

Wenn sie wenigstens vor dem Nichts stehen würden. Aber sie stehen vor einer Pfütze. Eine Pfütze fast so groß wie Deutschland. Ein Drittel von Pakistan steht weiterhin unter Wasser. Die Menschen hier können also nicht einmal anfangen, sich ihr Leben neu aufzubauen.



„Seit mehr als zwei Monaten sind wir hier und warten“, sagt Bigar Khan, der neben Mansur Ali steht. Sie warten auf Hilfslieferungen, auf Essen, auf Trinkwasser, aber eigentlich darauf, dass sie ihre Leben wieder anfangen können. In den Bergen in Belutschistan, da haben die Springfluten Menschen, Vieh, Häuser und Ernten weggerissen. Aber dann war das Wasser weg und sie konnten wieder von vorn anfangen. Das ist besser als das Warten in Sindh.
Mehr als 1600 Menschen sind laut offizieller Zählung der „National Disaster Management Authority“ (NDMA) durch die Flutkatastrophe in diesem Sommer gestorben, neun Millionen mussten ihre Wohnorte verlassen, über zwei Millionen Häuser wurden zerstört. 13 000 Kilometer Straßen, 440 Brücken, etliche Eisenbahnlinien und Stromleitungen sind schwer beschädigt.



Millionen von Familien sind derzeit gezwungen, in provisorischen Zelten oder Unterkünften am Straßenrand zu leben. Eine Ernte ist zerstört, die nächste wird sicher ausfallen. In einer so armen Weltgegend eine Katastrophe nach der Katastrophe.
Wie lange es noch dauern wird? Bigar Khan und Mansur Ali zucken mit den Schultern. Ihre Dorfgemeinschaft hat neben Moskito-Netzen und Notzelten auch eine provisorische Moschee in einem Zelt der UN-Flüchtlingshilfe eingerichtet. Wer einen Gebetsort baut, richtet sich für länger ein. Die Experten sagen, noch etwa zwei Monate mindestens werden sie aushalten müssen. Denn die Provinz Sindh ist flach, das viele Wasser wird nur langsam ablaufen.



Premierminister Shehbaz Sharif sagte am Donnerstag in einer Fernsehansprache, Pakistan dürfe nicht gezwungen werden, mit einer „Bettelschale“ zu den reichen Nationen zu gehen, die für den Großteil der CO₂-Emissionen verantwortlich sind. Pakistan verursache weniger als ein Prozent des weltweiten Kohlenstoffausstoßes.
Er werde sich bei der internationalen Gemeinschaft um „Klimagerechtigkeit“ bemühen. „Millionen von Menschen wurden vertrieben, sie sind zu Klimaflüchtlingen im eigenen Land geworden.“



„In die Stadt“, sagt einer der Männer. Doch auch dort sind die Krankenhäuser überlastet, selbst in der Hauptstadt Islamabad. Hier empfängt Faisal Karim Kundi, der „Special Assistant“ des Premierministers, an einem Sonntag in seinem Haus. „Politiker haben doch nie frei, schon gar nicht in solchen Zeiten.“ Bevor er nach Islamabad ging, war er Lokalpolitiker in Khyber Pakhtunkhwa, der Provinz, die neben Sindh und Belutschistan am stärksten betroffen war.
„Wir haben zwar die NDMA, aber vor Ort fehlen jetzt die Zelte, fehlt Trinkwasser, fehlt Hilfe“, sagt er. Auf die Frage, wohin das Geld gegangen ist, hebt er fragend die Handflächen nach oben. Er wüsste es auch gerne, vieles versackt wegen der Korruption.
Behörden und Militär haben viele NGOs vergrault
Auch deswegen tut sich die Regierung schwer mit der Katastrophenhilfe. Gleichzeitig gibt es zu wenige Nichtregierungsorganisationen in Pakistan, die Behörden und das Militär haben sie vergrault. Aber müsste man die nicht jetzt dringend wieder reinholen? „Sagen Sie es mir“, erwidert Faisal Karim Kundi, „Journalisten haben es ja auch schwer, reinzukommen.“
Er hofft, dass es ein Umdenken gibt, denn ohne Hilfe von außen wird diese Krise nicht zu lösen sein, diese nicht und auch nicht die nächsten. „Aber sogar jetzt, wo das Wasser noch überall steht, wird schon wieder Politik gemacht, die Hilfe aus Islamabad im Punjab blockiert.“ Im Punjab regiert die Partei von Imran Khan, dem ehemaligen Ministerpräsidenten, der im April aus dem Amt gedrängt wurde. Wenn keine Hilfe ankommt, sieht das schlecht für die Regierung aus – und Khan befindet sich bereits im Wahlkampf.

Ein Mitarbeiter der lokalen Hilfsorganisation „Faces“ sagt, um Szenen wie diese zu vermeiden, liefern sie Hilfsgüter lieber direkt. Vor allem Trinkwasser, Lebensmittel und Moskitonetze. Aber tatsächlich: Es reiche hinten und vorne nicht. Es kommt einfach zu wenig an derzeit in Pakistan, viel weniger als bei vergangenen Katastrophen.
Dabei sind Wasser und Moskitozelte nun lebenswichtig, wegen des Dengue-Fiebers und der Malaria. Jetzt krank zu werden, kann tödlich sein, wenn im Ortskrankenhaus nur Vertriebene schlafen und warten.

