Klare Richtung
Man muss weder König noch Popstar sein, damit einem die Welt zu Füßen liegt. Es genügt, eine Landkarte vor sich auszubreiten. Und das Gebiet, das sie darstellt, mit den Augen zu erobern. Dabei dem Finger folgend, der forschend über die Karte fährt.
Einen solchen Plan auf Papier zu betrachten – welchen Ausschnitt der Welt auch immer er darstellt –, ist etwas vollkommen anderes, als auf ein Display zu blicken. Zwar kommt man mit digitalen Navigationsdiensten längst verlässlich sowohl nach Halbhusten bei Gummersbach als auch auf einen beliebigen Gipfel in den Alpen.
Entlegenes Gebiet
Wenn Kartografen früherer Jahrhunderte nicht mehr weiterwussten, weil über entlegene Regionen kaum etwas bekannt war, schrieben sie gelegentlich „Hic sunt leones“ oder „Hic sunt dracones“ auf ihre Karten und malten noch irgendwelche schrecklichen Löwen- oder Drachenfiguren daneben. Eine Land- oder Seekarte war eben seit jeher auch dort eine Orientierungshilfe, wo sie keine verlässliche Auskünfte geben konnte über Küstenlinien oder Siedlungen: Bis hierher und nicht weiter! Andererseits war das ja der Ehrgeiz: Diese Linie, hinter der nichts Verbürgtes mehr kommt, immer weiter zu verschieben. Zwangsläufig ist die Geschichte der Kartografie also auch eine der Irrtümer, zudem der Ideengeschichten und Ideologien.
Gerardus Mercator hat Ende des 16. Jahrhunderts die erste Karte gestaltet, auf der der Nordpol im Mittelpunkt stand – als gigantischer magnetischer Felsen, umgeben von vier Ländern, die getrennt wurden von vier mächtigen Strömen, durch die das Wasser des Nordmeeres ins Erdinnere rauschte. Es gibt Karten, die Kalifornien als Insel zeigen und in Afrika ein nicht existierendes Gebirge ausweisen, die Kong-Berge. Im 18. Jahrhundert schwor der schottische Afrikareisende Mungo Park Stein auf Bein, sie gesehen zu haben. Und dann gibt es natürlich noch all die Karten, die keinen Hehl daraus machen, erfundene Welten darzustellen: Mittelerde aus Tolkiens „Herr der Ringe“ etwa oder der fiktive Kontinent Westeros aus „Game Of Thrones“.
Magische Linien
Karten wohnt eine große ästhetische Schönheit inne. Insofern erfüllen sie nicht nur informative, sondern auch dekorative Zwecke. Lange Zeit gehörte in jedes bildungsbürgerliche Bibliothekszimmer ein Globus. Heute gibt es Lampenschirme, Sofabezüge und Wandfliesen mit See- oder Landkartenmotiven oder Papeterie-Artikel wie Briefumschläge aus ausrangierten Atlas-Seiten.
Geheime Orte
Nicht immer sollen Karten etwas offenbaren. Manchmal besteht ihre Aufgabe auch darin, die Dinge zu verrätseln und nur Eingeweihten zu enthüllen. Die Karte des Rumtreibers aus den Harry-Potter-Geschichten etwa ist nur denen von Nutzen, die die Zaubersprüche kennen, um sie zu aktivieren.
Und wer hat nicht als Kind Schatzkarten gezeichnet, womöglich inspiriert durch Robert Louis Stevensons Abenteuer-Roman „Die Schatzinsel“ oder die „Indiana Jones“-Filme, bei denen es ja gerade darum geht, dass nicht jeder den Schatz findet? Wobei das mit der Kunst des Entzifferns ohnehin so eine Sache ist: Manchen Menschen ist auch eine Straßenkarte nicht mehr als ein Ornament.