berlin, wehrt sich eine neue Bürgerinitiative dagegen, dass ihre Kommune mitten im bröseltrockenen Brandenburg jährlich 2,2 Millionen Kubikmeter Grundwasser dem Energydrink-Konzern Red Bull und dessen Abfüllpartner Rauch überlässt.

Das bayerische Treuchtlingen an der Altmühl ist ein nationales Kuriosum. Hier gibt es 20 Brunnen, doch vom örtlichen Thermalbad einmal abgesehen, werden sie ausschließlich privat und gewerblich genutzt.

Größter Abnehmer daraus ist: Altmühltaler. Der Sprudelhersteller entnimmt so viel Wasser, wie die 13 000 Einwohner der Stadt zusammen verbrauchen. Deren Leitungswasser kommt aus keinem der örtlichen Brunnen, sondern per Fernleitung aus dem 50 Kilometer entfernten Donau-Lech-Mündungsgebiet. Es ist absurd: Will ein Treuchtlinger oder eine Treuchtlingerin Wasser aus Treuchtlingen trinken, muss er oder sie es bei Aldi abgepackt in Kunststoffflaschen kaufen.

Nun hat Altmühltaler beim Landratsamt beantragt, über zwei neue Brunnen eine bislang ungenutzte Mineralwasserader anzapfen zu dürfen. Einer liegt auf dem Firmengelände, der andere auf städtischem Grund. Anneliese Dischinger von der Bürgerinitiative, eine selbstbewusste und beim Thema Wasser sehr bewanderte Frau, sieht das als Chance für die Stadt, die Firma bei der Wasserentnahme endlich zur Kasse zu bitten. 

„Wir wollen die Firma Altmühltaler nicht kaputt machen oder vertreiben“, sagt Dischinger. „Aber wir wollen, dass sie für das Wasser, das sie uns nimmt, vernünftig bezahlt. Es kann doch nicht sein, dass die Stadt verarmt und die Firma mit unserem Wasser immer reicher wird.“

126 Liter Mineralwasser im Jahr trinkt der Deutsche im Schnitt

Treuchtlingen war schon früher Schauplatz für den Kampf ums Wasser. 2019 stellten sich hier erstmals in Deutschland Bürgerinnen und Bürger den Interessen eines Mineralwasserkonzerns in den Weg – mit Erfolg. Inzwischen wird die Branche vielerorts kritisch beäugt. Gleichzeitig ist sie konstant erfolgreich. 95 Prozent der Deutschen trinken Mineralwasser. 150 Hersteller erwirtschafteten 2024 mit mehr als 500 verschiedenen Mineral- und Heilwassersorten knapp 3,6 Milliarden Euro Umsatz, Schorlen und Limonaden nicht mitgerechnet.

Die meisten sind kleine und mittlere Familienunternehmen, wenngleich der Markt von den Riesen MEG (gehört zum Schwarz-Imperium mit seinen Handelsketten Lidl und Kaufland), Hassia und Gerolsteiner dominiert wird. Hinzu kommen Importe aus anderen Ländern, wie etwa die zum Danone-Konzern gehörende französische Marke Volvic oder die beiden italienischen Wässer San Pellegrino oder Aqua Panna, die von Nestlé vertrieben werden. Alle Hersteller profitieren davon, dass Mineralwasser Durstlöscher Nummer eins ist in Deutschland. 2024 trank jeder hierzulande im Schnitt 126 Liter, mehr als das Zehnfache des Pro-Kopf-Verbrauchs im Jahr 1970.

Damals noch als Gänsewein oder Sekt für Arme verspottet, gelingt es der Branche seither perfekt, Mineralwasser als gesundes und natürliches Trend- und Lifestylegetränk zu inszenieren. Dafür zahlt die Kundschaft locker mal das Hundertfache dessen, was dieselbe Menge Trinkwasser aus der Leitung kostet. Auch die Erfindung der leichten PET-Kunststoffflaschen in den 1970er-Jahren hat das Geschäft angetrieben, weil dadurch der Transport handlicher und günstiger wurde. Und weil vor allem die jüngere Generation weniger Alkohol trinkt, steigt die Nachfrage nach Mineralwasser. Der Verband Deutscher Mineralbrunnen (VDM) erwartet auch im laufenden Jahr ein kräftiges Plus. Allein bis Ende Juli stieg der Absatz um fünf Prozent gemessen am Vorjahreszeitraum.

Das ist eine Seite. Die andere Seite ist das besondere Geschäftsmodell der Mineralwasserfirmen, das nicht nur in Treuchtlingen mehr und mehr Menschen kritisch sehen. Denn es ist ein Geschäft auf Kosten der Allgemeinheit und verglichen mit anderen Branchen einzigartig. Ob Handwerker, Autobauer, Chiphersteller oder Metzger – jeder, der etwas produziert, muss die notwendigen Rohstoffe vorher häufig teuer einkaufen. Mineralwasserhersteller hingegen holen den Rohstoff Wasser für maximal ein paar Cent pro Kubikmeter aus der Erde. In Bayern, Hessen und Thüringen zahlen sie sogar gar nichts. Obwohl Wasser ein Allgemeingut ist und rechtlich allen Menschen gehört, machen die Firmen damit ein Milliardengeschäft. Für die Verbraucher wird Mineralwasser immer teurer, seit 2020 stiegen die Preise um fast 30 Prozent, allein 2024 waren es mehr als acht Prozent.

Auch hierzulande wird das Grundwasser knapp

Solange es mehr als genug davon gab, störte sich kaum jemand daran. Doch die Zeiten ändern sich. Viele Grundwasserspeicher, aber auch viele Bäche, Flüsse und Seen schrumpfen. Gleichzeitig steigt der Wasserverbrauch und der Klimawandel bringt die Balance zwischen Regen und Trockenheit ins Ungleichgewicht. Allmählich wird klar: Die gefühlte Unerschöpflichkeit ist eine Täuschung. Der Umgang mit Wasser muss sich auch hierzulande ändern.

Der Streit in Treuchtlingen entzündete sich 2019 an den vier unscheinbaren Brunnen im Graben vor dem Stadtschloss, die Anneliese Dischinger gerade gezeigt hat. Aus denen schöpft Altmühltaler jährlich 400 000 Kubikmeter oberflächennahes Grundwasser, um daraus im Werk nebenan hauptsächlich Limonaden und Schorlen zu mischen. Plus 250 000 Kubikmeter Tiefengrundwasser, das 10 000 Jahre alt und besonders rein ist, weil es in gut 200 Meter Tiefe, eingebettet in Sandsteinkeuper, gegen Schadstoffe von oben geschützt ist. Altmühltaler füllt es in Kunststoffflaschen ab und Aldi verkauft es als Mineralwasser in seinen Filialen.

Im besagten Jahr 2019 – Altmühltaler gehörte damals noch der Unternehmerfamilie Schäff – wollte die Firma ihr Tiefenwasserkontingent um weitere 300 000 Kubikmeter mehr als verdoppeln. Die Stadt wollte ihr dafür sogar einen ursprünglich für die öffentliche Trinkwasserversorgung gebohrten Brunnen fast kostenlos überlassen. Das Genehmigungsverfahren lief als geheime Kommandosache. Die Öffentlichkeit blieb ausgeschlossen und sollte erst dann davon erfahren, wenn alles unter Dach und Fach sei. Behörden, Firma, Stadt, Kommunalpolitiker, sogar die Lokalzeitung – alle beteiligten sich am Schweigekartell.

Doch der Plan sickerte durch und die öffentliche Aufregung war groß. Zumal sich herausstellte, dass der betreffende Tiefengrundwasserspeicher seit Jahren bereits übernutzt wird. Das liegt daran, dass sich neben Altmühltaler auch öffentliche Wasserversorger im weiten Umkreis daraus bedienen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt sah die Zeit gekommen, ein Zeichen zu setzen und lehnte die von Altmühltaler verlangte Mehrentnahme ab. Es war das erste Mal, dass der im CSU-Bayern politisch bestens verdrahteten Familie Schäff ein solcher Wunsch abgeschlagen wurde. Wenig später verkaufte sie Altmühltaler an Aldi Nord.

Man könnte genauso gut Wasser aus der Leitung trinken

Gegner und viele öffentliche Wasserversorger halten Mineralwasser ohnehin für ein überflüssiges Getränk. Sie räumen zwar ein, dass dafür strengere Vorschriften gelten und es in der Regel mehr Mineralien enthält. Doch das Trinkwasser hierzulande stehe dem Mineralwasser qualitativ kaum nach. Trinkwasser sei das am besten überwachte Lebensmittel.

Umweltvereine wie „a tip: tap“ aus Berlin halten Mineralwasser gar für schädlich. Allein schon wegen des Plastikmülls. Und würde ganz Deutschland auf Mineralwasser verzichten, könnten anderthalbmal so viele Treibhausgasemissionen eingespart werden, wie der gesamte innerdeutsche Flugverkehr verursacht, heißt es in einer Studie des Vereins.

Zeit für einen Besuch bei Jürgen Reichle. Der Geschäftsführer des Mineralbrunnenverbands VDM residiert mit seinen Leuten in einem umgebauten Wohnhaus in Bonn. Von seinem Büro führt eine großzügige Terrasse in viel Grün, gleich dahinter beginnt der Bonner Zentralfriedhof. Es ist ein sonniger Spätsommertag und Reichle ist von vornherein wichtig, dass er nicht für irgendein Produkt spricht. „Mineralwasser ist seit Generationen Teil unserer Trinkkultur“, sagt er. Und: „Wir können in Deutschland froh sein, dass wir eine sehr gute Trinkwasserversorgung und eine solch gute Mineralwasserqualität mit solch einer großen Auswahl haben.“

Die Niederschläge im Frühjahr waren historisch niedrig

Er hält die Kritik an der Branche und ihrem Tun für übertrieben. „Wenn man sich alle Wassernutzer in Deutschland anschaut, liegt unser Anteil an den Grundwasserentnahmen bei weniger als 0,6 Prozent“, sagt Reichle. „Wir sind die Hüter der Quellen, denn ihr Erhalt sichert die Existenzgrundlage unserer Unternehmen. Deswegen haben wir auch ein existenzielles Interesse daran, dass mit den Wasservorräten sorgsam und verantwortungsvoll umgegangen wird.“ Und im Übrigen: Über Gewerbesteuern, Investitionen und Arbeitsplätze profitiere die Allgemeinheit sehr wohl vom Mineralwassergeschäft.

Zurück von der Terrasse wirft Reichle in seinem Büro allerhand Statistiken, Karten und Kurven an die Wand. Allenfalls „regional und zeitlich beschränkt“, so das Fazit, könne es zu Wasserknappheiten kommen. Denn das Dargebot, also die zur Verfügung stehende Wassermenge, „ist ausreichend, Deutschland hat keinen flächendeckenden Wasserstress“. Der bricht erst dann aus, wenn die Entnahmen den Vorrat um 20 Prozent übersteigen. Aktuell liegt die Quote etwa bei zwölf Prozent.

Es gibt aber auch andere Parameter. Mitte August etwa warnten öffentliche Versorger zum wiederholten Mal, dass sie aufgrund des Klimawandels immer häufiger in die Bredouille kämen. In vielen Regionen sind die Grundwasserstände drastisch gesunken. Obwohl 2025 als wettermäßig durchwachsen wahrgenommen wird, lagen die Niederschläge im Frühjahr auf einem historischen Tiefststand. „Bereits die Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte ist von akutem oder strukturellem Grundwasserstress betroffen“, warnte unlängst Volkswirtschaftsprofessor Erik Gawel, Direktor des Instituts für Infrastruktur- und Ressourcenmanagement der Universität Leipzig.

„Altmühltaler ist unser größter Gewerbesteuerzahler.“

Er verwies dabei auf eine im Juni veröffentlichte Studie im Auftrag des BUND, wonach es in Teilen Ost-, Nord- und Westdeutschlands bereits „nachhaltige Probleme bei der Grundwasserversorgung“ gebe. „Künftige Klimaprojektionen sagen tendenziell niederschlagsärmere Sommer und häufigere Hitzeperioden voraus“, so Gawel. „Die Folge wären regional erhebliche Engpässe in der Wasserverfügbarkeit und verschärfte Nutzungskonflikte zwischen Landwirtschaft, Industrie, Energieerzeugung und Trinkwasserversorgung.“ Das Gleichgewicht zwischen Wassernachfrage und -angebot drohe „aus den Fugen zu geraten“.

Zurück nach Treuchtlingen. Im Rathaus sitzt Kristina Becker und weiß, dass sie ihre Wahl zur Bürgermeisterin 2020 ganz wesentlich der Tatsache verdankt, dass sie 2019 als Stadträtin gegen mehr Tiefengrundwasser für Altmühltaler gestimmt hat. „Ich habe meine Meinung seither nicht geändert“, sagt die CSU-Politikerin. „Aber Altmühltaler ist unser größter Gewerbesteuerzahler. Wenn die weg sind, sind wir pleite. Wir hängen an diesem Betrieb.“

Die CSU-Politikerin setzt große Hoffnungen darauf, dass der neueste Altmühltaler-Plan vom Landratsamt genehmigt wird. Der sieht vor, dass die Entnahme von Tiefengrundwasser von 250 000 auf 50 000 Kubikmeter jährlich reduziert und die Differenz aus einer neuen, weniger tief gelegenen Wasserschicht im Eisensandstein geholt wird. Das ist zwar auch Tiefengrundwasser, aber lediglich 70 und keine 10 000 Jahre alt. „Das ist der richtige Weg“, sagt Becker.

Bei der Bürgerinitiative hält sich die Begeisterung in Grenzen. „Egal aus welcher Schicht – die Ressource Wasser ist nicht unendlich“, sagt Anneliese Dischinger. Es sei doch ein Unding, dass der Gewerbesteuerzahler Altmühltaler mit der klammen Stadt scheinbar machen könne, was er wolle. Vom Gehweg am Werkstor aus beobachtet die Bürgerinitiative, wie im Innenhof unablässig Lastwagen mit Paletten voller Wasserflaschen beladen werden. „Wir brauchen eine gerechte Lösung“, sagt einer. „Und es ist nicht gerecht, wenn alle zahlen, nur der Konzern nicht.“

Hinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Nestlé-Konzern sei eines jener Unternehmen, die den Mineralwasserkonzern in Deutschland dominieren. Diese Formulierung haben wir angepasst, denn Nestlé vertreibt zwar in Deutschland die Marken San Pellegrino und Aqua Panna, gehört aber nicht zu den größten Mineralwasseranbietern hierzulande.  

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