Arbeitswelt

Wenn der Kollege genial, aber ein Kotzbrocken ist

Unangenehmes Verhalten am Arbeitsplatz sorgt für viel Ärger und sogar wirtschaftliche Nachteile. Aber was, wenn solche Personen herausragende Leistungen bringen?

14. Juli 2022 - 5 Min. Lesezeit

Auch wenn die Kollegen im Büro meist ganz nett sind, bisweilen sind ziemliche Kotzbrocken darunter. Im persönlichen Umgang unmöglich, unfreundlich oder gar intrigant. Und das kann ein Problem werden. Denn damit die Arbeit klappt, müssen die unterschiedlichsten Menschen miteinander klarkommen. Besonders kompliziert wird es aber, wenn diese speziellen Kollegen zwar sozial ungeeignet, fachlich aber außergewöhnlich talentiert sind. Im Englischen gibt es dafür den Ausdruck „Brilliant Jerks“, also frei übersetzt: brillante Kotzbrocken. Wenn ein Team mit so einer Person nicht den richtigen Umgang findet, kann das zu mächtig Ärger, im schlimmsten Fall sogar zu Kündigungen und wirtschaftlichen Nachteilen führen. Aber was ist der richtige Umgang?

Der „brillante Kotzbrocken“ ist eher ein Schlagwort aus der Management-Literatur und keine wissenschaftlich definierte Kategorie. Auf die Spitze getrieben hat es Professor Robert Sutton von der Stanford Graduate School of Business: Er schrieb einen internationalen Bestseller, in dem er darstellte, wie „Wichtigtuer, Intriganten, Tyrannen und Egomanen“ am Arbeitsplatz zur Zumutung für Mitmenschen und zum Risiko für Unternehmen werden. Der Titel: „Der Arschloch-Faktor“.

Naheliegend, dass auch das kein wissenschaftlicher Fachbegriff ist. Aber Simone Kauffeld, Professorin für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig, erkennt bei den als „brillante Kotzbrocken“ beschriebenen Personen durchaus Parallelen zu Menschen mit toxischen Verhaltensweisen, die in der Arbeitspsychologie bekannt sind: „Sie bringen sehr gute Leistungen, können sich gut verkaufen und ihre Talente darstellen. Gleichzeitig werten sie andere ab, nutzen sie aus, schauen auf sie herab.“

Um solche Typen fernzuhalten, hat sich der Medienkonzern Netflix schon früh festgelegt: „In unserem Dream-Team gibt es keinen Platz für ‚geniale Kotzbrocken‘“, heißt es in den Regeln zur Unternehmenskultur. „Wir bestehen auf ein anständiges menschliches Miteinander, egal wie genial jemand auch sein mag.“

Das liest sich gut, ist in der Praxis aber gar nicht so leicht umzusetzen. Damit ein solches Verhalten nicht erst im täglichen Zusammenarbeiten auffällt, können Unternehmen schon im Bewerbungsprozess testen, wer zu unangenehmem Umgang neigt. Gespräche, Fragebögen oder Assessment-Center können helfen, auffälliges Verhalten sichtbar zu machen. In bestimmten Situationen zeige sich schnell, wie jemand tatsächlich drauf sei, sagt Simone Kauffeld, „etwa in Gruppendiskussionen oder bei Wertefragen“.

Doch so eine Bewerbungsphase bleibt eine Ausnahmesituation, und manchmal zeigt sich erst später, dass jemand im Alltag unverschämt oder abwertend auftritt. Dann ist es wichtig, das Problem schnell zu erkennen und zu handeln. Denn es führt zu der Frage: Wie funktioniert eigentlich ein gutes Team? „Wichtig ist eine Atmosphäre, in der jeder seinen Beitrag leisten kann, ohne Angst Dinge ansprechen kann, die ihm wichtig sind, und auf Fehler aufmerksam machen kann“, sagt Kauffeld.

Das bedeutet keinesfalls, dass es immer nur harmonisch zugehen muss. Im Gegenteil: Sehr harmonische Gruppen sind meist auch nicht sehr divers. Dabei ist es gerade bei komplexeren Aufgaben sinnvoll, unterschiedliche Charaktere zusammenzubringen, die verschiedene Ansätze, Vorwissen und Ideen einbringen können. „Das kann auch anstrengend sein“, sagt Kauffeld. Vor allem eben dann, wenn es durch das Verhalten Einzelner persönlich wird: „Zwischenmenschliche Konflikte verhindern eher ein konstruktives Ringen um die Sache.“

Tatsächlich zeigen diverse Untersuchungen, etwa von der Unternehmensberatung KPMG oder vom Hernstein-Institut in Österreich, wie viele Ressourcen Konflikte im Berufsalltag binden: 15 bis 25 Prozent der Arbeitszeit können demnach für Streit und Ärger draufgehen, bei Führungskräften noch deutlich mehr. Die Folge: Unkonstruktive Konflikte kosten das Unternehmen richtig Geld. Wer will seine Mitarbeiter schon fürs Streiten bezahlen?

Vor allem, wenn es eine einzelne Person gibt, die immer wieder Konflikte verursacht. „So brillant kann niemand sein, dass sich das lohnt“, sagt Arbeitspsychologin Kauffeld. Es geht dabei nicht nur um die verschwendete Arbeitszeit. Denn solche provozierten Konflikte wirken sich auch auf die Arbeitsmotivation und damit auf die Leistungsfähigkeit von Teams aus. „So ein Verhalten kann andere Menschen vergraulen, sogar das gesundheitliche Wohlbefinden einschränken“, warnt Kauffeld. Im schlimmsten Fall verlassen Teammitglieder das Unternehmen und suchen sich bei der Konkurrenz ein angenehmeres Umfeld.

Klar ist also: Die Chefin oder der Chef sollte möglichst früh gegensteuern. Grenzen setzen, die Person auf ihr Fehlverhalten ansprechen und dann darauf hinarbeiten, dass sich etwas ändert. „So jemand braucht also auch Aufmerksamkeit“, sagt Kauffeld. Vielleicht gibt es eine neue Position, auf der der Mitarbeiter weiterhin seine herausragenden fachlichen Qualitäten einbringen kann, aber nicht so stark ins Team integriert ist. Oder er nimmt ein Coaching-Angebot an, um an seinem Verhalten zu arbeiten. So ein Prozess kostet allerdings auch Geld und kann nur funktionieren, wenn man sich darauf einlässt. Sein eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen, fällt aber gerade Menschen, die starkes Selbstbewusstsein aus ihrer fachlichen Kompetenz ziehen, nicht leicht.

Zeigt jemand im Arbeitsalltag regelmäßig ein unangenehmes Verhalten, muss das also nicht zwangsläufig bedeuten, über juristische Konsequenzen nachzudenken. „Vor einem arbeitsrechtlichen Schritt sollte immer die Kommunikation stehen“, sagt auch Melanie Maier, Fachanwältin für Arbeitsrecht in München. Nur ein arrogantes Auftreten oder ein unempathischer Umgangston seien in der Regel ohnehin keine ausreichenden Gründe, über eine Versetzung, eine Abmahnung oder gar eine Kündigung nachzudenken. Hier gelte auch immer der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sagt Maier, und eine umfassende Abwägung: Wie lange ist der Mitarbeiter schon dabei? Wie ist der branchenübliche Umgangston? Wie sind die sonstigen Umstände, in denen das Verhalten auffällt?

Maier kann eine ganze Reihe arbeitsrechtlicher Maßnahmen aufzählen, die theoretisch möglich wären. „Versetzungen können komplizierter sein, je nachdem, wie genau die Tätigkeit im Arbeitsvertrag umschrieben ist.“ Noch schwieriger sei es bei der Kündigung wegen Eignungsmangels, vor allem, wenn jemand fachlich sehr gut sei. Schließlich müsse diese mangelnde Eignung dazu führen, dass der Arbeitnehmer nicht mehr die vereinbarte Arbeitsleistung erbringen könne. Ähnlich schwierig ist es bei der sogenannten Druckkündigung: „Dafür müssen sich die Teammitglieder zusammenschließen und sagen: Entweder geht diese Person, oder wir gehen“, sagt Maier. Aber da seien die Voraussetzungen sehr streng, weshalb das in der Praxis eher selten vorkomme.

Ist man Teil eines Teams, in dem ein „brillanter Kotzbrocken“ Ärger verursacht, bleibe einem also meist nichts anderes übrig, als sich an die Führungskraft oder gleich an die Personalabteilung zu wenden – vor allem, wenn der „brillante Kotzbrocken“ ausgerechnet der Chef selbst ist. „Am Ende muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass sich die Situation bessert“, sagt Maier.

Das sieht auch Arbeitspsychologin Simone Kauffeld so: Ein Unternehmen müsse sich klar positionieren, welches Verhalten es nicht dulde. Denn die anderen Mitarbeiter würden ganz genau beobachten, wie mit so einer Person umgegangen werde: „Wenn so ein Verhalten toleriert oder auch noch belohnt wird, ist das ein schlechtes Zeichen an alle anderen.“ Vor allem, wenn die meisten Kollegen eigentlich tatsächlich ganz nett sind.

Team
Text Valentin Dornis
Collage Niklas Keller; imago
Digitales Storytelling Niklas Keller