Ein Hauch von Luxus

Seide erlebt ein Comeback, in der Innenarchitektur und als Hightech-Faser. Über ein Material, das nach Bedarf wärmt oder kühlt – und einst so kostbar war wie Gold.

22. Mai 2025 | Lesezeit: 4 Min.

Der Stoff

Die Seidenspinnerraupen leisten ganze Arbeit. Sie liefern mit ihren Kokons die Basis für ein wahres Wundertextil, das im Sommer kühlend, im Winter wärmend wirkt. Denn Seide ist ein schlechter Wärmeleiter, sie lässt Hitze kaum an die Haut, bewahrt aber an kalten Tagen die Körperwärme. Zudem haben die Fasern winzige Löcher, die den sogenannten Kapillareffekt ermöglichen: Seide nimmt Feuchtigkeit auf und leitet sie nach außen, das hilft, wenn man schwitzt. Dank dieser Eigenschaften gilt sie als idealer Stoff etwa für Unterwäsche oder federleichte Schultertücher. In diesem Sommer allgegenwärtig: Pastellgelbe Kleider, in der Seidenvariante kommt die Farbe schön zur Geltung. Auch Sportlerinnen und Sportler schätzen das Naturmaterial. Ein Seidenschlafsack für Übernachtungen auf Hütten fällt im Rucksack kaum ins Gewicht. Zarte Handschuhe sind die perfekte Unterschicht für Fäustlinge, eine Seidenmaske über dem Gesicht kann sogar vor Erfrierungen schützen.

Der Stil

Florenz steht für Kunst, für den Reichtum der Patrizierfamilien und für italienische Seide. Diese Gleichung setzt das Modehaus Gucci mit seinen Seidentüchern in fühlbaren Luxus um – und nimmt bei den Motiven oft Bezug auf die toskanische Stadt, wo die Marke ihren Ursprung hat. Ein neuer Bildband („Gucci: The Art of Silk“, erschienen im Assouline-Verlag) verdeutlicht die Entwicklung der berühmten Foulards vom konservativen Statussymbol zu experimentierfreudigeren Interpretationen. Botticellis „Frühling“ liefert die Vorlagen für florale Ornamente, Designer wie Tom Ford übertrugen sie in die Formensprache der Neunzigerjahre. Nautische Motive künden von der Zeit, als Schifffahrt Wohlstand bedeutete. Die Liebe zur exotischen Menagerie, die der Florentiner Adel einst pflegte, spiegelt sich auf den Tüchern ebenso wider wie das Faible für edle Pferde. Wer sich so ein Pferd nicht leisten kann, dem genügt möglicherweise ein Seidentuch von Gucci. Auch nicht günstig, aber doch günstiger im Unterhalt.

Der Baum

Der Maulbeerbaum ist eine Diva. Er mag es warm und windgeschützt und liebt Weinbauregionen. Seine brombeerähnlichen Früchte sind genießbar – die aus Menschensicht wichtigste Funktion des Baums besteht jedoch darin, Futter für die Raupen des Seidenspinners (zoologische Bezeichung Bombyx mori) zu liefern. Denn die Blätter des Maulbeerbaums sind die einzige Nahrung, die die Insekten akzeptieren. Wer Seide will, braucht also Maulbeerbäume. In China, wo Seidenspinner vor etwa 5000 Jahren eigens für die Herstellung des Stoffes gezüchtet wurden, ist die Kultivierung klimatisch kein Problem. Auch nicht in Südeuropa, wohin die Raupen des Falters im frühen Mittelalter gelangten, in Kalabrien etwa deuten Maulbeerbäume noch heute auf einstige Zentren der Seidenherstellung hin. Das Verfahren ist bis heute gleich geblieben: Die Raupen werden mit Maulbeerblättern versorgt und wickeln sich immer mehr ein in einen schier endlosen Protein-Faden, den ihre Drüsen produzieren – bis sie aussehen wie Wattebäuschchen. Über heißem Dampf werden die Raupen im Kokon getötet, dann der Kleber der Hülle aufgelöst. Jetzt erst lässt sich der hauchdünne und doch reißfeste Faden abwickeln. Alternative Seidenhersteller werben damit, dass sie den Faden erst lösen, wenn die Falter ausgeflogen sind, dabei entsteht sogenannte Ahimsa-Seide. Auch die Raupen des Tussah-Seidenspinners überleben den Produktionsprozess. Aus ihren Kokons webt man die ungleichmäßigere Wildseide – mit ähnlich verlockendem Schimmer.

Die Paläste

Die Furcht vor der Todesstrafe wirkte Wunder: Niemand wagte es, Seidenraupen aus China zu schmuggeln, so blieb das Wissen um die Aufzucht der Seidenraupen ein Monopol – und die Seide ein Luxusgut. Sie war so begehrt, dass sie gar mit Gold aufgewogen wurde. Etwa um 500 nach Christus gelang es angeblich Mönchen, die Raupen erst in den Nahen Osten und schließlich nach Europa zu schmuggeln. In Nord- und Süditalien, später im französischen Lyon entwickelten sich Zentren der Seidenproduktion. Der Stoff wurde zum Statussymbol für Klerus, Könige und Adel, ein glänzender Hinweis auf den Reichtum derjenigen, die ihn als Kleidung trugen oder ihre Gemächer damit ausstatteten. Flämische Weber gestalteten in der Renaissance aus Wolle und Seide wahre Kunstwerke, allen voran die berühmten Tapisserien mit Einhorn-Motiven, zu besichtigen im Metropolitan Museum of Art in New York. Praktischerweise konnten reisende Herrscher diese Insignien der Macht zusammenrollen, mitnehmen und an einem beliebigen Ort wieder auslegen, um Staatsgäste zu beeindrucken. Unter Frankreichs König Ludwig XV. verwendete man Seide zunehmend als dekorative Wandbespannung, was einen aufstrebenden Herrscher wie den Preußenkönig Friedrich II. vor ein Dilemma stellte: Er wollte die Seide haben, doch sie war ihm zu teuer. Also versuchte er, die Produktion in Preußen in Schwung zu bringen. Er ließ Linden durch Maulbeerbäume ersetzen, belegte Einfuhren mit Zöllen, förderte den Zuzug von Hugenotten, die aus Frankreich textiles Know-how mitbrachten. Was Preußen damals konnte in Sachen Seide, lässt sich im Neuen Palais in Potsdam besichtigen: Prächtiger Seidendamast ziert die Wände, vor allem im sogenannten Chrysanthemen-Zimmer.

Die Route

Als der Venezianer Marco Polo im 13. Jahrhundert nach China reiste und sich als Pionier sah, war die Blütezeit der Seidenstraße schon vorbei, der Handelsweg in den Osten aber noch bekannt. Eigentlich handelte es sich um ein Netz verschiedener Routen zwischen dem östlichen China und dem Mittelmeer, mit Knotenpunkten, an denen die Waren von einem Händler an den nächsten weitergegeben wurden. Der Seidenhandel bescherte etwa Samarkand in Zentralasien beachtlichen Wohlstand, auch Damaskus und der Hafenstadt Tyros. Eine andere Route führte südlich des Himalaja-Gebirges durch Indien und verzweigte sich dort; über Land ging es weiter in den Mittleren und Nahen Osten, per Schiff nach Nordafrika. Transportiert wurde in Richtung Westen häufig Seide, in Richtung Osten Wolle und Gold. Den Begriff Seidenstraße prägte der Geograf Ferdinand von Richthofen übrigens erst im 19. Jahrhundert. Jetzt greift China das alte Vorbild wieder auf: Das Projekt „New Silk Road“ verknüpft Straßen und Häfen auf der ganzen Welt.

Ein Hauch von Luxus

Seide erlebt ein Comeback, in der Innenarchitektur und als Hightech-Faser. Über ein Material, das nach Bedarf wärmt oder kühlt – und einst so kostbar war wie Gold.

Der Stoff

Die Seidenspinnerraupen leisten ganze Arbeit. Sie liefern mit ihren Kokons die Basis für ein wahres Wundertextil, das im Sommer kühlend, im Winter wärmend wirkt. Denn Seide ist ein schlechter Wärmeleiter, sie lässt Hitze kaum an die Haut, bewahrt aber an kalten Tagen die Körperwärme. Zudem haben die Fasern winzige Löcher, die den sogenannten Kapillareffekt ermöglichen: Seide nimmt Feuchtigkeit auf und leitet sie nach außen, das hilft, wenn man schwitzt. Dank dieser Eigenschaften gilt sie als idealer Stoff etwa für Unterwäsche oder federleichte Schultertücher. In diesem Sommer allgegenwärtig: Pastellgelbe Kleider, in der Seidenvariante kommt die Farbe schön zur Geltung. Auch Sportlerinnen und Sportler schätzen das Naturmaterial. Ein Seidenschlafsack für Übernachtungen auf Hütten fällt im Rucksack kaum ins Gewicht. Zarte Handschuhe sind die perfekte Unterschicht für Fäustlinge, eine Seidenmaske über dem Gesicht kann sogar vor Erfrierungen schützen.

Der Stil

Florenz steht für Kunst, für den Reichtum der Patrizierfamilien und für italienische Seide. Diese Gleichung setzt das Modehaus Gucci mit seinen Seidentüchern in fühlbaren Luxus um – und nimmt bei den Motiven oft Bezug auf die toskanische Stadt, wo die Marke ihren Ursprung hat. Ein neuer Bildband („Gucci: The Art of Silk“, erschienen im Assouline-Verlag) verdeutlicht die Entwicklung der berühmten Foulards vom konservativen Statussymbol zu experimentierfreudigeren Interpretationen. Botticellis „Frühling“ liefert die Vorlagen für florale Ornamente, Designer wie Tom Ford übertrugen sie in die Formensprache der Neunzigerjahre. Nautische Motive künden von der Zeit, als Schifffahrt Wohlstand bedeutete. Die Liebe zur exotischen Menagerie, die der Florentiner Adel einst pflegte, spiegelt sich auf den Tüchern ebenso wider wie das Faible für edle Pferde. Wer sich so ein Pferd nicht leisten kann, dem genügt möglicherweise ein Seidentuch von Gucci. Auch nicht günstig, aber doch günstiger im Unterhalt.

Der Baum

Der Maulbeerbaum ist eine Diva. Er mag es warm und windgeschützt und liebt Weinbauregionen. Seine brombeerähnlichen Früchte sind genießbar – die aus Menschensicht wichtigste Funktion des Baums besteht jedoch darin, Futter für die Raupen des Seidenspinners (zoologische Bezeichung Bombyx mori) zu liefern. Denn die Blätter des Maulbeerbaums sind die einzige Nahrung, die die Insekten akzeptieren. Wer Seide will, braucht also Maulbeerbäume. In China, wo Seidenspinner vor etwa 5000 Jahren eigens für die Herstellung des Stoffes gezüchtet wurden, ist die Kultivierung klimatisch kein Problem. Auch nicht in Südeuropa, wohin die Raupen des Falters im frühen Mittelalter gelangten, in Kalabrien etwa deuten Maulbeerbäume noch heute auf einstige Zentren der Seidenherstellung hin. Das Verfahren ist bis heute gleich geblieben: Die Raupen werden mit Maulbeerblättern versorgt und wickeln sich immer mehr ein in einen schier endlosen Protein-Faden, den ihre Drüsen produzieren – bis sie aussehen wie Wattebäuschchen. Über heißem Dampf werden die Raupen im Kokon getötet, dann der Kleber der Hülle aufgelöst. Jetzt erst lässt sich der hauchdünne und doch reißfeste Faden abwickeln. Alternative Seidenhersteller werben damit, dass sie den Faden erst lösen, wenn die Falter ausgeflogen sind, dabei entsteht sogenannte Ahimsa-Seide. Auch die Raupen des Tussah-Seidenspinners überleben den Produktionsprozess. Aus ihren Kokons webt man die ungleichmäßigere Wildseide – mit ähnlich verlockendem Schimmer.

Die Paläste

Die Furcht vor der Todesstrafe wirkte Wunder: Niemand wagte es, Seidenraupen aus China zu schmuggeln, so blieb das Wissen um die Aufzucht der Seidenraupen ein Monopol – und die Seide ein Luxusgut. Sie war so begehrt, dass sie gar mit Gold aufgewogen wurde. Etwa um 500 nach Christus gelang es angeblich Mönchen, die Raupen erst in den Nahen Osten und schließlich nach Europa zu schmuggeln. In Nord- und Süditalien, später im französischen Lyon entwickelten sich Zentren der Seidenproduktion. Der Stoff wurde zum Statussymbol für Klerus, Könige und Adel, ein glänzender Hinweis auf den Reichtum derjenigen, die ihn als Kleidung trugen oder ihre Gemächer damit ausstatteten. Flämische Weber gestalteten in der Renaissance aus Wolle und Seide wahre Kunstwerke, allen voran die berühmten Tapisserien mit Einhorn-Motiven, zu besichtigen im Metropolitan Museum of Art in New York. Praktischerweise konnten reisende Herrscher diese Insignien der Macht zusammenrollen, mitnehmen und an einem beliebigen Ort wieder auslegen, um Staatsgäste zu beeindrucken. Unter Frankreichs König Ludwig XV. verwendete man Seide zunehmend als dekorative Wandbespannung, was einen aufstrebenden Herrscher wie den Preußenkönig Friedrich II. vor ein Dilemma stellte: Er wollte die Seide haben, doch sie war ihm zu teuer. Also versuchte er, die Produktion in Preußen in Schwung zu bringen. Er ließ Linden durch Maulbeerbäume ersetzen, belegte Einfuhren mit Zöllen, förderte den Zuzug von Hugenotten, die aus Frankreich textiles Know-how mitbrachten. Was Preußen damals konnte in Sachen Seide, lässt sich im Neuen Palais in Potsdam besichtigen: Prächtiger Seidendamast ziert die Wände, vor allem im sogenannten Chrysanthemen-Zimmer.

Die Route

Als der Venezianer Marco Polo im 13. Jahrhundert nach China reiste und sich als Pionier sah, war die Blütezeit der Seidenstraße schon vorbei, der Handelsweg in den Osten aber noch bekannt. Eigentlich handelte es sich um ein Netz verschiedener Routen zwischen dem östlichen China und dem Mittelmeer, mit Knotenpunkten, an denen die Waren von einem Händler an den nächsten weitergegeben wurden. Der Seidenhandel bescherte etwa Samarkand in Zentralasien beachtlichen Wohlstand, auch Damaskus und der Hafenstadt Tyros. Eine andere Route führte südlich des Himalaja-Gebirges durch Indien und verzweigte sich dort; über Land ging es weiter in den Mittleren und Nahen Osten, per Schiff nach Nordafrika. Transportiert wurde in Richtung Westen häufig Seide, in Richtung Osten Wolle und Gold. Den Begriff Seidenstraße prägte der Geograf Ferdinand von Richthofen übrigens erst im 19. Jahrhundert. Jetzt greift China das alte Vorbild wieder auf: Das Projekt „New Silk Road“ verknüpft Straßen und Häfen auf der ganzen Welt.

Text: Johanna Pfund; Redaktion: Anne Goebel; Bildredaktion: Natalie Neomi Isser; Bildquellen: Hintergrund: Tingting JiGetty Images; (1) Gucci; (2) imago stockZoonar; (3) ScreenshotyoutubeStiftung Preußische Schlösser und Gärten; (4) mauritius imagesPetr SvarcAlamy; Digitales Storytelling: Birgit Kruse

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