»Kitty, pretty boy, hey!«, ruft eine
männliche Stimme liebevoll. Es folgt ein klägliches Miauen, das lauter und lauter wird. Ein paar Sekunden später hat es der Mann bis
hoch in die Baumkrone geschafft – und wir reden hier nicht von der
niedlichen Birke im Vorgarten, sondern von gigantischen Nadelbäumen, vierzig, fünfzig Meter hoch.
Doch die Katze klettert immer weiter, Meter für Meter, sie strauchelt, die Äste beben. »Oh no, no, no, Jesus«, die Katze fällt – direkt in Tom Ottos Arme. Vor zwölf Jahren gründeten Otto und Sears das Zwei-Mann-Unternehmen Canopy Cat Rescue. »Voriges Jahr haben wir 668 Katzen gerettet, dieses Jahr werden es wohl mehr als 700 sein«, sagt Shaun Sears, der – wie Otto – irgendwann keine Zeit mehr für seinen Job als Baumpfleger hatte, weil immer irgendwo eine Katze hockte, die da nicht hingehörte. Dann eben Katzen, sagten sich Sears und Otto. Vollzeit. Zwei bis drei pro Tag, auch am Wochenende, auch hundert Kilometer entfernt.
Das Erfüllende dabei: die Freude, die Erleichterung, diese unglaubliche Dankbarkeit der Besitzer, insbesondere wenn sie dachten, ihre Katze sei tot. »Dann bin ich am Telefon und sage: Hey, wir haben gerade Ihre Katze aus einem Baum gerettet«, sagt Sears. Die Besitzer zahlen, was sie angemessen finden, im Schnitt 75 Dollar, manche mehr, manche gar nichts. Die Philosophie lautet: Katzenrettung soll kein Luxus sein. Damit das Geld nicht ausgeht, kann man auf der Webseite von Canopy Cat Rescue spenden und T-Shirts kaufen. Auch auf Instagram sind die beiden vertreten. Mehr als 40 000 Menschen folgen ihnen. Wieso klettern Katzen überhaupt auf Bäume? Oft seien es Raubtiere wie Luchse oder Kojoten, die Katzen auf Bäume jagen, sagt Sears.
Dann harrten sie dort tage-, manchmal wochenlang aus, bei Hitze oder Starkregen. »Wie sie überleben, weiß ich nicht genau«, sagt Sears. »Vielleicht lecken sie Regenwasser vom Fell oder finden Käfer zum Fressen.« Manche Rettungsaktionen dauern dann auch tagelang, etwa wenn eine Katze vor lauter Angst immer weiter nach oben klettert und auf angrenzende Bäume springt. Dann muss ein Baum auch mal beschnitten werden. Eigentlich hat Sears eine tiefe Stimme. Aber auch die klettert hinauf, sobald er eine Katze in einer Baumkrone entdeckt.
Manchmal müssten Planen gespannt werden, um den Sturz der Katze abzufedern, »falls sie springt, ausrutscht oder fallen sollte«. Ansonsten sind Otto und Sears mit Helm, Klettergurt, Seilen, Sack und Netz ausgerüstet. Einmal ist eine Katze mit knapp zehn Kilo auf Sears gestürzt. Beide blieben unverletzt.
