Serie Inklusion auf dem Arbeitsmarkt

„Als ich den Arbeitsvertrag gekriegt hab, habe ich geweint“

Sebastian Wirth hat den Sprung aus einer Behindertenwerkstatt in einen regulären Job geschafft – das gelingt viel zu selten. Was bei ihm anders lief und wie es mehr als nur vier Prozent schaffen können.

17. April 2025 | Lesezeit: 16 Min.

Inklusion auf dem Arbeitsmarkt

„Als ich den Arbeitsvertrag gekriegt habe, hab ich geweint“

Nur wenige Menschen schaffen es, von einer Werkstatt für behinderte Menschen in einen normalen Job zu wechseln. Sebastian Wirth hat es geschafft. Seine Geschichte zeigt, was dafür wichtig ist.

17. April 2025 | Lesezeit: 16 Min.

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Die Tränen kommen mit der Erinnerung. Dabei war es nicht schlimm in der Werkstatt, relativiert Roswitha Wirth ihre feuchten Augen, die Räume waren freundlich, die Leute auch. Sebastian hat sich dort wohlgefühlt, das sagt er auch selbst, auch wenn er lieber seine Eltern reden lässt. Eine Werkstatt für behinderte Menschen war nur nicht das, was sie für ihren Sohn wollte. Wirth wischt sich ein paar Mal um die Augen, rückt ihre Stimme und sich im Stuhl zurecht. „Aber die Aussicht, dass er da bleibt, war schwer auszuhalten. Wenn man weiß, da ist nicht mehr drin, dann ist es auch okay, aber wenn man weiß, was er kann – dann ist es, wie ausgebremst zu werden. Da habe ich mir schon gedacht: Es muss doch noch was anderes geben.“

Roswitha Wirth muss weinen, wenn sie an früher denkt. Ihr Sohn Sebastian war in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung. Er lässt lieber seine Mutter erzählen. Die Werkstatt war nicht schlecht, sagt sie. Die Räume waren schön und die Menschen waren nett. Sebastian hat sich dort wohlgefühlt.

Roswitha Wirth wollte nicht, dass ihr Sohn mit Behinderung in der Werkstatt bleibt. Sie wischt sich die Tränen ab und sagt: Es hat wehgetan, dass Sebastian dort bleiben sollte. Sie erklärt: Wenn jemand nicht mehr kann, ist das in Ordnung. Aber sie wusste, dass Sebastian mehr kann. Sie dachte: Hier wird er gebremst, es muss noch andere Möglichkeiten geben.

Für Sebastian Wirth gab es noch etwas anderes, für Petra Loose nicht. In der Regel landen Menschen wie sie, Menschen mit kognitiver Behinderung, in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM, mehr dazu in diesem Teil der Serie) und bleiben dort für den Rest ihres Berufslebens. So war es auch bei Petra Loose, sie fährt tagtäglich in eine Werkstatt und erledigt dort Aufträge für Firmen und Behörden. Sebastian Wirth dagegen arbeitet auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt, er hat einen regulären Job. Was also lief bei Sebastian Wirth anders als bei Petra Loose, und was sagt das über den Umgang mit Behinderung in unserer Gesellschaft aus?

Für Sebastian gab es eine andere Möglichkeit. 

Für Petra Loose nicht. Die meisten Menschen mit Lern-Schwierigkeiten arbeiten in einer Werkstatt für behinderte Menschen (mehr dazu und über Petra in diesem Artikel). Dort bleiben sie dann bis zur Rente. So war es auch bei Petra Loose. Sie fährt jeden Tag in eine Werkstatt und arbeitet dort für Firmen und Behörden. 

Sebastian Wirth arbeitet auf dem normalen Arbeitsmarkt. Er hat einen normalen Job. 

Was war bei Sebastian anders als bei Petra? Und was sagt das darüber, wie wir alle mit Behinderung umgehen?

Diese Serie, die die SZ mit dem inklusiven Magazin andererseits recherchiert hat, geht den Fragen nach, wieso sich Deutschland mit Teilhabe behinderter Menschen gerade auf dem Arbeitsmarkt noch immer so schwertut – und wie Inklusion gelingen kann. Die übrigen Teile der Serie finden Sie hier:

Zu diesem Artikel hier gehören noch andere. Diese Serie hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) zusammen mit dem inklusiven Magazin andererseits gemacht.
In der Serie geht darum, warum Arbeiten in Deutschland für Menschen mit Behinderung oft immer noch schwierig ist: Warum viele nur schwer einen Job außerhalb einer Werkstatt finden und sich dort wohl fühlen.
Die Serie zeigt aber auch, wie man das besser machen kann, also wie Inklusion am Arbeitsplatz gelingen kann.
Die anderen Teile der Serie finden Sie hier:

Petra Loose hat schon viele Jobs gehabt, immer in Behindertenwerkstätten. Langweilige wie Grußkarten etikettieren, aber auch spannende, anspruchsvolle, die ihr Spaß gemacht haben: Sie hat Monitore repariert, Bauteile ausgebaut, eingebaut, gelötet. Hat Geldkassetten und Bildschirme für Geldautomaten getestet, justiert, gerichtet, im Auftrag namhafter Firmen und weitgehend in Eigenregie, wie sie erzählt. Zurzeit baut sie Autoscheinwerfer zusammen, auch wieder für große Unternehmen, setzt Spiegel und Dichtungen ein, jeden Tag 30, 40, 50 Stück.

Arbeit, wie sie es so oder so ähnlich auch in einer Fabrik gibt. So ähnlich wie bei Sebastian Wirth, der 350 Kilometer weiter südöstlich bei einem Autozulieferer in Halle 2 steht, bei der Firma Schiepek Maschinen- und Werkzeugbau, einem Mittelständler in Neustadt an der Aisch mit 80 Beschäftigten.

Petra Loose hat schon viele verschiedene Arbeiten gemacht, alle in Werkstätten. Manche waren langweilig, zum Beispiel Aufkleber auf Grußkarten kleben. Andere Arbeiten waren spannend und machten ihr Spaß: Sie hat Bildschirme repariert, Teile ein- und ausgebaut und gelötet. Sie hat auch Geldkassetten und Bildschirme für Geldautomaten geprüft. Das hat sie meistens allein gemacht, auch für bekannte Firmen.

Jetzt baut sie gerade Autoscheinwerfer zusammen. Sie setzt Spiegel und Dichtungen ein. Jeden Tag macht sie 30 bis 50 Stück fertig. 

Solche Arbeit gibt es auch in normalen Fabriken. Zum Beispiel bei der Firma Schiepek. Dort arbeitet Sebastian Wirth. Die Firma hat 80 Mitarbeiter, die viele Teile für Autos bauen.

Sebastian arbeitet zum Beispiel an dieser Maschine:

An der Umformpresse legt Wirth Edelstahlplatinen ein, die später mal in den Motoren von bekannten Autoherstellern landen, drückt Knöpfe, damit die Platinen geformt und beschnitten werden, prüft die fertigen Teile, sortiert sie ein und dokumentiert, was er gemacht hat. Eine Stückzahl von 800 hat er in sechs Stunden geschafft, damit liegt er im Soll.

Ums Geld geht es nicht – zumindest nicht nur

Dass es bei Wirth anders gekommen ist, echot im Leben der beiden nach. Dabei ist ihr Arbeitsalltag auf den ersten Blick gar nicht so unterschiedlich: Beide arbeiten in der Montage, in der Produktion für mitunter namhafte Autohersteller, fertigen Teile, die später Teil eines großen Ganzen werden. Viele, vielleicht zu viele Gemeinsamkeiten angesichts eines großen Unterschieds:  Petra Loose ist arm und Sebastian Wirth nicht. Sie bekommt pro Tag weniger als er in der Stunde (mehr zu Petra Loose in diesem Teil der Serie). Wirth bezieht als Produktionshelfer bei Schiepek Mindestlohn.

Aber ums Geld geht es ihm gar nicht, zumindest nicht nur. „Mir machen alle Arbeiten Spaß“, sagt Sebastian Wirth. „Als ich den Arbeitsvertrag gekriegt hab, habe ich geweint vor Freude.“ Wenn der Urlaub zu Ende geht, freut er sich auf den Montag. Wenn seine Maschine streikt, grämt er sich. Wenn sich andere durch die Wiederholungen, die die Maschinen verlangen, langweilen und vielleicht anfangen, Fehler zu machen, bleibt er acht Stunden im Tunnel. Wirth braucht Routinen und feste Strukturen.

Er macht dort:

• Metallteile in die Maschine legen
• bestimmte Knöpfe drücken
• die fertigen Teile prüfen
• und dann aufschreiben, was er alles gemacht hat

In 6 Stunden macht Sebastian Wirth 800 Teile. Das ist so viel, wie er schaffen soll.

Sebastian und Petra machen eigentlich eine ganz ähnliche Arbeit:
• Sie arbeiten in der Produktion
• Sie machen Montage-Arbeit
• Sie stellen Teile für Autos her

Sebastian geht es nicht ums Geld – zumindest nicht nur

Aber es gibt einen großen Unterschied: Petra ist arm, Sebastian nicht. Petra bekommt 145 Euro im Monat. Sebastian bekommt Mindestlohn. Er bekommt in einer Stunde mehr als Petra an einem Tag.

Für Sebastian ist aber nicht nur das Geld wichtig. Er sagt: „Mir machen alle Arbeiten Spaß.“ Er erzählt: „Als ich den Arbeitsvertrag gekriegt hab, hab ich vor Freude geweint.“ Sebastian freut sich nach dem Urlaub auf die Arbeit. Er ist traurig, wenn seine Maschine kaputt ist.

Er macht gerne die gleichen Arbeiten. Er arbeitet gerne nach festen Regeln. Er braucht feste Abläufe.

Oder, wie seine Mutter es umschreibt: „Er ist zufrieden, wenn es ist, wie es ist“. 

Seine Mutter sagt: Sebastian ist zufrieden, wenn alles gleich bleibt.

Was bei seiner jetzigen Arbeit sogar von Vorteil ist, hat seinen Weg dahin schwerer gemacht. Nicht alle Firmen sind so offen, nicht alle Chefs so geduldig wie Martin Schiepek (links). Ja, die Kollegen schafften auch höhere Stückzahlen, sagt er und setzt grinsend hinzu, er hätte trotzdem nichts gegen mehr Arbeiter wie Sebastian, wenig Schwankungen im Ergebnis, zuverlässig, immer pünktlich.

Das hilft ihm bei seiner Arbeit. Aber das hat es ihm schwer gemacht, einen Job zu finden. Nicht alle Firmen sind so offen. Nicht alle Chefs sind so geduldig wie Sebastians Chef. Die anderen Mitarbeiter schaffen zwar oft mehr Teile. Aber der Chef Martin Schiepek (links im Bild) sagt grinsend: Er hätte gerne mehr Arbeiter wie Sebastian. Er arbeitet sehr zuverlässig. Seine Arbeit ist immer gleich gut. Er kommt pünktlich und fehlt fast nie. 

Die Antwort auf die Frage, wie Wirth dort gelandet ist, was bei ihm anders lief, steckt auch in dem Album vor ihm auf dem Tisch. Wirth ist 35 Jahre alt, er sieht jünger aus, dunkelblondes Haar, schwarze Brille. Das Fotoalbum hat er als Erinnerung von dem Fachdienst bekommen, der ihn in den Beruf begleitet hat. 

Sebastian ist 35 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Er hat dunkelblondes Haar und eine schwarze Brille. Vor sich auf dem Tisch liegt ein besonderes Fotoalbum. Das Album zeigt, wie er seinen Job gefunden hat. 

Oder, wie seine Mutter es umschreibt: „Er ist zufrieden, wenn es ist, wie es ist“. 

Seine Mutter sagt: Sebastian ist zufrieden, wenn alles gleich bleibt.

Was bei seiner jetzigen Arbeit sogar von Vorteil ist, hat seinen Weg dahin schwerer gemacht. Nicht alle Firmen sind so offen, nicht alle Chefs so geduldig wie Martin Schiepek (links). Ja, die Kollegen schafften auch höhere Stückzahlen, sagt er und setzt grinsend hinzu, er hätte trotzdem nichts gegen mehr Arbeiter wie Sebastian, wenig Schwankungen im Ergebnis, zuverlässig, immer pünktlich.

Das hilft ihm bei seiner Arbeit. Aber das hat es ihm schwer gemacht, einen Job zu finden. Nicht alle Firmen sind so offen. Nicht alle Chefs sind so geduldig wie Sebastians Chef. Die anderen Mitarbeiter schaffen zwar oft mehr Teile. Aber der Chef Martin Schiepek (links im Bild) sagt grinsend: Er hätte gerne mehr Arbeiter wie Sebastian. Er arbeitet sehr zuverlässig. Seine Arbeit ist immer gleich gut. Er kommt pünktlich und fehlt fast nie. 

Die Antwort auf die Frage, wie Wirth dort gelandet ist, was bei ihm anders lief, steckt auch in dem Album vor ihm auf dem Tisch. Wirth ist 35 Jahre alt, er sieht jünger aus, dunkelblondes Haar, schwarze Brille. Das Fotoalbum hat er als Erinnerung von dem Fachdienst bekommen, der ihn in den Beruf begleitet hat. 

Sebastian ist 35 Jahre alt, sieht aber jünger aus. Er hat dunkelblondes Haar und eine schwarze Brille. Vor sich auf dem Tisch liegt ein besonderes Fotoalbum. Das Album zeigt, wie er seinen Job gefunden hat. 

Access heißt er sinnigerweise und bemüht sich darum, Menschen wie Sebastian Wirth einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Während Loose mehr oder weniger in die Werkstatt hineinkomplimentiert wurde, wurde er wieder hinauskomplimentiert, als er dort schon angefangen hatte, Transportkisten zu bauen und Paletten zusammenzunageln. Eine aufmerksame Sozialpädagogin in der Behindertenwerkstatt hat den Kontakt zu Access hergestellt. Seine Mutter schaut ihn ernst an: „Ich weiß nicht, ob du anders eine Chance gehabt hättest.“

Die zusätzliche Unterstützung jenseits der traditionellen Strukturen ist oft nötig, weil die Werkstätten selbst die oft unerlässliche enge Begleitung nicht leisten können oder wollen (mehr dazu in diesem Teil der Serie). Sie haben zwar einen Reha-Auftrag, sollen also die Arbeitsfähigkeit der Klienten fördern und auf den Beruf vorbereiten, aber sie haben keinen expliziten Vermittlungsauftrag. Weil sich Behinderte und ihre Angehörigen bislang oft selbst um die Suche nach einem passenden Arbeitsplatz kümmern müssen, würden Experten diesen Part gern stärken, ausbauen – auch und besonders außerhalb der Werkstätten. „Es braucht eine andere Art von Unterstützungskultur“, sagt Professor Stefan Doose, der an der FH Potsdam zu Inklusion forscht. „So wie man in der Werkstatt ein Arbeitsleben lang intensiv begleitet werden kann, sollte man das auch in einem regulären Betrieb können.“ Er schlägt sogar einen Rechtsanspruch auf unterstützte Beschäftigung vor. Supported Employment ist der englische Fachbegriff für eine Idee, die nicht neu, aber in der Praxis noch nicht in größerem Umfang angekommen ist.

Bei vielen behinderten Menschen ist in der Werkstatt Endstation, der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt gelingt den wenigsten. Auch bei Sebastian Wirth war es eher ein „Glücksfall“, wie seine Mutter Roswitha sagt. Weil er zu Access kam, weil die Berufsvorbereitung zugeschnitten war auf ihn und das, was er machen sollte und wollte. Weil auch er von manchen Aufgaben, ungeduldigen Chefs und spottenden, neidenden Kollegen überfordert war – aber nicht allein. Während Loose vieles in den Fördermaßnahmen als redundant empfunden hat und sich aber zugleich in den ersten Jobs überfordert fühlte. Professor Doose schlägt daher vor, die Werkstatt weniger als Ort zu denken denn als Unterstützungsnetzwerk, auch außerhalb.

Jeder, der will, kann es versuchen

Denn es braucht mitunter einen „langen Atem“, wie Andrea Seeger, die Geschäftsführerin von Access, sagt. Die Agentur hat sich mittlerweile viel Renommee in der Szene erarbeitet, hat mehrfach Auszeichnungen bekommen für ihre Arbeit, zuletzt den international anerkannten Zero Project Award, der Initiativen für mehr Barrierefreiheit würdigt. Trotzdem ist sie nach wie vor auf Spenden angewiesen, weil sie sich anders als WfbM außerhalb des regulären Fördergeldersystems bewegt. 1100 Mal ist es seit der Gründung 1998 ähnlich wie bei Wirth gelungen, jemanden auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, bei 60 Prozent der Klientinnen und Klienten aus Werkstätten und 80 Prozent jener aus Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung. 

Wobei, sagt Seeger, sie wolle „auch mal eine Lanze brechen für die Werkstätten, weil es nun mal Menschen gibt, die der allgemeine Arbeitsmarkt aufgrund ihres Verhaltens und der Auswirkungen ihrer Behinderungen nicht aufnehmen kann. Es geht aber auch nicht nur um das Leistungsvermögen, sondern darum, dass die Menschen motiviert sind, das kann auch jemand sein, der stärker eingeschränkt ist. Wir starten mit jedem einen Versuch, der wirklich will.“

Wirth wollte. Aber bevor er einen festen Vertrag beim Autozulieferer Schiepek bekam, sind mehr als zwei Jahre vergangen und vier Versuche gescheitert. Mal war der Chef ein Choleriker, mal haben die Kollegen sich lustig gemacht, mal hätte es ein besseres Zahlenverständnis gebraucht, mal hätte er kaum mehr verdient als in der Behindertenwerkstatt, um den „sozialen Frieden“ in der Belegschaft nicht zu gefährden. Und auch dem Arbeitsvertrag als Produktionshelfer gingen mehrere Monate Berufsvorbereitung und Praktikum voraus, der Chef hat zwei Bezugspersonen in der Belegschaft ausgemacht, und Wirth wurde von zwei Jobcoaches der Agentur langfristig begleitet. Bis seine Abteilungsleiterin gesagt hat: „Die brauch mer nimmer.“

Access hilft nicht nur mit Vorbereitung und Jobcoaches, nicht nur mit sozialer, sondern auch mit Beratung bei der Bürokratie, mit Macheten durch den Paragrafen- und Fördermittelantragsdschungel. „Unsere Aufgabe ist es, die Leute aufzuschließen und zu sensibilisieren, sonst kann es schnell zu Überforderungssituationen kommen, auf beiden Seiten“, sagt Seeger. Sie sagt aber auch, dass es nicht um Almosen gehen kann, sondern Win-win-Situationen braucht: „Das klappt nur, wenn jeder was davon hat.“

Bei der Jobsuche hat Sebastian Wirth ein Fachdienst geholfen. Dieser Dienst heißt Access. Er hilft Menschen mit Behinderung, Arbeit außerhalb von Werkstätten zu finden.

Petra kam nach ihrer Ausbildung in eine Werkstatt und arbeitet dort schon seit vielen Jahren. 

Bei Sebastian war es anders: Er arbeitete gleich nach der Förderschule in einer Werkstatt. Dort baute er zum Beispiel Transportkisten zusammen. Aber eine aufmerksame Mitarbeiterin in der Werkstatt hat den Kontakt zu Access hergestellt. Seine Mutter sagt: Ohne diese Hilfe hätte Sebastian wahrscheinlich keine Chance gehabt.

Oft brauchen Menschen mit Behinderung diese Hilfe. Die Werkstätten können oder wollen diese Hilfe aber oft nicht leisten (mehr dazu in diesem Artikel). Die Werkstätten sollen zwar Menschen mit Behinderung auf einen Beruf vorbereiten. Aber sie müssen nicht dabei helfen, einen normalen Job zu finden. Menschen mit Behinderung und ihre Familien müssen oft selbst einen Job suchen. 

Experten wollen das ändern. Sie wollen, dass es mehr Hilfe gibt – auch außerhalb der Werkstätten. Stefan Doose ist Experte für Inklusion. Er sagt: Wir brauchen eine andere Art von Unterstützung. Menschen mit Behinderung bekommen in der Werkstatt ihr ganzes Arbeitsleben lang Hilfe. Die sollten sie auch in normalen Firmen bekommen. 

Sebastians Mutter sagt: Er hatte Glück. Die meisten Menschen mit Behinderung bleiben in der Werkstatt. Nur wenige schaffen es in einen normalen Job.

Bei Sebastian passte die Hilfe gut zu dem, was er kann und will. Bei Petra war das anders: Manche Übungen in der Vorbereitung fand sie langweilig, sie konnte das schon. Bei der Arbeit selbst fühlte sie sich aber oft überfordert. 

Auch Sebastian war manchmal überfordert. Manche Chefs waren ungeduldig. Manche Kollegen haben Witze über ihn gemacht. Aber Sebastian hatte Hilfe – von dem Fachdienst Access.

Andrea Seeger leitet Access. Sie sagt: Man braucht oft viel Geduld. Access hat schon viele Preise bekommen. Trotzdem braucht Access Spenden. Denn der Dienst bekommt weniger Geld vom Staat als die Werkstätten.

Access hat schon 1100 Menschen mit Behinderung in einen normalen Job vermittelt. Wenn die Leute aus Werkstätten zu Access kommen, klappt das bei 60 von 100 Menschen. Wenn die Leute direkt von der Förderschule für Menschen mit geistiger Behinderung kommen, klappt es sogar bei 80 von 100 Menschen.

Jeder, der will, kann es versuchen

Andrea Seeger sagt aber auch: Die Werkstätten sind wichtig. Manche Menschen können wegen ihrer Behinderung nicht auf dem normalen Arbeitsmarkt arbeiten. Aber es kommt nicht nur darauf an, wie viel jemand leisten kann. Sie sagt: Wichtig ist, dass die Menschen motiviert sind. Auch Menschen mit starker Behinderung können motiviert sein. Andrea Seeger erzählt: „Wir starten mit jedem einen Versuch, der wirklich will.“

Sebastian wollte wirklich. Aber es war nicht einfach. Es hat mehr als zwei Jahre gedauert, bis er seinen festen Job bei der Firma Schiepek bekommen hat. Vier Versuche klappten nicht:

• Ein Chef war sehr unfreundlich
• Kollegen haben sich über ihn lustig gemacht
• Bei einer Arbeit war zu viel Mathe dabei
• Bei einer Firma war der Lohn viel zu niedrig

Bevor Sebastian seinen Arbeitsvertrag bekam, musste er sich lange vorbereiten. Er machte ein Praktikum. Zwei Mitarbeiter bei Schiepek haben sich besonders um ihn gekümmert. Zwei Betreuer von Access haben ihn lange Zeit unterstützt. Dann sagte seine Chefin: Die Betreuer brauchen wir nicht mehr.

Access hilft auf verschiedene Arten:

• Sie bereiten die Menschen auf die Arbeit vor
• Sie schicken Betreuer mit zur Arbeit
• Sie helfen bei Problemen im Alltag
• Sie helfen bei Anträgen und Papieren

Andrea Seeger sagt: Wir müssen allen helfen zu verstehen, wie sie gut zusammenarbeiten können. Sonst wird es zu viel für alle. Sie sagt auch: Es geht nicht darum, nur nett zu sein. Sie erklärt: Es klappt nur, wenn alle etwas davon haben.

Das ist Sebastians Chef, Martin Schiepek:

Oder wie Martin Schiepek, Wirths Chef, es formuliert: Ein Freundschaftsdienst sei das nicht gewesen, „da bin ich Unternehmer genug. Wir haben die Ressourcen, also haben wir es mal probiert, Arbeitskraft ist Arbeitskraft. Aber es hätte auch scheitern können.“ Schiepek ist ein kräftiger Mann, der oft von seiner Firma als „Familienbetrieb“ spricht und meint, er ziehe eben auch Energie daraus, seine Mitarbeiter, nicht nur, aber auch Sebastian, zehn, zwölf Jahre zu halten und bei der Weihnachtsfeier zu sehen, dass viele kommen, gern kommen und sich wohlfühlen. „Das Soziale schwingt immer mit bei mir, aber der Sebastian gibt viel zurück. Der will halt auch, der ist auf jeder Weihnachtsfeier, fährt mit auf die Messeausflüge, der integriert sich auch selbst.“

Bei Roswitha Wirth klingt das ähnlich, aber andersherum: Sebastian werde halt auch ganz selbstverständlich eingeladen auf Fachmessen, genauso wie zum Essen, wenn sich die Kollegen mal außerhalb der Kantine treffen. „Die Leute machen den Unterschied. Sebastian war da nie außen vor, die haben ihn integriert.“ Die Kollegen sticheln, aber nicht wegen Sebastians Behinderung, sondern wenn die Clubberer unter ihnen sich freuen, dass die Bayern verloren haben.

Er sagt: Er hat Sebastian nicht nur aus Freundlichkeit eingestellt. Er erklärt: Er ist ein Geschäftsmann. Sie hatten Platz für neue Mitarbeiter. Also haben sie es versucht. Jeder, der arbeitet, ist wertvoll, erklärt Herr Schiepek. Es hätte aber auch nicht klappen können.

Schiepek spricht oft von seiner Firma als „Familienbetrieb“. Er freut sich, wenn seine Mitarbeiter lange bei ihm bleiben. Er freut sich auch, wenn zum Beispiel viele zur Weihnachtsfeier kommen und sich wohlfühlen. Er sagt auch: Sebastian gibt auch viel zurück. Er will wirklich arbeiten, und er will gut arbeiten. Er will mitmachen, er kommt zu jeder Weihnachtsfeier. Er fährt auch mit zu Fachmessen, wo Firmen zeigen, was sie machen. Er erklärt: Sebastian integriert sich auch selbst.

Sebastians Mutter Roswitha sagt so was auch: Die Kollegen nehmen Sebastian ganz normal zu Messen und zum Essen mit. Sie sagt: Die Menschen machen den Unterschied. Sebastian war nie ausgeschlossen. Die Kollegen haben ihn integriert.

Die Kollegen machen manchmal auch Witze. Aber nicht über Sebastian und nicht wegen seiner Behinderung. Sie ärgern ihn ein bisschen, weil er Bayern-Fan ist, wenn sein Lieblingsfußballverein verliert. So wie sie es auch bei anderen machen.

Bayern-Fan Wirth kann das mittlerweile ab, das war früher anders. 

Sebastian kann damit jetzt gut umgehen. Früher war das anders. 

Bayern-Fan Wirth kann das mittlerweile ab, das war früher anders. 

Sebastian kann damit jetzt gut umgehen. Früher war das anders. 

Sebastians Selbstbewusstsein habe sich in den vergangenen Jahren „drastisch verbessert“, sagt sein Vater Arthur. Ganz grundsätzlich beobachtet die Access-Geschäftsführerin Andrea Seeger bei vielen, die den Sprung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschafft haben, enorme Entwicklungsschritte, was Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit und Lebensqualität angeht. „Und sie sind sehr stolz auf das Erreichte.“ Wirths Beispiel malt ein Bild davon, wie es gehen kann mit der Inklusion behinderter Menschen im Arbeitsmarkt und dass sie dann nicht am Werkstor aufhört. Es zeigt aber im Negativ auch, wie weit es von seinem Glücks- zum Normalfall noch ist.

Sein Vater Arthur sagt: Sebastian ist heute viel selbstbewusster als früher.

Das sagt auch Andrea Seeger, nicht nur über Sebastian, sondern über viele Menschen mit Behinderung. Sie kennt von ihrer Firma Access viele Beispiele. Sie sieht: Wer einen normalen Arbeitsplatz findet, entwickelt sich oft sehr weiter. Die Menschen werden selbständiger und zufriedener. Sie sind sehr stolz auf das, was sie erreicht haben.

Sebastians Geschichte zeigt: Menschen mit Behinderung können gut in normalen Firmen arbeiten. Sie können auch außerhalb der Arbeit gut mit Kollegen zusammen sein. Aber sein Fall zeigt auch: Das ist noch lange nicht die Normalität.

Für Petra Loose war es schwer, aus der Werkstatt, aus dem System Werkstatt rauszukommen (mehr dazu in Teil eins unserer Serie), aber natürlich ist das nur die eine Seite. Es ist auch schwer, wie Sebastian Wirths Geschichte zeigt, woanders, auf dem regulären Arbeitsmarkt, reinzukommen. Welche Mechanismen das für die Mehrheit behinderter Menschen unmöglich machen und welche Rolle Arbeitgeber und Politik dabei spielen, lesen Sie in Teil drei unserer Serie:

Bei Petra Loose war es anders. Sie hat erlebt, wie schwer es ist, aus einer Behinderten-Werkstatt in einen normalen Job zu wechseln. Ihre Geschichte lesen Sie in diesem Artikel

Und auch Sebastians Geschichte zeigt ja: Es ist schwer, einen normalen Arbeitsplatz zu finden. Warum das so ist und was Firmen und Politik daran ändern können, erfahren Sie im nächsten Teil der Serie. Das ist dieser Artikel:

Den ersten Teil der Recherche zu Werkstätten für behinderte Menschen finden Sie hier:

Text: Sabrina Ebitsch, Natalie Sablowski; Recherche: Sabrina Ebitsch, Natalie Sablowski, Emilia Garbsch (andererseits), Nikolai Prodöhl (andererseits); Infografik: Sabrina Ebitsch; Digitales Design: Stefan Dimitrov; Digitales Storytelling: Sabrina Ebitsch; Redaktion: Caspar Busse; KI-unterstützte Übersetzung in einfache Sprache: Alessandro Alviani

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