
Bussi, Bussi!
Von Kathrin Hollmer
7. Februar 2025 | Lesezeit: 3 Min.
Fürsorglich
Die erste Abbildung eines romantischen Kusses ist zugleich eines der ältesten erotischen Kunstobjekte der Geschichte: Das „Liebespaar von Ain Sakhri“ ist geschätzt 11 000 Jahre alt. Die Skulptur aus Kalkspat stammt aus einer der Ain-Sakhri-Höhlen in der Nähe von Bethlehem. Reliefs aus dem alten Ägypten zeigen küssende Paare oder Umarmungen in der Familie (im Bild: Königin Nofretete und eine ihrer Töchter), auf Keilschrifttafeln aus Mesopotamien sind romantische Küsse ebenso beschrieben wie Küsse als Ausdruck freundschaftlicher oder familiärer Nähe. Warum Menschen küssen, ist nicht eindeutig geklärt. Manche führen es auf die gegenseitige Fellpflege von Primaten zurück, für Sigmund Freud kommt es vom angeborenen Sauginstinkt. Beim Küssen prüft man jedenfalls unbewusst, ob der oder die potenzielle Partner oder Partnerin zu einem passt. Es ist außerdem ein Training fürs Immunsystem, verbessert die Durchblutung, hilft, Stress und Cholesterin abzubauen. Wenig gefühlvoll sind die reinen Zahlen: Hektor Haarkötter fasst in seinem Buch „Küssen. Eine berührende Kommunikationsart“ (S.-Fischer-Verlag) zusammen, dass beim Küssen „34 Gesichtsmuskeln und 112 Nacken- und Halsmuskeln“ beteiligt sind, dass „Hunderte Bakterien und Millionen Viren ausgetauscht“ werden. Erfreulich: Der Mensch verbringt von 70 Lebensjahren durchschnittlich mehr als 76 Tage mit Küssen.
Foto: imago stock/imago/UIG
Foto: imago stock/imago/UIG
Filmreif
Im Jahr 2015 zeigte eine Studie, dass von 168 untersuchten Kulturen nur weniger als die Hälfte erotische Küsse kennt. In vielen indigenen Völkern zum Beispiel sind sie nicht üblich. Hierzulande ist ein Kuss auf die Lippen Ausdruck von romantischer Liebe und Zuneigung. Als besonders leidenschaftlich gelten Filmküsse. Der erste im Kurzfilm „The Kiss“ von 1896 war noch ein Skandal, seitdem gingen viele in die Geschichte ein: Vivien Leigh und Clark Gable in „Vom Winde verweht“ zum Beispiel oder Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in „Titanic“. Rachel McAdams und Ryan Gosling küssen sich im strömenden Regen in „Wie ein einziger Tag“, Kirsten Dunst und Tobey Maguire kopfüber in „Spiderman“. Das Publikum zum Schmachten brachten zuletzt die Küsse von Kristen Bell und Adam Brody in der Netflix-Serie „Nobody Wants This“, besonders angeschwärmt wurden Brodys Hände, die das Gesicht seiner Partnerin berührten. Wie sagte schon Mark Twain? „Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.“
Foto: imago classic/imago images/Everett Collection
Foto: imago classic/imago images/Everett Collection
Tobey Maguire und Kirsten Dunst in Spiderman.
Luftig
Luftküsse werden heute nur noch ironisch verteilt, Handküsse sind gleich ganz ausgestorben. Beim gehauchten „Küsschen rechts, Küsschen links“ zur Begrüßung variiert die Zahl je nach Land, es werden zwei, drei oder sogar vier Küsse auf die Wange angedeutet. In Frankreich sind es meistens zwei, und die bises von Präsident Emmanuel Macron sind die wohl bestdokumentierten des Landes. Berühmter ist nur noch der sozialistische Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker am 5. Oktober 1979. Bei den Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR in Ost-Berlin küssten sich die Staatschefs nach dem Abschluss eines Wirtschaftsabkommens. Die Geste basiert wohl auf dem russisch-orthodoxen Brauch des Osterkusses, der als kommunistisches Begrüßungsritual adaptiert worden ist.
Foto: imago stock/imago images/POP-EYE
Foto: imago stock/imago images/POP-EYE
Politisch
Der Juni als Pride-Monat steht international für die Sichtbarkeit von queeren Menschen, aber in manchen Teilen der Erde ist das unvorstellbar. In vielen Ländern sind Küsse zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen strafbar, etwa in Malaysia oder in Nigeria, wo „gleichgeschlechtliche Zuneigung in der Öffentlichkeit“ mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft wird. Sogar Filme werden deshalb zensiert. 2022 haben mehrere Länder den Animationsfilm „Lightyear“ verboten, weil darin ein Kuss zwischen zwei Frauen zu sehen ist. Unter anderem im Irak, in Bahrain, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Oman und Syrien durfte der Film nicht gezeigt werden. Und auch Hollywood scheint noch nicht grundsätzlich so weit zu sein. Vergangenes Jahr gab es große Aufregung über die Aussage von Denzel Washington, er habe in „Gladiator 2“ einen Mann geküsst, die Szene sei aber aus der Kinofassung geschnitten worden.
Foto: DIMITAR DILKOFF/AFP
Foto: DIMITAR DILKOFF/AFP
Einladend
Ob bei Gustav Klimt oder Edvard Munch, Goethe oder Heinrich Heine („Hast du die Lippen mir wund geküßt“): Küsse beschäftigen die Kunst seit jeher – und auch die Lippen, die man dafür braucht. Salvador Dalí schuf 1972 gemeinsam mit dem Designer Óscar Tusquets das Sofa „Dalilips“, basierend auf seinem bereits 1938 entworfenen Sitzmöbel „Mae West Lips“, einer surrealistischen Hommage an die Hollywood-Diva Mae West. 2004, zum 100. Geburtstag Dalís, wurden die „Dalilips“-Sofas aus Polyethylen hergestellt, seitdem wird das Designerstück industriell produziert. Auch das ikonische Lippensofa „Bocca“ der italienischen Gruppe Studio 65 greift den Mund als Motiv auf.
Foto: LUIS ACOSTA/AFP
Foto: LUIS ACOSTA/AFP

Bussi, Bussi!


Fürsorglich
Die erste Abbildung eines romantischen Kusses ist zugleich eines der ältesten erotischen Kunstobjekte der Geschichte: Das „Liebespaar von Ain Sakhri“ ist geschätzt 11 000 Jahre alt. Die Skulptur aus Kalkspat stammt aus einer der Ain-Sakhri-Höhlen in der Nähe von Bethlehem. Reliefs aus dem alten Ägypten zeigen küssende Paare oder Umarmungen in der Familie (im Bild: Königin Nofretete und eine ihrer Töchter), auf Keilschrifttafeln aus Mesopotamien sind romantische Küsse ebenso beschrieben wie Küsse als Ausdruck freundschaftlicher oder familiärer Nähe. Warum Menschen küssen, ist nicht eindeutig geklärt. Manche führen es auf die gegenseitige Fellpflege von Primaten zurück, für Sigmund Freud kommt es vom angeborenen Sauginstinkt. Beim Küssen prüft man jedenfalls unbewusst, ob der oder die potenzielle Partner oder Partnerin zu einem passt. Es ist außerdem ein Training fürs Immunsystem, verbessert die Durchblutung, hilft, Stress und Cholesterin abzubauen. Wenig gefühlvoll sind die reinen Zahlen: Hektor Haarkötter fasst in seinem Buch „Küssen. Eine berührende Kommunikationsart“ (S.-Fischer-Verlag) zusammen, dass beim Küssen „34 Gesichtsmuskeln und 112 Nacken- und Halsmuskeln“ beteiligt sind, dass „Hunderte Bakterien und Millionen Viren ausgetauscht“ werden. Erfreulich: Der Mensch verbringt von 70 Lebensjahren durchschnittlich mehr als 76 Tage mit Küssen.
Foto: imago stock/imago/UIG
Foto: imago stock/imago/UIG

Filmreif
Im Jahr 2015 zeigte eine Studie, dass von 168 untersuchten Kulturen nur weniger als die Hälfte erotische Küsse kennt. In vielen indigenen Völkern zum Beispiel sind sie nicht üblich. Hierzulande ist ein Kuss auf die Lippen Ausdruck von romantischer Liebe und Zuneigung. Als besonders leidenschaftlich gelten Filmküsse. Der erste im Kurzfilm „The Kiss“ von 1896 war noch ein Skandal, seitdem gingen viele in die Geschichte ein: Vivien Leigh und Clark Gable in „Vom Winde verweht“ zum Beispiel oder Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in „Titanic“. Rachel McAdams und Ryan Gosling küssen sich im strömenden Regen in „Wie ein einziger Tag“, Kirsten Dunst und Tobey Maguire kopfüber in „Spiderman“. Das Publikum zum Schmachten brachten zuletzt die Küsse von Kristen Bell und Adam Brody in der Netflix-Serie „Nobody Wants This“, besonders angeschwärmt wurden Brodys Hände, die das Gesicht seiner Partnerin berührten. Wie sagte schon Mark Twain? „Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.“
Foto: imago classic/imago images/Everett Collection
Foto: imago classic/imago images/Everett Collection
Tobey Maguire und Kirsten Dunst in Spiderman.

Luftig
Luftküsse werden heute nur noch ironisch verteilt, Handküsse sind gleich ganz ausgestorben. Beim gehauchten „Küsschen rechts, Küsschen links“ zur Begrüßung variiert die Zahl je nach Land, es werden zwei, drei oder sogar vier Küsse auf die Wange angedeutet. In Frankreich sind es meistens zwei, und die bises von Präsident Emmanuel Macron sind die wohl bestdokumentierten des Landes. Berühmter ist nur noch der sozialistische Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker am 5. Oktober 1979. Bei den Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Gründung der DDR in Ost-Berlin küssten sich die Staatschefs nach dem Abschluss eines Wirtschaftsabkommens. Die Geste basiert wohl auf dem russisch-orthodoxen Brauch des Osterkusses, der als kommunistisches Begrüßungsritual adaptiert worden ist.
Foto: imago stock/imago images/POP-EYE
Foto: imago stock/imago images/POP-EYE

Politisch
Der Juni als Pride-Monat steht international für die Sichtbarkeit von queeren Menschen, aber in manchen Teilen der Erde ist das unvorstellbar. In vielen Ländern sind Küsse zwischen gleichgeschlechtlichen Menschen strafbar, etwa in Malaysia oder in Nigeria, wo „gleichgeschlechtliche Zuneigung in der Öffentlichkeit“ mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft wird. Sogar Filme werden deshalb zensiert. 2022 haben mehrere Länder den Animationsfilm „Lightyear“ verboten, weil darin ein Kuss zwischen zwei Frauen zu sehen ist. Unter anderem im Irak, in Bahrain, Jordanien, Katar, Kuwait, Libanon, Oman und Syrien durfte der Film nicht gezeigt werden. Und auch Hollywood scheint noch nicht grundsätzlich so weit zu sein. Vergangenes Jahr gab es große Aufregung über die Aussage von Denzel Washington, er habe in „Gladiator 2“ einen Mann geküsst, die Szene sei aber aus der Kinofassung geschnitten worden.
Foto: DIMITAR DILKOFF/AFP
Foto: DIMITAR DILKOFF/AFP

Einladend
Ob bei Gustav Klimt oder Edvard Munch, Goethe oder Heinrich Heine („Hast du die Lippen mir wund geküßt“): Küsse beschäftigen die Kunst seit jeher – und auch die Lippen, die man dafür braucht. Salvador Dalí schuf 1972 gemeinsam mit dem Designer Óscar Tusquets das Sofa „Dalilips“, basierend auf seinem bereits 1938 entworfenen Sitzmöbel „Mae West Lips“, einer surrealistischen Hommage an die Hollywood-Diva Mae West. 2004, zum 100. Geburtstag Dalís, wurden die „Dalilips“-Sofas aus Polyethylen hergestellt, seitdem wird das Designerstück industriell produziert. Auch das ikonische Lippensofa „Bocca“ der italienischen Gruppe Studio 65 greift den Mund als Motiv auf.
Foto: LUIS ACOSTA/AFP
Foto: LUIS ACOSTA/AFP
Text: Kathrin Hollmer; Digitales Storytelling, Redaktion: Anne Goebel; Hintergrundbild: imago imagesEverett Collection