Kostbarer Stoff
Feiner Glanz
Das Papier hat viele Berufe hervorgebracht, darunter den Luxuspapier-Fabrikanten und die Knallbonbon-Wicklerin. Luxuspapiere wurden ab etwa 1860 beliebt – und lukrativ. Was ließ sich nicht alles aus dem Material herstellen: gestanzte Oblaten, Grußkarten, Sammelbilder, geprägte Goldborten und Zigarrenbinden oder Sarg-Tapeten zum Auskleiden. Und eben Knallbonbons, die beim Aufreißen Überraschungsgeschenke und Gedichte freigaben. Allein in Berlin produzierten 1876 sieben Hersteller diesen Partyspaß; sie beschäftigten Arbeiterinnen, die – oft in ihren Küchen – schlecht bezahlt die Päckchen zusammenrollen mussten. Ein Luxus kann auch das pure, handgeschöpfte Papier selbst sein. In Deutschland startete die erste Papiermühle 1390 bei Nürnberg mit Wasserradantrieb. Bis ins 19. Jahrhundert verwendete man für den Papierbrei Lumpen, die im Wasser faulten – was stank und Dreck machte. Später ersetzten Holzprodukte die Lumpen. Heute verschwindet Papier immer mehr aus dem Alltag und wird gleichzeitig in der Edelvariante wiederentdeckt. Alte Mühlen wie die Paper Foundation im britischen Burneside (im Bild) oder die Papiermanufaktur im fränkischen Homburg fertigen feinste Papiere und bieten Kurse zum Selbermachen.
Eigene Handschrift
Kaum eine künstlerische Technik erzählt so viel über ihre Schöpfer wie die Zeichnung. Hatte der Künstler es eilig und wollte einen flüchtigen Einfall festhalten? Streift der Bleistift der Künstlerin die Unterlage nur vorsichtig oder wird er mit Kraft eingedrückt? Zeichnen lässt sich am einfachsten auf Papier. Es ist leicht zu transportieren und fast überall einsetzbar, sogar auf der Straße kann man das Notizheft zücken und rasch eine Physiognomie oder einen Baum skizzieren. So wurde das Papier in der frühen Neuzeit zum vielleicht wichtigsten Denkstoff für Maler und Bildhauer. In Massen verfügbar aber war es nicht, aus Kostengründen. Weshalb der mitteilungsbedürftige Leonardo da Vinci seine Blätter gern komplett ausfüllte – etwa bei seiner um 1512 entstandenen Studie eines Ungeborenen.
Gedruckte Freiheit
Der moderne Buchdruck, um 1440 von dem Mainzer Johannes Gutenberg erfunden, braucht das Papier. Wer über beides verfügte, Pressen und Papierbögen, konnte seither immensen Einfluss gewinnen. Schon im Jahr 1500 sollen 20 Millionen gedruckte Werke im Umlauf gewesen sein. In der Reformation befeuerten protestantische Flugblätter den Abschied ganzer Landstriche von der römischen Kirche. Das Wissen – und auch die Desinformation – entzogen sich immer mehr der politischen und klerikalen Kontrolle. Nicht einmal in streng katholischen Ländern gelang es der Gegenreformation, ihrer Ansicht nach ketzerische Schriften vollends zu unterdrücken. Und seit dem späten 19. Jahrhundert macht die industrielle, holzbasierte Massenproduktion hohe Auflagen möglich, gerade auch von Zeitungen und Zeitschriften. Die Aktenschränke der Bürokratien wuchsen bis zum Beginn der Digitalisierung stetig. Die Moderne ist eine Epoche des immer hemmungsloseren Papierkonsums. Doch sie wurzelt in einer Zeit, als jedes Blatt kostbar war – wie etwa die mittelalterlichen Handschriften in der großartigen Stiftsbibliothek Sankt Gallen zeigen.
Weiches Licht
Vom Ausweis- bis zum Wertpapier vertraute sich die gesamte Gesellschaft noch bis vor Kurzem dem Papier an, und doch haftet dem Material etwas Leichtes, Fragiles an. Pappkameraden und Pappnasen sind nicht für Standfestigkeit und Weitsicht bekannt, Papiertiger keine ernst zu nehmenden Gegner, und im Kartenhaus wohnt man besser nicht. Wer als Designer von dieser Zartheit fasziniert ist und ausdrücken will, dass zum Glück nichts auf dieser Welt ewig Bestand hat, arbeitet mit Papier. Was in Zeiten von Recycling sowie Platz- und Rohstoffmangel sinnvoll ist. Und Papier lässt sich inzwischen längst so gut behandeln und mit anderen Materialien mischen, dass es robuster ist als sein Ruf. Es gibt Taschen aus Papier, Hocker, Tische und ganze Architekturen. Klassiker, aber nicht minder schön, sind Papiertapeten und Lampen im japanischen Stil wie die Akari-Serie von Isamu Noguchi.
Begehrte Ressource
Deutsche sind begeisterte Papiernutzer, nur China, die USA und Japan haben einen höheren Verbrauch. Doch die inländischen Wälder geben das nicht her, rund 80 Prozent des nötigen Holzes werden importiert, und in Zeiten von Klimakrise und Waldbränden kann Holz nicht mehr als unendlich nachwachsende Ressource gelten. Im Jahr 2022 kam es beim Papier zu massiven Engpässen. Gas, das in der Produktion in großen Mengen gebraucht wird, wurde teurer. Die Nachfrage nach Verpackungsmaterialien hatte auch wegen des in der Corona-Krise gestiegenen Onlinehandels zugenommen. Und dazu kam der Strukturwandel in der Branche: Sie hatte sich in den Vorjahren zu Verpackungen hin orientiert und weg von den hochwertigeren grafischen Papieren, wie sie für Bücher, Zeitungen, Druckerpapier benötigt werden. Nun aber wurden die Kapazitäten bei genau diesen Papieren eng, zumal es auch am dringend nötigen Altpapier aus dem Segment mangelte. Dass Russland und die Ukraine als Rohstofflieferanten ausfallen, macht es nicht besser. Zeitungshäuser müssen Vorräte anlegen, Buchverlage sich auf mehr Unsicherheit in den Lieferketten einstellen. Papier wird wieder das, was es einmal war: kostbar.
Kostbarer Stoff
Feiner Glanz
Das Papier hat viele Berufe hervorgebracht, darunter den Luxuspapier-Fabrikanten und die Knallbonbon-Wicklerin. Luxuspapiere wurden ab etwa 1860 beliebt – und lukrativ. Was ließ sich nicht alles aus dem Material herstellen: gestanzte Oblaten, Grußkarten, Sammelbilder, geprägte Goldborten und Zigarrenbinden oder Sarg-Tapeten zum Auskleiden. Und eben Knallbonbons, die beim Aufreißen Überraschungsgeschenke und Gedichte freigaben. Allein in Berlin produzierten 1876 sieben Hersteller diesen Partyspaß; sie beschäftigten Arbeiterinnen, die – oft in ihren Küchen – schlecht bezahlt die Päckchen zusammenrollen mussten. Ein Luxus kann auch das pure, handgeschöpfte Papier selbst sein. In Deutschland startete die erste Papiermühle 1390 bei Nürnberg mit Wasserradantrieb. Bis ins 19. Jahrhundert verwendete man für den Papierbrei Lumpen, die im Wasser faulten – was stank und Dreck machte. Später ersetzten Holzprodukte die Lumpen. Heute verschwindet Papier immer mehr aus dem Alltag und wird gleichzeitig in der Edelvariante wiederentdeckt. Alte Mühlen wie die Paper Foundation im britischen Burneside (im Bild) oder die Papiermanufaktur im fränkischen Homburg fertigen feinste Papiere und bieten Kurse zum Selbermachen.
Eigene Handschrift
Kaum eine künstlerische Technik erzählt so viel über ihre Schöpfer wie die Zeichnung. Hatte der Künstler es eilig und wollte einen flüchtigen Einfall festhalten? Streift der Bleistift der Künstlerin die Unterlage nur vorsichtig oder wird er mit Kraft eingedrückt? Zeichnen lässt sich am einfachsten auf Papier. Es ist leicht zu transportieren und fast überall einsetzbar, sogar auf der Straße kann man das Notizheft zücken und rasch eine Physiognomie oder einen Baum skizzieren. So wurde das Papier in der frühen Neuzeit zum vielleicht wichtigsten Denkstoff für Maler und Bildhauer. In Massen verfügbar aber war es nicht, aus Kostengründen. Weshalb der mitteilungsbedürftige Leonardo da Vinci seine Blätter gern komplett ausfüllte – etwa bei seiner um 1512 entstandenen Studie eines Ungeborenen.
Gedruckte Freiheit
Der moderne Buchdruck, um 1440 von dem Mainzer Johannes Gutenberg erfunden, braucht das Papier. Wer über beides verfügte, Pressen und Papierbögen, konnte seither immensen Einfluss gewinnen. Schon im Jahr 1500 sollen 20 Millionen gedruckte Werke im Umlauf gewesen sein. In der Reformation befeuerten protestantische Flugblätter den Abschied ganzer Landstriche von der römischen Kirche. Das Wissen – und auch die Desinformation – entzogen sich immer mehr der politischen und klerikalen Kontrolle. Nicht einmal in streng katholischen Ländern gelang es der Gegenreformation, ihrer Ansicht nach ketzerische Schriften vollends zu unterdrücken. Und seit dem späten 19. Jahrhundert macht die industrielle, holzbasierte Massenproduktion hohe Auflagen möglich, gerade auch von Zeitungen und Zeitschriften. Die Aktenschränke der Bürokratien wuchsen bis zum Beginn der Digitalisierung stetig. Die Moderne ist eine Epoche des immer hemmungsloseren Papierkonsums. Doch sie wurzelt in einer Zeit, als jedes Blatt kostbar war – wie etwa die mittelalterlichen Handschriften in der großartigen Stiftsbibliothek Sankt Gallen zeigen.
Weiches Licht
Vom Ausweis- bis zum Wertpapier vertraute sich die gesamte Gesellschaft noch bis vor Kurzem dem Papier an, und doch haftet dem Material etwas Leichtes, Fragiles an. Pappkameraden und Pappnasen sind nicht für Standfestigkeit und Weitsicht bekannt, Papiertiger keine ernst zu nehmenden Gegner, und im Kartenhaus wohnt man besser nicht. Wer als Designer von dieser Zartheit fasziniert ist und ausdrücken will, dass zum Glück nichts auf dieser Welt ewig Bestand hat, arbeitet mit Papier. Was in Zeiten von Recycling sowie Platz- und Rohstoffmangel sinnvoll ist. Und Papier lässt sich inzwischen längst so gut behandeln und mit anderen Materialien mischen, dass es robuster ist als sein Ruf. Es gibt Taschen aus Papier, Hocker, Tische und ganze Architekturen. Klassiker, aber nicht minder schön, sind Papiertapeten und Lampen im japanischen Stil wie die Akari-Serie von Isamu Noguchi.
Begehrte Ressource
Deutsche sind begeisterte Papiernutzer, nur China, die USA und Japan haben einen höheren Verbrauch. Doch die inländischen Wälder geben das nicht her, rund 80 Prozent des nötigen Holzes werden importiert, und in Zeiten von Klimakrise und Waldbränden kann Holz nicht mehr als unendlich nachwachsende Ressource gelten. Im Jahr 2022 kam es beim Papier zu massiven Engpässen. Gas, das in der Produktion in großen Mengen gebraucht wird, wurde teurer. Die Nachfrage nach Verpackungsmaterialien hatte auch wegen des in der Corona-Krise gestiegenen Onlinehandels zugenommen. Und dazu kam der Strukturwandel in der Branche: Sie hatte sich in den Vorjahren zu Verpackungen hin orientiert und weg von den hochwertigeren grafischen Papieren, wie sie für Bücher, Zeitungen, Druckerpapier benötigt werden. Nun aber wurden die Kapazitäten bei genau diesen Papieren eng, zumal es auch am dringend nötigen Altpapier aus dem Segment mangelte. Dass Russland und die Ukraine als Rohstofflieferanten ausfallen, macht es nicht besser. Zeitungshäuser müssen Vorräte anlegen, Buchverlage sich auf mehr Unsicherheit in den Lieferketten einstellen. Papier wird wieder das, was es einmal war: kostbar.