Ein ganz besonderes Freundschaftsspiel
Der Mann, der dem FC Everton zu alter Größe verhelfen will, ist eher schweigsam. Sehr schweigsam. "Er hat in der Öffentlichkeit genau 396 Wörter gesprochen", berichtete die Daily Mail im Juli 2016. 396 Wörter - in fünf Monaten: Schon allein das gibt Farhad Moshiri etwas Geheimnisvolles.
Im Februar 2016 ist der britische Geschäftsmann iranischer Herkunft beim neunmaligen englischen Fußballmeister Everton eingestiegen. Viele Jahre lang hatte der Klub erfolglos einen Investor gesucht - nun hatte er wie fast alle anderen englischen Großklubs einen strategischen Partner gefunden. Moshiri hat 49,9 Prozent der Anteile übernommen und in jenen 396 Wörtern von sportlich besseren Zeiten und einem neuen Stadion gesprochen. Was die Fans eben so hören wollen.
Ende Oktober, nach einem desaströsen 2:5 gegen den FC Arsenal, hat der Verein aus Liverpool auf dem Weg zu neuem Ruhm allerdings erst einmal den Trainer entlassen müssen. Ausgerechnet Arsenal, möchte man sagen. Der Klub aus London gehört nämlich ebenfalls teilweise einem etwas geheimnisvollen Geschäftsmann, dem Russen Alischer Usmanow. Besser hätte der Spielplan der Premier League die Protagonisten dieser Geschichte überhaupt nicht zusammenführen können: Sie handelt von der Freundschaft dieser beiden Männer und den Besitzverhältnissen dieser beiden Klubs. Usmanow, Moshiri, Arsenal und Everton, alle finden sich in den Paradise Papers, jenem Datenleak vor allem aus der Kanzlei Appleby, die zumindest zeitweise auch Firmen des Sportsfreunds Usmanow zu ihren Kunden zählte.
Mit Sport hat die Geschichte allerdings nur am Rande zu tun, dafür viel mit Geld, Einfluss und dem Regelwerk des englischen Fußballs, das sich in Passagen eher liest wie ein Gesetzbuch für Hedgefonds - und womöglich der neuen Zeit dennoch nicht gewachsen ist.
Die Fragen lauten: Wem gehört der FC Everton wirklich? Wer ist Farhad Moshiri? Und wie viel Usmanow steckt in Everton?
Zuerst sollte man eine Regel und die Gegebenheiten im englischen Fußball kennen. Seitdem dort Investoren ganze Klubs übernehmen können, wappnet sich der Ligabetrieb gegen zwielichtige Figuren, Bankrotteure oder sonstige Falschspieler, die den Fußball in seiner Glaubwürdigkeit und den Spielbetrieb in seiner Zuverlässigkeit erschüttern könnten. So müssen Investoren wie Funktionäre einmal im Jahr garantieren, "weder direkt noch indirekt" an einem anderen Fußballklub beteiligt zu sein oder "die Macht" zu besitzen, um "die Verwaltung eines anderen Fußballklubs zu bestimmen oder zu beeinflussen". Verstöße gegen diesen "Owners' and Directors' Test" werden streng geahndet.
Grund zur Vorsicht gibt es. Die meisten der 20 Vereine der höchsten englischen Liga sind ganz oder teilweise in der Hand von ausländischen Investoren; sie gehören chinesischen, russischen, arabischen, thailändischen oder US-amerikanischen Geldgebern. Kaum mehr als eine Handvoll sind noch vollständig im Besitz von Engländern. Immer wieder protestieren Fans gegen Eigentümer, weil sie überzeugt sind, ihr Lieblingsklub werde an fußballfremde Mächte verraten und verkauft. Das Regelwerk soll wenigstens die allerschlimmsten Szenarien verhindern, zu diesen gehört eben, dass ein und dieselbe Person Einfluss auf mehr als einen Verein nimmt.
Die Premier League teilt der SZ auf Anfrage unmissverständlich mit:
"Die Liga verbietet jedem Klubbesitzer oder -direktor, an einem anderen Klub beteiligt zu sein, oder die Möglichkeit, die Richtlinien eines anderen Klubs zu beeinflussen."
Die Premier League verfüge über so weitreichende Regeln, was Besitz- und Finanzverhältnisse der Klubs betreffe, dass die sogar "über das nach britischem Gesellschaftsrecht erforderliche Maß hinausgehen".
Einfluss auf zwei Klubs zu haben: Genau das ist der Verdacht bei Alischer Usmanow, 64. Die Verbindungen des schwerreichen Arsenal-Anteilseigners zu Farhad Moshiri, dem Everton-Großaktionär, sind so eng und die Geldströme, die sich aus den Paradise Papers herauslesen lassen, so verschlungen, dass man fast zwangsläufig annehmen muss: Usmanow, einst ein passabler Säbelfechter und heute Präsident des Internationalen Fechtverbandes, könnte die Schlagkraft und den Fintenreichtum besitzen, mehr als nur einen Premier-League-Klub zu beeinflussen.
Die Frage, wem der Fußball gehört, mag für die Liebhaber des Sports nur eine romantische sein. Für die Wettbewerbshüter ist sie existenziell. Nichts kann das Geschäft schneller ruinieren als irgendeine Form organisierter Manipulation, die den Rasen erreicht. Das Publikum will allzu gerne glauben, dass auch in Zeiten des Raubtierkapitalismus im Fußball mit neunstelligen Ablösesummen für einen Spieler die Wahrheit nur auf dem Platz liegt. Das ist die Magie des Fußballs. Seine Geschäftsidee.
Deswegen sollen auch nicht zwei Vereine im selben Wettbewerb von ein- und demselben Geldgeber kontrolliert werden. Im Sommer hatte der europäische Fußballverband Uefa erst nach Diskussionen RB Leipzig und RB Salzburg das Startrecht für die Champions League erteilt. Beide werden von Red Bull, dem österreichischen Power-Drink-Konzern, unterstützt. Die Uefa ließ sich überzeugen, dass dessen Einfluss in Salzburg nur noch dem eines gewöhnlichen Sponsors entspricht.
Die Macht der Geldgeber ist also keine Phantomdiskussion mehr.
Alischer Usmanow ist einer der reichsten Menschen der Welt und einer der einflussreichsten auf allen Feldern, die er beackert. Der Start allerdings war schwierig. 1980 wurde er in der Sowjetunion wegen Betrugs und Diebstahls sozialistischen Eigentums zu acht Jahren Haft verurteilt, von denen er sechs absaß. Erst im Jahr 2000 wurde er - in seinem Geburtsland Usbekistan - vollständig rehabilitiert, das Urteil aufgehoben. Da war er schon längst ein erfolgreicher Geschäftsmann. Heute zählt er zu einem jener Männer, die in der Nähe des Kremls und im Schatten des Präsidenten Wladimir Putin reich geworden sind. Das Wirtschaftsmagazin Forbes taxierte den russischen Oligarchen zuletzt auf knapp 16 Milliarden Dollar, der Branchendienst Bloomberg setzt ihn derzeit unter den reichsten Menschen der Welt auf Platz 85.
Fan des FC Arsenal war Alischer Usmanow nach eigenen Angaben schon viele Jahre, bevor er dort einstieg. Der Verein ist gelebte Fußballgeschichte, die "Gunners", bei denen die deutschen Weltmeister Per Mertesacker und Mesut Özil spielen, gehören länger als jeder andere Klub durchgehend der ersten englischen Spielklasse an: 2019 werden es hundert Jahre sein. Als sich Arsenal dann 2007 für ausländische Investoren öffnete, war das Usmanows Chance im großen Fußball-Monopoly: Er kaufte über die auf Jersey registrierte Firma Red & White Holdings 14,65 Prozent der Arsenal-Anteile; laut der britischen Tageszeitung The Guardian zahlte Red & White dafür umgerechnet rund 110 Millionen Euro.
Hinter Red & White steckte anfangs außer Usmanow noch ein Partner, mit dem er schon lange geschäftlich verbunden war: Farhad Moshiri. Dem gehörte zeitweise die Hälfte der Anteile an Red & White und damit auch die Hälfte des Arsenal-Happens. Der in London lebende Fondsmanager hatte Usmanow 1989 kennengelernt. Damals arbeitete Moshiri, dessen Familie zehn Jahre zuvor aus Iran geflohen war, noch bei der Unternehmensberatung Deloitte. Es war der Beginn einer sehr engen Geschäftsbeziehung, in deren Verlauf Moshiri vom Berater zum Milliardär aufstieg, Funktionen in Usmanows reichhaltigem Firmen-Imperium übernahm.
Wie sehr Usmanow seinen Mitarbeiter schätzt, zeigt die Tatsache, dass er Moshiri vor einigen Jahren zum Teilhaber seiner Konzern-Holding machte, der heutigen USM Holding. Angeblich war das eine Option, die sich der "langjährige Berater" regulär erworben hatte, wie Usmanow der Moscow Times sagte. Die Mitarbeiter der Anwaltskanzlei Appleby, die Red & White verwaltet und für den Kauf der Arsenal-Anteile vorbereitet haben, notierten dagegen eher flapsig und ohne ins Detail zu gehen: Usmanow habe Moshiri Gelder "geschenkt". Die beiden neuen Arsenal-Aktionäre stockten mit der Zeit ihren Anteil bis auf 30 Prozent auf.
Im Februar 2016 verkaufte Farhad Moshiri seinen Anteil an dem inzwischen deutlich wertvolleren Fußballklub - und natürlich nicht an irgendwen. Sein langjähriger Förderer Alischer Usmanow zahlte seinem Kompagnon Medien zufolge etwa 190 Millionen Euro und hielt nun alleine 30,04 Prozent an dem Londoner Verein.
Moshiri stieg jetzt umgehend selbst zum Hauptinvestor eines Fußballklubs auf. Für knapp 116 Millionen Euro erwarb er unmittelbar nach dem Verkauf seiner Arsenal-Anteile 49,9 Prozent des FC Everton, zwischen den Meldungen über seinen Ausstieg bei dem einen und dem Einstieg bei dem anderen Klub lag nur ein Tag.
Der FC Everton, in Liverpool beheimatet, spielte nur in vier Jahren seit seiner Gründung 1878 nicht in der jeweils höchsten Liga. Mehr Erstliga-Erfahrung hat kein anderer englischer Verein - weniger aktuelle Erfolge aber auch nicht viele. Evertons letzter Titel liegt mehr als 20 Jahre zurück, die letzte und einzige Teilnahme an der Champions League zwölf. Moshiri, als Retter empfangen, steckte einen dreistelligen Millionenbetrag in die Verstärkung der Mannschaft. Im Sommer feierten die Toffees, wie das Team wegen eines in der Nähe des heimischen Stadions "Goodison Park" gelegenen Süßigkeitenladens gerufen wird, sogar die Rückkehr ihrer Spielerlegende Wayne Rooney, 32, der bei Manchester United zum Weltstar geworden war. Und doch kämpft der Klub gegen den Abstieg.
Die Laufwege auf dem Rasen stimmen bei Evertons Spielern einfach nicht. Der Verdacht, dass sich die Laufwege von Alischer Usmanow und Farhad Moshiri trotz dessen Ausstiegs bei Arsenal nie wirklich getrennt haben, kursierte schon vor einem Jahr. So berichtete das russischsprachige, gewöhnlich gut informierte Internet-Portal Championat.com am 26. Februar 2016 verblüffend direkt, Usmanow werde "neuer Besitzer" des FC Everton.
Als im Januar auch noch die USM Holding die Namensrechte für das Trainingsgelände des FC Everton übernahm, wurden die Zweifel noch größer. Die USM bündelt die meisten von Usmanows Firmen, Moshiri ist Vorstandsvorsitzender und hält elf Prozent der Anteile, Usmanow 48 Prozent. 35 Millionen Euro lässt sich USM laut Guardian das Fünf-Jahres-Engagement kosten, damit die Toffees nun auf der "USM Finch Farm" trainieren. So kam die Frage auf, ob der sportaffine Oligarch gleichzeitig in den Fußball-Hochburgen London und Liverpool die Fäden ziehe: "Russischer Milliardär findet neuartigen Weg, um den Bruch der Premier-League-Regeln für Investoren zu vermeiden", schrieb Bloomberg spitz.
Das USM-Engagement beim FC Everton mutet reichlich bizarr an. Als ob der FC Bayern München sein Vereinsgelände an der Säbener Straße in "Red-Bull-Park" umbenennen und dafür Geld vom Limo-Konzern nehmen würde, während der gleichzeitig in Leipzig gerade den neuen Bayern-Rivalen aufbaut.
Ein USM-Sprecher sagte damals, Usmanow und Moshiri würden zwar an vielem gemeinsam arbeiten, aber "wenn es um Fußball geht, ist Moshiris Interesse der FC Everton und das von Usmanow ist der FC Arsenal". Beide Projekte seien "total getrennt". Kann man das glauben bei zwei Männern, bei denen geschäftlich sonst so gut wie nichts getrennt ablief?
Für eine Vermischung der Interessen spricht, dass laut Paradise Papers Usmanow-Vertraute an mehreren Stellen von Moshiris Everton-Deal involviert waren. Führende USM-Mitarbeiter haben demnach Moshiris Anteilskauf überwacht. Und mehrere Firmen, die zur Vorbereitung der Übernahme nötig waren, Die ganze Geschichte: Brisante Spur nach Moskauhat das Unternehmen BridgewaterDie ganze Geschichte: Brisante Spur nach Moskau gegründet. Dieser Finanzdienstleister dürfte den Paradise Papers zufolge zumindest stark unter dem Einfluss Usmanows gestanden haben, wenn er dem Russen nicht sogar selbst gehörte – was Bridgewater auf Anfrage bestreitet.
"Total getrennte" Projekte?
Moshiri und Usmanow bezogen auf Anfrage der SZ zu einzelnen Punkten keine Stellung. Stattdessen ist in zwei fast gleichlautenden Schreiben von Fehleinschätzungen und Unwahrheiten die Rede. Sie stammen beide von einer Berliner Anwaltskanzlei, die sowohl für Moshiri als auch für Usmanow antwortete.
Gute Freunde, sang einst schon Franz Beckenbauer, kann niemand trennen.