Esskultur

To go? Aber mit Stil!

Bento-Boxen für den Imbiss unterwegs sind praktisch, im Westen ein Lifestyle-Accessoire – aber im Ursprungsland Japan nicht weniger als: Kunstwerke zum Essen. Eine kulinarische Zugfahrt.

Von Thomas Hahn (Text) und Julia Schubert (Infografik)
7. Oktober 2022 - 5 Min. Lesezeit

Die Abgeschiedenheit von Kushiro im Osten der Nordinsel Hokkaido ist derart spektakulär, dass sie schon in vielen japanischen Schlagern besungen wurde. Die Hafenstadt liegt am Rande eines riesigen Sumpfgebiets. Man kommt hier nicht leicht hin, im Grunde müsste man die seltene Gunst ausnutzen und zum Wandern bleiben. Geht nicht. Aber zumindest kann man Geschmack und Farben der Gegend auf die Zugfahrt mitnehmen. Am Bahnhof gibt es ein reiches Angebot an Bento-Boxen. In den Auslagen leuchten die Rottöne der örtlichen Delikatessen. Lachs, Lachskaviar, Krabben. Die Rückreise nach Tokio fängt gut an.

Die Bento-Box ist ein Schatz des japanischen Alltags, ein kleiner Schaukasten in die reiche Esskultur des Landes und ein Zeugnis für den Respekt vor Geschmack und Schönheit von Lebensmitteln. Vielen Japanerinnen und Japanern fällt das schon gar nicht mehr auf, so normal ist das mit Sorgfalt angerichtete Lunchpaket aus heimischen Spezialitäten für sie. Bento heißt zunächst einmal ja auch nicht viel mehr als „Imbiss zum Mitnehmen“. Das Wort kann den Apfel für zwischendurch bezeichnen oder ein Sandwich, das es in jedem anderen Land auch geben könnte. Aber vor allem wenn man in Japan viel mit dem Zug unterwegs ist, erweist sich die Bento-Box als eine Begleiterin, die weit über den profanen Proviant hinausweist. Sie ist Kulturträgerin, Kunstwerk, Genuss. Ein verlässlicher Lichtblick im nicht immer nur wunderbaren Inselstaat.

Eine Bento-Box, die man am Bahnhof für die Zugfahrt kauft, heißt Ekiben. „Eki“ bedeutet auf Japanisch Bahnhof, „ben“ ist die Abkürzung für Bento. Natürlich kann auch der Bahnhofsimbiss verschiedene Formen haben – aber am populärsten ist Ekiben als Bento-Box. Wie diese hier, die nun auf dem ausgeklappten Tischchen bereitsteht, während sich der Expresszug aus Kushiros Bahnhof hinaus Richtung Sapporo bewegt. Gewürzte Krabbenflocken an klein geschnittenem Eier-Omelette und Sojasaucen-Reis. In einem Bett aus Hellrot und Gelb leuchten ein paar Scheiben eingelegter Ingwer wie eine kleine Sonne. Stäbchen sind immer in der Box. Dass die achteckige Box aus Styropor ist, stört das Umweltempfinden. Der Inhalt ist ästhetisch und geschmacklich überdurchschnittlich gut für einen To-go-Imbiss.

Ekiben ist fast so alt wie die japanische Eisenbahn selbst. 1872 waren die ersten Schienenverbindungen fertig. Die Idee, an den neuen Bahnhöfen Reisezehrung zu verkaufen, lag nahe. „Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung von Ekiben“, sagt Nobuhiro Matsuhashi, Büroleiter des Zentralverbandes für Bahnhofsgeschäfte, sozusagen der Ekiben-Vermarkter vom Dienst. „Aber die vertrauenswürdigste ist, dass es zum ersten Mal 1885 in Utsunomiya verkauft wurde.“ Zwei Onigiri, also zwei Reisbälle, mit Takuan, eingelegtem Rettich, auf Bambus-Rinde – das soll das Ur-Ekiben gewesen sein. In der Zentrale des Zentralverbandes in Tokio-Akihabara steht eine Skulptur dieses Gerichts in einer Vitrine.

Die Ekiben haben schon bessere Zeiten gesehen. Als die Eisenbahn noch ein schwerfälliges Verkehrsmittel mit wenig Konkurrenz war, gab es mehr Bedarf an Reiseproviant. Ekiben-Händler verkauften ihre Ware vom Bahnsteig aus an den Fenstern der wartenden Züge. Aber schon in den 1960ern kam der Shinkansen, Japans futuristischer Superschnellzug. Dessen Fenster kann man nicht öffnen. Außerdem sind die Fahrzeiten mit ihm kürzer geworden. Flugzeuge und Autobahnen haben die Ekiben-Kultur ebenfalls zurückgedrängt. Aber das heißt nicht, dass sie tot ist. Auch der Zugpassagier des 21. Jahrhunderts hat noch Hunger, Zugrestaurants sind selten. In Zeiten der Globalisierung stehen die Zug-Bento-Boxen außerdem mehr denn je für ein Japan, das auch Fremde sofort verstehen und gern haben können. Im Westen sind die praktischen Behälter für unterwegs längst zum Lifestyle-Accessoire geworden, ob man sie nun mit japanischen Snacks befüllt oder mit Dinkelbrot und Salami für die Kindergarten-Pause. Es gibt sie aus spülmaschinenfestem Kunststoff von Mepal in „Nordic Pink“ oder in der Designversion mit Bambus-Deckel von Prada.

Esskultur

To go? Aber mit Stil!

Bento-Boxen für den Imbiss unterwegs sind praktisch, im Westen ein Lifestyle-Accessoire – aber im Ursprungsland Japan nicht weniger als: Kunstwerke zum Essen. Eine kulinarische Zugfahrt.

Die Abgeschiedenheit von Kushiro im Osten der Nordinsel Hokkaido ist derart spektakulär, dass sie schon in vielen japanischen Schlagern besungen wurde. Die Hafenstadt liegt am Rande eines riesigen Sumpfgebiets. Man kommt hier nicht leicht hin, im Grunde müsste man die seltene Gunst ausnutzen und zum Wandern bleiben. Geht nicht. Aber zumindest kann man Geschmack und Farben der Gegend auf die Zugfahrt mitnehmen. Am Bahnhof gibt es ein reiches Angebot an Bento-Boxen. In den Auslagen leuchten die Rottöne der örtlichen Delikatessen. Lachs, Lachskaviar, Krabben. Die Rückreise nach Tokio fängt gut an.

Die Bento-Box ist ein Schatz des japanischen Alltags, ein kleiner Schaukasten in die reiche Esskultur des Landes und ein Zeugnis für den Respekt vor Geschmack und Schönheit von Lebensmitteln. Vielen Japanerinnen und Japanern fällt das schon gar nicht mehr auf, so normal ist das mit Sorgfalt angerichtete Lunchpaket aus heimischen Spezialitäten für sie. Bento heißt zunächst einmal ja auch nicht viel mehr als „Imbiss zum Mitnehmen“. Das Wort kann den Apfel für zwischendurch bezeichnen oder ein Sandwich, das es in jedem anderen Land auch geben könnte. Aber vor allem wenn man in Japan viel mit dem Zug unterwegs ist, erweist sich die Bento-Box als eine Begleiterin, die weit über den profanen Proviant hinausweist. Sie ist Kulturträgerin, Kunstwerk, Genuss. Ein verlässlicher Lichtblick im nicht immer nur wunderbaren Inselstaat.

Eine Bento-Box, die man am Bahnhof für die Zugfahrt kauft, heißt Ekiben. „Eki“ bedeutet auf Japanisch Bahnhof, „ben“ ist die Abkürzung für Bento. Natürlich kann auch der Bahnhofsimbiss verschiedene Formen haben – aber am populärsten ist Ekiben als Bento-Box. Wie diese hier, die nun auf dem ausgeklappten Tischchen bereitsteht, während sich der Expresszug aus Kushiros Bahnhof hinaus Richtung Sapporo bewegt. Gewürzte Krabbenflocken an klein geschnittenem Eier-Omelette und Sojasaucen-Reis. In einem Bett aus Hellrot und Gelb leuchten ein paar Scheiben eingelegter Ingwer wie eine kleine Sonne. Stäbchen sind immer in der Box. Dass die achteckige Box aus Styropor ist, stört das Umweltempfinden. Der Inhalt ist ästhetisch und geschmacklich überdurchschnittlich gut für einen To-go-Imbiss.

Ekiben ist fast so alt wie die japanische Eisenbahn selbst. 1872 waren die ersten Schienenverbindungen fertig. Die Idee, an den neuen Bahnhöfen Reisezehrung zu verkaufen, lag nahe. „Es gibt verschiedene Theorien über den Ursprung von Ekiben“, sagt Nobuhiro Matsuhashi, Büroleiter des Zentralverbandes für Bahnhofsgeschäfte, sozusagen der Ekiben-Vermarkter vom Dienst. „Aber die vertrauenswürdigste ist, dass es zum ersten Mal 1885 in Utsunomiya verkauft wurde.“ Zwei Onigiri, also zwei Reisbälle, mit Takuan, eingelegtem Rettich, auf Bambus-Rinde – das soll das Ur-Ekiben gewesen sein. In der Zentrale des Zentralverbandes in Tokio-Akihabara steht eine Skulptur dieses Gerichts in einer Vitrine.

Die Ekiben haben schon bessere Zeiten gesehen. Als die Eisenbahn noch ein schwerfälliges Verkehrsmittel mit wenig Konkurrenz war, gab es mehr Bedarf an Reiseproviant. Ekiben-Händler verkauften ihre Ware vom Bahnsteig aus an den Fenstern der wartenden Züge. Aber schon in den 1960ern kam der Shinkansen, Japans futuristischer Superschnellzug. Dessen Fenster kann man nicht öffnen. Außerdem sind die Fahrzeiten mit ihm kürzer geworden. Flugzeuge und Autobahnen haben die Ekiben-Kultur ebenfalls zurückgedrängt. Aber das heißt nicht, dass sie tot ist. Auch der Zugpassagier des 21. Jahrhunderts hat noch Hunger, Zugrestaurants sind selten. In Zeiten der Globalisierung stehen die Zug-Bento-Boxen außerdem mehr denn je für ein Japan, das auch Fremde sofort verstehen und gern haben können. Im Westen sind die praktischen Behälter für unterwegs längst zum Lifestyle-Accessoire geworden, ob man sie nun mit japanischen Snacks befüllt oder mit Dinkelbrot und Salami für die Kindergarten-Pause. Es gibt sie aus spülmaschinenfestem Kunststoff von Mepal in „Nordic Pink“ oder in der Designversion mit Bambus-Deckel von Prada.