Alles legal
Glencores Aufstieg zum Giganten beginnt Anfang der 1970er-Jahre. Der junge Marc Rich arbeitet sich beim US-Rohstoffunternehmen Philipp Brothers vom Poststellen-Mitarbeiter zum Händler hoch und erfindet den sogenannten Spot-Markt: Erdöl wird fortan nach den Prinzipien von Angebot und Nachfrage gehandelt, anstatt nach politischen Kriterien. In einem ersten solchen Deal verkauft Rich iranisches Öl, das über eine geheime Pipeline nach Israel fließt, an das spanische Franco-Regime. „Richs Markenzeichen“ sei, schreibt sein Biograf Daniel Ammann, „Partner zusammenzubringen, die offiziell nichts miteinander zu tun haben wollten.“
Seine Chefs scheuen die allzu riskanten Geschäfte und bremsen Rich immer wieder aus. Im April 1974 gründet er deshalb seine eigene Firma, die Marc Rich & Co AG, im Schweizer Kanton Zug, der schon damals als Steuerparadies bekannt ist. Politische, moralische Hemmschwellen? „Business ist neutral“, wird Rich später einmal erklären, „Sie können eine Handelsgesellschaft nicht aufgrund von Sympathien führen.“
1979 ruft in Iran der Schiitenführer Ayatollah Khomeini die islamische Revolution aus, wenig später stürmt ein regimetreuer Mob die US-Botschaft in Teheran. Washington verhängt Sanktionen – und Marc Rich macht weiter Geschäfte mit Iran. Aus seiner Sicht ist das alles legal, denn seine Firma sitze ja nicht in den USA, sondern in der Schweiz.
Im Herbst 1981 stößt das FBI in den Bilanzen der New Yorker Tochterfirma von Rich auf einen Posten von 70 Millionen Dollar aus mutmaßlich illegalen Ölgeschäften. Rich flieht in die Schweiz, zwei Jahre später erhebt die US-Staatsanwaltschaft gegen ihn Anklage, „die größte aller Zeiten wegen Steuerhinterziehung“, sagt der damalige Bundesstaatsanwalt und spätere New Yorker Bürgermeister Rudolph W. Giuliani. Zudem wirft ihm die Justiz vor, gegen ein US-Handelsembargo verstoßen zu haben. Das FBI setzt Rich auf seine Most-Wanted-Liste, doch die Schweiz gewährt ihm Unterschlupf. Auf dem Dach seiner Firma lässt er Sicherheitsleute patroullieren, falls US-Geheimdienstleute ihn entführen wollen. Er macht weiter Milliardengeschäfte mit Diktatoren wie Augusto Pinochet in Chile, Nicolae Ceauşescu in Rumänien, Muammar al-Gaddafi in Libyen oder dem Apartheid-Regime in Südafrika.
2001 begnadigt ihn US-Präsident Bill Clinton. Rich, der 2013 gestorben ist, hatte seine Firma schon 1994 verkauft, seitdem heißt sie Glencore, wie „Global Energy Commodity and Resources“. Heute ist das Unternehmen nach eigenen Angaben in mehr als 50 Ländern aktiv, beschäftigt etwa 155 000 Mitarbeiter. Glencore fördert und vertreibt mehr als 90 verschiedene Rohstoffe, Kupfer und Zink, Kohle und Öl, bis hin zu Reis und Zucker. Wer in Europa sein Auto volltankt, einen Fernseher kauft oder nur ein Brötchen beim Bäcker holt, kann davon ausgehen, dass Glencore daran mitverdient. Der jetzige CEO Ivan Glasenberg, schon unter Rich bei Glencore, verfasste die 18-seitige „Globale Anti-Korruptions-Richtlinie“ des Konzerns. Da heißt es: „Bestechung ist eine Straftat.“ Eine solche könne „vorliegen, wenn einem Amtsträger finanzielle oder andere Vorteile angeboten oder gewährt werden, um diesen zur Erlangung eines Vorteils in seiner Amtsausübung zu beeinflussen (beziehungsweise eine derartige Absicht besteht).“