Sackgasse mit System
In der Werkstatt bis zur Rente
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Zwei Jahre sollten es werden, zwei Jahre zum Innehalten, Orientieren,
als Rehamaßnahme. „Ich habe nie damit gerechnet, dass ich da so lange
bleibe, aber dann sind aus den zwei Jahren 27 geworden“, sagt Petra
Loose. Heute ist sie 54 Jahre alt und die Rente ist inzwischen weniger
weit weg als der Termin beim Arbeitsamt damals.
Petra Loose wollte nur zwei Jahre in einer Werkstatt für behinderte Menschen bleiben. Diese Zeit sollte eine Pause sein. Sie sollte ihr helfen, wieder fit für eine normale Arbeit zu werden. Diese Pause nennt man auch Rehamaßnahme. „Ich habe nie damit gerechnet, dass ich da so lange bleibe, aber dann sind aus den zwei Jahren 27 geworden“, sagt Petra Loose.
Als sie noch einmal dort vorsprach, „weil ich gern eine feste Anstellung gehabt hätte und gedacht hab’, die könnten mich vielleicht unterstützen, sind sie mit der Werkstatt gekommen“.
Heute ist sie 54 Jahre alt. Die Rente ist für sie näher als ihr Besuch beim Arbeitsamt damals. Dort wollte sie eigentlich Hilfe bei der Suche nach einer festen Stelle. Aber das Arbeitsamt hat ihr eine Werkstatt vorgeschlagen.


Für viele, insbesondere kognitiv beeinträchtigte Menschen wie Loose ist das in Deutschland fast ein Automatismus: Behinderung, Förderschule, Werkstatt. Mehr als 300 000 Menschen, die als erwerbsgemindert gelten, werden in Werkstätten für behinderte Menschen gefördert oder beschäftigt, seit den 1990ern ist diese Zahl deutlich angestiegen.
Für viele Menschen mit Behinderung ist der Weg in Deutschland fast immer gleich: Sie gehen auf eine Förderschule und arbeiten später in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Das gilt besonders für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten wie Frau Loose.
In diesen Werkstätten sind in Deutschland mehr als 300.000 Menschen. Sie gelten als erwerbsgemindert. Das bedeutet, sie können weniger arbeiten als andere Menschen. Seit den 1990er-Jahren sind immer mehr Menschen in Werkstätten.
Das sieht man auch in dieser Grafik: Die blaue Linie zeigt alle Plätze in Werkstätten an. Die grüne Linie zeigt an, wie viele Menschen dort arbeiten. Beide Linien steigen an, nur in den letzten Jahren nicht mehr so. Das liegt daran, dass wegen Corona weniger Menschen in den Werkstätten waren.
Dabei ist Deutschland, seit es vor 16 Jahren die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) ratifiziert hat, verpflichtet (und wird regelmäßig ermahnt), Sonderstrukturen wie Förderschulen oder Werkstätten abzubauen und mehr Inklusion zu ermöglichen. Die Ampelregierung hatte eine Reform der Werkstätten angestrebt, zum Gesetzentwurf kam es dann nicht mehr. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wird nun angekündigt, dass die Werkstätten sowohl erhalten wie auch reformiert werden sollen, dass man sich für mehr Integration auf den allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzen will. Vieles bleibt aber vage und was letztlich umgesetzt wird, muss sich zeigen – die Erwartungen sind jedenfalls nicht allzu hoch (mehr dazu in diesem Teil der Serie).
Auch bei Sebastian Wirth hat der Automatismus gegriffen. Er hat wie Loose eine kognitive Behinderung, hat also Schwierigkeiten mit dem Lernen und Denken, und kam direkt nach der Förderschule in eine WfbM. Aber er blieb nicht lang, ein paar Monate, anders als bei Loose sehr viel kürzer als erwartet. Einen „Glücksfall“ nennt es seine Familie, dass er die Unterstützung bekommen hat, die es brauchte auf dem Weg auf den regulären Arbeitsmarkt. Heute arbeitet Wirth bei einem mittelständischen Autozulieferer und bedient als Produktionshelfer schwere Maschinen (mehr dazu in diesem Teil der Serie).
Ein Glücksfall, der eigentlich keiner sein sollte, sondern die Regel. Loose und Wirth führen heute völlig unterschiedliche Leben. Petra Loose hat fast ihr gesamtes Leben eingebettet in Sonderstrukturen verbracht. Sebastian Wirth teilt seinen Arbeitsalltag mit der nicht behinderten Mehrheit in Deutschland, wie es laut UN-BRK eigentlich sein sollte.
Deutschland hat vor 16 Jahren eine wichtige Vereinbarung mit anderen Ländern gemacht: die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (kurz: UN-BRK). Darin steht: Alle Menschen haben ein Recht auf Inklusion. Das heißt: Auch behinderte Menschen sollen überall mitmachen können. Deswegen soll Deutschland zum Beispiel Einrichtungen wie Förderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen abbauen. Stattdessen sollen Menschen mit Behinderung in die gleichen Schulen gehen und in den gleichen Jobs arbeiten können wie Menschen ohne Behinderung. Die Vereinten Nationen kritisieren Deutschland aber immer wieder, weil es nur wenige Fortschritte gibt.
Die bisherige Regierung aus SPD, Grünen und FDP wollte die Werkstätten verbessern und vieles neu machen. Das hat aber nicht geklappt. Die neue Regierung hat jetzt zwei Ziele: Sie will die Werkstätten behalten, aber auch besser machen. Mehr Menschen mit Behinderung sollen normale Arbeitsplätze bekommen. Ob das aber so kommt, weiß noch niemand. Viele Menschen glauben nicht daran (mehr dazu steht in diesem Artikel).
Sebastian Wirth hat eine kognitive Behinderung wie Petra Loose. Das bedeutet, er hat Schwierigkeiten mit dem Denken und Lernen. Nach der Förderschule ging er in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Aber er blieb nur ein paar Monate dort, viel kürzer als Petra Loose. Seine Familie sagt: Er hatte Glück. Er bekam Hilfe dabei, einen normalen Arbeitsplatz zu finden. Heute arbeitet er bei einer Firma, die Teile für Autos macht. Er bedient dort große Maschinen (Sebastians Geschichte steht in diesem Artikel).
Sebastian Wirth hatte Glück. Aber eigentlich sollte es normal sein, dass Menschen mit Behinderung normale Arbeitsplätze bekommen. Petra Loose und Sebastian Wirth leben heute sehr unterschiedlich. Petra Loose hat fast ihr ganzes Leben in Einrichtungen nur für Menschen mit Behinderung verbracht. Sebastian Wirth arbeitet zusammen mit Menschen ohne Behinderung. So sollte es laut der Behindertenrechtskonvention eigentlich für alle sein.
Diese Serie, die die SZ mit dem inklusiven Magazin andererseits recherchiert hat, geht den Fragen nach, wieso sich Deutschland mit Teilhabe behinderter Menschen gerade auf dem Arbeitsmarkt noch immer so schwertut – und wie Inklusion gelingen kann. Die übrigen Teile der Serie finden Sie hier:
Zu diesem Artikel hier gehören noch andere. Diese Serie hat die Süddeutsche Zeitung (SZ) zusammen mit dem inklusiven Magazin andererseits gemacht.
In der Serie geht es darum, warum Arbeiten in Deutschland für Menschen mit Behinderung oft immer noch schwierig ist: Warum viele nur schwer einen Job außerhalb einer Werkstatt finden und sich dort wohlfühlen.
Die Serie zeigt aber auch, wie man das besser machen kann, also wie Inklusion am Arbeitsplatz gelingen kann.
Die anderen Teile der Serie finden Sie hier:
Petra Loose geht in die Kantine ihrer Werkstatt, holt sich auf einem der Plastiktabletts Geschnetzeltes oder Kartoffeltaschen, die auf der Speisekarte stehen. „Nicht gut und zu teuer“, findet sie es. Loose muss es wissen. Nach der Förderschule hat die 54-Jährige eine Ausbildung zur Hauswirtschaftshelferin gemacht, hat dann in Großküchen und Lieferdiensten gearbeitet. Viel musste es sein, schnell musste es gehen. Wie für viele andere hätte für Loose hier ihr Berufsweg beginnen können. Wie viele andere auch ist sie mit dem Tempo nicht klargekommen. „Das war wie am Fließband, der eine macht Kartoffel, der nächste Gemüse und alles muss ganz schnell gehen. Das war so schlimm.“ Sie habe auch immer „einen drüber gekriegt, Ärger bekommen, dass sie schneller sein müsse“. Sie hatte oft Kopfschmerzen, bis heute leidet sie unter Migräne. Auf drei Stellen hat sie es vergeblich versucht, hat dann Fördermaßnahmen vom Arbeitsamt mitgemacht, „aber das kannte ich alles schon“.
Die üblichen Schablonen haben für Loose nicht recht gepasst, die vermeintlich temporäre Rehamaßnahme wurde zur Sackgasse. Dabei gehen Experten davon aus, dass mit engerer Begleitung, passgenauer Unterstützung und besseren Arbeitsbedingungen ein Teil oder sogar die Mehrheit der Werkstattbeschäftigten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zurechtkäme. Hubert Hüppe beobachtet dagegen einen „absoluten Rollback, das ist die enttäuschende Bilanz nach 16 Jahren UN-Behindertenrechtskonvention“. Der CDU-Politiker war jahrelang Behindertenbeauftragter der Bundesregierung und hat selbst einen behinderten Sohn. „Solange die Barrieren draußen existieren, solange die Menschen im Kindergarten, in der Schule, im Beruf nicht zusammenkommen, werden auch die Barrieren in den Köpfen niemals abgebaut“, sagt er.
Für Experten sind Werkstätten allzu oft ein „goldener Käfig“
In den WfbM setzt sich die Separation dann fort, dabei ist die berufliche Rehabilitation durchaus eine ihrer zentralen Aufgaben. Sie sollen, so will es das Sozialgesetzbuch, die Leistungs- und Erwerbsfähigkeit erhalten, entwickeln, erhöhen. Nach zwei Jahren Berufsbildungsbereich entscheidet sich dann, ob es in der Werkstatt oder auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt weitergeht. Ziel ist die Eingliederung, aber in der Realität gelingt das nur bei weniger als einem Prozent bis – je nach Berechnungsweise – nicht einmal vier Prozent. Für Experten sind Werkstätten allzu oft ein „goldener Käfig“ aus dem die Menschen nur schwer wieder rauskommen.
Natürlich spielt auch der Grad der Behinderung eine Rolle. Beispielsweise bei Menschen, die ohne spezielle Vorrichtungen auch einfache Handbewegungen nicht ausführen können. Heute gibt es fast 3000 Betriebsstätten bundesweit, meist unterteilt in einen Förderbereich für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung keiner Tätigkeit nachgehen können, und einen Arbeitsbereich. Dort sind etwa drei Viertel der Beschäftigten kognitiv eingeschränkt, um die 20 Prozent haben eine psychische Behinderung, etwa infolge von schweren Depressionen oder Zwangsstörungen – Tendenz steigend. Nur etwa vier Prozent haben eine rein körperliche. Aber die Statistik macht Verschiedenes gleich, dahinter sind die Schicksale und Bedürfnisse extrem heterogen. Bei ihm arbeiteten keine Akademiker im Rollstuhl, sagt etwa Thomas Wedel, Geschäftsführer der Boxdorfer Werkstatt in Nürnberg, sondern Menschen, die als nicht ausbildungsfähig gelten. Hier könnten sie sich ausprobieren: „Brauche ich einen geschützten Rahmen, wie er momentan ist, oder will ich den Rahmen erproben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt?“
Wedel, der die berufliche Integration, wie er sagt, zur „Chefsache“ gemacht hat und in seiner Werkstatt auf deutlich höhere Übertrittsquoten kommt, spielt damit auf die in der Behindertenrechtskonvention vorgesehene Wahlfreiheit an. Sebastian Wirth, der anders als Loose gar keine Ausbildung hat, hatte diese eher durch Zufall. In der WfbM, wo er angefangen hatte, Paletten zusammenzunageln, stellte eine aufmerksame Sozialpädagogin den Kontakt zu einem Fachdienst für berufliche Inklusion her, spezialisiert auf die Vermittlung Behinderter auf den Arbeitsmarkt (mehr dazu in diesem Teil der Serie).
Und Petra Loose? Die Geschäftsführerin ihrer Werkstatt betont, dass
echtes Wahlrecht auch bedeute, dass man sich auch für die Werkstatt
entscheiden könne. „20 bis 30 Prozent unserer Beschäftigten haben das
Potenzial, woanders zu arbeiten, aber sie sind noch nicht so weit oder
die Rahmenbedingungen passen nicht“, sagt Karla Bredenbals. Zwei-, dreimal hat Loose ein Praktikum oder Ähnliches in Betrieben gemacht, allerdings ohne Erfolg.
Petra Loose geht in die Kantine ihrer Werkstatt für behinderte Menschen und holt sich Essen. Das Essen findet sie schlecht und zu teuer. Sie kennt sich mit Essen aus. Nach der Förderschule hat sie gelernt, wie man in einer Großküche arbeitet. Danach hat sie in verschiedenen Küchen und bei Lieferdiensten gearbeitet. Dort musste sie sehr schnell arbeiten. Aber sie kam damit nicht zurecht. Sie sagt: „Das war wie am Fließband, der eine macht Kartoffel, der nächste Gemüse und alles muss ganz schnell gehen. Das war so schlimm.“
Sie bekam oft Ärger, weil sie schneller arbeiten sollte. Sie hatte oft Kopfschmerzen. Sie hat es bei drei verschiedenen Arbeitsstellen versucht. Dann hat sie beim Arbeitsamt Förderkurse gemacht. Aber sie kannte schon alles, was sie dort lernen sollte.
Die normalen Arbeitsplätze haben für Petra Loose nicht ganz gepasst und die Förderkurse auch nicht. Die Werkstatt für behinderte Menschen sollte ihr helfen. Aber dort blieb sie dann für immer. Fachleute sagen: Viele Menschen aus den Werkstätten könnten in normalen Firmen arbeiten. Dafür brauchen sie zum Beispiel:
• Vorbereitung, die genau zum Job passt
• Betreuer auf der Arbeit
• Arbeitsbedingungen, die Arbeit mit Behinderung leichter machen
Hubert Hüppe kennt sich mit diesen Themen gut aus. Er war früher der Beauftragte für Menschen mit Behinderung in der Regierung. Und er hat selbst einen Sohn mit Behinderung. Er findet: Es wird bei der Inklusion schlechter statt besser. Das ist sehr enttäuschend. Hüppe erklärt: Menschen mit und ohne Behinderung müssen zusammen aufwachsen und leben. Im Kindergarten, in der Schule und bei der Arbeit. Nur so können sie sich kennenlernen und besser verstehen.
Die Werkstätten für Menschen mit Behinderung haben eine wichtige Aufgabe: Sie sollen Behinderten helfen, einen Beruf zu lernen und zu arbeiten. Das steht im Sozialgesetzbuch.
Die Menschen lernen dort zwei Jahre lang verschiedene Tätigkeiten. Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Sie können in der Werkstatt bleiben oder auf dem normalen Arbeitsmarkt arbeiten. Normaler Arbeitsmarkt bedeutet: Arbeit in normalen Firmen mit Menschen ohne Behinderung. Leider schaffen nur sehr wenige Menschen den Wechsel in normale Firmen. Von 100 Menschen schaffen es nicht einmal einer bis höchstens 4 Menschen, je nachdem wie man es berechnet.
Fachleute sagen deswegen: Die Werkstätten sind wie ein „goldener Käfig“. Damit meinen sie: Es geht den Menschen nicht schlecht dort, aber sie kommen nur schwer wieder heraus.
Die Art der Behinderung ist dabei natürlich wichtig. Bei sehr starken Behinderungen brauchen die Menschen mehr Hilfe. Zum Beispiel: Sie brauchen auch für einfache Arbeiten Hilfsmittel, um die Bewegung machen zu können.
In Deutschland gibt es fast 3000 kleine und große Werkstätten. Die Werkstätten haben meist 2 Bereiche:
• Einen Förderbereich für Menschen, die nicht arbeiten können
• Einen Arbeitsbereich für Menschen, die arbeiten können
Von den Menschen in den Werkstätten:
• Haben etwa 75 von 100 Menschen Probleme beim Denken und Lernen
• Haben etwa 20 von 100 Menschen psychische Behinderung, das heißt sehr große Probleme mit ihren Gefühlen oder ihrem Verhalten
• Haben etwa 4 von 100 Menschen nur körperliche Behinderungen
Thomas Wedel leitet eine Werkstatt in Nürnberg. Er sagt: Bei ihm arbeiten Menschen, die gar keine normale Ausbildung machen können. In der Werkstatt können sie herausfinden: Wollen sie in der Werkstatt bleiben oder in einer normalen Firma arbeiten?
Das hat mit der Behindertenrechtskonvention zu tun. Darin steht: Menschen mit Behinderung sollen selbst wählen können, wo sie arbeiten möchten.
Sebastian Wirth hat auch keine Ausbildung. Er war zuerst in einer Werkstatt. Aber nicht lang, dann stellte eine Betreuerin den Kontakt zu einem Fachdienst her. Dieser Fachdienst hilft Menschen mit Behinderungen, Arbeit in normalen Betrieben zu finden (mehr dazu steht in diesem Artikel).
Und wie war es bei Petra Loose? Die Chefin ihrer Werkstatt, Karla Bredenbals, sagt: Echtes Wahlrecht bedeutet auch, dass Menschen sich für die Werkstatt entscheiden können. Sie erzählt: 20 bis 30 von 100 Menschen in ihrer Werkstatt könnten auch woanders arbeiten. Aber sie sind noch nicht bereit dafür oder die Bedingungen passen nicht.
Petra Loose hat 2 oder 3 Mal ein Praktikum in normalen Firmen gemacht. Aber es hat nicht geklappt, dass sie einen festen Job dort bekommen hat.

Sie hat aber auch schon Monitore oder Geldkassetten von Geldautomaten repariert, komplexere Arbeiten. „Das hat mir Spaß gemacht, ich hab’ immer gern gesehen, dass ich was kann, dass das hinterher wieder hundertprozentig funktioniert.“ Werkstätten bieten laut einer Studie des Bundessozialministeriums zu Entgelten in Behindertenwerkstätten „in großen Teilen dieselben Produkte und Dienstleistungen wie Betriebe des ersten Arbeitsmarktes an. Das Beschäftigungsverhältnis geht somit deutlich über ein Rehabilitationsverhältnis hinaus“. Das passt nicht recht zu den Zielsetzungen des Sozialgesetzbuchs. Zumal die Werkstätten zwar Teilhabe ermöglichen, aber auch noch wirtschaftlich arbeiten sollen – für Professor Stefan Doose, der an der FH Potsdam zu Inklusion forscht, ein Interessenkonflikt: „Wer will schon seine besten Mitarbeiter gehen lassen?“
Natürlich ist der Alltag an die Bedürfnisse der behinderten Beschäftigten angepasst, es gibt mehr Pausen, bei Bedarf Therapie oder auch Pflege. Petra Loose muss sich auch nicht um Arbeitslosigkeit sorgen, man hat Anspruch auf einen Platz dort. Und sie wird eine Rente orientiert am Durchschnittsgehalt bekommen, für die sie keine Beiträge zahlen muss. Aber ob all das angesichts der Nähe zu regulären Arbeitsverhältnissen das geringe Gehalt aufwiegt, ist umstritten. Loose arbeitet Teilzeit, 23 Stunden die Woche; dafür werden ihr, so steht es auf ihrem Gehaltszettel, im Monat etwa 145 Euro überwiesen. Sie bekommt damit am Tag weniger als Wirth in der Stunde. Inklusive staatlicher Unterstützung kommt sie auf etwas über 1000 Euro.
Arm fühlt sich Loose nicht, sie müsse zufrieden sein, sagt sie, das hört sie ja auch immer wieder.
Petra Loose hat verschiedene Arbeiten in der Werkstatt gemacht:
• Sie hat Schienen für Schubladen zusammengebaut wie auf dem Foto.
Sie hat aber auch schon schwierigere Arbeiten gemacht:
• Sie hat Monitore repariert.
• Sie hat Geldkassetten von Geldautomaten repariert.
Diese Arbeiten haben ihr mehr Spaß gemacht. Sie war stolz, wenn sie kaputte Dinge wieder reparieren konnte.
Das Sozialministerium hat die Arbeit in Werkstätten für behinderte Menschen untersucht. Diese Studie zeigt: Die Menschen in den Werkstätten machen oft die gleiche Arbeit wie in normalen Firmen. Das passt nicht zu dem, was im Sozialgesetzbuch steht. Dort heißt es ja, dass Behinderte für einen Beruf lernen sollen. Die Werkstätten sollen mehrere Dinge gleichzeitig schaffen:
• Menschen mit Behinderung sollen auf normale Jobs vorbereitet werden.
• Die Werkstätten sollen Geld verdienen.
Der Forscher Stefan Doose sagt: Das passt nicht zusammen. Die Werkstätten wollen ihre guten Mitarbeiter nicht verlieren.
Neben den Problemen gibt es aber auch Vorteile. In den Werkstätten gibt es besondere Hilfen für die Menschen mit Behinderung:
• Mehr Pausen
• Therapien, wenn nötig
• Pflege, wenn nötig
Petra Loose muss auch keine Angst haben, ihren Job zu verlieren. Später in der Rente bekommt sie ähnlich viel Geld wie Menschen ohne Behinderung. Dafür muss sie keinen Teil von ihrem Gehalt abgeben, wie Menschen ohne Behinderung, die in die Rentenkasse zahlen.
Aber trotzdem fragen viele: Ist das fair? Viele Menschen wie Petra Loose arbeiten fast wie in einem normalen Job, bekommen aber sehr wenig Geld.
Petra Loose arbeitet 23 Stunden in der Woche. Dafür bekommt sie im Monat 145 Euro. An einem ganzen Tag verdient sie weniger als Sebastian Wirth in einer Stunde. Mit der Hilfe vom Staat hat sie am Ende etwas mehr als 1000 Euro im Monat.
Sie findet aber nicht, dass sie arm ist. Sie sagt: Ich muss zufrieden sein. Das sagen auch andere Leute zu ihr. Trotzdem spart sie oft im Alltag:

Nein, in den Urlaub fahren könne sie auch nicht, sagt sie. „Da müsste man sparen und das geht aber nicht, weil es zu wenig Geld ist.“ Werkstattmitarbeitende bekommen im Schnitt 224 Euro im Monat. Zwei Drittel finden ihr Gehalt zu niedrig. Die UN-Behindertenrechtskonvention garantiert das Recht, den eigenen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, Kritiker halten das Gehaltsgefüge daher für einen Verstoß gegen die Menschenrechte.
Den Vorwurf der Ausbeutung weisen Werkstattvertreter zurück. Wedel erklärt, dass es mit entsprechenden Einschränkungen nun mal in der Regel mehr Zeit und mehr Beschäftigte für dasselbe Produkt brauche. „Vielen ist es egal, wo das Geld herkommt. Wenn man alles dazurechnet, ist der Stundenlohn ähnlich hoch wie am allgemeinen Arbeitsmarkt“, sagt Bredenbals. Die behinderten Beschäftigten bekommen neben staatlichen Zuschüssen zum Gehalt oft noch Wohngeld oder ähnliche Leistungen.
Keiner will arbeitslos zu Hause sitzen
Und angesichts eines komplexen Gefüges von Finanzströmen und Fördermechanismen (mehr dazu in diesem Teil der Serie) sind die WfbM letztlich nur Rädchen in einem System, bei dem viele Reformbedarf sehen. Eine Abkehr, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, will allerdings kaum jemand, nicht einmal die Vertreter der Beschäftigten, wie etwa die bayerische Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte, keiner wolle arbeitslos zu Hause sitzen.
Viele behinderte Menschen gehen gern in die Werkstatt, das bestätigt auch die Entgeltstudie, nur ein Drittel will raus. Die Einschätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen bestätigt das: „Viele Beschäftigte fühlen sich in der Werkstatt wohl und wertgeschätzt.“ Wegen fehlender inklusiver Jobs außerhalb seien Werkstätten „nach wie vor unverzichtbar“ – nicht für alle Beschäftigten sei das „Erreichen der Erwerbsfähigkeit“ möglich.
Die Entgeltstudie hat allerdings auch gezeigt, warum viele nicht wechseln wollen.
In den Urlaub fahren kann sie auch nicht. Sie sagt: „Da müsste man sparen und das geht aber nicht, weil es zu wenig Geld ist.“
In Werkstätten verdienen behinderte Menschen sehr wenig, im Durchschnitt nur 224 Euro im Monat. Zwei von drei finden: Das ist zu wenig Geld. Die Vereinten Nationen haben gesagt: Jeder Mensch hat das Recht, durch Arbeit genug Geld zum Leben zu verdienen. Das gilt auch für Menschen mit Behinderung. Kritiker sagen deshalb: Die niedrige Bezahlung ist gegen die Menschenrechte.
Die Werkstätten sagen aber: Es stimmt nicht, dass wir Menschen mit Behinderung schlecht behandeln.
Herr Wedel erklärt: Menschen mit Behinderung brauchen oft mehr Zeit für die gleiche Arbeit. Es werden auch mehr Mitarbeiter gebraucht, um ein Produkt herzustellen.
Frau Bredenbals sagt: Wenn man alles zusammenrechnet, verdienen die Menschen mit Behinderung ähnlich viel wie Menschen ohne Behinderung.
Die Menschen mit Behinderung bekommen:
• Geld von der Werkstatt
• Zuschüsse dazu vom Staat
• Oft auch Wohngeld
• Manchmal noch andere Unterstützung
Die Werkstätten sind Teil eines großen Systems. In diesem System kommt Geld von verschiedenen Stellen und geht an verschiedene Stellen. Viele Menschen finden: Dieses System muss verbessert werden (mehr dazu steht in diesem Artikel).
Aber im Moment will fast niemand die Werkstätten abschaffen. Auch die Vertreter der Beschäftigten wollen das nicht. Sie sagen: Wir können die Werkstätten nicht abschaffen. Es gibt keine anderen Arbeitsplätze für uns. Niemand von uns will arbeitslos zu Hause sitzen.
Die Studie des Sozialministeriums zeigt auch: Viele Menschen mit Behinderung gehen gerne zur Arbeit in die Werkstatt. Nur einer von drei Menschen möchte woanders arbeiten. Die Werkstätten sagen dazu: Unsere Beschäftigten fühlen sich bei uns wohl und geschätzt. Sie erklären:
• Es gibt zu wenig Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in normalen Firmen.
• Deshalb sind die Werkstätten weiterhin wichtig.
• Nicht alle Menschen mit Behinderung können auf dem normalen Arbeitsmarkt arbeiten.
In der Studie des Sozialministeriums steht auch, warum viele in der Werkstatt bleiben möchten. Man hat Menschen mit Behinderung dort gefragt. Ihre Gründe zeigt diese Grafik:




Je weiter weg die Menschen von der sogenannten Normalität sind, je größer der Graben, desto größer die Ängste. Ein Kenner der Szene, der anonym bleiben möchte, hält die Rehabilitationsarbeit der Werkstätten auch deswegen für einen „absoluten Misserfolg“: „Um es böse zu sagen: erst aussondern und dann versucht man sie wieder einzugliedern, wo sie mittlerweile schon die Lust oder das Selbstvertrauen verloren haben“, kritisiert er. Auch Petra Loose spricht von „den Fitten“, nur die könnten es schaffen. Sie selbst sei nicht „fit“ genug, das werde ihr auch oft vermittelt.
Je weiter Menschen von der „normalen“ Gesellschaft entfernt sind, desto größer ist oft die Angst bei ihnen. Ein Experte, der seinen Namen nicht nennen möchte, kritisiert die Werkstätten. Er sagt: Die Werkstätten sollen Menschen mit Behinderung eigentlich dabei helfen, auf dem normalen Arbeitsmarkt zu arbeiten. Das klappt aber nicht gut. Er erklärt das so: Die Menschen werden zuerst von anderen getrennt. Später sollen sie wieder mit anderen zusammenarbeiten. Dann haben viele aber keine Lust mehr oder trauen sich nicht mehr.
Nach all den Jahren und unschönen Erfahrungen ist der Gedanke an den allgemeinen Arbeitsmarkt für sie weniger mit Hoffnung als mit Angst verbunden: „Ich musste mich anpassen.“ Inklusion heißt aber gerade nicht, Menschen passend zu machen. Sondern die Umstände.
Auch Petra Loose spricht von „den Fitten“. Nur diese Menschen könnten es auf dem normalen Arbeitsmarkt schaffen. Sie selbst sei nicht „fit“ genug, sagt sie. Das wurde ihr auch oft gesagt.
Petra Loose hat viele schlechte Erfahrungen gemacht. Deshalb hat sie jetzt auch kein gutes Gefühl mehr und mag nicht mehr auf den normalen Arbeitsmarkt. Sie musste sich dort immer anpassen. Aber eigentlich bedeutet Inklusion etwas anderes: Da sollen sich nicht die Menschen anpassen müssen, sondern die Betriebe. Die Arbeitsplätze sollen so sein, dass auch Menschen mit Behinderung dort gut arbeiten können.
Bei Sebastian Wirth hat das geklappt – was bei ihm anders gelaufen ist und was ganz grundsätzlich die entscheidenden Faktoren für gelungene Inklusion sind, lesen Sie in Teil zwei unserer Serie.
Bei Sebastian Wirth hat es geklappt.
Warum es bei ihm anders gelaufen ist und was wichtig ist, damit Inklusion gut klappt, erzählen wir im zweiten Teil unserer Serie.
Den ersten Teil der Recherche zu Werkstätten finden Sie hier: