China Science Investigation

Profiteure der Freiheit

Forschende deutscher Universitäten arbeiten regelmäßig mit chinesischen Forschungseinrichtungen zusammen, die dem Militär unterstehen. Das zeigt eine Auswertung Tausender wissenschaftlicher Publikationen. Wie riskant ist das?

China Science Investigation

Profiteure der Freiheit

Forschende deutscher Universitäten arbeiten regelmäßig mit chinesischen Forschungseinrichtungen zusammen, die dem Militär unterstehen. Das zeigt eine Auswertung Tausender wissenschaftlicher Publikationen. Wie riskant ist das?

19. Mai 2022 - 6 Min. Lesezeit

Dass Russland die Ukraine überfällt, war bis zum 24. Februar unvorstellbar. Genauso unvorstellbar erschien in der deutschen Wissenschaft das, was kurz danach passierte: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) setzte alle von ihr finanzierten Forschungsprojekte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland und Russland aus. Neue werden seitdem nicht mehr genehmigt. Die “einschneidenden Auswirkungen dieser Maßnahmen”, schrieb die DFG, bedauere sie für die Wissenschaft zutiefst

Es ist ein drastischer Eingriff der DFG in die Forschungsfreiheit. Doch in Zeiten des Krieges wird vieles neu bewertet. Und in dieser sich rasant verändernden Welt warnen manche Experten grundsätzlich vor einer naiven Gutgläubigkeit in der Wissenschaft: Nicht immer sei klar, ob Forschungsergebnisse nicht auch militärischen Zwecken dienen könnten. Viele Forschende gingen davon aus, dass es ihren Kooperationspartnern auch stets darum gehe, die “universelle Wissenschaft” voranzutreiben, sagt die China-Expertin Mareike Ohlberg von der US-Denkfabrik German Marshall Fund. Andere Staaten verfolgten aber viel eigennützigere Ziele.

Dabei reicht der Blick über Russland hinaus, nach China. Eine internationale Recherche, die China Science Investigation, zeigt nun, wie eng und regelmäßig Wissenschaftler deutscher Forschungseinrichtungen mit chinesischen Universitäten und Instituten kooperieren, die dem Militär nahestehen oder diesem sogar vollständig unterstellt sind. Dadurch könnte heikles Wissen an die chinesischen Streitkräfte abfließen. Sicherheitskreise sehen die Zusammenarbeit daher kritisch.

Für die Recherche hat ein Konsortium aus elf europäischen Medienpartnern, unter der Leitung der niederländischen Plattform Follow the Money und des deutschen gemeinnützigen Recherchezentrums Correctiv, zwischen europäischen und chinesischen Forschenden entstandene Studien der vergangenen 20 Jahren ausgewertet. Aus Deutschland waren neben der Süddeutschen Zeitung die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk beteiligt. Das Ergebnis: Europäische Forschende haben in fast 3000 Fällen an Veröffentlichungen gearbeitet, die mit chinesischen Universitäten entstanden sind, die vollständig dem Militär untergeordnet sind. In Deutschland gab es demnach 349 solcher Kooperationen.

Riskant sind diese Forschungsprojekte dann, wenn die Ergebnisse nicht nur zivil, sondern auch militärisch genutzt werden können, also einen doppelten Nutzen erfüllen können - daher der Fachbegriff “Dual-Use”. Im äußersten Fall kann es bedeuten, dass wissenschaftliche Erkenntnisse etwa zur Aufrüstung dem Atomprogramm eines Landes dienen.

Die Grenzen zwischen zivil und militärisch nutzbarem Wissen sind ohnehin fließend. Quasi unmöglich wird die Trennung jedoch, wenn Universitäten nicht wie in Europa vom Staat getrennt sind. Chinesische Hochschulen unterstehen seit dem Amtsantritt von Parteichef Xi Jinping mehr denn je der Parteikontrolle. Themen wie Zivilgesellschaft und Bürgerrechte sind tabu, kritische Forscher werden bedroht und verhaftet. Auch chinesische Einflussnahme an Universitäten in Deutschland und die Unsicherheit über die Großstrategie Chinas, bis 2049 wirtschaftlich wie militärisch führend in der Welt zu sein, lassen Fragen zu den Bedingungen der Zusammenarbeit immer drängender werden.

Welche Länder am häufigsten auftauchen

Zahl der Veröffentlichungen

Bei ungefähr zwei Dritteln der Veröffentlichungen deutscher Wissenschaftler mit militärischen Einrichtungen stehen Forschende der chinesischen Universität für Wissenschaft und Technik der Landesverteidigung (NUDT) in der Autorenzeile. Die NUDT ist die wichtigste Uni des chinesischen Verteidigungsapparats; der Staat und das Militär haben in den vergangenen Jahren nach eigenen Angaben massiv in die Einrichtung investiert. Sie untersteht direkt der Zentralen Militärkommission, dem höchsten Verteidigungsgremium Chinas. Vorsitzender der Kommission ist Staats- und Parteichef Xi Jinping persönlich.

Von welchen Instituten kommen die Forschenden, die die meisten Studien veröffentlicht haben?

Zahl der Veröffentlichungen

Die Zusammenarbeit mit solchen Universitäten ist in Europa nicht verboten. Forschung und Lehre sind frei, so ist es in Deutschland sogar im Grundgesetz verankert. Die Diskussion über Risiken, die mit dieser Freiheit einhergehen, ist indes nicht neu. Die DFG und die Leopoldina haben schon 2014 gemeinsame Empfehlungen zu „Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung“ veröffentlicht.

2015 gründeten sie zudem einen Ausschuss, der sich mit sicherheitsrelevanter Forschung beschäftigt. Er solle "das Bewusstsein für die doppelte Verwendbarkeit (Dual-Use) von Forschungsergebnissen [...] stärken”, schreibt die Leopoldina. Auch die Hochschulrektorenkonferenz gibt den Forschenden umfangreiche Leitlinien an die Hand für den Fall, dass sie Kooperationen mit China eingehen wollen. Die Vertreter der Wissenschaft setzen also auf Prävention und Vertrauen – Verbote und Kontrollen lehnen sie ab.

Mareike Ohlberg vom German Marshall Fund fordert viel klarere Regeln für eine solche Zusammenarbeit. Auch aus Sicherheitskreisen ist zu hören, Universitäten und Forschungsinstitute gingen mit dem Kooperationspartner China zu naiv, gar “blauäugig” um. Die Forschungsfreiheit mache die Wissenschaft zu einem “besonders einfachen Ziel”, heißt es.

Das Bundesforschungsministerium betont zwar den hohen Stellenwert dieser Freiheit, empfiehlt aber, bei China “sehr wählerisch” zu sein “bei der Auswahl der Bereiche, in denen wir kooperieren”, sagt Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP). Insbesondere solle es keine Zusammenarbeit geben, wenn “das Risiko besteht, Erkenntnisse später für militärische Nutzung in China oder Menschenrechtsverletzungen zu nutzen”.

Mit Sorge sehe die Bundesregierung, dass in China “tatsächlich die Eingriffe in die Freiheit von Forschung und Lehre sehr stark zunehmen”. Momentan sehe die Regierung zwar keine Belege für Wissenschaftsspionage durch chinesische Forschende, schreibt sie im April in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Union. Dennoch nehme die Gefahr, dass Wissen über Massen­vernichtungs­waffen unkontrolliert weiterverbreitet werde, in vielen Forschungsbereichen zu.

Deutsche und chinesische Forscher kooperierten auch in den Bereichen Informatik, künstliche Intelligenz und Kernphysik

Um dieses Risiko zu minimieren, gelten bestimmte Regeln zur Exportkontrolle von Gütern in Deutschland auch für immaterielle Forschungsergebnisse. Dabei gehe es nicht um eine “Zensur wissenschaftlicher Veröffentlichungen”, schreibt das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Die Behörde im hessischen Eschborn genehmigt den Export kritischer Güter, die für Massenvernichtungswaffen relevant sein könnten. Zu diesen Gütern kann auch schon bloßes Wissen, die sogenannte technische Unterstützung, zählen. Ob ein Forschungsprojekt oder Teile davon genehmigungspflichtig sind, müssen Forschende jedoch selbst prüfen. Zu Anzahl oder Inhalt der einzelnen Anträge äußert sich das Bafa nicht.

Unklar ist deshalb, ob und wie viele der Forschungsprojekte mit Wissenschaftlern der chinesischen Militär-Uni NUDT in den vergangenen Jahren von dem Bundesamt genehmigt wurden – oder hätten genehmigt werden müssen. Einige Forschungsbereiche, denen sich die auf diesem Wege mit deutscher Hilfe entstandenen wissenschaftlichen Publikationen widmen, erscheinen zumindest auf den ersten Blick sicherheitsrelevant, beispielsweise Informatik, künstliche Intelligenz oder Kernphysik.

Welche Forschungsbereiche die Studien behandeln

Zahl der Veröffentlichungen

Einige deutsche Universitäten sind sich der Risiken durchaus bewusst. So teilt die RWTH Aachen auf Anfrage von Correctiv mit, letztlich sei bei allen chinesischen Hochschulen von Verbindungen zur Partei oder zum Militär auszugehen. Dass “in einigen Bereichen einer Hochschule” auch militärische Forschung stattfinde, bedeute aber nicht, dass jegliche Forschung einem militärischen Zweck diene. Darüber hinaus verweist die Uni auf ihre akademische Freiheit. „Mittels verpflichtender Prüfverfahren werden dabei unethische und Dual-Use-fähige Forschung ausgeschlossen“, heißt es.

Die China Science Investigation zeigt jedoch, dass Wissenschaftlern hierzulande die Vereinnahmung ihrer chinesischen Kooperationspartner durch das autokratische System Pekings nicht immer umfassend klar zu sein scheint. Enno Aufderheide, Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, räumt dieses Problem ein: “Wir müssen wachsam sein, wir müssen wehrhafter sein”, sagt er. Das gelte beim Krieg führenden Russland genauso wie im Hinblick auf China. Trotzdem müsse Wissenschaft weltweit verbunden bleiben. Es gelte, “die Balance zwischen Naivität und Paranoia zu finden”.

Team
Text Nina Bovensiepen, Sophie Menner, Lea Weinmann
Infografik Julia Kraus
Digitales Design & Collagen Stefan Dimitrov
Digitales Storytelling Johannes Korsche
Redaktion Ralf Wiegand
Fotos Collagen alle imago