„Ich bin mein größter Kritiker“

Viele Wintersportler wollen nicht mehr zusehen, wie die Gletscher unter den Brettern wegschmelzen – und setzen ihre Verbände unter Druck.

Einer von ihnen ist Julian Schütter aus Österreich: Profiskifahrer und Klimaaktivist. Wie passt das zusammen?

Von Mona Marko
1. März 2023 - 5 Min. Lesezeit

Es war bei der ersten Abfahrt vor ein paar Wochen in Kitzbühel, als Julian Schütter das erste Mal für Aufmerksamkeit sorgte: Nur 15 Hundertstelsekunden lag der 24 Jahre alte Weltcup-Neuling zwischenzeitlich hinter dem späteren Sieger, seinem österreichischen Kollegen Vincent Kriechmayr.

Was Schütter nicht wissen konnte: Henrik Roa aus Norwegen, der kurz vor ihm gestartet war, lag da bereits verletzt im Zielbereich. Ein Pistenarbeiter musste Schütter abwinken, er konnte seinen vielversprechenden Lauf nicht zu Ende bringen.

Wie es das Reglement vorsieht, erhielt Schütter die Möglichkeit, das Abfahrtsrennen noch einmal zu bestreiten. Ein Helikopter sollte ihn zurück an den Start bringen – ihn, den Klimaaktivisten, der auch im reiseintensiven Weltcup, so oft es geht, die Bahn nimmt.

„Ich bin mein größter Kritiker“

Viele Wintersportler wollen nicht mehr zusehen, wie die Gletscher unter den Brettern wegschmelzen – und setzen ihre Verbände unter Druck.

Einer von ihnen ist Julian Schütter aus Österreich: Profiskifahrer und Klimaaktivist. Wie passt das zusammen?

Es war bei der ersten Abfahrt vor ein paar Wochen in Kitzbühel, als Julian Schütter das erste Mal für Aufmerksamkeit sorgte: Nur 15 Hundertstelsekunden lag der 24 Jahre alte Weltcup-Neuling zwischenzeitlich hinter dem späteren Sieger, seinem österreichischen Kollegen Vincent Kriechmayr.

Was Schütter nicht wissen konnte: Henrik Roa aus Norwegen, der kurz vor ihm gestartet war, lag da bereits verletzt im Zielbereich. Ein Pistenarbeiter musste Schütter abwinken, er konnte seinen vielversprechenden Lauf nicht zu Ende bringen.

Wie es das Reglement vorsieht, erhielt Schütter die Möglichkeit, das Abfahrtsrennen noch einmal zu bestreiten. Ein Helikopter sollte ihn zurück an den Start bringen – ihn, den Klimaaktivisten, der auch im reiseintensiven Weltcup, so oft es geht, die Bahn nimmt.

Er habe gleich gefragt, ob er nicht mit einem Skidoo hochfahren könne, sagte er später, mit einem Schneemobil also. Aus organisatorischen Gründen sei das aber nicht möglich gewesen, hieß es. Also eine Runde Heliskiing.

Kurze Zeit später fuhr Schütter zum zweiten Mal die Streif und belegte Platz 48.

Viele erfuhren erst am selben Abend im ORF-Interview, dass Schütter ein Skirennfahrer ist, der sich für die Umwelt einsetzt.

Für viele ist das ein Widerspruch, denn der Skisport und vor allem die Weltcup-Rennen des Weltverbands Fis sind in Verruf geraten, mit Umweltressourcen verschwenderisch umzugehen. Kritikpunkte unter anderem: künstliche Beschneiung; Langstreckenflüge des Weltcup-Trosses von Europa nach Amerika und zurück; früher Rennsaisonstart in Sölden im Oktober und die dafür nötigen Trainingscamps in Übersee oder auf schwindenden Gletschern im Sommer.

Ein paar Wochen nach Kitzbühel, bei den alpinen Ski-Weltmeisterschaften im Februar im französischen Courchevel: Schütter ist nicht als Rennfahrer angereist – er hat einen Tag nach seinem Doppeleinsatz auf der Streif einen Kreuzbandriss erlitten. Dafür hat er nun Zeit, um einer Sprecherin der Fis seinen Offenen Brief zu übergeben. Zu diesem Zweck sitzt er auf einem Hocker vor einer Traube Journalisten und Fotografen.

420 Athleten haben bisher unterzeichnet, darunter die großen Namen des Skisports

Eine Blasmusik ist im Einsatz, die Gassenhauer spielt. Schütter erzählt mit leiser Stimme von „unserem wichtigsten Rennen“, das man auf keinen Fall verlieren dürfe: das Rennen gegen die Klimaerwärmung. Irgendwann spielte die Band im Hintergrund „Imagine“ von John Lennon.

In dem Schreiben fordert Schütter Klimaschutzmaßnahmen von der Fis: Der Verband soll eine Abteilung für Nachhaltigkeitsthemen etablieren, Klimaneutralität bis 2035 anpeilen, die CO2-Emissionen bei seinen Unternehmungen halbieren und dabei völlig transparent vorgehen. Bisher sei die Fis davon noch weit entfernt, das sieht nicht nur Schütter so: „Der Skirennsport wird zur Zeit zerstörerisch betrieben. Ich möchte das ändern“, sagt er.

Bisher haben über 420 Athletinnen und Athleten sein Schreiben unterzeichnet: Aktive aus den Bereichen Ski alpin, Ski nordisch, Freeski, Freestyle und Snowboard.

Unter ihnen Mikaela Shiffrin, die beste Alpinfahrerin der Gegenwart...

... der Norweger Aleksander Aamodt Kilde... 

... und mehr als dreißig deutsche Athleten wie etwa Thomas Dreßen (Ski Alpin) ...

... und Sabrina Cakmakli (Freestyle).

Unter ihnen Mikaela Shiffrin, die beste Alpinfahrerin der Gegenwart...

... der Norweger Aleksander Aamodt Kilde... 

... und mehr als dreißig deutsche Athleten wie etwa Thomas Dreßen (Ski Alpin) ...

... und Sabrina Cakmakli (Freestyle).

Als Shiffrin bei der WM zu ihrer Unterstützung gefragt wird, sagt sie: „Es verlangt niemand von der Fis, dass sie den Klimawandel stoppt. Aber es sollten endlich Strategien umgesetzt werden, mit denen man Teil der Lösung ist.“

In einer ersten Reaktion der Fis heißt es, dass Nachhaltigkeit „eine Priorität“ und der Ski-Weltverband durch ein Regenwaldprojekt ohnehin schon ein klimapositiver Sportverband sei. Schütter äußerte sich dazu in Courchevel: Die Fis, sagt er, liefere dafür „keine Evidenz oder keine Daten, anhand denen man das überprüfen könnte“.

Die Fis, das sagen auch andere Umweltaktivisten, betreibe Schadensbegrenzung, statt das eigentliche Problem zu lösen

Auch die Regenwaldprojekte, sagt Schütter, seien umstritten. Die Fis kümmere sich bisher nicht genug darum, den Weltcup klimaschonender zu gestalten, sondern versuche lediglich, das ausgestoßene CO2 im Nachhinein wiedergutzumachen – indem der Verband etwa in Projekte investiert, die den Regenwald schützen sollen. 

Die Fis, das sagen auch andere Umweltaktivisten, betreibe Schadensbegrenzung, statt das eigentliche Problem zu lösen. Als Greenwashing bezeichnet man solche Bemühungen von Unternehmen, die versuchen, sich ein umweltschonendes Image zu verschaffen.

Die Forderungen der Athleten per Petition werden zu einem Zeitpunkt laut, an dem die Stimmung rund um die Fis ohnehin angespannt ist. Dieser Tage lassen sich viele Kritiker des Fis-Präsidenten Johan Eliasch finden.

Eliasch, ein schwedisch-britischer Geschäftsmann und Milliardär, will den Weltcup noch globaler, kommerzieller, größer aufziehen.

Pläne, die sich mit der angeblichen Nachhaltigkeit nur schwer vereinen lassen.

Eliasch, ein schwedisch-britischer Geschäftsmann und Milliardär, will den Weltcup noch globaler, kommerzieller, größer aufziehen.

Pläne, die sich mit der angeblichen Nachhaltigkeit nur schwer vereinen lassen.

Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass sich deshalb so viele Unterstützer für Schütters Anliegen finden ließen, weil nicht wenige von ihnen Eliasch eins auswischen wollen. „Das soll mir recht sein“, sagt Schütter, dann lacht er. Generell lacht er viel, wenn er über die vergangenen Wochen spricht. 

Er nimmt es mit Humor, wenn er in den Kommentarspalten im Internet als „Umweltterrorist“ beschimpft wird, er übernimmt die Bezeichnung vorübergehend sogar in seiner Instagram-Biografie. „Ich freue mich über viele emotionale Kommentare“, sagt er: „So weiß ich, dass das, was ich tue und sage, einen Nerv trifft.“

„Ich hab mich dann schon oft gefragt: Ist das, was ich mache, zeitgemäß?“

Schütter ist im Wintersportort Schladming geboren und auf Skiern aufgewachsen: Ski-Akademie, Landes- und Nationalkader, Europacups, in der laufenden Saison dann erste Weltcup-Einsätze und -punkte. Doch zwischen Abfahrtsrennen und Kraftraumeinheiten, zwischen Physiotherapie und Mentaltraining blickt Schütter auch über den Tellerrand – oder den nächstgelegenen Berggipfel. 

Er sieht Gletscher schmelzen und beschäftigt sich mit seinem CO2-Fußabdruck: „Ich hab mich dann schon oft gefragt: Ist das, was ich mache, zeitgemäß?“

Um sein Gewissen zu erleichtern, engagiert er sich fortan bei der Nichtregierungsorganisation Protect Our Winters (POW), hilft Großdemos zu planen, ernährt sich vegetarisch und fährt, so oft es geht, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln – von Training zu Training und von Rennen zu Rennen. Auch nach Kitzbühel fährt er mit dem Zug.

Schütter ist so zum Klimaaktivist auf zwei Brettern geworden. Schütter versteht, wenn das für viele ein Widerspruch ist: „Ich bin mein größter Kritiker. Mit allen Kritikpunkten, mit denen mir andere begegnen, habe ich mich selbst schon zig Mal konfrontiert“, sagt er. 

In den kommenden Jahren möchte er trotzdem im Weltcup Erfolge feiern – und nebenbei überlegen, wie er seinen Sport weiter verändern kann.

Team
Text Mona Marko
Digitales Storytelling Korbinian Eisenberger
Titel- und Teaserfoto Eibner Expa Groder via Imago
Bearbeitung Titelfoto Stefan Dimitrov