Exotische Verpackungen aus fernen Ländern, ein ganzer Berg. Er will auf einmal niemandem mehr gehören. "Eine üble Geschichte", sagt Gan. Er und seine Nachbarn verstehen nicht, warum sie auf dem Müll der anderen sitzen bleiben sollen. Kürzlich hätten Leute begonnen, Fuhre um Fuhre wegzufahren, erzählt der Malaysier, sie machten das im Schutz der Nacht, der Haufen war schon mal viel größer. Ein paar hundert Meter weiter zeigt er dann einen Platz zwischen Ölpalmen, wo eine kleinere Halde entstanden ist. Es sieht so aus, als verteilten sie den Abfall jetzt auf mehrere Plätze, damit er weniger auffällt.
In Jenjarom, einem Distrikt westlich der Metropole Kuala Lumpur, haben sich verärgerte Bürger organisiert, sie treffen sich am Morgen unter dem Wellblechdach einer Garküche, sie frühstücken Eintopf mit Schweinefleisch und trinken Tee aus Orangenschalen. Dann erzählen sie, wie vor etwa einem Jahr alles hier draußen angefangen hat. Der Gestank, die Schwaden von verbranntem Plastik. Kopfweh. Übelkeit. Schlaflose Nächte.
"Wir haben ein großes Problem", sagt Pua Lay Peng, eine Chemie-Ingenieurin, die hier zu Hause ist. "Aber ich habe nicht den Eindruck, dass der Staat sich anstrengt, um es zu lösen." Trucks karrten damals Müll heran, immer neue Fuhren, die unter großen, schnell errichteten Wellblechdächern gebunkert wurden. Bald schon hing Gestank in der Luft, Rauch, wie er beim Einschmelzen von Plastik oder auch bei Bränden offener Müllhalden entsteht. Was nicht mehr zu verwerten war, wurde angezündet, meistens in der Nacht. Bei solchen Verbrennungen entstehen zahlreiche Schadstoffe, im schlimmsten Fall hochgiftige Dioxine.
Als die Proteste im Juli 2018 lauter wurden, fror die Regierung die Vergabe der Importlizenzen ein, im Herbst verkündete Malaysia schließlich einen vorläufigen Importstopp für Plastikmüll und versprach Untersuchungen. Umweltministerin Yeo Bee Yin versicherte: "Wir werden nicht erlauben, dass Malaysia zur Müllhalde für unerwünschten Plastikabfall wird." Inzwischen hat die Regierung das Ausmaß des Müllskandals näher beziffert: 114 Unternehmen hätten vor dem Stopp Importlizenzen für Plastikmüll besessen, davon seien 54 Betriebe "aktiv" gewesen - aber nur acht von ihnen hätten die geltenden Bestimmungen eingehalten.
Während im Herbst noch die Rede davon war, dass Malaysia bis 2021 einen kompletten Importstopp ausarbeiten wolle, sind nun schon wieder Neuanträge für Importlizenzen zugelassen. 19 Unternehmen erfüllten nun "auf dem Papier" die Voraussetzungen, erklärte die zuständige Ministerin. "Jetzt will ich selber nachsehen, ob sie die Regularien befolgen. Wenn alles fein ist, werden wir ihnen erlauben, Plastikmüll zu importieren", sagte Zuraida Kamaruddin der malaysischen Zeitung The Star.
Das sorgt für Unmut bei jenen, die seit Monaten protestieren. Viele illegale Unternehmen kämen ohne Strafe davon, klagt die Anwohnerin Pua. "Für uns sieht das so aus, als wollte der Staat die Geschäfte einfach legalisieren." Die Regierung Malaysias erweckte zuletzt den Eindruck, als sei der giftige Spuk vorbei, aber der Vorsitzende des Bürgervereins in Kuala Langat, Tan Ching Hin, will das nicht gelten lassen. Er zieht beim Frühstück sein Telefon heraus und klickt auf ein Foto, das zeigt, wie es brennt und qualmt. "Das war erst am 27. Dezember", schimpft er. "Und es geht immer noch weiter."
Das bestätigt sich einige Tage später. Nahe der Halde, auf der der deutsche Müll liegt, brennt am 13. Januar plötzlich Abfall in einer verlassenen Fabrikhalle, wie aufgeregte Anwohner berichten. Die Feuerwehr löscht, Nachbarn dokumentieren das Feuer auf Fotos und Videos.
"Wir glauben nicht, dass das ein Unfall war", sagt Pua. Sie vermuten, dass Spuren beseitigt werden sollten. Spuren der illegalen Müllverarbeitung. Von den Arbeitern, die hier im vergangenen Jahr mit dem Zerkleinern von Plastik beschäftigt waren, fehle jede Spur. "Unsere Nachforschungen haben ergeben, dass die Leute aus China kamen, jetzt sind sie alle fort."
Tatsächlich haben Chinas Müll-Verarbeiter seit dem Importstopp ihrer Regierung ein Problem. Peking hat ihnen ihr profitables Geschäft weggenommen und viele Firmen wollen nicht zusehen, wie nun andere Gewinn mit dem Abfall machen.
Der chinesischen Plastikmüll-Organisation CSPA zufolge haben im vergangenen Jahr mehr als 1000 chinesische Recycling-Unternehmen ihr Geschäft nach Südostasien verlagert und dort umgerechnet 1,5 Milliarden Euro investiert. Das Equipment, die Expertise und selbst die Lieferketten hätten die Firmen gleich mitgebracht.
Viele Länder buhlen um den Müll, vor allem Thailand, Vietnam und Malaysia. Denn was deutsche Konsumenten schlicht für Plastikmüll halten, ist längst zum global gehandelten Wirtschaftsgut geworden. "Ich möchte das 30-Milliarden-Ringgit-Geschäft mit dem importieren Plastikmüll nicht verlieren", sagt Ministerin Zuraida nach einem Bericht der New Straits Times. Umgerechnet sind das 6,4 Milliarden Euro. "Wenn wir es gut machen, dann ist das ein gutes Einkommen für das Land."
Aber machen sie es auch gut? Der Skandal der vergangenen Monate weckt Zweifel daran. Im Bürgerverein von Jenjarom klagen die Leute, dass der Staat seine eigenen Regeln nicht durchsetze. Sie hätten wenig Vertrauen in die Behörden. Zwei SZ-Anfragen an das zuständige Ministerium im Januar blieben unbeantwortet, so gibt es auch keine offizielle Auskunft, ob der im Herbst verhängte Importstopp tatsächlich alle Lieferungen aus dem Ausland betraf.
Die Krise um den importierten Müll ist umso brisanter, als gerade die Länder Südostasiens kaum mit ihrem eigenen Abfall klar kommen. Jedes Jahr landen dort hunderttausende Tonnen Müll im Ozean, zusätzliche Abfallberge aus dem Ausland, die nicht richtig recycelt werden, dürften die Lage noch verschärfen. Heng Kiah Chung von Greenpeace Malaysia, der den Abfallskandal mit aufgedeckt hat, sagt, dass das globale Recycling-System nicht funktioniere und auch nicht dazu tauge, das Problem der Plastikverschmutzung zu lösen. "Wir sollten solche Importe verbieten und darauf hinarbeiten, den Gebrauch von nicht essenziellem Plastik zu verringern und Alternativen zu entwickeln, wo immer möglich", sagt der Umweltaktivist.
Die Deutschen rühmen sich schon lange damit, Recycling-Weltmeister zu sein: 46,7 Prozent aller Kunststoffabfälle wurden 2017 laut Umweltbundesamt hierzulande recycelt, die Weltbank titelt: Rekord. Doch die Quote sagt wenig aus. Denn die Unternehmen müssen lediglich nachweisen, dass der Abfall ordnungsgemäß verwertet wurde, nicht aber wo. Sie selbst recyceln nur relativ reinen Plastikmüll, etwa aus dem gelben Sack. Probleme machen hingegen Kunststoffabfälle aus dem Gewerbe oder dem Haushaltsmüll. Die werden in riesigen Ballen ins Ausland verschifft - und dürfen trotzdem in die Quote mit eingerechnet werden.
Dabei ist der Export von Plastikabfällen auf dem Papier eigentlich umfassend geregelt. In der Baseler Konvention, einem internationalen Umweltabkommen, haben sich 186 Nationen, darunter Deutschland, dazu verpflichtet, beim Handel mit gefährlichen Abfällen gewisse Regeln einzuhalten. Eine davon besagt, dass die Herkunftsländer sicherstellen müssen, dass ihr Müll im Zielland weder die Gesundheit von Menschen noch die Umwelt gefährdet. Wenn das nicht möglich ist, muss ein Abfall-Export in das Land reguliert oder sogar untersagt werden. Als drittgrößter Plastikmüll-Lieferant können die deutsche Wirtschaft und auch die Verbraucher also kaum so tun, als ginge sie die malaysische Misere nichts an.
Wer durch die Straßen von Jenjarom fährt, sieht links und rechts mehr als ein Dutzend Fabrikhallen, in denen früher Müll verarbeitet wurde. Die Firmen verstießen gegen die Vorschriften, einige arbeiteten ohne Genehmigung. Nun sind die Hallen zugesperrt oder verlassen. Manche Tore haben die lokalen Behörden mit gelben Plastikbändern versiegelt. "Dilarang Masuk". Betreten verboten.
Die Erkundungen führen von hier weiter zur malaysischen Küste, über eine Brücke, hinüber nach Pulau Indah. "Schöne Insel", heißt das auf Malaiisch. Es muss ein Name aus besseren Zeiten sein, schön ist dieser Ort nur noch als schräge Kulisse für einen Umwelt-Thriller.
Nicht weit vom Brandherd entfernt liegt das Reich von Onkel Lee. Er ist Malaysier mit chinesischen Wurzeln. Der Geschäftsmann trägt Flip-Flops, kurze Hose und ein rotes Poloshirt, er heißt in Wirklichkeit anders, erklärt sich aber nur zu einem Treffen bereit, wenn sein Name nicht erscheint. Es sind heikle Zeiten. Erst vor ein paar Wochen hat der Zoll im Hafen der Insel Penang 175 Container mit geschmuggeltem Plastikmüll entdeckt, die Ware war falsch deklariert. Legale Geschäfte mit dem Müll sind das eine, Machenschaften der Schattenwirtschaft das andere, wobei nicht immer klar erkennbar ist, wo die Grenzen genau verlaufen.
Onkel Lee versichert, dass bei ihm alles mit rechten Dingen zugehe, eilig holt er seine Lizenzen fürs Recycling hervor, jedes Jahr muss er sie erneuern. Er konzentriert sich auf die Verwertung von Polyamiden, PA 6 im Fachjargon, das sind Kunststoffe, die zum Beispiel im Motorraum von Autos verbaut werden. Die Arbeiter von Onkel Lee zerschlagen und schreddern die Teile, dann verkauft er sie weiter an andere Firmen, die daraus Werkzeuggriffe oder Gehäuse für Maschinen machen. "Jetzt werden wir alle in einen Topf geworfen", klagt der Geschäftsmann, egal ob sie mit oder ohne Lizenz arbeiteten. Das sei nicht gerecht. "Der Ruf der Branche hat gelitten."
Seine Arbeiter schwitzen, sie bestücken gerade eine alte Maschine, die lärmend Plastik zerkleinert. Manchmal kommt einer und zeigt ihm ein Stück, dann nimmt er es, hält einen Brenner an die Ecke und schnüffelt den Rauch. Er kann alle Sorten Plastik auseinanderhalten. Hat er keine Angst um seine Gesundheit? "Ach was", sagt er, "schau mich an, ich bin immer noch stark."
Und wie steht es um den brennenden Müll, ein paar Straße weiter? "Nicht so gut", sagt Onkel Lee, dort hätten sie vor zwei Wochen einen Mann bei frischer Tat ertappt und festgenommen, kurze Zeit später sei er aber schon wieder draußen gewesen. Er hätte es lieber, das würde alles aufhören mit den Bränden, versichert er, er habe sich auch schon beschwert, er kenne sich ja ein bisschen aus hier. Aber das sei ihm nicht besonders gut bekommen. Er solle sich raushalten, habe man ihn gewarnt. Sonst könnte es schnell anders kommen. Dann macht Onkel Lee eine flinke Bewegung, zieht die flache Hand von links nach rechts quer über den Hals. Er lacht.
So macht Onkel Lee weiter, ohne großes Getöse. Es beginnt zu regnen, der Recycling-Boss zieht sich unter ein Vordach zurück, lässt sich auf einen Stuhl fallen und zündet sich eine Zigarette an. Sein Smartphone hängt an einer Halterung von einem Sperrholzbrett, mehr Büro braucht er nicht, um sein kleines Reich aus Müll zu dirigieren. Links und rechts wachen taoistische Figuren in rot lackierten Schreinen. Ein Gott für die Erde und ein Gott für den Himmel. Sie beschützen den Händler und seine Geschäfte, bescheren ihm Glück, damit er sich bald zur Ruhe setzen kann, zuhause auf der Insel Penang.
Saubere Luft, plätschernde Wellen. Weit weg von den lärmenden Maschinen, die altes Plastik zertrümmern. Das ist der Traum von Onkel Lee.