Ein Traum in Rosa: In der Bonner Altstadt posieren nicht nur Influencer unter den blühenden Kirschbäumen für Fotos.
Von April bis Mai zeigen Sauerkirschen ihre weißen Blüten. Sie blühen etwas später als Süßkirschen. Die Früchte der japanischen Zierkirschen sind essbar, aber selten genießbar.
Designklassiker fürs Kinderzimmer: der Elephant von Ray und Charles Eames aus amerikanischem Kirschbaum.
Im Film „Kirschblüten Hanami“ zeigt die Butoh-Tänzerin Yu (Aya Irizuki) Rudi (Elmar Wepper), wie er mit seiner Frau auch über ihren Tod hinaus kommunizieren kann.
Frühling im Glas: Crème brûlée mit Kirschwasser und Kirschblüten.

Blüte des Lebens

Wenn die Kirschbäume blühen, ist der Frühling wirklich da. In Japan feiern die Menschen traditionell das Kirschblütenfest, Kunst und Küche inspiriert die Frucht der Liebe gleichermaßen.

14. April 2023

Rosa Wolken

Im Frühjahr veröffentlicht der staatliche Wetterdienst in Japan nicht nur, wie kalt es wird, er prognostiziert auch den Verlauf der Kirschblütenfront. So weiß man, dass Kumamoto im Südwesten am 25. März in voller Blüte stand und der Höhepunkt in Sapporo im Nordosten für den 21. April erwartet wird, zwei Wochen früher als üblich. Die Kirschblüte (Sakura) ist ein wichtiges Symbol in der japanischen Kultur, sie steht für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Hanami („Blüten betrachten“) bezeichnet dabei die Tradition, die blühenden Bäume mit einem Picknick unter denselben zu feiern. Hamburg huldigt dem Naturspektakel ebenfalls, Berlin und Düsseldorf. Als eine der prächtigsten Kirschblüten hierzulande gilt die in Bonn. Dort steuert die Japanische Nelkenkirsche „Kanzan“ gerade auf das Finale zu.

Mythische Pracht

Die Kirsche ist ein mythischer Baum. In vielen Legenden, in Asien wie in Europa, ist er Wohnstatt von Waldgeistern, die bei Vollmond um den Stamm tanzen. In manchen Ländern wird das erste Badewasser eines Neugeborenen an einen Kirschbaum geschüttet, damit das Kind schön werde. Viele der Erzählungen gehen auf die alten Griechen zurück. Dort waren die Kirschbäume heilig und wurden Artemis geweiht, der Göttin der Jagd, die, wie der Kirschbaum, auch für den Zyklus von Leben und Tod steht. Jedes Jahr beginnt er sichtbar mit der Blüte, die je nach Breitengrad und Sorte von März bis Mai Parks und Gärten in rosa und weiße Wolken hüllt. Die Kirsche (Prunus) gehört zur Familie der Rosengewächse. Am verbreitetsten sind die Zuchtformen der Vogelkirsche (Prunus avium) wie Süßkirsche oder Herzkirsche und die etwas später blühende Sauerkirsche (Prunus cerasus), hier in der Illustration. Die meisten Sauerkirschen sind Schattenmorellen. Die größte Farbenpracht beschert die Japanische Blütenkirsche (Prunus serrulata), die als Zierkirsche üppiger blüht als ihre verwandten Obstbäume. In Japan ist jeder zweite Laubbaum in der Stadt eine Zierkirsche, deren Früchte selten genießbar sind. Nach ein bis zwei Wochen ist der Zauber vorbei, dann regnen die Blüten auf Straßen und Parks nieder. Genau diese Vergänglichkeit macht die Kirschblüte so reizvoll.

Edles Holz

Kirschholz ist eine Diva. Für draußen ist es nichts, drinnen aber, als Werkstoff für Vertäfelungen und Möbel zeigt es seine elegante Seite. Die erste Blütezeit hatte es in der Zeit Louis XVI., später dann im Biedermeier und Jugendstil. In Salons wurde vor allem seine warme Farbe geschätzt, die sich durch Lichteinfluss verstärkt und zuweilen Mahagoni ähnelt. Das Holz stammt in der Regel von der Vogelkirsche, der Urform der kultivierten Süßkirschen. Seine fein linierte, teils geflammte Maserung ist auch heute noch gefragt, etwa bei der Neuauflage des Kinderhockers Elephant von Ray und Charles Eames von 1945.

Guter Stoff

Damien Hirst hat Tierkadaver in Formaldehyd eingelegt und den Abdruck eines menschlichen Schädels mit Diamanten verziert. Die größte Irritation löste der britische Künstler aber aus, als er 2021 zart getupfte Kirschblütengemälde ausstellte. War das ernst gemeint? Oder ironisch? Hirst trug bei der Vernissage der „Cherry Blossoms“ einen rosafarbenen Anzug und sagte, dass beide Interpretationen richtig seien. Die Kirsche inspiriert die Kunst, die Literatur, den Film. Die Frucht steht für Liebe und Schönheit, die Blüte für Reinheit und Neubeginn. Tizian malte die „Kirschenmadonna“ um 1516, auf dem Gemälde reicht Jesus als Baby Maria das Obst, Édouard Manet malte 1859 „Knabe mit Kirschen“. Der Junge auf dem Bild war sein Gehilfe in Paris, kurz nachdem es fertig war, erhängte sich das Kind aus unbekannten Gründen im Atelier. Anton Tschechow schrieb 1903 den „Kirschgarten“, der die vorgeblich gute alte Zeit kritisiert. In Doris Dörries’ Film „Kirschblüten – Hanami“ von 2008 reist Elmar Wepper als Rudi zur Kirschblüte nach Japan, ins Sehnsuchtsland seiner gerade gestorbenen Frau, und folgt ihr dort mit dem Leben versöhnt in den Tod nach.

Feine Speisen

Der Legende nach entdeckte der römische Feldherr Lukullus im Jahr 62 vor Christus Kirschbäume in Kerasos am Schwarzen Meer, heute heißt die Stadt Giresun und liegt in der Türkei. Die Bezeichnung der Frucht stammt in vielen Sprachen von Kerasos ab: Auf Spanisch heißt sie „cereza“, auf Französisch „cerise“, auf Türkisch „kiraz“. Angetan vom süßen Geschmack der Früchte nahm der römische Feinschmecker einige der Bäumchen mit und züchtete sie zu Hause weiter, von wo aus das Obst mit den Feldzügen der Römer die Küchen Europas eroberte. In Desserts sind Kirschen und dunkle Schokolade ideale Partner, die Süße der Früchte pariert wunderbar das Zartbittere. Aus dem französischen Limousin stammt das berühmte Clafoutis, eine Art Auflauf, der klassisch mit schwarzen Kirschen zubereitet wird. In der arabischen, griechischen und türkischen Küche würzt Mahlab Brot und Süßspeisen bitter-fruchtig, das Gewürz stammt aus den Fruchtkernen der Steinweichsel. Eine Köstlichkeit sind in Japan in Salz eingelegte Kirschblüten, die als Zutat für Gebäck, Reis und den traditionellen Hochzeitstee verwendet werden.

Blüte des Lebens

Wenn die Kirschbäume blühen, ist der Frühling wirklich da. In Japan feiern die Menschen traditionell das Kirschblütenfest, Kunst und Küche inspiriert die Frucht der Liebe gleichermaßen.

Ein Traum in Rosa: In der Bonner Altstadt posieren nicht nur Influencer unter den blühenden Kirschbäumen für Fotos.
Ein Traum in Rosa: In der Bonner Altstadt posieren nicht nur Influencer unter den blühenden Kirschbäumen für Fotos.

Rosa Wolken

Im Frühjahr veröffentlicht der staatliche Wetterdienst in Japan nicht nur, wie kalt es wird, er prognostiziert auch den Verlauf der Kirschblütenfront. So weiß man, dass Kumamoto im Südwesten am 25. März in voller Blüte stand und der Höhepunkt in Sapporo im Nordosten für den 21. April erwartet wird, zwei Wochen früher als üblich. Die Kirschblüte (Sakura) ist ein wichtiges Symbol in der japanischen Kultur, sie steht für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit. Hanami („Blüten betrachten“) bezeichnet dabei die Tradition, die blühenden Bäume mit einem Picknick unter denselben zu feiern. Hamburg huldigt dem Naturspektakel ebenfalls, Berlin und Düsseldorf. Als eine der prächtigsten Kirschblüten hierzulande gilt die in Bonn. Dort steuert die Japanische Nelkenkirsche „Kanzan“ gerade auf das Finale zu.

Von April bis Mai zeigen Sauerkirschen ihre weißen Blüten. Sie blühen etwas später als Süßkirschen. Die Früchte der japanischen Zierkirschen sind essbar, aber selten genießbar.
Von April bis Mai zeigen Sauerkirschen ihre weißen Blüten. Sie blühen etwas später als Süßkirschen. Die Früchte der japanischen Zierkirschen sind essbar, aber selten genießbar.

Mythische Pracht

Die Kirsche ist ein mythischer Baum. In vielen Legenden, in Asien wie in Europa, ist er Wohnstatt von Waldgeistern, die bei Vollmond um den Stamm tanzen. In manchen Ländern wird das erste Badewasser eines Neugeborenen an einen Kirschbaum geschüttet, damit das Kind schön werde. Viele der Erzählungen gehen auf die alten Griechen zurück. Dort waren die Kirschbäume heilig und wurden Artemis geweiht, der Göttin der Jagd, die, wie der Kirschbaum, auch für den Zyklus von Leben und Tod steht. Jedes Jahr beginnt er sichtbar mit der Blüte, die je nach Breitengrad und Sorte von März bis Mai Parks und Gärten in rosa und weiße Wolken hüllt. Die Kirsche (Prunus) gehört zur Familie der Rosengewächse. Am verbreitetsten sind die Zuchtformen der Vogelkirsche (Prunus avium) wie Süßkirsche oder Herzkirsche und die etwas später blühende Sauerkirsche (Prunus cerasus), hier in der Illustration. Die meisten Sauerkirschen sind Schattenmorellen. Die größte Farbenpracht beschert die Japanische Blütenkirsche (Prunus serrulata), die als Zierkirsche üppiger blüht als ihre verwandten Obstbäume. In Japan ist jeder zweite Laubbaum in der Stadt eine Zierkirsche, deren Früchte selten genießbar sind. Nach ein bis zwei Wochen ist der Zauber vorbei, dann regnen die Blüten auf Straßen und Parks nieder. Genau diese Vergänglichkeit macht die Kirschblüte so reizvoll.

Designklassiker fürs Kinderzimmer: der Elephant von Ray und Charles Eames aus amerikanischem Kirschbaum.
Designklassiker fürs Kinderzimmer: der Elephant von Ray und Charles Eames aus amerikanischem Kirschbaum.

Edles Holz

Kirschholz ist eine Diva. Für draußen ist es nichts, drinnen aber, als Werkstoff für Vertäfelungen und Möbel zeigt es seine elegante Seite. Die erste Blütezeit hatte es in der Zeit Louis XVI., später dann im Biedermeier und Jugendstil. In Salons wurde vor allem seine warme Farbe geschätzt, die sich durch Lichteinfluss verstärkt und zuweilen Mahagoni ähnelt. Das Holz stammt in der Regel von der Vogelkirsche, der Urform der kultivierten Süßkirschen. Seine fein linierte, teils geflammte Maserung ist auch heute noch gefragt, etwa bei der Neuauflage des Kinderhockers Elephant von Ray und Charles Eames von 1945.

Im Film „Kirschblüten Hanami“ zeigt die Butoh-Tänzerin Yu (Aya Irizuki) Rudi (Elmar Wepper), wie er mit seiner Frau auch über ihren Tod hinaus kommunizieren kann.
Im Film „Kirschblüten Hanami“ zeigt die Butoh-Tänzerin Yu (Aya Irizuki) Rudi (Elmar Wepper), wie er mit seiner Frau auch über ihren Tod hinaus kommunizieren kann.

Guter Stoff

Damien Hirst hat Tierkadaver in Formaldehyd eingelegt und den Abdruck eines menschlichen Schädels mit Diamanten verziert. Die größte Irritation löste der britische Künstler aber aus, als er 2021 zart getupfte Kirschblütengemälde ausstellte. War das ernst gemeint? Oder ironisch? Hirst trug bei der Vernissage der „Cherry Blossoms“ einen rosafarbenen Anzug und sagte, dass beide Interpretationen richtig seien. Die Kirsche inspiriert die Kunst, die Literatur, den Film. Die Frucht steht für Liebe und Schönheit, die Blüte für Reinheit und Neubeginn. Tizian malte die „Kirschenmadonna“ um 1516, auf dem Gemälde reicht Jesus als Baby Maria das Obst, Édouard Manet malte 1859 „Knabe mit Kirschen“. Der Junge auf dem Bild war sein Gehilfe in Paris, kurz nachdem es fertig war, erhängte sich das Kind aus unbekannten Gründen im Atelier. Anton Tschechow schrieb 1903 den „Kirschgarten“, der die vorgeblich gute alte Zeit kritisiert. In Doris Dörries’ Film „Kirschblüten – Hanami“ von 2008 reist Elmar Wepper als Rudi zur Kirschblüte nach Japan, ins Sehnsuchtsland seiner gerade gestorbenen Frau, und folgt ihr dort mit dem Leben versöhnt in den Tod nach.

Frühling im Glas: Crème brûlée mit Kirschwasser und Kirschblüten.
Frühling im Glas: Crème brûlée mit Kirschwasser und Kirschblüten.

Feine Speisen

Der Legende nach entdeckte der römische Feldherr Lukullus im Jahr 62 vor Christus Kirschbäume in Kerasos am Schwarzen Meer, heute heißt die Stadt Giresun und liegt in der Türkei. Die Bezeichnung der Frucht stammt in vielen Sprachen von Kerasos ab: Auf Spanisch heißt sie „cereza“, auf Französisch „cerise“, auf Türkisch „kiraz“. Angetan vom süßen Geschmack der Früchte nahm der römische Feinschmecker einige der Bäumchen mit und züchtete sie zu Hause weiter, von wo aus das Obst mit den Feldzügen der Römer die Küchen Europas eroberte. In Desserts sind Kirschen und dunkle Schokolade ideale Partner, die Süße der Früchte pariert wunderbar das Zartbittere. Aus dem französischen Limousin stammt das berühmte Clafoutis, eine Art Auflauf, der klassisch mit schwarzen Kirschen zubereitet wird. In der arabischen, griechischen und türkischen Küche würzt Mahlab Brot und Süßspeisen bitter-fruchtig, das Gewürz stammt aus den Fruchtkernen der Steinweichsel. Eine Köstlichkeit sind in Japan in Salz eingelegte Kirschblüten, die als Zutat für Gebäck, Reis und den traditionellen Hochzeitstee verwendet werden.

Team
Text Claudia Fromme
Digitales Storytelling Lisa Hingerl
Digitales Design Christian Tönsmann, Lisa Hingerl
Bildredaktion Julia Hecht