Wandern

Freiheit, wir kommen!

Wer fit werden will, geht joggen. Wer viel sehen will, fährt Fahrrad. Wandern ist so gesehen nutzlos. Aber Dinge um ihrer selbst willen zu tun – ist das nicht genau das, was wir verlernt haben? Ein Hoch auf das Fernwandern.

Text: Sebastian Schoepp, Illustration: Stefan Dimitrov
13. April 2022 - 8 Min. Lesezeit

Waren wir zu übermütig gewesen? Natürlich. Aber es sah einfach zu verlockend aus. Wir waren im roten Staub auf der Ruine der Burg Wasigenstein gestanden, einem gewaltigen Klumpen Sandstein mit ausgewaschenen Treppen, erosionszernagten Türmchen und dunklen Höhlen, „Game of Thrones“ auf pfälzisch. „Guck mal, da unten im Tal, das ist doch schon das Elsass!“, rief Christoph. War der Abstecher noch drin? Klar, der musste drin sein! Also hinab im Laufschritt durch die duftenden Kiefernwälder, zur Petit Arnsbourg. Das war sie doch, die Freiheit! Dann noch ein Törtchen mit Café au Lait im Cheval Blanc, Christoph ist einfach eine Kaffeetante. Und dann haben wir uns so richtig verfranzt im deutsch-französischen Grenzgebirge, und nun stehen wir abgekämpft in der Dämmerung vor diesem pfälzischen Gasthof, der aussieht, als sei er zuletzt zu Kalli Feldkamps Zeiten beim 1. FC Kaiserslautern modernisiert worden.

Erst nach heftigem Läuten öffnet ein älterer Herr in Schlappen. „Märr häwwet scho gschloofe“, sagt er vorwurfsvoll. Man sei doch hier nicht in der Großstadt! Daran kann allerdings kein Zweifel bestehen. Abgeschabtes Braun-Grün, in der Mitte der Teppiche ausgelatschte Trampelpfade. Ein Hund kläfft. Dann aber tritt die Ehefrau in den Türrahmen und sagt den magischen Satz: „Wollt ihr Flammkuche?“ Es gibt Fotos, wie wir darüber herfallen mit der Lust, die nur auf Erschöpfung folgt. Die Wirtin zeigt uns den Kühlschrank. Wir sollen uns nehmen, was wir wollen, und uns ein Zimmer aussuchen. Wir sind die einzigen Gäste, womöglich seit der Meisterschaft des 1. FCK 1991. Eine Flasche Deidesheimer Schaumwein unter dem Arm plumpsen wir in die Liegestühle auf dem Balkon, über uns durchhellt die Mondsichel die schwarzstille Pfälzer Waldnacht.

Die alte Faustregel beim Fernwandern in Deutschland hat sich wieder bestätigt: Je abgerockter die Unterkunft, desto netter die Wirtsleute. Bloß nicht abschrecken lassen von Häkeldeckchen und Butzenscheiben, dahinter wartet oft etwas, das allmählich unter Denkmalschutz gehört. Eigentlich steht Gemütlichkeit ja für Muff, Schlagergedudel und Eichenholzfurnier. Doch wer die sterile Betriebsamkeit alpiner Wellnessoasen kennt, die Vorhersehbarkeit der touristischen Themenparks, die Hypes der Instagram-Welt, der lernt die Überraschungen wieder schätzen, die manche deutsche Fachwerkfassade birgt.

Wandern

Freiheit, wir kommen!

Wer fit werden will, geht joggen. Wer viel sehen will, fährt Fahrrad. Wandern ist so gesehen nutzlos. Aber Dinge um ihrer selbst willen zu tun – ist das nicht genau das, was wir verlernt haben? Ein Hoch auf das Fernwandern.

Waren wir zu übermütig gewesen? Natürlich. Aber es sah einfach zu verlockend aus. Wir waren im roten Staub auf der Ruine der Burg Wasigenstein gestanden, einem gewaltigen Klumpen Sandstein mit ausgewaschenen Treppen, erosionszernagten Türmchen und dunklen Höhlen, „Game of Thrones“ auf pfälzisch. „Guck mal, da unten im Tal, das ist doch schon das Elsass!“, rief Christoph. War der Abstecher noch drin? Klar, der musste drin sein! Also hinab im Laufschritt durch die duftenden Kiefernwälder, zur Petit Arnsbourg. Das war sie doch, die Freiheit! Dann noch ein Törtchen mit Café au Lait im Cheval Blanc, Christoph ist einfach eine Kaffeetante. Und dann haben wir uns so richtig verfranzt im deutsch-französischen Grenzgebirge, und nun stehen wir abgekämpft in der Dämmerung vor diesem pfälzischen Gasthof, der aussieht, als sei er zuletzt zu Kalli Feldkamps Zeiten beim 1. FC Kaiserslautern modernisiert worden.

Erst nach heftigem Läuten öffnet ein älterer Herr in Schlappen. „Märr häwwet scho gschloofe“, sagt er vorwurfsvoll. Man sei doch hier nicht in der Großstadt! Daran kann allerdings kein Zweifel bestehen. Abgeschabtes Braun-Grün, in der Mitte der Teppiche ausgelatschte Trampelpfade. Ein Hund kläfft. Dann aber tritt die Ehefrau in den Türrahmen und sagt den magischen Satz: „Wollt ihr Flammkuche?“ Es gibt Fotos, wie wir darüber herfallen mit der Lust, die nur auf Erschöpfung folgt. Die Wirtin zeigt uns den Kühlschrank. Wir sollen uns nehmen, was wir wollen, und uns ein Zimmer aussuchen. Wir sind die einzigen Gäste, womöglich seit der Meisterschaft des 1. FCK 1991. Eine Flasche Deidesheimer Schaumwein unter dem Arm plumpsen wir in die Liegestühle auf dem Balkon, über uns durchhellt die Mondsichel die schwarzstille Pfälzer Waldnacht.

Die alte Faustregel beim Fernwandern in Deutschland hat sich wieder bestätigt: Je abgerockter die Unterkunft, desto netter die Wirtsleute. Bloß nicht abschrecken lassen von Häkeldeckchen und Butzenscheiben, dahinter wartet oft etwas, das allmählich unter Denkmalschutz gehört. Eigentlich steht Gemütlichkeit ja für Muff, Schlagergedudel und Eichenholzfurnier. Doch wer die sterile Betriebsamkeit alpiner Wellnessoasen kennt, die Vorhersehbarkeit der touristischen Themenparks, die Hypes der Instagram-Welt, der lernt die Überraschungen wieder schätzen, die manche deutsche Fachwerkfassade birgt.