Einmal im Leben
Gold suchen in Kalifornien
Und dann, tatsächlich: Gold! Das Gefühl ist deshalb umso intensiver, weil man weiß, dass man sich das gewaltige Nugget im Sieb redlich verdient hat. Mehr als zwei Stunden lang hatte man im Fluss gebuddelt, den nassen Sand in einen Eimer und von dort aus in eine Waschrinne und Goldwaschpfanne geschüttet – harte, nicht gerade rückenfreundliche Arbeit; man schwitzt nicht nur wegen Temperaturen jenseits der 40-Grad-Celsius-Marke, sondern auch wegen dieser Tätigkeit, an der sich seit der Zeit der Forty-Niners nicht wirklich viel geändert hat.
Insgesamt 300 000 Leute waren während des ersten Goldrauschs von 1849 an nach Kalifornien gekommen, und sie gruben, schürften, siebten.
Es gibt nun einen zweiten Goldrausch in Kalifornien: Nach Jahren der Dürre und katastrophaler Lauffeuer hatte es Ende 2022 gestürmt, geschneit, geregnet. Stürme wirkten wie Sandstrahler in den Bergen der Sierra Nevada; Regen und geschmolzener Schnee transportierten allerhand Gestein und damit auch Gold in die Täler. Das bedeutet, dass man im Woods Creek, einem Fluss in der Nähe der Goldgräberstadt Jamestown etwa zwei Autostunden südöstlich von Sacramento, tatsächlich Gold finden kann.
Am besten tut man das mit Nick Prebalick, den hier alle nur Nugget Nick nennen. Der berichtet nicht ohne Stolz, dass auf jedem der 700 Ausflüge in den vergangenen 18 Monaten tatsächlich Gold gefunden wurde.
Er bringt die Utensilien mit und zeigt einem, wie man nach Gold schürft – und lädt einen ein, sich ordentlich anzustrengen, damit es auch diesmal klappt; und das tut es.
Mehr als 70 Dollar sei es wert, dieses dreieckige Nugget, sagt ein Juwelier später – aber warum sollte man es jemals verkaufen wollen? Es kann kein besseres Wilder-Westen-Souvenir geben als dieses.
Jürgen Schmieder
Zwischen Fjorden
So aus der Ferne betrachtet ist Bergen die Hölle. Die Stadt an Norwegens Westküste gilt als ein Magnet für Kreuzfahrtschiffspassagiere und Wohnmobilisten, wobei Letztere zumindest nicht in Rudeln auftreten. Und dann das Wetter!
Je nachdem, welchen Internetmeteorologen man vertraut, ist Bergen mindestens die regenreichste Stadt Skandinaviens, wenn nicht gar Europas. Im Schnitt fällt jährlich etwa dreimal so viel Regen wie in Hamburg. Denn eine Mischung aus Fjorden und Bergen (!) ist eben selten ein Garant für dauerhafte Trockenheit.
Nur: Fjorde und Berge(n) sind halt schon auch eine unschlagbare Kombination. Die sieben Hügel in und rund um die 270 000-Einwohner-Stadt sind sogar zehnmal höher als jene in Rom und tragen so unrömische Namen wie Lyderhorn (396 m), Rundemanen (568 m) oder Ulriken (643 m).
Mehr als die eigenen Füße braucht es nicht im dichten Stadtkern, sogar McDonald’s und Starbucks – untergebracht im alten Kjøttbasaren, also: Fleischbasar – sehen einladend aus. Bei der Ortsinspektion zeigt sich außerdem: Das mit dem Wetter ist gar nicht so arg wie erwartet, weil die Norweger fast alles können, aber Wetterbericht offenbar nicht so wirklich. So geht’s recht trocken, aber nicht langweilig durch das Bergen Aquarium (gut, das ist eh drinnen), den Fischmarkt, auf dem es auch Rentiersalami gibt, und natürlich das hölzern-bunte Hanseviertel Bryggen, Unesco-Weltkulturerbe.
Abends, wenn sich die Kreuzfahrtschiffsfahrer auf die Kreuzfahrtschiffe zurückziehen und die Sommersonne teils erst nach 23 Uhr hinter dem Horizont verschwindet, trinkt man vor diesen ehemaligen Handelskontoren deutscher Kaufleute ein einziges 110-Kronen-Bier (rund zehn Euro) als Sundowner. Es ist jede Krone wert.
Dominik Prantl
Baden im Yssykk-Köl
Da drüben, auf der anderen Seite, was mag das sein? Die frisch verschneiten Gletscher des Tienshan, 4500 Meter über dem Meer und 3000 über dem See? Oder ein Wolkengebirge aus aufgetürmten Cumulus? Das Ufer gegenüber ist 60 Kilometer weit weg, und am Yssyk-Köl scheinen die Linien zu verschwimmen zwischen Wasser, Stein und Eis.
Kein Land der Welt ist weiter weg von einem Meer als der Binnenstaat Kirgisistan. Und doch haben die Kirgisen einen Ozean inmitten ihrer Bergwelt: zweitgrößter Gebirgssee nach dem Titicaca, von West nach Ost misst er 182 Kilometer, bis zu 668 Meter ist er tief. Nie friert er zu. Yssyk-Köl bedeutet „heißer See“, auch wegen seiner Thermalquellen. Im Sommer bringt er es immerhin auf 20 Grad, warm genug, um abzutauchen zwischen seinen bunten Kieseln. Leicht salzig ist das Wasser und glasklar. Der See liegt da wie ein flaschengrüner Wackelpudding.
Das russische Militär testet noch immer Torpedos hier. Früher, zu Sowjetzeiten, schickten die Bruderländer außerdem Tausende Sommerfrischler an den See. An deren ausgestorbenen Bettenburgen bröckelt jetzt der Beton. Und der Yssyk-Köl gehört wieder den Kirgisen. In der Nähe von Barskoon am Südufer: am Strand einer aufgelassenen Ferienanlage eine Familie auf einer Picknickdecke. Der Vater schlachtet eine gewaltige Wassermelone, die Kinder entern den Turm, auf dem früher mal der Bademeister saß. Sonst nur der sanfte Wellenschlag. Kein aufgeblasenes Plastikeinhorn, kein Jetski weit und breit, nicht mal ein Segelboot auf der weiten Glitzerfläche. Und am anderen Ufer das Gebirge zwischen Fels und Wolken.
Thomas Heinloth
Mit dem Zug zur Hudson Bay
Nach Churchill an der Hudson Bay führt kein Weg. Wer den isolierten Ort im Norden der kanadischen Provinz Manitoba besuchen will, muss das Flugzeug nehmen – oder den Zug. Fliegen ist teuer, ein Ticket für die 1929 fertiggestellte Zuglinie indes relativ billig. Die Strecke ist die Lebensader für die 900 Leute in Churchill, eine fragile: Immer wieder muss sie aufgrund von Überflutungen oder dem Abtauen des Permafrostbodens gesperrt werden.
Als eine Überflutung die Bahn 2017 für eineinhalb Jahre lahmgelegt hatte, schnellten die Lebensmittelpreise in die Höhe, der Künstler Kal Barteski organisierte deshalb eine Graffiti-Aktion an stillgelegten Gebäuden in der Stadt, um auf das Problem aufmerksam zu machen – heute sind die Murals eine Attraktion.
Zwei Tage und zwei Nächte dauert die Fahrt ab Winnipeg; nur 16 Stunden sind es, wenn man im 750 Kilometer nördlicher gelegenen Thompson einsteigt. Also rauf über die einsamen, aber noch geteerten Straßen nach Thompson, Auto am Bahnhof abstellen (nicht empfohlen von Via Rail Canada) und hoffen, dass in den Tagen der Abwesenheit niemand die Tür eintritt. Der Zug fährt pünktlich um 16 Uhr ein, die Touristen stürmen los. Aber erst ab zur Taschenkontrolle: Es ist verboten, Alkohol mitzubringen. Dann geleitet der Schaffner die Fahrgäste zu ihren Plätzen. Der Zug ist in die Jahre gekommen, aber die Sitze sind breit und bequem, gerade richtig für diese Schaukelfahrt.
Immer wieder schwankt der Waggon, und draußen ist nur Wildnis! Pappelwälder weichen dünnen Nadelwäldern, es geht über breite Flüsse, vorbei an Seen. Da eine Biberburg, hier ein Baum, auf dem ein Weißkopfseeadler hockt. Das Gefühl des Ausgesetztseins nimmt mit jedem Kilometer zu. Kurz nach acht Uhr morgens, nach einer hellen Sommernacht, dann die Durchsage: „Bald erreichen wir Churchill.“ Man ist angekommen in der Zwecksiedlung mit ihrem robusten Charme.
Dort, wo Eisbären übersommern, wo Belugawale elegant ihre Bogen ziehen, wo man Nordlichter bestaunen kann. All das ist die 32 Stunden im Zug hin und zurück wert.
Johanna Pfund
In Las Vegas heiraten
Okay, an die ganz großen Wahnsinnigen dieser Welt reicht man doch nicht ran – also jene, über die der Besitzer der „Bliss Wedding Chapel“ spricht, der am besten bewerteten Hochzeitskapelle in Las Vegas: Schauspielerin Carmen Electra und Basketballstar Dennis Rodman, die völlig knülle heirateten und die Ehe neun Tage später annullieren ließen. Oder der Typ, der aus Frust über seine Verlobte schnell mal sein Motorrad geehelicht hat. Oder der Bräutigam, der seine Braut erst ein paar Stunden davor am Pool kennengelernt hatte und vor der Trauung fragte, ob denn jemand bitte rausfinden könne, wie seine künftige Ehefrau eigentlich mit Nachnamen heiße.
Man will dieses Erlebnis, das man aus Filmen kennt, und genau das kriegt man: Die Limousine holt einen vom Hotel ab, es geht über den legendären Strip, der Gratis-Champagner fließt aus Magnum-Flaschen – und in der Kapelle wartet natürlich: Elvis. Er redet während der Zeremonie, soweit Presley-Liedtexte ihn tragen (vor dem Kuss etwa: „It’s now or never“), und das Erstaunliche ist: Irgendwann vergisst man, wie fake das ist, so wie man in Vegas ganz generell vergessen muss, wie fake es ist.
Man muss sich einlassen darauf, komplett, dann ist es unvergesslich: dass der Sohn tatsächlich Schuhe trägt, auf deren Sohlen „Game Over“ steht. Dass der Fotograf, der einst Electra und Rodman ablichtete, einem versichert, dass diese Ehe halten werde. Und dass die Mutter, der größte noch lebende Elvis-Fan der Welt, am Ende der Zeremonie in den Armen des (tatsächlich grandiosen) Imitators liegt und mit ihm – der Video-Beweis wird niemals vernichtet werden – gemeinsam „Viva Las Vegas“ schmettert.
Jürgen Schmieder
Mont-Saint-Michel
Es dürfte nicht die allerneueste Erkenntnis sein, manchen Orten besser fernzubleiben, um ihre Schönheit zu bewahren. Aber die Klosterinsel Mont-Saint-Michel in der französischen Normandie drängt dazu, es mal wieder zu betonen: Kommt man zu nahe, treten Dinge hervor, die das Postkartenmotiv etwas … nun ja, geraderücken.
Tausendfach wurde sie fotografiert, die Gemeinde mit ihrer thronenden Abtei auf einer Insel im Meer: Mont-Saint-Michel bei Sonnenuntergang mit friedlich grasenden Schafen im Vordergrund, des Nachts bei Vollmond … Seit 1979 gehören Insel und Bucht zum Unesco-Welterbe, und das ist – wie bei allen Weltkulturerben – Segen und Leid zugleich. Der Segen: Mont-Saint-Michel sieht wirklich so prächtig aus, wie es die Fotos zeigen, und es ist wirklich beeindruckend, wenn man auf einer einsamen französischen Landstraße um die Kurve biegt und das Gemäuer in der Ferne aufragen sieht. Als wäre da ein Raumschiff aus dem Mittelalter auf einem verlassenen Fleck Erde gelandet. Der Anblick ist außerirdisch.
Außerirdisch ist aber auch die Zahl der Touristen. Womit wir beim Leid wären. Hunderte pilgern den Fußweg entlang zur Bucht. Shuttlebusse ziehen im Minutentakt vorbei.
Sind die Pilger durch den Eingang gelangt, schleppen sie sich eine einzige Gasse empor zur Abtei. In Gänsemarsch und Schneckentempo passieren sie Imbissbuden, die in der Fressmeile jeder beliebigen Shoppingmall stehen könnten, und Shops, in denen man den Eltern die obligatorische Miniaturskulptur für neun Euro kauft und eine Postkarte, auf der später stehen wird: Nett hier, aber kehrt um, wenn ihr davor steht, denn das Schönste werdet ihr bis dahin gesehen haben.
Carolin Werthmann
Cappuccino trinken auf dem Markusplatz
Für 18 Euro kann man das Schloss Neuschwanstein besuchen, in den Münchner Tierpark gehen oder sich an einem Freitagabend durch das Stadion von Eintracht Frankfurt führen lassen. Oder aber man setzt sich auf den Markusplatz in Venedig und bestellt einen Cappuccino im Caffè Florian, inklusive Live-Musik (alles dabei von Vivaldi bis Céline Dion). Jeden Gedanken zur Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens muss man dabei im Hotelzimmer lassen.
Weil: Natürlich ist der Preis völlig übertrieben. Selbstverständlich bekommt man den Cappuccino für einen Bruchteil in zig anderen schönen Cafés der Stadt. Auch klar, dass sich hier kein Gastronom groß anstrengen muss, damit die Tische mit Blick auf Basilica, Uhrturm, Campanile dauerbesetzt sind.
„Andemo da Florian!“ („Lasst uns ins Florian gehen!“), darf man dennoch mal beherzt auf Venezianisch in die Runde rufen. Immerhin sitzt man dort seit 1720, das Café ist eines der ältesten Venedigs. Wem Touristen, Tauben und Tand auf der Piazza – so wird nur der Markusplatz genannt, die restlichen Plätze der Stadt heißen campi – zu viel sind, der nimmt in einem der sechs opulenten Salons Platz – auf dunkelrotem Samt, unter goldenen Spiegeln, mit Blick auf gemalte Engel, Liebespaare, berühmte Venezianer.
Da ist der Preis für einen Cappuccino schnell vergessen, zumindest bis 2025, wenn zudem noch zehn Euro Eintritt in die Stadt pro Person anfallen. Am schönsten ist der Markusplatz übrigens nachts. Wer sich den Wecker auf drei Uhr früh stellt, hat ihn gewiss für sich. Gibt dann nur leider keinen Cappuccino.
Julia Rothhaas
Baden am Pont du Gard
Rechtes oder linkes Ufer? Das kann eine Lebensentscheidung sein. An manchen Orten legt man sich, je nachdem, auf welcher Seite des Flusses man lebt, zwangsläufig auf eine Lebensart fest. Am Gardon ist das nicht so. Zwar sind die beiden Ufer auf Höhe des Pont du Gard ebenfalls recht unterschiedlich. Aber ob man nun das rechte oder das linke ansteuert, hängt nur davon ab, wo man seinen Wagen lieber abstellen möchte.
Diese Frage stellt sich vor allem, wenn man partout nicht an Kultur interessiert ist oder unter keinen Umständen zum Baden will. Am linken Ufer dieses Flusses, der in den Cevennen entspringt, durchs Languedoc mäandert und bald hinter dem Pont du Gard in die Rhône mündet, befindet sich nämlich ein sehenswertes Museum über den Aquädukt und seine Bedeutung für die Römer.
Am rechten Ufer kommt man indessen bequem ans Wasser. Am schönsten ist es aber ohnehin, wenn man beides verbindet. Zu Fuß ist man über den Aquädukt aus dem ersten Jahrhundert schnell auf der anderen Seite. An der Badestelle gibt es einen kleinen Strand, auch Felsen, von denen man in den Fluss springen kann, der dort tief genug ist.
Beeindruckender als vom Wasser aus ist der Anblick des Pont du Gard nirgends. Beliebt sind Kajaktouren. Am entspanntesten ist es jedoch, sich auf dem Rücken liegend von der sanften Strömung unter dem einzigen der 52 Bögen, der den Gardon unmittelbar überspannt, hindurch schwemmen zu lassen, wieder und wieder. Anspruchsvoller ist jeweils der Rückweg, flussaufwärts kraulend. Wer bis nach der Dämmerung bleibt, kann im Juli und August eine 20-minütige Lichtshow sehen, die auf das antike Bauwerk projiziert wird.
Stefan Fischer
Agrigent bestaunen
Das Valle dei Templi in Agrigent ist ein Ort, an dem man seine Schritte verlangsamen sollte. In den Sommermonaten wegen der Hitze, aber auch um die Sogwirkung der Jahrhunderte zu spüren, einen Hauch von Ewigkeit. Was würde man dafür geben, die Menschen kennenlernen zu dürfen, die vor 2500 Jahren diese Meisterwerke geschaffen haben? Am besten beginnt man die Tour durch das Tal der Tempel im milden Licht der Morgenstunden. Und dann bitte den Blick schweifen lassen: Übers Mittelmeer kamen einst die griechischen Siedler, um hier im Süden Siziliens eine glanzvolle Polis zu errichten, das antike Akragas – und ein Heiligtum für die Götter entlang der südlichen Stadtmauer.
Nicht alle Denkmäler sind so gut erhalten wie der Concordiatempel. Vom Dioskurentempel, hier im Bild, der den unzertrennlichen Brüdern Castor und Pollux gewidmet ist, stehen nur noch vier rekonstruierte Säulen, jede eine Majestät für sich. Fast zu schön für ein schnödes Handyfoto, deshalb sitzen manche Bewunderer andächtig mit ihren Zeichenblöcken davor. Umso ernüchternder dann der Blick hinauf zum heutigen Agrigent. Vom Archäologiepark aus gesehen wirkt die Stadt auf dem Hügel wie ein schlechter Scherz, ein deprimierender Wohnblock reiht sich an den nächsten.
Diese Kulisse der Mittelmäßigkeit, Resultat einer mafiösen Lokalpolitik, verdeckt die Altstadt. Und die sollte man sich keinesfalls entgehen lassen: Agrigent am Abend ist ein herrliches Vergnügen, ein Schaulaufen zwischen spätbarocken Palästen, Kirchen und Restaurants. Wie schrieb doch der Philosoph Empedokles über seine Mitbürger? „Sie speisen, als müssten sie morgen sterben, und bauen, als könnten sie ewig leben.“ Das kann man, die hässlichen Hochhäuser aus dem 20. Jahrhundert weggedacht, genau so stehen lassen.
Christian Mayer
Bei den Wüstenelefanten in Namibia
Wer schon bei der Lektüre von Ernest Hemingways Afrika-Abenteuern leicht zittrige Hände bekommt, der wird die Trockenflüsse des nordwestlichen Namibias lieben, den Ugab etwa, den Huab oder den Hoanib.
„Riviere“ lautet das deutschnamibische Lehnwort aus dem Afrikaans für diese nur während der Regenzeiten Wasser führenden Flüsse. „Ephemer“, kurzlebig, flüchtig, nennen das die Botaniker und auch Geografen.
Manchmal kämpfen sich die kurzlebigen Wassermassen durch die Savanne und die Wüste Namib bis an den Atlantik vor; bewässern die Galeriewälder aus Anabäumen, Mopane und Kameldorn und mit ihnen die Flussbette, welche den Rest des Jahres nur aus Sand bestehen. Dann können sie mit dem Geländewagen befahren werden, zumindest von jenen, die das Geländewagenfahren beherrschen. Denn das Sandbett ist ein tückischer Untergrund.
Die Gegend ist auch einer der letzten Orte Afrikas und einer der wenigen der Welt, in dem große Säugetiere noch ungestört und ohne Nationalparkgrenzen ihrer Wege gehen. Denn es gibt hier kaum Menschen und keine Zäune zwischen den Trockenflüssen. Sie sind damit Oasen für Antilopen – darunter Namibias Wappentier, der Spießbock – für Giraffen und für Spitzmaulnashörner, und vor allem für die in jeder Hinsicht sagenhaften Wüstenelefanten.
Höchstens ein paar Hundert, möglicherweise auch weniger der an diesen Lebensraum angepassten und immer etwas ausgemergelt wirkenden Tiere soll es nur noch geben. Wer Glück hat oder Pech – das liegt im Auge des Betrachters – bekommt von ihnen sogar nachts auf dem Zeltplatz Besuch. Blöd nur, wenn man dann ganz dringend mal auf die Toilette müsste.
Dominik Prantl
Mittsommernacht in Schweden
Die Sonne scheint, mancherorts den ganzen Tag lang. An der Maistange rankt frisches Grün, selbst geflochtene Blumenkränze legen sich um die Schläfen der Gäste, das Buffet biegt sich unter Hering, Lachs und Fleischbällchen. Für viele Schweden sieht so ihr neben Weihnachten wichtigstes Familienfest aus. Und wer einmal die Gelegenheit hat, ein echtes Mittsommerfest im Norden zu erleben, sollte sich dies auf keinen Fall entgehen lassen.
Warum die Schweden dann so ausgelassen sind, ist schnell erklärt: Das halbe Jahr lang ist es in ihrem Land ja recht dunkel. Dafür scheint die Sonne in der anderen Jahreshälfte viel länger als anderswo und bekanntlich niemals länger als am Mittsommertag. Astronomisch betrachtet fällt dieser meist auf den 21. Juni. Das dazugehörige Fest wird stets am nächstgelegenen Freitag gefeiert, damit die Partygäste danach ausschlafen können. Man ist pragmatisch.
Ein typischer „Midsommarafton“ wird mit Freunden, Familie oder der Dorfgemeinschaft gefeiert, am liebsten im eigenen Sommerhaus. Pünktlich zur Sonnenwende beginnen die Sommerferien, und aus den Städten fliehen die Schweden hinaus an die Seen oder auf die Schäreninseln. Neben Essen und guter Gesellschaft ist der Höhepunkt des Festes dann der Tanz um den geschmückten Baum. Dabei gibt es einige traditionelle Stücke, die keinesfalls fehlen dürfen.
Etwa das Kinderlied von den „Kleinen Fröschen“ (Små grodorna), bei dem die Festgemeinde quakend um den Baum hüpft. Das klingt einigermaßen bizarr und sieht auch so aus – weshalb das Lied in Zeiten von Youtube und Tiktok auch überregional bekannt geworden ist. Wer je ein Mittsommerfest besucht, sollte unbedingt mithüpfen. Und keine Sorge vor eventuellen Hemmungen: Schnaps gibt es an Mittsommer eigentlich auch immer.
Gunnar Herrmann
Den Kailash umrunden
Die Prosopagnosie, die Unfähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen, hat es schon fast in den Alltagswortschatz geschafft. Ob es das auch für Berge gibt?
Der Duden kennt nur die Orognosie, die Gebirgsforschung, die Oroagnosie fehlt bedauerlicherweise.
Es gibt aber einen Berg, der Trost verspricht: Der Kailash in Tibet, heiliger Berg für Buddhisten, Hindus, Jains und Bön, ist mit seinen Querstreifen und der auffälligen Form selbst für schwere Fälle unverwechselbar.
Der Legende nach wetteiferten am Kailash einst der Yogi Milarepa und der Bön-Priester Naro Bönchung darum, wer als erster den Gipfel erreichen würde.
Während Naro Bönchung auf seiner magischen Trommel aufstieg, meditierte Milarepa am Fuß des Berges, um dann auf einem Strahl der aufgehenden Sonne zum Gipfel zu fliegen. Im Zorn über seine Niederlage soll Naro Bönchung mit seiner Trommel die tiefe Rinne auf der Südseite hinterlassen haben.
Aufgrund seiner religiösen Bedeutung hat bis heute niemand den Kailash bestiegen. Aber man kann ihn umrunden.
Eine solche Kora, für Buddhisten zwingend im Uhrzeigersinn, ist eine wichtige Pilgerreise, manche absolvieren sie sogar in rituellen Niederwerfungen.
Es ist aber auch eine unvergleichliche 53-Kilometer-Wanderung, die an Klöstern vorbei und über den 5600 Meter hohen, mit Gebetsfahnen geschmückten Dolma-La-Pass führt.
Im Zelt mit wenig Proviant können Nächte in solchen Höhen sehr lang und sehr kalt werden, aber vielleicht ist auch das Teil der spirituellen Erfahrung.
108 Mal, so heißt es, sollte man den Kailash umrunden, um zur Erleuchtung zu gelangen. Einmal reicht also nur für eine Hundertachtel-Erleuchtung – aber immerhin.
Marlene Weiß
Lavendelfelder in der Provence
Die Zikaden bestimmen den sommerlichen Sound in der Provence. Ihr Zirpen ist nahezu überall zu hören. Nur in den Lavendelfeldern nicht. Dort dominieren stattdessen Bienen und Hummeln die Geräuschkulisse: Summend sammeln sie Blüte für Blüte die Pollen und den Nektar ein, zu Tausenden erzeugen sie einen satten Bassklang.
Von Juni bis in den August hinein blüht der Lavendel; oberhalb von 600 Metern der echte, etwa rund um Sault nahe dem Mont Ventoux, dazu in den Ebenen der Lavandin, eine sterile Kreuzung. Mögen die Zikaden einen hier im Süden Frankreichs, entlang der Rhône, auch abschneiden vom Lärm der Leute oder des Verkehrs (nicht selten zu dem Preis, dass dieses Zirpen selbst enervierend wird): Mitten in einem Lavendelfeld stehend, wird man noch einmal auf ganz andere Weise aus der Realität entführt.
Denn der Lavendel packt einen bei allen Sinnen: Da ist das im Wortsinn Offensichtliche, dieses Violett, ein Farbton, der so dominant wie hier nirgends anders vorkommt auf solch hektargroßen Flächen – hat man den perfekten Standort gefunden, sieht man nichts sonst.
Da ist außerdem der unverwechselbare, intensive und trotzdem nicht aufdringliche Duft – frisch, angenehm herb, in feiner Balance dazu ein leicht süßlicher Hauch. Und eben das Bienenbrummen: vital, gleichzeitig beruhigend. Provenzalische Meditationsmusik.
Die Lavendelblüten anzufassen, sie zwischen den Fingern zu zerreiben, hinterlässt wiederum einen angenehm samtigen Eindruck auf der Haut. Nur die Geschmacksnerven müssen vertröstet werden. Was jedoch sein Gutes hat, weil somit der Rausch verlängert wird bis zum abendlichen Besuch eines Restaurants, das ein Dessert aus Lavendeleis anbietet.
Stefan Fischer
Eine Nacht in Koyasan
Weltentrücktheit ist es wohl, was einem ein Tempelberg verspricht. Und tatsächlich beginnt der Ablösungsprozess bereits, wenn man in die steile Seilbahn steigt, hinauf nach Koyasan. Viele Japaner kommen zur inneren Einkehr und um Verstorbener zu gedenken, auch wenn das Unesco-Welterbe inzwischen viele Touristen anzieht.
Der buddhistische Mönch Kukai hat diesen Ort vor 1200 Jahren für einen ersten Tempel so ausgesucht, dass er besonders abgelegen und unzugänglich sein sollte. Heute stehen mehr als hundert dort, die Hälfte beherbergt Übernachtungsgäste, die pilgern oder zumindest Buddhismus schnuppern wollen. Meist werden die Tempelherbergen von einer Handvoll Mönche am Laufen gehalten.
Einer schlägt jetzt die Glocke zur Abendmeditation: Im schummrigen Licht bei Räucherstäbchenduft driftet man schnell ab, vergisst, wie man hierherkam. Danach darf man essen, was auch die Mönche essen. Jedes der vielen Schälchen ist eine Überraschung, die sich oft auch beim Verzehr nicht erschließt und alle Sinne beschäftigt.
Spätestens beim heißen Bad im Onsen verdampfen die letzten Alltagssorgen. Der nächste Tag startet früh mit Gebeten und endet mit Meditation. Immer wieder, immer wieder. Zumindest für die Mönche. Und für Kukai. Der ist für die Gläubigen nämlich gar nicht gestorben, sondern in ewiger Meditation versunken, in seinem Mausoleum auf dem Friedhof, wo ihm so viele nah sein wollen, dass sich Hunderttausende Gräber angesammelt haben, auch Gedenkstätten von Firmen wie Panasonic, Yakult und Kirin. Angesichts dieser Konzernnamen ist sie dann gar nicht mehr so weit weg, sondern wieder ganz nahe herangerückt, die Welt.
Anja Martin
Im Grand Canyon
Grand Canyon
Wie es am Grand Canyon aussieht? Weiß doch jeder, von Fotos, aus Filmen, grandiose Kulisse, ganz klar. Und dann steht man an der Kante dieser Schlucht und hat selten so intensiv erfasst, dass kein Foto die Wirkung dieser Landschaft tatsächlich wiedergeben kann. Als hätte ein Riese seine Finger in das brettebene Hochplateau im Norden des US-Bundesstaats Arizona gebohrt und das Land auseinandergezogen. 450 Kilometer lang, bis zu 1600 Meter tief, ein steinernes Meer in Rot, Beige, Violett, Braun, ganz unten als schmales grünes Band der Colorado River. So viel größer, tiefer, weiter als gedacht.
Am Grand Canyon ist so ziemlich alles möglich, was die touristische Erlebnisindustrie an schnellen Kicks hergibt, Skywalk, Rafting, Helikopterflug, Fallschirmsprung. Muss man zum Glück alles nicht machen. Aber was sein muss, ist eine Wanderung hinein in den Canyon. Spätestens jetzt verliert die Landschaft alles Kulissenartige, ganz real anstrengend windet sich der Pfad an den Kanten, Säulen und Abbrüchen der farbigen Gesteinsschichten vorbei.
Das kann einen ziemlichen Sog entwickeln, einen Rausch der Tiefe der anderen Art. Schafft man es zu Fuß bis zum Fluss? 1500 Höhenmeter sind das, und es hat schon einen guten Grund, dass auf Schildern davor gewarnt wird, an einem Tag hinunter- und wieder hinaufzusteigen. Jedes Jahr kollabieren Menschen, weil die Anstrengung zu viel wurde oder die Hitze auf dem schattenlosen Weg zu groß. Aber damals, an diesem perfekten Tag, sonnig und trotzdem nicht zu warm, der Himmel klar, die Beine jung und fit, da hat man es einfach gemacht. Nie war es so schön, ganz unten zu sein.
Eva Dignös
Diamond Beach in Island
Diamond Beach in Island
Wo sind denn jetzt die Eisberge? Am Ufer der Lagune Jökulsárlón, in die Islands größter Gletscher seine Eisberge kalbt, ist alles neblig, grau in grau. Ein paar Eiderenten mit winzigen Küken schwimmen hier, sie scheinen keine Kälte zu kennen. Doch auf einmal bricht etwas Sonnenlicht durch die Wolken und die Szenerie ändert sich komplett.
Himmelblaue Eisberge schwimmen in dem dunkelgrünen Meerwasser, zwischen den teils haushohen Eisbrocken fahren knallrote Kajaks und Schlauchboote herum, besetzt mit Touristen in Überlebens-Overalls. Plötzlich ist alles voll knalliger Farben, als hätte jemand von Schwarz-Weiß auf Bunt umgeschaltet.
Die Eisberge werden aus der Lagune über einen Fluss ins offene Meer gespült. Wer ihnen zu Fuß am Ufer folgt, gelangt an den Diamond Beach, der seinem Namen alle Ehre macht.
Der lange schwarze Strand ist übersät mit Eisbrocken, die teils so glatt und glasklar aussehen wie Diamanten. Sie entstehen, weil die starke Brandung die großen Eisberge zerkleinert und als Eis-Diamanten zurück auf den Strand spült. Man kann hier herrlich herumspazieren und immer wieder neue Formen erkennen, mal eine Schnecke, dann einen Seehund, dann das Matterhorn.
Es wird nie langweilig, auch weil es amüsant ist zu beobachten, wie die vielen Touristen sich mit den Eisbrocken für ein Foto in Szene setzen und manch einer zu spät merkt, dass ihn eine Welle von hinten erfasst und er nasse Beine bekommt.
Wer aber ein, zwei Kilometer den Strand entlangwandert, ist bald allein und kann sich an den Lichtspielen erfreuen, die Vulkansand, Eisbrocken und Sonne hier miteinander aufführen.
Hans Gasser
Schlafen in der Felswand
Portaledge-Übernachtung
Der Ort, um den es hier gehen soll, hat keine festen Koordinaten. Er kann in den USA liegen, in Asien oder im Allgäu, denn es ist ein Ort in der Vertikalen: Ein Portaledge (von Port-a-Ledge, Leiste zum Mitnehmen) kann man überall dort aufhängen, wo es eine sehr steile Felswand gibt. Es handelt sich um eine Art hängendes Zelt, bei gutem Wetter reicht auch die an einem Metallrahmen aufgespannte Liegefläche.
Greg Lowe, Gründer der Outdoor-Marke Lowe Alpine, verwendete einen frühen Prototyp namens Lurp 1972, als er mit Robert Kiesel die Nordwestwand des Half Dome im Yosemite-Nationalpark im Winter kletterte. Eine Wand, bei der man sich als Gelegenheitskletterer fragt, wie das überhaupt jemand klettern kann, mit Schneesturm oder ohne, aber beim Klettern sind Talent, Mut und Leidenswille eben sehr unterschiedlich verteilt.
Darum kommt man als Gelegenheitskletterer normalerweise auch nie in den Genuss einer Portaledge-Übernachtung, es sei denn, man hat Hilfe – in diesem Fall war es eine Testübernachtung mit Bergführer am Kofel in Oberammergau, Einstieg gesichert von der Seite statt kletternd von unten, warme Sommernacht statt Schneesturm. Aber dennoch einige Hundert Meter über dem Boden.
Es ist zwar nicht der Half Dome, aber man liegt unschlagbar auf dem Portaledge, gesichert im Klettergurt, gebettet auf eine dünne Schicht Kunststoff und viele Meter Luft. Ja, da ist auch ein bisschen Panik, aber nie ist der Himmel näher, nie sind die Sterne schöner. Und irgendwann schläft man ein und wacht morgens wieder auf – und es fühlt sich an wie Fliegen.
Marlene Weiß
Durch den Shwedagon gehen
Shwedagon in Myanmar
Da sitzen sie also und beten. Hunderte sind es schon tagsüber. Und am Abend, sobald die Sonne nicht mehr sticht, füllt sich der „Platz der Wünsche“ weiter. Schließlich hocken die Gläubigen dicht an dicht auf den noch warmen Marmorplatten: Junge, Alte, Paare mit kleinen Kindern. Dahinter leuchtet im Scheinwerferlicht der große, mit Goldplatten bestückte Stupa. Ergreifend kann diese innige Frömmigkeit selbst für diejenigen sein, denen der Buddhismus fremd bleibt.
Kein Ort in Myanmar wird mehr verehrt als der Shwedagon in Yangon. Und an keinen Ort mischten sich, bevor das Militär sich 2021 erneut an die Macht putschte, mehr Touristen unter die Einheimischen als hier. In der demokratischen Hoffnungszeit fühlte sich ein Besuch so an: Man geht zwischen vielen asiatischen und einigen europäischen Mit-Urlaubern die Stufen zur Pagode empor, vorbei an den Lotusblüten-Händlern, zieht, natürlich, die Schuhe aus, tritt durch ein Tor – und ist überwältigt von diesem Wald aus Gold.
Auf den ersten Blick ist es eine Wirrnis, dann erschließt sich das System: Den 99 Meter hohen Stupa, dessen Spitze Diamanten, Rubine, Saphire zieren, umgeben 64 Pagoden. Die Gläubigen umrunden die Pagode, kleben Blattgold auf Statuen.
Der ursprüngliche Schrein, womöglich 2500 Jahre alt, soll acht Haare von Siddharta Gautama, dem Begründer des Buddhismus, beherbergen. Spätere Herrscher bauten weitere Hallen, Schreine, Stupas. Woher all der Prunk kam? Vielleicht durch Handel, wohl eher durch Ausbeutung. Ein armes Volk in einem an Bodenschätzen reichen Land, das findet man hier bis heute.
Monika Maier-Albang
Pinguine in Afrika
Pinguine in Afrika
Tiere schauen in Afrika – da fallen einem alle möglichen Spezies ein, aber Pinguine? Das wäre ja in etwa so, als würden sich Flamingos in der Antarktis herumtreiben. In einem Nationalpark außerhalb von Kapstadt aber zählen die tapsigen Kerlchen zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten. Am Boulders Beach der Ortschaft Simon’s Town auf der Kap-Halbinsel hat sich eine Kolonie von Brillenpinguinen eingerichtet – weltweit gibt es nur eine Handvoll derartiger Gebiete. Haben die sich verschwommen? Nein, ihre Vorfahren kamen schon vor Hunderttausenden Jahren aus Südamerika nach Afrika.
Etwa zwei- bis dreitausend gartenzwerggroße Frackträger watscheln hier äußerst Insta-tauglich (und olfaktorisch durchaus ebenso beeindruckend) am Strand im Schatten mächtiger Granitbrocken umher, im Hintergrund jenseits der False Bay flirrt dazu die Skyline von Kapstadt mit dem Tafelberg.
Pittoresker geht es kaum – doch vielen reisenden Social-Selbstdarstellern reicht es nicht, die Tiere aus sicherer Entfernung von den Holzstegen aus zu knipsen, die Besucher nicht verlassen dürfen. Sie rücken ihnen für Selfies aufs Gefieder, stellen ihnen nach und streicheln sie. Nicht gut für die weltweit gesehen stark gefährdeten Tiere, die sich am Boulders Beach aber dennoch gut halten. Sie kriegen nicht nur Stress von Menschen, sie machen auch den Menschen Stress: Ihre Geräusche – eine eigenwillige Kakofonie aus Krächzen und Tröten – nerven Anwohner, zumal die Tiere nachtaktiv sind. Auch so gesehen wirken die schrägen Vögel menschlicher als Löwen und Zebras zusammen.
Jochen Temsch
Zur Welle auf Tahiti
Teahupoo - Tahiti
Was Skifahrern die Streif in Kitzbühel, ist Wellenreitern Teahupoo auf Tahiti: der heiligste Tempel ihres Sports. Selbst Profis der World Tour fürchten die haushohe Röhre aus Wasser und Schaum, diesen Sommer surfen sie hier um olympische Medaillen. Dabei wurde die perfekte Welle erst Mitte der Achtzigerjahre zum ersten Mal gesurft. Denn das Dörfchen, vor dem sie mit unbändiger Kraft bricht, liegt auf der Halbinsel Tahiti Iti, eine lange Fahrt von den Hotels und Malls um die Haupstadt Papeete entfernt. Wo die Straße endet, sieht Tahiti noch so aus, wie man sich das am anderen Ende der Welt gern erträumt: Bungalows unter Palmen und dahinter urwaldgrüne Zuckerhüte mit scharf geschnittenen Graten. Das wäre also die Aussicht, wenn man draußen am Riff die Welle anpaddelt.
Aber wer im Surfkurs mal auf dem Brett stand, sollte jetzt nicht übermütig werden. Eine Anfängerwelle gebe es hier nicht, sagt Max Wasna, der Präsident des Tahiti Iti Surf Clubs. Die sieben Spots entlang der Südküste der Halbinsel sind allesamt Reefbreaks. Wer stürzt, wird im schlimmsten Fall übers Riff geschleift.
Netterweise chauffiert Wasna aber auch Dilettanten mit dem Boot hinaus, damit sie der berühmten Welle zumindest nahekommen. Buckelwale tauchen auf, Speerfischer dümpeln vor dem Riff. Das Meer ist so klar, dass man die Korallen sieht. Manchmal, erzählt Wasna, ritten Delfine die Wellen. Zwei Jünglinge röhren auf ihrem Jetski vorbei, otterhaft gleitet der eine ins Meer. Kurzes Anpaddeln, dann schneidet der Junge scharfe Kurven ins durchscheinende Blau. Man kann ihn nur beneiden, um den wohl schönsten Ort der Welt zum Surfen.
Florian Sanktjohanser
Auf dem Corcovado
Corcovado
Egal, ob man mit dem Flugzeug nach Rio de Janeiro reist, mit der Fähre ankommt oder mit dem Auto: Man sieht die Christstatue, lange bevor man die Metropole erreicht hat. Sie ist das Wahrzeichen von Rio de Janeiro — und wohl das bekannteste Postkartenmotiv ganz Brasiliens.
Brasilianerinnen und Brasilianer sprechen oft lieber vom Corcovado. So heißt der Berg, auf dem die Statue seit 1931 steht. Nachts kann man den Hügel kaum erkennen, er verschwindet im Dunkel und man sieht nur die hell leuchtende Christstatue. Dort, auf der Plattform unter der Statue, versammeln sich täglich mehr als fünftausend Touristen. Manche von ihnen klettern oder wandern hoch, die Mehrheit nimmt die rote Zahnradbahn. Die stammt aus dem brasilianischen Kaiserreich, ist älter als die Christusstatue und eine Attraktion für sich.
In der Bahn sollte man sich nach rechts setzen: Die vier Kilometer lange Strecke führt durch Wald, dann aber macht der Zug eine Linkskurve und die Bäume lichten sich. Wer rechts aus dem Fenster blickt, sieht den Strand von Ipanema und das weite Meer dahinter. Manche sagen, dass man die Schönheit der Aussicht hier sogar hören kann: Dieser kleine Abschnitt wird wegen der typischen Reaktion der Fahrgäste auch die „curva do ó“ genannt — die Kurve des Ohhhh.
Oben angekommen, sieht man die Wälder, die die Stadt umgeben, und das Fußballstadion, man sieht Strände und den Zuckerhut. Dort sollte man übrigens hinfahren, um den besten Blick auf den Corcovado zu haben: Wer am späten Nachmittag in der Gegend um den Zuckerhut ist, kann der Sonne dabei zusehen, wie sie hinter der Statue verschwindet.
Simon Sales Prado
Waikiki Beach
Waikiki Beach
Traumstrände sind lang und einsam, bieten mehlweißen Strand und wilde Palmen. Waikiki Beach in Honolulu auf der hawaiianischen Hauptinsel Oahu hat nichts davon. Waikiki ist kein Traumstrand, es ist nur einer der berühmtesten Strände der Welt. GIs, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Pazifikinseln erholten, Surfer, Elvis Presley und der spießige Zeitgeist der Fünfzigerjahre, in denen halb nackte Hula-Tänzerinnen, Cocktailbars in Treibholzoptik und phallischer Tiki-Dekor als das ungefähr Wildeste galten, was man sich vorstellen konnte, trugen zum Mythos Hawaii bei. The Kinks rockten schon 1966 in ihrem Song „Holiday in Waikiki“ vom Touristennepp.
Ursprünglich war Waikiki der Königsfamilie vorbehalten, die dort Wellenreiten ging. Die ersten Hotels wurden Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, bevor die Amerikaner den letzten König wegputschten und sich den bis dahin unabhängigen Inselstaat Hawaii einverleibten. Die besten Zimmer hatten nicht etwa Blick auf den Pazifik, sondern in die exotisch blühenden Gärten – die Anreise mit dem Schiff war so lang und beschwerlich, dass die Gäste kein Meer mehr sehen konnten.
Heute stehen die kostspieligen Hotelhochhäuser, Bars und Restaurants direkt im Sand. Zum Surfen eignet sich das badewannenwarme türkisfarbene Wasser mit dem kleinen, aber langen Wellenbruch besonders gut für Anfänger, die hier Kurse buchen können. Macht Spaß. Aber das echte Hawaii-Gefühl erlebt man auf dem Archipel anderswo.
Jochen Temsch
Mit dem Kajak durch Venedig
Mit dem Kajak durch Venedig
Der aufregendste Moment ist sicher der, in dem man aus einer jener schmalen Wasserstraßen, die Venedig prägen, quasi ins Freie entlassen wird: in den Canal Grande. Motorboote von links, Vaporetti von rechts, dazwischen kreuzende Gondeln. Und mitten im Gewusel wir, Touristen im Kajak. Der Guide treibt seine Gruppe zusammen, und auf sein Kommando hin paddeln alle los. Blick stur auf den Palazzo gegenüber gerichtet, volle Kraft voraus – alle kommen heil, aber mit Herzklopfen, auf der anderen Seite an.
Wer mit dem Kajak durch Venedig paddelt, ist zweierlei: ein Fremdkörper im eingespielten Miteinander der Wasserbenutzer, die einen das auch spüren lassen. Einige Gondolieri kommen unseren schmalen, leichten Plastikgefährten mit ihren flachen, schweren Holzbooten beängstigend nah. Unser Lächeln findet keinen Widerhall, vermutlich spüren sie, dass es mehr hilfloser Beschwichtigungsversuch ist, als wirklich freundlich gemeint.
Zum anderen ist man selbst Touristenattraktion. Auf jeder Brücke stehen Menschen, die die Gruppe fotografieren. Was nett ist, wenn man geschmeidig durch einen geraden Kanal paddelt. Und peinlich wird, sobald man um ein Hauseck zu lenken versucht. Wir haben, da wir später noch in die Lagune hinausfahren werden, meerestaugliche Kajaks – zu lang für jede elegante Kurvenfahrt, zumindest für Ungeübte.
Aber was soll’s. Wir sind glücklich nah ans Wasser gesetzt, das erstaunlich sauber ist. Kleine Krebse klettern die Hauswände empor, man sieht Fische vorbeihuschen und übersteht später, bei der Fahrt durch die Lagune, sogar einen aufziehenden Sturm. Und in der Nacht danach durchlebt man noch mal den Tag: Alles schwankt.
Monika Maier-Albang
Wandern im Wadi Rum
Wadi Rum in Jordanien
In die Wüste gehen. Das klingt nach Entbehrung, ist aber ein Erlebnis, wenn man es richtig macht. Entweder zu Fuß oder auf dem Rücken eines Kamels. In den späten Nachmittagsstunden, wenn die sinkende Sonne den Sand und die monumentalen Felsen des Wadi Rum in Jordanien rot, gelb und braun einfärbt, ist der beste Zeitpunkt dafür. Jetzt im Frühling sprießen kleine rosa Blümchen aus dem Sand, weswegen das schaukelnde Verkehrsmittel namens Kamel immer wieder stehen bleibt, den langen Hals nach unten beugt und daran nascht. So hat man genug Zeit, diese weite, unglaublich fotogene Landschaft aus Sand und bis zu 1700 Meter hohen Felsbergen aufzusaugen.
Es hat etwas Meditatives, ja sogar Biblisches, sich mit 4 km/h einem Zeltcamp zu nähern, das irgendwo hinter einem Felsen steht und das Lager für die Nacht sein wird.
Natürlich ist das hier alles für Touristen gemacht, vom Miet-Kameltreiber bis zu den vielen Zeltlagern. Und dennoch hat man in manchen Momenten das Gefühl, allein mit der gewaltigen Natur zu sein, der es so etwas von egal wäre, wenn man hier verdursten würde. In der Ferne ziehen Pick-ups und ein Wasser-Tanklaster Staubfahnen hinter sich her, aber die Kamelwanderer sind auf einmal von einer riesigen Schafherde umgeben, die im schönsten Abendlicht das Frühlingsgrün aus dem Sand rupft.
Und wenn man kurz vor Sonnenuntergang im Zeltlager ankommt, führt der erste Weg auf einen sonnenwarmen Felsen, in der Hand ein mitgebrachtes jordanisches Bier ohne Alkohol. Langsam schwinden die Farben aus der Wüste, erste Sterne sind zu sehen und aus dem Lager weht ein Duft von gebratenem Fleisch herüber. Entbehrung sieht anders aus.
Hans Gasser
Auf dem Mekong
Auf dem Mekong
Gebratene Algen mit Tilapia-Filet, beides aus dem Fluss. Die Algen gepresst zu einer hauchdünnen Platte, mit kleinen Knoblauchstückchen darin, etwas Sesam und Chili obendrauf – auf der Mekong Pearl bekommt man das auf den Teller. Schmeckt wunderbar.
Wir sind unterwegs auf dem Mekong in Laos. Flussabwärts im Delta in Vietnam ist der Schiffsverkehr dicht. Hier aber, am Oberlauf des Flusses, kann man in sauberem Wasser schwimmen. Die Passagierboote aus Teakholz machen abends an menschenleeren Stellen halt. Tagsüber sieht man Wasserbüffel am Ufer liegen. Der Sand ist so weiß wie in der Karibik. Sandbänke wechseln mit steilen Felsabschnitten, dazwischen Teak- und Gummibäume. Ab und an ist ein Waschband zum Goldfördern zu sehen. Fischerbooten begegnet man nur wenigen. Selten stören Schnellboote die idyllische Ruhe.
Zehn Tage braucht die Mekong Pearl für die etwa 600 Kilometer von der laotischen Hauptstadt Vientiane im Süden flussaufwärts über Luang Prabang bis zum Goldenen Dreieck, in das Grenzgebiet von Laos, Thailand und Myanmar. Es ist eine Schiffsreise durch noch weitgehend unberührte Natur. Die allerdings wird angesichts der Staudamm-Projekte, die China und Laos verfolgen, bald der Vergangenheit angehören.
Das Land wandelt sich rasant. Seit 2021 verbindet ein Schnellzug China mit dem ehemaligen Königreich Laos. Noch bringt der Fluss die Besucher zu entlegenen Dörfern, zu denen nicht einmal eine Straße führt. Vor den Häusern sieht man kleine, bunte Holzhäuschen. Sie sollen böse Geister vertreiben. Die vielen Touristen, die man bald auch im Landesinneren antreffen wird, werden sie wohl nicht aufhalten.
Lars Reichardt
Die Schönheit des Taj Mahal genießen
Taj Mahal
Es gibt Sehenswürdigkeiten, die lassen sich nicht durch Overtourism zerstören. Das Taj Mahal ist einer dieser Orte, er liegt etwa 180 Kilometer von Delhi entfernt. Ein Tagesausflug dahin dauert also wirklich einen ganzen Tag, bei den Verkehrsverhältnissen in Indien. Man sollte zwei Übernachtungen einplanen. Vor dem Taj Mahal werden Busladungen entleert, umweltfreundliche Elektro-Zubringer fahren die täglich etwa 40 000 Besucher durch den üppig verzierten Empfangsbereich.
Es folgt eine Art Hütchenlauf vorbei an Selfie-Sticks und Instagram-Paaren. Frisch Verheiratete lassen sich gerne vor der Kulisse des Taj Mahals fotografieren, es ist schließlich nicht nur Unesco-Welterbe, sondern auch ein Monument der Liebe. Der Großmogul Shah Jahan ließ die Grabstätte um 1630 für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal bauen. Tonnenweise wurde Marmor auf Elefanten herbeigeschafft. Jahan fand später neben Mumtaz seine letzte Ruhe.
Dann geht es durch den Park, durch den helle Eichhörnchen jagen, und zum eigentlichen Gebäude hoch, das man nur mit Überschuhen betreten darf.
Der weiße Marmor, der die Schönheit des Ortes ausmacht, soll nicht abgetragen werden. In der Grabstätte umhüllt einen dann eine wohltuende Stille. So wie sich das gehört an so einem Ort. Das Licht ist gedämpft und durch die alten, kalten Steine meint man tatsächlich so etwas wie unendliche Liebe zu spüren. Allerdings ist der Ort selbst leider bedroht. Nicht die vielen Besucher, sondern Umweltschäden setzen dem Taj Mahal seit Jahren zu. Ein Grund mehr, bald hinzufahren.
David Pfeifer
Einmal im Leben
Gold suchen in Kalifornien
Und dann, tatsächlich: Gold! Das Gefühl ist deshalb umso intensiver, weil man weiß, dass man sich das gewaltige Nugget im Sieb redlich verdient hat. Mehr als zwei Stunden lang hatte man im Fluss gebuddelt, den nassen Sand in einen Eimer und von dort aus in eine Waschrinne und Goldwaschpfanne geschüttet – harte, nicht gerade rückenfreundliche Arbeit; man schwitzt nicht nur wegen Temperaturen jenseits der 40-Grad-Celsius-Marke, sondern auch wegen dieser Tätigkeit, an der sich seit der Zeit der Forty-Niners nicht wirklich viel geändert hat.
Insgesamt 300 000 Leute waren während des ersten Goldrauschs von 1849 an nach Kalifornien gekommen, und sie gruben, schürften, siebten.
Es gibt nun einen zweiten Goldrausch in Kalifornien: Nach Jahren der Dürre und katastrophaler Lauffeuer hatte es Ende 2022 gestürmt, geschneit, geregnet. Stürme wirkten wie Sandstrahler in den Bergen der Sierra Nevada; Regen und geschmolzener Schnee transportierten allerhand Gestein und damit auch Gold in die Täler. Das bedeutet, dass man im Woods Creek, einem Fluss in der Nähe der Goldgräberstadt Jamestown etwa zwei Autostunden südöstlich von Sacramento, tatsächlich Gold finden kann.
Am besten tut man das mit Nick Prebalick, den hier alle nur Nugget Nick nennen. Der berichtet nicht ohne Stolz, dass auf jedem der 700 Ausflüge in den vergangenen 18 Monaten tatsächlich Gold gefunden wurde.
Er bringt die Utensilien mit und zeigt einem, wie man nach Gold schürft – und lädt einen ein, sich ordentlich anzustrengen, damit es auch diesmal klappt; und das tut es.
Mehr als 70 Dollar sei es wert, dieses dreieckige Nugget, sagt ein Juwelier später – aber warum sollte man es jemals verkaufen wollen? Es kann kein besseres Wilder-Westen-Souvenir geben als dieses.
Jürgen Schmieder
Zwischen Fjorden
So aus der Ferne betrachtet ist Bergen die Hölle. Die Stadt an Norwegens Westküste gilt als ein Magnet für Kreuzfahrtschiffspassagiere und Wohnmobilisten, wobei Letztere zumindest nicht in Rudeln auftreten. Und dann das Wetter!
Je nachdem, welchen Internetmeteorologen man vertraut, ist Bergen mindestens die regenreichste Stadt Skandinaviens, wenn nicht gar Europas. Im Schnitt fällt jährlich etwa dreimal so viel Regen wie in Hamburg. Denn eine Mischung aus Fjorden und Bergen (!) ist eben selten ein Garant für dauerhafte Trockenheit.
Nur: Fjorde und Berge(n) sind halt schon auch eine unschlagbare Kombination. Die sieben Hügel in und rund um die 270 000-Einwohner-Stadt sind sogar zehnmal höher als jene in Rom und tragen so unrömische Namen wie Lyderhorn (396 m), Rundemanen (568 m) oder Ulriken (643 m).
Mehr als die eigenen Füße braucht es nicht im dichten Stadtkern, sogar McDonald’s und Starbucks – untergebracht im alten Kjøttbasaren, also: Fleischbasar – sehen einladend aus. Bei der Ortsinspektion zeigt sich außerdem: Das mit dem Wetter ist gar nicht so arg wie erwartet, weil die Norweger fast alles können, aber Wetterbericht offenbar nicht so wirklich. So geht’s recht trocken, aber nicht langweilig durch das Bergen Aquarium (gut, das ist eh drinnen), den Fischmarkt, auf dem es auch Rentiersalami gibt, und natürlich das hölzern-bunte Hanseviertel Bryggen, Unesco-Weltkulturerbe.
Abends, wenn sich die Kreuzfahrtschiffsfahrer auf die Kreuzfahrtschiffe zurückziehen und die Sommersonne teils erst nach 23 Uhr hinter dem Horizont verschwindet, trinkt man vor diesen ehemaligen Handelskontoren deutscher Kaufleute ein einziges 110-Kronen-Bier (rund zehn Euro) als Sundowner. Es ist jede Krone wert.
Dominik Prantl
Baden im Yssykk-Köl
Da drüben, auf der anderen Seite, was mag das sein? Die frisch verschneiten Gletscher des Tienshan, 4500 Meter über dem Meer und 3000 über dem See? Oder ein Wolkengebirge aus aufgetürmten Cumulus? Das Ufer gegenüber ist 60 Kilometer weit weg, und am Yssyk-Köl scheinen die Linien zu verschwimmen zwischen Wasser, Stein und Eis.
Kein Land der Welt ist weiter weg von einem Meer als der Binnenstaat Kirgisistan. Und doch haben die Kirgisen einen Ozean inmitten ihrer Bergwelt: zweitgrößter Gebirgssee nach dem Titicaca, von West nach Ost misst er 182 Kilometer, bis zu 668 Meter ist er tief. Nie friert er zu. Yssyk-Köl bedeutet „heißer See“, auch wegen seiner Thermalquellen. Im Sommer bringt er es immerhin auf 20 Grad, warm genug, um abzutauchen zwischen seinen bunten Kieseln. Leicht salzig ist das Wasser und glasklar. Der See liegt da wie ein flaschengrüner Wackelpudding.
Das russische Militär testet noch immer Torpedos hier. Früher, zu Sowjetzeiten, schickten die Bruderländer außerdem Tausende Sommerfrischler an den See. An deren ausgestorbenen Bettenburgen bröckelt jetzt der Beton. Und der Yssyk-Köl gehört wieder den Kirgisen. In der Nähe von Barskoon am Südufer: am Strand einer aufgelassenen Ferienanlage eine Familie auf einer Picknickdecke. Der Vater schlachtet eine gewaltige Wassermelone, die Kinder entern den Turm, auf dem früher mal der Bademeister saß. Sonst nur der sanfte Wellenschlag. Kein aufgeblasenes Plastikeinhorn, kein Jetski weit und breit, nicht mal ein Segelboot auf der weiten Glitzerfläche. Und am anderen Ufer das Gebirge zwischen Fels und Wolken.
Thomas Heinloth
Mit dem Zug zur Hudson Bay
Nach Churchill an der Hudson Bay führt kein Weg. Wer den isolierten Ort im Norden der kanadischen Provinz Manitoba besuchen will, muss das Flugzeug nehmen – oder den Zug. Fliegen ist teuer, ein Ticket für die 1929 fertiggestellte Zuglinie indes relativ billig. Die Strecke ist die Lebensader für die 900 Leute in Churchill, eine fragile: Immer wieder muss sie aufgrund von Überflutungen oder dem Abtauen des Permafrostbodens gesperrt werden.
Als eine Überflutung die Bahn 2017 für eineinhalb Jahre lahmgelegt hatte, schnellten die Lebensmittelpreise in die Höhe, der Künstler Kal Barteski organisierte deshalb eine Graffiti-Aktion an stillgelegten Gebäuden in der Stadt, um auf das Problem aufmerksam zu machen – heute sind die Murals eine Attraktion.
Zwei Tage und zwei Nächte dauert die Fahrt ab Winnipeg; nur 16 Stunden sind es, wenn man im 750 Kilometer nördlicher gelegenen Thompson einsteigt. Also rauf über die einsamen, aber noch geteerten Straßen nach Thompson, Auto am Bahnhof abstellen (nicht empfohlen von Via Rail Canada) und hoffen, dass in den Tagen der Abwesenheit niemand die Tür eintritt. Der Zug fährt pünktlich um 16 Uhr ein, die Touristen stürmen los. Aber erst ab zur Taschenkontrolle: Es ist verboten, Alkohol mitzubringen. Dann geleitet der Schaffner die Fahrgäste zu ihren Plätzen. Der Zug ist in die Jahre gekommen, aber die Sitze sind breit und bequem, gerade richtig für diese Schaukelfahrt.
Immer wieder schwankt der Waggon, und draußen ist nur Wildnis! Pappelwälder weichen dünnen Nadelwäldern, es geht über breite Flüsse, vorbei an Seen. Da eine Biberburg, hier ein Baum, auf dem ein Weißkopfseeadler hockt. Das Gefühl des Ausgesetztseins nimmt mit jedem Kilometer zu. Kurz nach acht Uhr morgens, nach einer hellen Sommernacht, dann die Durchsage: „Bald erreichen wir Churchill.“ Man ist angekommen in der Zwecksiedlung mit ihrem robusten Charme.
Dort, wo Eisbären übersommern, wo Belugawale elegant ihre Bogen ziehen, wo man Nordlichter bestaunen kann. All das ist die 32 Stunden im Zug hin und zurück wert.
Johanna Pfund
In Las Vegas heiraten
Okay, an die ganz großen Wahnsinnigen dieser Welt reicht man doch nicht ran – also jene, über die der Besitzer der „Bliss Wedding Chapel“ spricht, der am besten bewerteten Hochzeitskapelle in Las Vegas: Schauspielerin Carmen Electra und Basketballstar Dennis Rodman, die völlig knülle heirateten und die Ehe neun Tage später annullieren ließen. Oder der Typ, der aus Frust über seine Verlobte schnell mal sein Motorrad geehelicht hat. Oder der Bräutigam, der seine Braut erst ein paar Stunden davor am Pool kennengelernt hatte und vor der Trauung fragte, ob denn jemand bitte rausfinden könne, wie seine künftige Ehefrau eigentlich mit Nachnamen heiße.
Man will dieses Erlebnis, das man aus Filmen kennt, und genau das kriegt man: Die Limousine holt einen vom Hotel ab, es geht über den legendären Strip, der Gratis-Champagner fließt aus Magnum-Flaschen – und in der Kapelle wartet natürlich: Elvis. Er redet während der Zeremonie, soweit Presley-Liedtexte ihn tragen (vor dem Kuss etwa: „It’s now or never“), und das Erstaunliche ist: Irgendwann vergisst man, wie fake das ist, so wie man in Vegas ganz generell vergessen muss, wie fake es ist.
Man muss sich einlassen darauf, komplett, dann ist es unvergesslich: dass der Sohn tatsächlich Schuhe trägt, auf deren Sohlen „Game Over“ steht. Dass der Fotograf, der einst Electra und Rodman ablichtete, einem versichert, dass diese Ehe halten werde. Und dass die Mutter, der größte noch lebende Elvis-Fan der Welt, am Ende der Zeremonie in den Armen des (tatsächlich grandiosen) Imitators liegt und mit ihm – der Video-Beweis wird niemals vernichtet werden – gemeinsam „Viva Las Vegas“ schmettert.
Jürgen Schmieder
Mont-Saint-Michel
Es dürfte nicht die allerneueste Erkenntnis sein, manchen Orten besser fernzubleiben, um ihre Schönheit zu bewahren. Aber die Klosterinsel Mont-Saint-Michel in der französischen Normandie drängt dazu, es mal wieder zu betonen: Kommt man zu nahe, treten Dinge hervor, die das Postkartenmotiv etwas … nun ja, geraderücken.
Tausendfach wurde sie fotografiert, die Gemeinde mit ihrer thronenden Abtei auf einer Insel im Meer: Mont-Saint-Michel bei Sonnenuntergang mit friedlich grasenden Schafen im Vordergrund, des Nachts bei Vollmond … Seit 1979 gehören Insel und Bucht zum Unesco-Welterbe, und das ist – wie bei allen Weltkulturerben – Segen und Leid zugleich. Der Segen: Mont-Saint-Michel sieht wirklich so prächtig aus, wie es die Fotos zeigen, und es ist wirklich beeindruckend, wenn man auf einer einsamen französischen Landstraße um die Kurve biegt und das Gemäuer in der Ferne aufragen sieht. Als wäre da ein Raumschiff aus dem Mittelalter auf einem verlassenen Fleck Erde gelandet. Der Anblick ist außerirdisch.
Außerirdisch ist aber auch die Zahl der Touristen. Womit wir beim Leid wären. Hunderte pilgern den Fußweg entlang zur Bucht. Shuttlebusse ziehen im Minutentakt vorbei.
Sind die Pilger durch den Eingang gelangt, schleppen sie sich eine einzige Gasse empor zur Abtei. In Gänsemarsch und Schneckentempo passieren sie Imbissbuden, die in der Fressmeile jeder beliebigen Shoppingmall stehen könnten, und Shops, in denen man den Eltern die obligatorische Miniaturskulptur für neun Euro kauft und eine Postkarte, auf der später stehen wird: Nett hier, aber kehrt um, wenn ihr davor steht, denn das Schönste werdet ihr bis dahin gesehen haben.
Carolin Werthmann
Cappuccino trinken auf dem Markusplatz
Für 18 Euro kann man das Schloss Neuschwanstein besuchen, in den Münchner Tierpark gehen oder sich an einem Freitagabend durch das Stadion von Eintracht Frankfurt führen lassen. Oder aber man setzt sich auf den Markusplatz in Venedig und bestellt einen Cappuccino im Caffè Florian, inklusive Live-Musik (alles dabei von Vivaldi bis Céline Dion). Jeden Gedanken zur Sinnhaftigkeit dieses Unterfangens muss man dabei im Hotelzimmer lassen.
Weil: Natürlich ist der Preis völlig übertrieben. Selbstverständlich bekommt man den Cappuccino für einen Bruchteil in zig anderen schönen Cafés der Stadt. Auch klar, dass sich hier kein Gastronom groß anstrengen muss, damit die Tische mit Blick auf Basilica, Uhrturm, Campanile dauerbesetzt sind.
„Andemo da Florian!“ („Lasst uns ins Florian gehen!“), darf man dennoch mal beherzt auf Venezianisch in die Runde rufen. Immerhin sitzt man dort seit 1720, das Café ist eines der ältesten Venedigs. Wem Touristen, Tauben und Tand auf der Piazza – so wird nur der Markusplatz genannt, die restlichen Plätze der Stadt heißen campi – zu viel sind, der nimmt in einem der sechs opulenten Salons Platz – auf dunkelrotem Samt, unter goldenen Spiegeln, mit Blick auf gemalte Engel, Liebespaare, berühmte Venezianer.
Da ist der Preis für einen Cappuccino schnell vergessen, zumindest bis 2025, wenn zudem noch zehn Euro Eintritt in die Stadt pro Person anfallen. Am schönsten ist der Markusplatz übrigens nachts. Wer sich den Wecker auf drei Uhr früh stellt, hat ihn gewiss für sich. Gibt dann nur leider keinen Cappuccino.
Julia Rothhaas
Baden am Pont du Gard
Rechtes oder linkes Ufer? Das kann eine Lebensentscheidung sein. An manchen Orten legt man sich, je nachdem, auf welcher Seite des Flusses man lebt, zwangsläufig auf eine Lebensart fest. Am Gardon ist das nicht so. Zwar sind die beiden Ufer auf Höhe des Pont du Gard ebenfalls recht unterschiedlich. Aber ob man nun das rechte oder das linke ansteuert, hängt nur davon ab, wo man seinen Wagen lieber abstellen möchte.
Diese Frage stellt sich vor allem, wenn man partout nicht an Kultur interessiert ist oder unter keinen Umständen zum Baden will. Am linken Ufer dieses Flusses, der in den Cevennen entspringt, durchs Languedoc mäandert und bald hinter dem Pont du Gard in die Rhône mündet, befindet sich nämlich ein sehenswertes Museum über den Aquädukt und seine Bedeutung für die Römer.
Am rechten Ufer kommt man indessen bequem ans Wasser. Am schönsten ist es aber ohnehin, wenn man beides verbindet. Zu Fuß ist man über den Aquädukt aus dem ersten Jahrhundert schnell auf der anderen Seite. An der Badestelle gibt es einen kleinen Strand, auch Felsen, von denen man in den Fluss springen kann, der dort tief genug ist.
Beeindruckender als vom Wasser aus ist der Anblick des Pont du Gard nirgends. Beliebt sind Kajaktouren. Am entspanntesten ist es jedoch, sich auf dem Rücken liegend von der sanften Strömung unter dem einzigen der 52 Bögen, der den Gardon unmittelbar überspannt, hindurch schwemmen zu lassen, wieder und wieder. Anspruchsvoller ist jeweils der Rückweg, flussaufwärts kraulend. Wer bis nach der Dämmerung bleibt, kann im Juli und August eine 20-minütige Lichtshow sehen, die auf das antike Bauwerk projiziert wird.
Stefan Fischer
Agrigent bestaunen
Das Valle dei Templi in Agrigent ist ein Ort, an dem man seine Schritte verlangsamen sollte. In den Sommermonaten wegen der Hitze, aber auch um die Sogwirkung der Jahrhunderte zu spüren, einen Hauch von Ewigkeit. Was würde man dafür geben, die Menschen kennenlernen zu dürfen, die vor 2500 Jahren diese Meisterwerke geschaffen haben? Am besten beginnt man die Tour durch das Tal der Tempel im milden Licht der Morgenstunden. Und dann bitte den Blick schweifen lassen: Übers Mittelmeer kamen einst die griechischen Siedler, um hier im Süden Siziliens eine glanzvolle Polis zu errichten, das antike Akragas – und ein Heiligtum für die Götter entlang der südlichen Stadtmauer.
Nicht alle Denkmäler sind so gut erhalten wie der Concordiatempel. Vom Dioskurentempel, hier im Bild, der den unzertrennlichen Brüdern Castor und Pollux gewidmet ist, stehen nur noch vier rekonstruierte Säulen, jede eine Majestät für sich. Fast zu schön für ein schnödes Handyfoto, deshalb sitzen manche Bewunderer andächtig mit ihren Zeichenblöcken davor. Umso ernüchternder dann der Blick hinauf zum heutigen Agrigent. Vom Archäologiepark aus gesehen wirkt die Stadt auf dem Hügel wie ein schlechter Scherz, ein deprimierender Wohnblock reiht sich an den nächsten.
Diese Kulisse der Mittelmäßigkeit, Resultat einer mafiösen Lokalpolitik, verdeckt die Altstadt. Und die sollte man sich keinesfalls entgehen lassen: Agrigent am Abend ist ein herrliches Vergnügen, ein Schaulaufen zwischen spätbarocken Palästen, Kirchen und Restaurants. Wie schrieb doch der Philosoph Empedokles über seine Mitbürger? „Sie speisen, als müssten sie morgen sterben, und bauen, als könnten sie ewig leben.“ Das kann man, die hässlichen Hochhäuser aus dem 20. Jahrhundert weggedacht, genau so stehen lassen.
Christian Mayer
Bei den Wüstenelefanten in Namibia
Wer schon bei der Lektüre von Ernest Hemingways Afrika-Abenteuern leicht zittrige Hände bekommt, der wird die Trockenflüsse des nordwestlichen Namibias lieben, den Ugab etwa, den Huab oder den Hoanib.
„Riviere“ lautet das deutschnamibische Lehnwort aus dem Afrikaans für diese nur während der Regenzeiten Wasser führenden Flüsse. „Ephemer“, kurzlebig, flüchtig, nennen das die Botaniker und auch Geografen.
Manchmal kämpfen sich die kurzlebigen Wassermassen durch die Savanne und die Wüste Namib bis an den Atlantik vor; bewässern die Galeriewälder aus Anabäumen, Mopane und Kameldorn und mit ihnen die Flussbette, welche den Rest des Jahres nur aus Sand bestehen. Dann können sie mit dem Geländewagen befahren werden, zumindest von jenen, die das Geländewagenfahren beherrschen. Denn das Sandbett ist ein tückischer Untergrund.
Die Gegend ist auch einer der letzten Orte Afrikas und einer der wenigen der Welt, in dem große Säugetiere noch ungestört und ohne Nationalparkgrenzen ihrer Wege gehen. Denn es gibt hier kaum Menschen und keine Zäune zwischen den Trockenflüssen. Sie sind damit Oasen für Antilopen – darunter Namibias Wappentier, der Spießbock – für Giraffen und für Spitzmaulnashörner, und vor allem für die in jeder Hinsicht sagenhaften Wüstenelefanten.
Höchstens ein paar Hundert, möglicherweise auch weniger der an diesen Lebensraum angepassten und immer etwas ausgemergelt wirkenden Tiere soll es nur noch geben. Wer Glück hat oder Pech – das liegt im Auge des Betrachters – bekommt von ihnen sogar nachts auf dem Zeltplatz Besuch. Blöd nur, wenn man dann ganz dringend mal auf die Toilette müsste.
Dominik Prantl
Mittsommernacht in Schweden
Die Sonne scheint, mancherorts den ganzen Tag lang. An der Maistange rankt frisches Grün, selbst geflochtene Blumenkränze legen sich um die Schläfen der Gäste, das Buffet biegt sich unter Hering, Lachs und Fleischbällchen. Für viele Schweden sieht so ihr neben Weihnachten wichtigstes Familienfest aus. Und wer einmal die Gelegenheit hat, ein echtes Mittsommerfest im Norden zu erleben, sollte sich dies auf keinen Fall entgehen lassen.
Warum die Schweden dann so ausgelassen sind, ist schnell erklärt: Das halbe Jahr lang ist es in ihrem Land ja recht dunkel. Dafür scheint die Sonne in der anderen Jahreshälfte viel länger als anderswo und bekanntlich niemals länger als am Mittsommertag. Astronomisch betrachtet fällt dieser meist auf den 21. Juni. Das dazugehörige Fest wird stets am nächstgelegenen Freitag gefeiert, damit die Partygäste danach ausschlafen können. Man ist pragmatisch.
Ein typischer „Midsommarafton“ wird mit Freunden, Familie oder der Dorfgemeinschaft gefeiert, am liebsten im eigenen Sommerhaus. Pünktlich zur Sonnenwende beginnen die Sommerferien, und aus den Städten fliehen die Schweden hinaus an die Seen oder auf die Schäreninseln. Neben Essen und guter Gesellschaft ist der Höhepunkt des Festes dann der Tanz um den geschmückten Baum. Dabei gibt es einige traditionelle Stücke, die keinesfalls fehlen dürfen.
Etwa das Kinderlied von den „Kleinen Fröschen“ (Små grodorna), bei dem die Festgemeinde quakend um den Baum hüpft. Das klingt einigermaßen bizarr und sieht auch so aus – weshalb das Lied in Zeiten von Youtube und Tiktok auch überregional bekannt geworden ist. Wer je ein Mittsommerfest besucht, sollte unbedingt mithüpfen. Und keine Sorge vor eventuellen Hemmungen: Schnaps gibt es an Mittsommer eigentlich auch immer.
Gunnar Herrmann
Den Kailash umrunden
Die Prosopagnosie, die Unfähigkeit, Gesichter wiederzuerkennen, hat es schon fast in den Alltagswortschatz geschafft. Ob es das auch für Berge gibt?
Der Duden kennt nur die Orognosie, die Gebirgsforschung, die Oroagnosie fehlt bedauerlicherweise.
Es gibt aber einen Berg, der Trost verspricht: Der Kailash in Tibet, heiliger Berg für Buddhisten, Hindus, Jains und Bön, ist mit seinen Querstreifen und der auffälligen Form selbst für schwere Fälle unverwechselbar.
Der Legende nach wetteiferten am Kailash einst der Yogi Milarepa und der Bön-Priester Naro Bönchung darum, wer als erster den Gipfel erreichen würde.
Während Naro Bönchung auf seiner magischen Trommel aufstieg, meditierte Milarepa am Fuß des Berges, um dann auf einem Strahl der aufgehenden Sonne zum Gipfel zu fliegen. Im Zorn über seine Niederlage soll Naro Bönchung mit seiner Trommel die tiefe Rinne auf der Südseite hinterlassen haben.
Aufgrund seiner religiösen Bedeutung hat bis heute niemand den Kailash bestiegen. Aber man kann ihn umrunden.
Eine solche Kora, für Buddhisten zwingend im Uhrzeigersinn, ist eine wichtige Pilgerreise, manche absolvieren sie sogar in rituellen Niederwerfungen.
Es ist aber auch eine unvergleichliche 53-Kilometer-Wanderung, die an Klöstern vorbei und über den 5600 Meter hohen, mit Gebetsfahnen geschmückten Dolma-La-Pass führt.
Im Zelt mit wenig Proviant können Nächte in solchen Höhen sehr lang und sehr kalt werden, aber vielleicht ist auch das Teil der spirituellen Erfahrung.
108 Mal, so heißt es, sollte man den Kailash umrunden, um zur Erleuchtung zu gelangen. Einmal reicht also nur für eine Hundertachtel-Erleuchtung – aber immerhin.
Marlene Weiß
Lavendelfelder in der Provence
Die Zikaden bestimmen den sommerlichen Sound in der Provence. Ihr Zirpen ist nahezu überall zu hören. Nur in den Lavendelfeldern nicht. Dort dominieren stattdessen Bienen und Hummeln die Geräuschkulisse: Summend sammeln sie Blüte für Blüte die Pollen und den Nektar ein, zu Tausenden erzeugen sie einen satten Bassklang.
Von Juni bis in den August hinein blüht der Lavendel; oberhalb von 600 Metern der echte, etwa rund um Sault nahe dem Mont Ventoux, dazu in den Ebenen der Lavandin, eine sterile Kreuzung. Mögen die Zikaden einen hier im Süden Frankreichs, entlang der Rhône, auch abschneiden vom Lärm der Leute oder des Verkehrs (nicht selten zu dem Preis, dass dieses Zirpen selbst enervierend wird): Mitten in einem Lavendelfeld stehend, wird man noch einmal auf ganz andere Weise aus der Realität entführt.
Denn der Lavendel packt einen bei allen Sinnen: Da ist das im Wortsinn Offensichtliche, dieses Violett, ein Farbton, der so dominant wie hier nirgends anders vorkommt auf solch hektargroßen Flächen – hat man den perfekten Standort gefunden, sieht man nichts sonst.
Da ist außerdem der unverwechselbare, intensive und trotzdem nicht aufdringliche Duft – frisch, angenehm herb, in feiner Balance dazu ein leicht süßlicher Hauch. Und eben das Bienenbrummen: vital, gleichzeitig beruhigend. Provenzalische Meditationsmusik.
Die Lavendelblüten anzufassen, sie zwischen den Fingern zu zerreiben, hinterlässt wiederum einen angenehm samtigen Eindruck auf der Haut. Nur die Geschmacksnerven müssen vertröstet werden. Was jedoch sein Gutes hat, weil somit der Rausch verlängert wird bis zum abendlichen Besuch eines Restaurants, das ein Dessert aus Lavendeleis anbietet.
Stefan Fischer
Eine Nacht in Koyasan
Weltentrücktheit ist es wohl, was einem ein Tempelberg verspricht. Und tatsächlich beginnt der Ablösungsprozess bereits, wenn man in die steile Seilbahn steigt, hinauf nach Koyasan. Viele Japaner kommen zur inneren Einkehr und um Verstorbener zu gedenken, auch wenn das Unesco-Welterbe inzwischen viele Touristen anzieht.
Der buddhistische Mönch Kukai hat diesen Ort vor 1200 Jahren für einen ersten Tempel so ausgesucht, dass er besonders abgelegen und unzugänglich sein sollte. Heute stehen mehr als hundert dort, die Hälfte beherbergt Übernachtungsgäste, die pilgern oder zumindest Buddhismus schnuppern wollen. Meist werden die Tempelherbergen von einer Handvoll Mönche am Laufen gehalten.
Einer schlägt jetzt die Glocke zur Abendmeditation: Im schummrigen Licht bei Räucherstäbchenduft driftet man schnell ab, vergisst, wie man hierherkam. Danach darf man essen, was auch die Mönche essen. Jedes der vielen Schälchen ist eine Überraschung, die sich oft auch beim Verzehr nicht erschließt und alle Sinne beschäftigt.
Spätestens beim heißen Bad im Onsen verdampfen die letzten Alltagssorgen. Der nächste Tag startet früh mit Gebeten und endet mit Meditation. Immer wieder, immer wieder. Zumindest für die Mönche. Und für Kukai. Der ist für die Gläubigen nämlich gar nicht gestorben, sondern in ewiger Meditation versunken, in seinem Mausoleum auf dem Friedhof, wo ihm so viele nah sein wollen, dass sich Hunderttausende Gräber angesammelt haben, auch Gedenkstätten von Firmen wie Panasonic, Yakult und Kirin. Angesichts dieser Konzernnamen ist sie dann gar nicht mehr so weit weg, sondern wieder ganz nahe herangerückt, die Welt.
Anja Martin
Im Grand Canyon
Grand Canyon
Wie es am Grand Canyon aussieht? Weiß doch jeder, von Fotos, aus Filmen, grandiose Kulisse, ganz klar. Und dann steht man an der Kante dieser Schlucht und hat selten so intensiv erfasst, dass kein Foto die Wirkung dieser Landschaft tatsächlich wiedergeben kann. Als hätte ein Riese seine Finger in das brettebene Hochplateau im Norden des US-Bundesstaats Arizona gebohrt und das Land auseinandergezogen. 450 Kilometer lang, bis zu 1600 Meter tief, ein steinernes Meer in Rot, Beige, Violett, Braun, ganz unten als schmales grünes Band der Colorado River. So viel größer, tiefer, weiter als gedacht.
Am Grand Canyon ist so ziemlich alles möglich, was die touristische Erlebnisindustrie an schnellen Kicks hergibt, Skywalk, Rafting, Helikopterflug, Fallschirmsprung. Muss man zum Glück alles nicht machen. Aber was sein muss, ist eine Wanderung hinein in den Canyon. Spätestens jetzt verliert die Landschaft alles Kulissenartige, ganz real anstrengend windet sich der Pfad an den Kanten, Säulen und Abbrüchen der farbigen Gesteinsschichten vorbei.
Das kann einen ziemlichen Sog entwickeln, einen Rausch der Tiefe der anderen Art. Schafft man es zu Fuß bis zum Fluss? 1500 Höhenmeter sind das, und es hat schon einen guten Grund, dass auf Schildern davor gewarnt wird, an einem Tag hinunter- und wieder hinaufzusteigen. Jedes Jahr kollabieren Menschen, weil die Anstrengung zu viel wurde oder die Hitze auf dem schattenlosen Weg zu groß. Aber damals, an diesem perfekten Tag, sonnig und trotzdem nicht zu warm, der Himmel klar, die Beine jung und fit, da hat man es einfach gemacht. Nie war es so schön, ganz unten zu sein.
Eva Dignös
Diamond Beach in Island
Diamond Beach in Island
Wo sind denn jetzt die Eisberge? Am Ufer der Lagune Jökulsárlón, in die Islands größter Gletscher seine Eisberge kalbt, ist alles neblig, grau in grau. Ein paar Eiderenten mit winzigen Küken schwimmen hier, sie scheinen keine Kälte zu kennen. Doch auf einmal bricht etwas Sonnenlicht durch die Wolken und die Szenerie ändert sich komplett.
Himmelblaue Eisberge schwimmen in dem dunkelgrünen Meerwasser, zwischen den teils haushohen Eisbrocken fahren knallrote Kajaks und Schlauchboote herum, besetzt mit Touristen in Überlebens-Overalls. Plötzlich ist alles voll knalliger Farben, als hätte jemand von Schwarz-Weiß auf Bunt umgeschaltet.
Die Eisberge werden aus der Lagune über einen Fluss ins offene Meer gespült. Wer ihnen zu Fuß am Ufer folgt, gelangt an den Diamond Beach, der seinem Namen alle Ehre macht.
Der lange schwarze Strand ist übersät mit Eisbrocken, die teils so glatt und glasklar aussehen wie Diamanten. Sie entstehen, weil die starke Brandung die großen Eisberge zerkleinert und als Eis-Diamanten zurück auf den Strand spült. Man kann hier herrlich herumspazieren und immer wieder neue Formen erkennen, mal eine Schnecke, dann einen Seehund, dann das Matterhorn.
Es wird nie langweilig, auch weil es amüsant ist zu beobachten, wie die vielen Touristen sich mit den Eisbrocken für ein Foto in Szene setzen und manch einer zu spät merkt, dass ihn eine Welle von hinten erfasst und er nasse Beine bekommt.
Wer aber ein, zwei Kilometer den Strand entlangwandert, ist bald allein und kann sich an den Lichtspielen erfreuen, die Vulkansand, Eisbrocken und Sonne hier miteinander aufführen.
Hans Gasser
Schlafen in der Felswand
Portaledge-Übernachtung
Der Ort, um den es hier gehen soll, hat keine festen Koordinaten. Er kann in den USA liegen, in Asien oder im Allgäu, denn es ist ein Ort in der Vertikalen: Ein Portaledge (von Port-a-Ledge, Leiste zum Mitnehmen) kann man überall dort aufhängen, wo es eine sehr steile Felswand gibt. Es handelt sich um eine Art hängendes Zelt, bei gutem Wetter reicht auch die an einem Metallrahmen aufgespannte Liegefläche.
Greg Lowe, Gründer der Outdoor-Marke Lowe Alpine, verwendete einen frühen Prototyp namens Lurp 1972, als er mit Robert Kiesel die Nordwestwand des Half Dome im Yosemite-Nationalpark im Winter kletterte. Eine Wand, bei der man sich als Gelegenheitskletterer fragt, wie das überhaupt jemand klettern kann, mit Schneesturm oder ohne, aber beim Klettern sind Talent, Mut und Leidenswille eben sehr unterschiedlich verteilt.
Darum kommt man als Gelegenheitskletterer normalerweise auch nie in den Genuss einer Portaledge-Übernachtung, es sei denn, man hat Hilfe – in diesem Fall war es eine Testübernachtung mit Bergführer am Kofel in Oberammergau, Einstieg gesichert von der Seite statt kletternd von unten, warme Sommernacht statt Schneesturm. Aber dennoch einige Hundert Meter über dem Boden.
Es ist zwar nicht der Half Dome, aber man liegt unschlagbar auf dem Portaledge, gesichert im Klettergurt, gebettet auf eine dünne Schicht Kunststoff und viele Meter Luft. Ja, da ist auch ein bisschen Panik, aber nie ist der Himmel näher, nie sind die Sterne schöner. Und irgendwann schläft man ein und wacht morgens wieder auf – und es fühlt sich an wie Fliegen.
Marlene Weiß
Durch den Shwedagon gehen
Shwedagon in Myanmar
Da sitzen sie also und beten. Hunderte sind es schon tagsüber. Und am Abend, sobald die Sonne nicht mehr sticht, füllt sich der „Platz der Wünsche“ weiter. Schließlich hocken die Gläubigen dicht an dicht auf den noch warmen Marmorplatten: Junge, Alte, Paare mit kleinen Kindern. Dahinter leuchtet im Scheinwerferlicht der große, mit Goldplatten bestückte Stupa. Ergreifend kann diese innige Frömmigkeit selbst für diejenigen sein, denen der Buddhismus fremd bleibt.
Kein Ort in Myanmar wird mehr verehrt als der Shwedagon in Yangon. Und an keinen Ort mischten sich, bevor das Militär sich 2021 erneut an die Macht putschte, mehr Touristen unter die Einheimischen als hier. In der demokratischen Hoffnungszeit fühlte sich ein Besuch so an: Man geht zwischen vielen asiatischen und einigen europäischen Mit-Urlaubern die Stufen zur Pagode empor, vorbei an den Lotusblüten-Händlern, zieht, natürlich, die Schuhe aus, tritt durch ein Tor – und ist überwältigt von diesem Wald aus Gold.
Auf den ersten Blick ist es eine Wirrnis, dann erschließt sich das System: Den 99 Meter hohen Stupa, dessen Spitze Diamanten, Rubine, Saphire zieren, umgeben 64 Pagoden. Die Gläubigen umrunden die Pagode, kleben Blattgold auf Statuen.
Der ursprüngliche Schrein, womöglich 2500 Jahre alt, soll acht Haare von Siddharta Gautama, dem Begründer des Buddhismus, beherbergen. Spätere Herrscher bauten weitere Hallen, Schreine, Stupas. Woher all der Prunk kam? Vielleicht durch Handel, wohl eher durch Ausbeutung. Ein armes Volk in einem an Bodenschätzen reichen Land, das findet man hier bis heute.
Monika Maier-Albang
Pinguine in Afrika
Pinguine in Afrika
Tiere schauen in Afrika – da fallen einem alle möglichen Spezies ein, aber Pinguine? Das wäre ja in etwa so, als würden sich Flamingos in der Antarktis herumtreiben. In einem Nationalpark außerhalb von Kapstadt aber zählen die tapsigen Kerlchen zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten. Am Boulders Beach der Ortschaft Simon’s Town auf der Kap-Halbinsel hat sich eine Kolonie von Brillenpinguinen eingerichtet – weltweit gibt es nur eine Handvoll derartiger Gebiete. Haben die sich verschwommen? Nein, ihre Vorfahren kamen schon vor Hunderttausenden Jahren aus Südamerika nach Afrika.
Etwa zwei- bis dreitausend gartenzwerggroße Frackträger watscheln hier äußerst Insta-tauglich (und olfaktorisch durchaus ebenso beeindruckend) am Strand im Schatten mächtiger Granitbrocken umher, im Hintergrund jenseits der False Bay flirrt dazu die Skyline von Kapstadt mit dem Tafelberg.
Pittoresker geht es kaum – doch vielen reisenden Social-Selbstdarstellern reicht es nicht, die Tiere aus sicherer Entfernung von den Holzstegen aus zu knipsen, die Besucher nicht verlassen dürfen. Sie rücken ihnen für Selfies aufs Gefieder, stellen ihnen nach und streicheln sie. Nicht gut für die weltweit gesehen stark gefährdeten Tiere, die sich am Boulders Beach aber dennoch gut halten. Sie kriegen nicht nur Stress von Menschen, sie machen auch den Menschen Stress: Ihre Geräusche – eine eigenwillige Kakofonie aus Krächzen und Tröten – nerven Anwohner, zumal die Tiere nachtaktiv sind. Auch so gesehen wirken die schrägen Vögel menschlicher als Löwen und Zebras zusammen.
Jochen Temsch
Zur Welle auf Tahiti
Teahupoo - Tahiti
Was Skifahrern die Streif in Kitzbühel, ist Wellenreitern Teahupoo auf Tahiti: der heiligste Tempel ihres Sports. Selbst Profis der World Tour fürchten die haushohe Röhre aus Wasser und Schaum, diesen Sommer surfen sie hier um olympische Medaillen. Dabei wurde die perfekte Welle erst Mitte der Achtzigerjahre zum ersten Mal gesurft. Denn das Dörfchen, vor dem sie mit unbändiger Kraft bricht, liegt auf der Halbinsel Tahiti Iti, eine lange Fahrt von den Hotels und Malls um die Haupstadt Papeete entfernt. Wo die Straße endet, sieht Tahiti noch so aus, wie man sich das am anderen Ende der Welt gern erträumt: Bungalows unter Palmen und dahinter urwaldgrüne Zuckerhüte mit scharf geschnittenen Graten. Das wäre also die Aussicht, wenn man draußen am Riff die Welle anpaddelt.
Aber wer im Surfkurs mal auf dem Brett stand, sollte jetzt nicht übermütig werden. Eine Anfängerwelle gebe es hier nicht, sagt Max Wasna, der Präsident des Tahiti Iti Surf Clubs. Die sieben Spots entlang der Südküste der Halbinsel sind allesamt Reefbreaks. Wer stürzt, wird im schlimmsten Fall übers Riff geschleift.
Netterweise chauffiert Wasna aber auch Dilettanten mit dem Boot hinaus, damit sie der berühmten Welle zumindest nahekommen. Buckelwale tauchen auf, Speerfischer dümpeln vor dem Riff. Das Meer ist so klar, dass man die Korallen sieht. Manchmal, erzählt Wasna, ritten Delfine die Wellen. Zwei Jünglinge röhren auf ihrem Jetski vorbei, otterhaft gleitet der eine ins Meer. Kurzes Anpaddeln, dann schneidet der Junge scharfe Kurven ins durchscheinende Blau. Man kann ihn nur beneiden, um den wohl schönsten Ort der Welt zum Surfen.
Florian Sanktjohanser
Auf dem Corcovado
Corcovado
Egal, ob man mit dem Flugzeug nach Rio de Janeiro reist, mit der Fähre ankommt oder mit dem Auto: Man sieht die Christstatue, lange bevor man die Metropole erreicht hat. Sie ist das Wahrzeichen von Rio de Janeiro — und wohl das bekannteste Postkartenmotiv ganz Brasiliens.
Brasilianerinnen und Brasilianer sprechen oft lieber vom Corcovado. So heißt der Berg, auf dem die Statue seit 1931 steht. Nachts kann man den Hügel kaum erkennen, er verschwindet im Dunkel und man sieht nur die hell leuchtende Christstatue. Dort, auf der Plattform unter der Statue, versammeln sich täglich mehr als fünftausend Touristen. Manche von ihnen klettern oder wandern hoch, die Mehrheit nimmt die rote Zahnradbahn. Die stammt aus dem brasilianischen Kaiserreich, ist älter als die Christusstatue und eine Attraktion für sich.
In der Bahn sollte man sich nach rechts setzen: Die vier Kilometer lange Strecke führt durch Wald, dann aber macht der Zug eine Linkskurve und die Bäume lichten sich. Wer rechts aus dem Fenster blickt, sieht den Strand von Ipanema und das weite Meer dahinter. Manche sagen, dass man die Schönheit der Aussicht hier sogar hören kann: Dieser kleine Abschnitt wird wegen der typischen Reaktion der Fahrgäste auch die „curva do ó“ genannt — die Kurve des Ohhhh.
Oben angekommen, sieht man die Wälder, die die Stadt umgeben, und das Fußballstadion, man sieht Strände und den Zuckerhut. Dort sollte man übrigens hinfahren, um den besten Blick auf den Corcovado zu haben: Wer am späten Nachmittag in der Gegend um den Zuckerhut ist, kann der Sonne dabei zusehen, wie sie hinter der Statue verschwindet.
Simon Sales Prado
Waikiki Beach
Waikiki Beach
Traumstrände sind lang und einsam, bieten mehlweißen Strand und wilde Palmen. Waikiki Beach in Honolulu auf der hawaiianischen Hauptinsel Oahu hat nichts davon. Waikiki ist kein Traumstrand, es ist nur einer der berühmtesten Strände der Welt. GIs, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf den Pazifikinseln erholten, Surfer, Elvis Presley und der spießige Zeitgeist der Fünfzigerjahre, in denen halb nackte Hula-Tänzerinnen, Cocktailbars in Treibholzoptik und phallischer Tiki-Dekor als das ungefähr Wildeste galten, was man sich vorstellen konnte, trugen zum Mythos Hawaii bei. The Kinks rockten schon 1966 in ihrem Song „Holiday in Waikiki“ vom Touristennepp.
Ursprünglich war Waikiki der Königsfamilie vorbehalten, die dort Wellenreiten ging. Die ersten Hotels wurden Ende des 19. Jahrhunderts errichtet, bevor die Amerikaner den letzten König wegputschten und sich den bis dahin unabhängigen Inselstaat Hawaii einverleibten. Die besten Zimmer hatten nicht etwa Blick auf den Pazifik, sondern in die exotisch blühenden Gärten – die Anreise mit dem Schiff war so lang und beschwerlich, dass die Gäste kein Meer mehr sehen konnten.
Heute stehen die kostspieligen Hotelhochhäuser, Bars und Restaurants direkt im Sand. Zum Surfen eignet sich das badewannenwarme türkisfarbene Wasser mit dem kleinen, aber langen Wellenbruch besonders gut für Anfänger, die hier Kurse buchen können. Macht Spaß. Aber das echte Hawaii-Gefühl erlebt man auf dem Archipel anderswo.
Jochen Temsch
Mit dem Kajak durch Venedig
Mit dem Kajak durch Venedig
Der aufregendste Moment ist sicher der, in dem man aus einer jener schmalen Wasserstraßen, die Venedig prägen, quasi ins Freie entlassen wird: in den Canal Grande. Motorboote von links, Vaporetti von rechts, dazwischen kreuzende Gondeln. Und mitten im Gewusel wir, Touristen im Kajak. Der Guide treibt seine Gruppe zusammen, und auf sein Kommando hin paddeln alle los. Blick stur auf den Palazzo gegenüber gerichtet, volle Kraft voraus – alle kommen heil, aber mit Herzklopfen, auf der anderen Seite an.
Wer mit dem Kajak durch Venedig paddelt, ist zweierlei: ein Fremdkörper im eingespielten Miteinander der Wasserbenutzer, die einen das auch spüren lassen. Einige Gondolieri kommen unseren schmalen, leichten Plastikgefährten mit ihren flachen, schweren Holzbooten beängstigend nah. Unser Lächeln findet keinen Widerhall, vermutlich spüren sie, dass es mehr hilfloser Beschwichtigungsversuch ist, als wirklich freundlich gemeint.
Zum anderen ist man selbst Touristenattraktion. Auf jeder Brücke stehen Menschen, die die Gruppe fotografieren. Was nett ist, wenn man geschmeidig durch einen geraden Kanal paddelt. Und peinlich wird, sobald man um ein Hauseck zu lenken versucht. Wir haben, da wir später noch in die Lagune hinausfahren werden, meerestaugliche Kajaks – zu lang für jede elegante Kurvenfahrt, zumindest für Ungeübte.
Aber was soll’s. Wir sind glücklich nah ans Wasser gesetzt, das erstaunlich sauber ist. Kleine Krebse klettern die Hauswände empor, man sieht Fische vorbeihuschen und übersteht später, bei der Fahrt durch die Lagune, sogar einen aufziehenden Sturm. Und in der Nacht danach durchlebt man noch mal den Tag: Alles schwankt.
Monika Maier-Albang
Wandern im Wadi Rum
Wadi Rum in Jordanien
In die Wüste gehen. Das klingt nach Entbehrung, ist aber ein Erlebnis, wenn man es richtig macht. Entweder zu Fuß oder auf dem Rücken eines Kamels. In den späten Nachmittagsstunden, wenn die sinkende Sonne den Sand und die monumentalen Felsen des Wadi Rum in Jordanien rot, gelb und braun einfärbt, ist der beste Zeitpunkt dafür. Jetzt im Frühling sprießen kleine rosa Blümchen aus dem Sand, weswegen das schaukelnde Verkehrsmittel namens Kamel immer wieder stehen bleibt, den langen Hals nach unten beugt und daran nascht. So hat man genug Zeit, diese weite, unglaublich fotogene Landschaft aus Sand und bis zu 1700 Meter hohen Felsbergen aufzusaugen.
Es hat etwas Meditatives, ja sogar Biblisches, sich mit 4 km/h einem Zeltcamp zu nähern, das irgendwo hinter einem Felsen steht und das Lager für die Nacht sein wird.
Natürlich ist das hier alles für Touristen gemacht, vom Miet-Kameltreiber bis zu den vielen Zeltlagern. Und dennoch hat man in manchen Momenten das Gefühl, allein mit der gewaltigen Natur zu sein, der es so etwas von egal wäre, wenn man hier verdursten würde. In der Ferne ziehen Pick-ups und ein Wasser-Tanklaster Staubfahnen hinter sich her, aber die Kamelwanderer sind auf einmal von einer riesigen Schafherde umgeben, die im schönsten Abendlicht das Frühlingsgrün aus dem Sand rupft.
Und wenn man kurz vor Sonnenuntergang im Zeltlager ankommt, führt der erste Weg auf einen sonnenwarmen Felsen, in der Hand ein mitgebrachtes jordanisches Bier ohne Alkohol. Langsam schwinden die Farben aus der Wüste, erste Sterne sind zu sehen und aus dem Lager weht ein Duft von gebratenem Fleisch herüber. Entbehrung sieht anders aus.
Hans Gasser
Auf dem Mekong
Auf dem Mekong
Gebratene Algen mit Tilapia-Filet, beides aus dem Fluss. Die Algen gepresst zu einer hauchdünnen Platte, mit kleinen Knoblauchstückchen darin, etwas Sesam und Chili obendrauf – auf der Mekong Pearl bekommt man das auf den Teller. Schmeckt wunderbar.
Wir sind unterwegs auf dem Mekong in Laos. Flussabwärts im Delta in Vietnam ist der Schiffsverkehr dicht. Hier aber, am Oberlauf des Flusses, kann man in sauberem Wasser schwimmen. Die Passagierboote aus Teakholz machen abends an menschenleeren Stellen halt. Tagsüber sieht man Wasserbüffel am Ufer liegen. Der Sand ist so weiß wie in der Karibik. Sandbänke wechseln mit steilen Felsabschnitten, dazwischen Teak- und Gummibäume. Ab und an ist ein Waschband zum Goldfördern zu sehen. Fischerbooten begegnet man nur wenigen. Selten stören Schnellboote die idyllische Ruhe.
Zehn Tage braucht die Mekong Pearl für die etwa 600 Kilometer von der laotischen Hauptstadt Vientiane im Süden flussaufwärts über Luang Prabang bis zum Goldenen Dreieck, in das Grenzgebiet von Laos, Thailand und Myanmar. Es ist eine Schiffsreise durch noch weitgehend unberührte Natur. Die allerdings wird angesichts der Staudamm-Projekte, die China und Laos verfolgen, bald der Vergangenheit angehören.
Das Land wandelt sich rasant. Seit 2021 verbindet ein Schnellzug China mit dem ehemaligen Königreich Laos. Noch bringt der Fluss die Besucher zu entlegenen Dörfern, zu denen nicht einmal eine Straße führt. Vor den Häusern sieht man kleine, bunte Holzhäuschen. Sie sollen böse Geister vertreiben. Die vielen Touristen, die man bald auch im Landesinneren antreffen wird, werden sie wohl nicht aufhalten.
Lars Reichardt
Die Schönheit des Taj Mahal genießen
Taj Mahal
Es gibt Sehenswürdigkeiten, die lassen sich nicht durch Overtourism zerstören. Das Taj Mahal ist einer dieser Orte, er liegt etwa 180 Kilometer von Delhi entfernt. Ein Tagesausflug dahin dauert also wirklich einen ganzen Tag, bei den Verkehrsverhältnissen in Indien. Man sollte zwei Übernachtungen einplanen. Vor dem Taj Mahal werden Busladungen entleert, umweltfreundliche Elektro-Zubringer fahren die täglich etwa 40 000 Besucher durch den üppig verzierten Empfangsbereich.
Es folgt eine Art Hütchenlauf vorbei an Selfie-Sticks und Instagram-Paaren. Frisch Verheiratete lassen sich gerne vor der Kulisse des Taj Mahals fotografieren, es ist schließlich nicht nur Unesco-Welterbe, sondern auch ein Monument der Liebe. Der Großmogul Shah Jahan ließ die Grabstätte um 1630 für seine Lieblingsfrau Mumtaz Mahal bauen. Tonnenweise wurde Marmor auf Elefanten herbeigeschafft. Jahan fand später neben Mumtaz seine letzte Ruhe.
Dann geht es durch den Park, durch den helle Eichhörnchen jagen, und zum eigentlichen Gebäude hoch, das man nur mit Überschuhen betreten darf.
Der weiße Marmor, der die Schönheit des Ortes ausmacht, soll nicht abgetragen werden. In der Grabstätte umhüllt einen dann eine wohltuende Stille. So wie sich das gehört an so einem Ort. Das Licht ist gedämpft und durch die alten, kalten Steine meint man tatsächlich so etwas wie unendliche Liebe zu spüren. Allerdings ist der Ort selbst leider bedroht. Nicht die vielen Besucher, sondern Umweltschäden setzen dem Taj Mahal seit Jahren zu. Ein Grund mehr, bald hinzufahren.
David Pfeifer
Teil 1
Die schönsten Reiseziele der Welt
Teil 2