In einer Zeit des stetigen technischen und damit verbundenen journalistischen Umbruchs stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, nach ihren Aufgaben und den vielfältigen Wegen der internen Zusammenarbeit immer wieder neu. Der SZ-Redaktionsausschuss vertritt die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion gegenüber Chefredaktion und Verlag.
Seine aktuellen und ehemaligen Mitglieder haben gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen zehn Punkte erarbeitet und in ein Grundlagenpapier gefasst. Dieses soll als Kompass die Richtung weisen, in die sich die SZ entwickeln muss, um auch in Zukunft an der Spitze des Qualitätsjournalismus zu stehen.
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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung begreifen sich über alle Ressorts und Veröffentlichungskanäle hinweg als eine Redaktion.
Die Redakteurinnen und Redakteure, die Volontärinnen und Volontäre verpflichten sich auf die Grundsätze des Redaktionsstatuts vom 4. August 1971 und den Pressekodex. Grundlage ihrer redaktionellen Arbeit ist die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten wahrheitsgemäß, unabhängig und frei von jeglicher Einflussnahme. Redaktionelle Inhalte und Anzeigen sind strikt zu trennen. Diese Grundsätze und Werte, die seit der Gründung das Fundament ihrer journalistischen Arbeit bilden, werden die Süddeutsche Zeitung auch im digitalen Wandel in die Zukunft tragen. Gründliche und objektive Recherche, sorgfältiges Verfassen und Redigieren von Texten, Audiobeiträgen und Videos auf höchstem Niveau und der Anspruch, die Leserinnen und Nutzer auf bestmögliche Weise zu informieren und zu unterhalten, bilden die Basis.
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Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SZ hören einander zu, unabhängig von Alter, Geschlecht, Hierarchie und Betriebszugehörigkeit.
Sie versuchen gezielt, über den eigenen Erfahrungshorizont hinaus andere Sichtweisen zu erleben und zu vermitteln. Diversität der Autorenschaft wird wertgeschätzt, gepflegt und gefördert. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstehen sich als gleichwertig: Autorinnen und Autoren ebenso wie jene Kolleginnen und Kollegen, die recherchieren, produzieren und programmieren, visualisieren und redigieren. Durchlässigkeit und Austausch in und zwischen den Ressorts und Teams werden gefördert. Junge Redakteurinnen und Redakteure haben im Haus eine Perspektive, die ihren Fähigkeiten und Talenten entspricht, und eine Bezahlung, von der sie gut leben können. Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden fair behandelt. Führungskräfte arbeiten transparent und sind für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichtbar und ansprechbar. Sie befähigen diese, eigenverantwortlich zu handeln. Rollen und Aufgaben sind klar verteilt, Abläufe sind nachvollziehbar. Das Arbeiten in Teams wird forciert, das Profil als Autorenzeitung wird erhalten. Stetige Debatten über Inhalte und Qualität von Texten sind essenziell. Dazu gehört eine Kultur konstruktiver Kritik.
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Die Süddeutsche Zeitung ist eine vertraute, unbestechliche, neugierige, offene, kluge und wenn möglich heitere Freundin und Begleiterin.
Die Redaktion berichtet über die wichtigen Ereignisse einer globalisierten Welt verständlich, ordnet sie ein und kommentiert sie. Sie stößt Debatten an, erklärt und hinterfragt Entwicklungen in der Gesellschaft und ist offen für den Diskurs unterschiedlicher Ansichten. Sie zeigt in ihren Meinungsbeiträgen eine klare Haltung gegen Ausbeutung, Unmenschlichkeit und Intoleranz. Sie will aber nicht nur schwere Nachrichten liefern, sondern auch konstruktiv denken und über Erfreuliches berichten: Die SZ ist ein Medium, das sich über gelungenes menschliches Zusammenleben Gedanken macht. Sie ist im Alltag der Menschen präsent und spiegelt ihn redaktionell wider, in München und Bayern, in Deutschland und der Welt. Sie berichtet auch über jene Gruppen der Gesellschaft, die keine eigene Stimme haben. Dafür kann und muss sie auf ein nationales und internationales Netz von Korrespondenten zurückgreifen.
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Die tiefe regionale Verankerung ist ein Alleinstellungsmerkmal, das die SZ in Stil und Ton besonders prägt.
Die Redaktion versteht die SZ als Tageszeitung mit einzigartig doppeltem Stellenwert – national und international führend und zugleich als wichtigste Lokalzeitung für München und die umliegenden Landkreise sowie als starke Regionalzeitung für Bayern. Das Lokale ist und bleibt elementarer Bestandteil der SZ und wird dementsprechend gefördert und wertgeschätzt. Der Lokaljournalismus hat einen ebenso hohen Stellenwert wie etwa die Bundestags-Berichterstattung, das Feuilleton oder Investigativ-Projekte. Die Lokalredaktionen sind die sichtbaren Fühler der SZ in der Region, die für den Kontakt und die enge Beziehung der Leserinnen und Leser zu ihrer SZ unverzichtbar sind.
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Die Süddeutsche Zeitung versteht sich als Leuchtturm in einer unruhigen und unübersichtlichen Welt.
Die Autorinnen und Autoren der SZ entwirren komplexe Zusammenhänge und leisten damit Aufklärung im besten Sinne. Ihr Platz ist zwischen den Stühlen, das Aufdecken von Missständen und die investigative Recherche sind Kernaufgaben. Die Redaktion will Agendasetter sein und möglichst oft anderes, Überraschenderes bieten als die Konkurrenz. Bei Themen und ihrer Bearbeitung suchen die Redakteurinnen und Redakteure eher den Konflikt als den Beifall, bestärken das Originelle, Experimentelle, den Versuch, das Unerwartete. Qualität, Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit sind und bleiben die höchsten Güter der Redaktion im Wettbewerb um eine Zukunft im digitalen Wandel. Die SZ bietet ihren Leserinnen und Lesern Orientierung, ohne sie zu bevormunden, und weiß um die wachsende Notwendigkeit, die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser auf sich zu ziehen. Sie ordnet stets schnell und gründlich ein. Die Gewichtung und auch das Weglassen von Themen auf allen Ausspielwegen erfolgen mit kühlem Kopf, Gelassenheit und im Dialog unter Kolleginnen und Kollegen.
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Ein guter Text ist ein guter Text, egal, ob dieser digital ausgespielt oder gedruckt wird.
Texte sind die Kernkompetenz der Süddeutschen Zeitung, wobei die Redaktion selbstverständlich immer wieder auch andere Medienformen wählt. Die Qualitätsmaßstäbe eines SZ-Textes müssen auf allen Kanälen dieselben sein – inhaltlich wie sprachlich. Sorgfalt geht dabei stets vor Schnelligkeit. Der Stil der SZ ist anspruchsvoll, andererseits geradeheraus und frisch. Sprachliche Eleganz, unterhaltsame Schreibe und kreative Gestaltung zeichnen die SZ aus. Der Sound kann sich unterscheiden, von Autorin zu Autor, Ressort zu Ressort und Format zu Format. Wo es angemessen
ist, begegnet die SZ auch ernsten Themen mit Humor und Ironie. Nicht der Zeitgeist steht im Vordergrund, sondern der einzelne Mensch, den die SZ stets mit Respekt betrachtet. Sie ist hart in der Sache, wenn es darauf ankommt. Die wichtigsten Kriterien für einen Text sind nicht rechts/links, Mann/Frau, progressiv/konservativ, sondern ob ein Text den journalistischen Standards entspricht.
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Die Redaktionsmitglieder sind offen für die journalistischen Möglichkeiten neuer Kanäle und Technologien.
Die Redaktion entwickelt Formate und Recherchemethoden ständig weiter und nutzt auch datenjournalistische und technisierte Methoden, um die Welt zu verstehen. Die Redakteurinnen und Redakteure begreifen den digitalen Raum als Experimentierfläche und wollen selbstbewusster Vorreiter für digitalen Qualitätsjournalismus sein, vom multimedialen Longread bis hin zur Podcast-Serie – ohne dabei auf jeden Trend aufzuspringen. Getragen werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dabei von einer Kultur, die Innovationen fördert und Scheitern erlaubt. Kolleginnen und Kollegen werden für die Anforderungen des digitalen Journalismus aus- und weitergebildet. Das Bestreben ist es, digitale Kultur in gleichem Maße zu verstehen und abzubilden wie die analoge Kultur.
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Die Redaktion versteht Zahlen und Daten als Chance und nutzt sie, ohne sich zu deren Sklaven zu machen.
Die digitale Metrik ist ein wichtiger Anhaltspunkt zur Themenfindung und -setzung. Die Redaktion versteht sie als Möglichkeit, um Lesegewohnheiten und Interessen zu begreifen. Wir wollen stärker als bislang zu den Leserinnen und Lesern gehen, wir wollen für unsere Inhalte werben und in interdisziplinären Teams aus Redaktion und Verlagsabteilungen arbeiten. Die SZ darf sich nicht nur am Erfolg von Einzeltexten orientieren, sondern muss in ihrer Gesamtheit und auf allen Kanälen den Anspruch haben, die Welt möglichst umfassend abzubilden. Die SZ wird niemals Themen weglassen, nur weil sie keinen kommerziellen Erfolg versprechen. Die Qualität eines Textes und dessen kommerzieller Erfolg sind grundsätzlich getrennt zu betrachten.
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Die SZ-Identität ist in allen ihren Produkten – ob analog oder digital – deutlich spürbar.
Wir diskutieren konstant und konstruktiv darüber, welche Inhalte die SZ den Leserinnen und Nutzern auf den verschiedenen Kanälen anbietet. Regelmäßig muss hinterfragt werden, welche Formate wirklich profilschärfend sind und dabei helfen, Abonnentinnen und Abonnenten zu gewinnen oder zu halten – und was auf der anderen Seite Ressourcen bindet, ohne diese Ziele zu erfüllen. Qualität ist das Kapital der Zeitung. Den Qualitätsjournalismus der SZ zu bewahren heißt, in die Zukunft zu investieren. Die Süddeutsche Zeitung bildet sorgfältig aus und bietet ihren Redakteurinnen und Redakteuren konstant die Möglichkeit zur Weiterbildung. Die Qualität ihrer Inhalte basiert auf der Qualität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
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Leserinnen und Nutzer verändern sich ebenso rasant wie die Redaktion. Es gilt, ein neues und offenes Verhältnis auf Augenhöhe zu begründen.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Redaktion kommunizieren intensiv mit Nutzerinnen und Lesern. Sie beantworten Anfragen schriftlich oder am Telefon und erklären aktiv und deutlich, wer sie sind, wie sie arbeiten und wie sie Themen auswählen. Das gilt auch für Veranstaltungen, bei denen die Redaktion mit dem Publikum diskutiert. Damit zeigt die Redaktion gerade auch kritischen Mediennutzerinnen und unerfahreneren Lesern, was die SZ zu einer wertvollen und verlässlichen Begleiterin im Alltag macht.
Der Redaktionsausschuss 2019-2021 und 2017–2019:
Katja Auer, Karoline Meta Beisel, Heiner Effern, Carolin Gasteiger, Max Hägler, Ulrike Heidenreich, Sebastian Herrmann, Lena Jakat, Matthias Kolb