Fest verbunden

Maritime Knoten stehen für Fernweh, aber in der Schifffahrt geht es um ihren praktischen Nutzen. Über die Fingerfertigkeit der Matrosen, chinesische Glücksbringer und die Bedeutung des Namens Knut bei der Familienplanung.

6. Juni 2025 | Lesezeit: 4 Min.

Die Technik

Als Humphrey van Weyden aus dem Pazifik gefischt wurde, verfluchte er schon bald seine Retter. Denn an Bord der Ghost, eines Schoners zur Robbenjagd, herrschte blanker Irrsinn. Wenn Kapitän Wolf Larsen nicht gerade seine Mannschaft tyrannisierte, verschlang er Shakespeare. Dass sich der „Seewolf“ im gleichnamigen Roman von Jack London das Lesen selbst beigebracht hatte, war damals auch auf echten Hochsee-Booten nichts Ungewöhnliches. „Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte von den einfachen Matrosen kaum jemand lesen oder schreiben“, heißt es in dem berühmten „Ashley Book of Knots“, ein 1944 erschienener Klassiker. Es sei üblich gewesen, dass Jungen noch vor dem zehnten Lebensjahr zur See gingen. Um Geist und Finger auf den mehrmonatigen Reisen zu trainieren, lernten sie die anspruchsvolle Kunst des Knotens. Clifford Ashleys Enzyklopädie enthält mehr als 3800 Varianten, Seile in- und umeinanderzuschlingen. Jack London spielt mit seiner Figur des Seewolfs auf die Sagen der Wikinger an. Auch Kapitän Larsen kommt aus Skandinavien, der Heimat des „Wotan-Knotens“. Der Name des Valknut aus drei verbundenen Dreiecken setzt sich aus norwegisch valr („im Kampf erschlagener Krieger“) und knut („Knoten“) zusammen. Das Symbol soll für die Verbindung von Göttern und Menschen stehen. Der Name Knut ist in skandinavischen Ländern bis heute beliebt, und er hat einen konkreten Hintergrund, wie Michael Simon Karg in seiner unterhaltsamen Kulturgeschichte „Am Anfang war der Knoten“ beschreibt: „Man nannte denjenigen Sohn Knut, mit dem man die Familienplanung abzuschließen – zuzuknoten – gedachte.“

Der Klassiker

Den sagenhaften gordischen Knoten mit einem Schwert zu durchschlagen, gilt als genial, ist aber nicht nachhaltig. Daran merkt man, dass Alexander der Große eher Krieger als Seemann war – die Kunst besteht ja gerade darin, ein geknotetes Seil immer wieder zu verwenden. Trotzdem darf sich eine Schlinge unter keinen Umständen lösen, wenn zum Beispiel das Boot damit festgemacht wird oder jemand in einem Rettungsseil hängt. Eine klassische Festmacher-Leine ist der berühmte Palstek, den man bei jeder Fähre sehen kann. Beim Anlegen wird die große Schlaufe über einen Poller geworfen; dabei muss der Knoten halten, ohne dass sich die Schlinge zuzieht – denn beim Ablegen soll es schnell retour gehen. Wie viel Fingerfertigkeit die Matrosen früher auf Segelschiffen besaßen, wird einem aber erst klar, wenn man einen Palstek auf schwankendem Grund binden muss. Natürlich immer mit einer Hand am Boot, das ist die eherne Grundregel auf dem Wasser. Aber wie soll man sich mit einer Hand festhalten und mit der anderen Hand Knoten binden? Die Antwort ist artistisch und einfach zugleich: üben, üben, üben – und nur kurz loslassen.

Das Design

Es gibt sie als Schlüsselanhänger, das italienische Label Dodo macht Ohrschmuck in Knotenform, und im Netz findet man sogar Salz- und Pfefferstreuer in maritimer Optik: Ob Taue und nautische Knoten wirklich immer etwas mit echter Hochsee-Leidenschaft zu tun haben, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls transportieren sie sofort ein Gefühl von Aufbruch und Leichtigkeit, als könnte man einfach lossegeln, anstatt im Büro zu sitzen. Das Kissen von Stockholm Design House mit dem schlichten Namen „Knot Cushion“ ist ein Klassiker, den die isländische Designerin Ragnheiður Ösp Sigurðardóttir entworfen hat – als Erinnerung an eine Lieblingsbeschäftigung in der Kindheit. „Ich war bei den Pfadfindern“, sagt sie, „und richtig gut im Knotenknüpfen.“

Die Kultur

Knoten sind mindestens so alt wie die Schifffahrt. In Israel wurde ein Korb entdeckt, der nach mehr als 10 000 Jahren gut erhalten ist. Die niederländische Archäologin Willemina Wendrich würde statt von einer Steinzeit eher von einer Korbzeit sprechen: Körbe und anderes Flechtwerk waren mindestens so nützlich wie Werkzeuge aus Stein. Die ersten Schriftformen und die Knoten-Kunst entwickelten sich parallel und haben sich offensichtlich gegenseitig beeinflusst. „Die Kunst des Knotenknüpfens, Gipfel sowohl der geistigen Abstraktion wie der Fingerfertigkeit, könnte geradezu als das Hauptmerkmal des Menschen betrachtet werden, vielleicht noch mehr als die Sprache“, schrieb der italienische Schriftsteller Italo Calvino. In den Alltag übersetzt: Jedes Mal beim Krawattenbinden geht es um eine uralte Kulturtechnik. Doch der Mensch bekommt Konkurrenz. Amazon hat einen Roboter namens Vulcan vorgestellt, der mithilfe von künstlicher Intelligenz nicht nur „denken“ könne, sondern sich auch an neue Aufgaben herantaste, heißt es von dem Tech-Konzern. Roboter mit Tastsinn wären ein Fortschritt: Oft merken die Automaten gar nicht, wenn sie etwas etwa beim Sortieren berühren oder zerstören, weil sie nichts spüren. Und die Kunst, Hunderte Arten von Knoten zu knüpfen, beherrschen die Maschinen sowieso noch lange nicht.

Das Symbol

Eigentlich nicht verwunderlich, dass das Binden von Knoten symbolisch aufgeladen ist. Man fügt zwei Enden zusammen, indem sie mal mehr, mal weniger kunstvoll verschlungen werden, damit eine Einheit entsteht. Im Englischen erinnert der Ausdruck „to tie the knot“ als Synonym für heiraten an das Sinnbild einer stabilen Verbindung. Große Bedeutung haben aufwendig gefertigte Knoten als Symbole für Glück, Reichtum oder ein langes Leben in der chinesischen Kultur. Häufig bestehen sie aus rotem Garn und wurden mit Talismanen wie Jadesteinen oder kleinen Spiegeln verziert. Statt der religiösen Bedeutung geht es heute oft um Trends, Exemplare mit und ohne Fransen oder Glitzer baumeln an Handyketten oder Armbändern. Auch in chinesischer Mode spielen geflochtene Stoffknöpfe eine traditionelle Rolle, etwa beim Cheongsam, einem langen Seidendress mit hohem Kragen. Berühmt wurde das elegante Kleid durch Wong Kar-Weis Kultfilm „In the Mood for Love“. Die Hauptdarstellerin trägt fast in jeder Szene ein anderes Modell, eines schöner als das andere.

Fest verbunden

Maritime Knoten stehen für Fernweh, aber in der Schifffahrt geht es um ihren praktischen Nutzen. Über die Fingerfertigkeit der Matrosen, chinesische Glücksbringer und die Bedeutung des Namens Knut bei der Familienplanung.

Die Technik

Als Humphrey van Weyden aus dem Pazifik gefischt wurde, verfluchte er schon bald seine Retter. Denn an Bord der Ghost, eines Schoners zur Robbenjagd, herrschte blanker Irrsinn. Wenn Kapitän Wolf Larsen nicht gerade seine Mannschaft tyrannisierte, verschlang er Shakespeare. Dass sich der „Seewolf“ im gleichnamigen Roman von Jack London das Lesen selbst beigebracht hatte, war damals auch auf echten Hochsee-Booten nichts Ungewöhnliches. „Zu Beginn des 19. Jahrhunderts konnte von den einfachen Matrosen kaum jemand lesen oder schreiben“, heißt es in dem berühmten „Ashley Book of Knots“, ein 1944 erschienener Klassiker. Es sei üblich gewesen, dass Jungen noch vor dem zehnten Lebensjahr zur See gingen. Um Geist und Finger auf den mehrmonatigen Reisen zu trainieren, lernten sie die anspruchsvolle Kunst des Knotens. Clifford Ashleys Enzyklopädie enthält mehr als 3800 Varianten, Seile in- und umeinanderzuschlingen. Jack London spielt mit seiner Figur des Seewolfs auf die Sagen der Wikinger an. Auch Kapitän Larsen kommt aus Skandinavien, der Heimat des „Wotan-Knotens“. Der Name des Valknut aus drei verbundenen Dreiecken setzt sich aus norwegisch valr („im Kampf erschlagener Krieger“) und knut („Knoten“) zusammen. Das Symbol soll für die Verbindung von Göttern und Menschen stehen. Der Name Knut ist in skandinavischen Ländern bis heute beliebt, und er hat einen konkreten Hintergrund, wie Michael Simon Karg in seiner unterhaltsamen Kulturgeschichte „Am Anfang war der Knoten“ beschreibt: „Man nannte denjenigen Sohn Knut, mit dem man die Familienplanung abzuschließen – zuzuknoten – gedachte.“

Der Klassiker

Den sagenhaften gordischen Knoten mit einem Schwert zu durchschlagen, gilt als genial, ist aber nicht nachhaltig. Daran merkt man, dass Alexander der Große eher Krieger als Seemann war – die Kunst besteht ja gerade darin, ein geknotetes Seil immer wieder zu verwenden. Trotzdem darf sich eine Schlinge unter keinen Umständen lösen, wenn zum Beispiel das Boot damit festgemacht wird oder jemand in einem Rettungsseil hängt. Eine klassische Festmacher-Leine ist der berühmte Palstek, den man bei jeder Fähre sehen kann. Beim Anlegen wird die große Schlaufe über einen Poller geworfen; dabei muss der Knoten halten, ohne dass sich die Schlinge zuzieht – denn beim Ablegen soll es schnell retour gehen. Wie viel Fingerfertigkeit die Matrosen früher auf Segelschiffen besaßen, wird einem aber erst klar, wenn man einen Palstek auf schwankendem Grund binden muss. Natürlich immer mit einer Hand am Boot, das ist die eherne Grundregel auf dem Wasser. Aber wie soll man sich mit einer Hand festhalten und mit der anderen Hand Knoten binden? Die Antwort ist artistisch und einfach zugleich: üben, üben, üben – und nur kurz loslassen.

Das Design

Es gibt sie als Schlüsselanhänger, das italienische Label Dodo macht Ohrschmuck in Knotenform, und im Netz findet man sogar Salz- und Pfefferstreuer in maritimer Optik: Ob Taue und nautische Knoten wirklich immer etwas mit echter Hochsee-Leidenschaft zu tun haben, lässt sich schwer sagen. Jedenfalls transportieren sie sofort ein Gefühl von Aufbruch und Leichtigkeit, als könnte man einfach lossegeln, anstatt im Büro zu sitzen. Das Kissen von Stockholm Design House mit dem schlichten Namen „Knot Cushion“ ist ein Klassiker, den die isländische Designerin Ragnheiður Ösp Sigurðardóttir entworfen hat – als Erinnerung an eine Lieblingsbeschäftigung in der Kindheit. „Ich war bei den Pfadfindern“, sagt sie, „und richtig gut im Knotenknüpfen.“

Die Kultur

Knoten sind mindestens so alt wie die Schifffahrt. In Israel wurde ein Korb entdeckt, der nach mehr als 10 000 Jahren gut erhalten ist. Die niederländische Archäologin Willemina Wendrich würde statt von einer Steinzeit eher von einer Korbzeit sprechen: Körbe und anderes Flechtwerk waren mindestens so nützlich wie Werkzeuge aus Stein. Die ersten Schriftformen und die Knoten-Kunst entwickelten sich parallel und haben sich offensichtlich gegenseitig beeinflusst. „Die Kunst des Knotenknüpfens, Gipfel sowohl der geistigen Abstraktion wie der Fingerfertigkeit, könnte geradezu als das Hauptmerkmal des Menschen betrachtet werden, vielleicht noch mehr als die Sprache“, schrieb der italienische Schriftsteller Italo Calvino. In den Alltag übersetzt: Jedes Mal beim Krawattenbinden geht es um eine uralte Kulturtechnik. Doch der Mensch bekommt Konkurrenz. Amazon hat einen Roboter namens Vulcan vorgestellt, der mithilfe von künstlicher Intelligenz nicht nur „denken“ könne, sondern sich auch an neue Aufgaben herantaste, heißt es von dem Tech-Konzern. Roboter mit Tastsinn wären ein Fortschritt: Oft merken die Automaten gar nicht, wenn sie etwas etwa beim Sortieren berühren oder zerstören, weil sie nichts spüren. Und die Kunst, Hunderte Arten von Knoten zu knüpfen, beherrschen die Maschinen sowieso noch lange nicht.

Das Symbol

Eigentlich nicht verwunderlich, dass das Binden von Knoten symbolisch aufgeladen ist. Man fügt zwei Enden zusammen, indem sie mal mehr, mal weniger kunstvoll verschlungen werden, damit eine Einheit entsteht. Im Englischen erinnert der Ausdruck „to tie the knot“ als Synonym für heiraten an das Sinnbild einer stabilen Verbindung. Große Bedeutung haben aufwendig gefertigte Knoten als Symbole für Glück, Reichtum oder ein langes Leben in der chinesischen Kultur. Häufig bestehen sie aus rotem Garn und wurden mit Talismanen wie Jadesteinen oder kleinen Spiegeln verziert. Statt der religiösen Bedeutung geht es heute oft um Trends, Exemplare mit und ohne Fransen oder Glitzer baumeln an Handyketten oder Armbändern. Auch in chinesischer Mode spielen geflochtene Stoffknöpfe eine traditionelle Rolle, etwa beim Cheongsam, einem langen Seidendress mit hohem Kragen. Berühmt wurde das elegante Kleid durch Wong Kar-Weis Kultfilm „In the Mood for Love“. Die Hauptdarstellerin trägt fast in jeder Szene ein anderes Modell, eines schöner als das andere.

Text: Joachim Becker, Anne Goebel; Bilder: Hintergrundbilder: Markus GannimagoMcPHOTO; (1): Privat; (2): Dieter BeseltIMAGOZoonar; (3): xphotographee.euxIMAGODepositphotos; (4): Photology2000imago imagesShotshop; (5): ImagoCFOTO; Digitales Storytelling: Birgit Kruse

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