Tennis

Am Ende der Ewigkeit

Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic dominieren auf fast schon absurde Weise. Doch wie lange noch? 

Von Thomas Gröbner, Sören Müller-Hansen und Lisa Sonnabend

Die schlechte Nachricht: Sie sind immer noch da. Die gute Nachricht: Sie sind immer noch da. 

Jene, die in der Ära von Roger Federer, Rafael Nadal und Novak Djokovic geboren sind, können sich kaum an andere Sieger erinnern. Die Eleganz von Federer, das kraftvolle Spiel von Nadal oder die zermürbenden Schläge von Djokovic, ihre Duelle schufen große Momente. Für die Zuschauer kann das Glück sein. Für junge Tennisspieler, die ganz nach oben wollen, ist das vor allem Pech. Ihnen stehen die wohl größten Tennisspieler im Weg. 

Als "die großen Drei" werden Federer, Nadal und Djokovic oft bezeichnet, eine Art Dreifaltigkeit im Tennis, die ihren Sport dominiert haben wie niemand zuvor. 

Nicht Jimmy Connors, Björn Borg und John McEnroe, die zusammen 547 Wochen an der Spitze standen. Nicht Mats Wilander, Ivan Lendl, Boris Becker und Stefan Edberg, die 374 Wochen die Weltrangliste anführten. Pete Sampras, Jim Courier und Andre Agassi? 445 Wochen. 792 Wochen führen Federer, Nadal und Djokovic die Tenniselite an. Das sind mehr als 15 Jahre. Im Sport eine Ewigkeit.

Bei den Australian Open, dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, treten der 33-jährige Nadal, der 32-jährige Djokovic und der 38-jährige Federer an - als die Nummer eins, zwei und drei. Natürlich.

Einzig Andy Murray konnte einmal eine Schwächephase nutzen, als Verletzungen und mentale Krisen die Dominanz brüchig werden ließen. 41 Wochen lang dauerte dieser Ausnahmezustand. So mancher Abgesang erschien da bereits über die großen Drei, doch zurück kamen sie stets dominant wie zuvor. In 792 der vergangenen 833 Wochen hieß der Weltranglistenerste entweder Federer, Nadal oder Djokovic.

Bei Federer dauerte es Jahre, bis er der beste Spieler der Welt wurde. Sein erstes Match verlor der 16-jährige Schweizer 1998 in Gstaad gegen Lucas Arnold Ker, ein Jahr später zählte er zu den 100 besten Spielern der Welt, im Jahr 2000 erreichte er zum ersten Mal ein Finale. Federer trug die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden, als er vor 16 Jahren gegen Marat Safin die Australian Open gewann und am 2. Februar 2004 zur Nummer eins in der Weltrangliste aufstieg. Er löste Andy Roddick ab und blieb von da an 237 Wochen lang ohne Unterbrechung ganz oben - so lange wie kein anderer Spieler in der Geschichte des Tennis. Insgesamt stand er 310 Wochen an der Spitze - auch das ist Rekord.

Während Federer die Spitze der Tenniswelt erklomm, stürmte ein junger Mann in die Top 100, und schnell bedrängte er auch Federer: Rafael Nadal. Doch es dauerte bis 2008, bis er ihn verdrängen konnte. Ausgerechnet in Wimbledon schlug Nadal den Schweizer, es war einer der härtesten Niederlagen in seiner Karriere. "Die Niederlage machte mich in den Augen der Leute menschlicher", sagte Federer im Blick zurück. Aus dem großen Dominator wurden die großen Zwei. 

Und dann erkämpfte sich Djokovic den Platz ganz oben. Bis er Ende 2016 in eine Sinnkrise geriet: Djokovic trennte sich von Trainer Boris Becker, dann auch von seinem langjährigen Coach Marian Vajda, er sprach von privaten Problemen und verlor. Die Saison 2017 beendete er vorzeitig, auch Verletzungen plagten ihn. "Ist es wichtig, im Tennis Rekorde zu brechen? Wichtiger, als mit der Familie Zeit zu verbringen?", fragte sich Djokovic. Im Frühjahr holte er dann Coach Vajda zurück. Der Hunger kam wieder - und der Erfolg.

Bevor Djokovic zu zweifeln begann, hatte er nochmal eine Bestmarke gesetzt. Am 6. Juni 2016 erreichte Djokovic die meisten Weltranglistenpunkte, die ein Spieler in den vergangenen zwölf Monaten gesammelt hat, das beste Jahr in der Tennisgeschichte. 16 950 Punkte hatte er zu diesem Zeitpunkt, nach seinem Triumph bei den French Open hatte er sich die Titel bei vier Grand-Slam-Turnieren hintereinander gesichert. Das war bislang nur Rod Laver gelungen - der hatte allerdings 1969 sogar alle vier Titel in einem Kalenderjahr geholt und hält nun einen der wenigen Rekorde, die Federer, Nadal oder Djokovic nicht pulverisiert haben.

Bei 54 der letzten 64 Grand-Slam-Turniere hieß der Sieger am Ende entweder Federer, Nadal oder Djokovic. 22 Mal machten sie das Finale allein unter sich aus. Die einzigen anderen Grand-Slam-Sieger in den vergangenen 15 Jahren waren Andy Murray (drei Titel), Stanislas Wawrinka (drei Titel), Marin Cilic, Juan Martin del Potro und Marat Safin. In den vergangenen drei Jahren teilten Federer, Nadal und Djokovic die Titel sogar ausschließlich unter sich auf. Das Grand-Slam-Turnier in Australien ist fest in ihrer Hand. In den vergangenen 14 Jahren schaffte es nur Wawrinka 2014, sich in die Siegerliste einzutragen.

Die kommenden Monate werden nun zeigen, ob die Dominanz fortbesteht. Und längst geht es auch darum, wer als größter Tennisspieler in die Geschichte eingeht, wenn die Ewigkeit an der Spitze endet. 

Federer hat 20 Grand-Slam-Turniere gewonnen und führt die Liste mit den meisten Titeln an, doch Nadal und Djokovic holen auf. Der Spanier hat inzwischen 19 Titel, schon bei den Australian Open könnte er mit Federer gleichziehen. Djokovic steht bei 16 Siegen, er hat jedoch vier der letzten sechs Grand Slams gewinnen können. Jene, die dahinter in Schlagdistanz liegen, sind Namen aus einer anderen Zeit: Pete Sampras kam auf 14 Titel, Roy Emerson gewann zwölf, Björn Borg und Rod Laver halten elf Grand-Slam-Siege.

Nadal hat allein bei den French Open mehr Titel als Borg oder Laver insgesamt. Zwölfmal gewann der Spanier das Sandplatzturnier. Bei den Australian Open hat der Spanier aber seine Probleme - ein einziger Grand-Slam-Erfolg gelang ihm dort, 2009 gegen Federer. Mehr als eine Dekade ist das her.

Unumstritten ist bereits, dass Nadal mit seinen zwölf French-Open-Titeln der beste Sandplatzspieler der Geschichte ist. Das zeigt auch die Bilanz auf Asche gegen die beiden Rivalen.

Nadal gewann 14 von 16 Partien auf Sand gegen Federer. 2017 und 2018 ließ der Schweizer die Sandplatzsaison aus - und vermied damit weitere Duelle mit Nadal. Das spiegelt sich auch in der Statistik wider: Zuletzt gewann ihre Duelle meist Federer. Auf Sand haben die beiden bei den French Open im vergangenen Mai zum ersten Mal seit 2013 wieder gegeneinander gespielt, der Spanier siegte locker.   

Gegen Djokovic verlor Nadal lediglich sieben von 24 Duellen auf seinem Lieblingsbelag Sand. 

Aber auf Hartplatz konnte Nadal bislang nur sieben Mal Djokovic besiegen, der Serbe triumphierte 20 Mal, zuletzt beim neuen Mannschaftswettbewerb ATP Cup am vergangenen Sonntag. Sollten Nadal und Djokovic bei den Australian Open aufeinandertreffen, wäre der Serbe also Favorit.  

Auch bei einem Duell gegen Federer würden die meisten wohl auf Djokovic wetten.

Fünf der letzten sechs Partien gewann er gegen den Schweizer. Bei einem Grand-Slam-Turnier standen sie sich zuletzt im Finale von Wimbledon gegenüber, 7:6, 1:6, 7:6, 4:6, 13:12 siegte Djokovic nach vier Stunden und 57 Minuten. Federer war im fünften Satz nur einen Punktgewinn von seinem 21. Grand-Slam-Titel entfernt gewesen, doch der Schweizer vergab beide Matchbälle. 

“Ich werde versuchen, es zu vergessen”, sagte er nach dem Finale, es war Federers 58. Niederlage bei einem Grand-Slam-Turnier, kaum eine andere hat wohl derart geschmerzt. 

Die Zahl von Federers Niederlagen relativiert sich beim Blick auf die gespielten Matches, mehr als 400 sind es. Bei 86,2 Prozent seiner Grand-Slam-Auftritten verließ der Schweizer den Platz als Sieger. 

Nadal kommt gar auf 87,5 Prozent, Djokovic auf 86,8 Prozent. Die Siegquote der drei Ü30-Spieler in den vergangenen Jahren nicht nachgelassen.  

Andy Murray, den manche, ehe er sich an der Hüfte verletzte, in einer Liga mit Federer, Nadal und Djokovic sahen, hat nie eine ähnliche Quote erreicht.

Zum Vergleich: Boris Becker startete einst zwar als 17-Jähriger mit imposanten Siegen, ließ später aber nach. Björn Borg ist der einzige Spieler, der eine noch bessere Quote hat als die großen Drei. Der Schwede gewann zwischen 1973 und 1981 durchschnittlich neun von zehn seiner Grand-Slam-Matches (89,9 Prozent). Doch mit nur 26 Jahren hörte Borg mit dem Tennis auf, er hatte keine Lust mehr. Zwar versuchte er sich später immer wieder an einem Comeback, ein Duell bei einem Grand-Slam-Turnier bestritt er aber nicht mehr. 

Wer sich die Siegquoten bei den Grand-Slam-Turnieren genauer anschaut, bemerkt: Die jungen Spieler können noch nicht mit Federer, Nadal und Djokovic mithalten. Karen Chatschanow, Alexander Zverev, Nick Kyrgios und Daniil Medwedew sind diejenigen Profis unter 25 Jahren, die am häufigsten gewannen - allerdings nicht einmal drei von vier Partien. Drei Siege reichen bei einem Grand-Slam-Turnier gerade einmal für das Achtelfinale.

Immerhin ist Zverev - wie auch Dominic Thiem oder Stefanos Tsitsipas - einer von nur 27 Tennisspielern, denen es gelungen ist, jeden der großen Drei mindestens einmal zu besiegen. Der Deutsche traut sich noch mehr zu: "Ich bin mir sehr sehr sicher, dass es 2020 einen neuen Grand-Slam-Sieger geben wird", sagte er vor ein paar Wochen und fügte forsch hinzu: "Es können ein paar von den jungen Spielern sein. Ich gehöre dazu." 

Der Grieche Tsitsipas meinte gar: "Wir stehen vor einer Tennis-Evolution, die junge Generation gibt gerade ihr Debüt." Was die großen Drei dazu sagen? "Die Zeit wird kommen", meinte Djokovic jüngst, "hoffentlich nicht so schnell."

Das Finale bei den Australian Open wird am 2. Februar gespielt. Wie die Geschichte der großen Drei weitergeht?