Bundestagswahl

Der Potsdamer Wählermagnet

Der Wahlsieg der Sozialdemokraten ist in erster Linie ein Erfolg des Kandidaten Olaf Scholz: Unter seiner Führung hat die Partei auch Wählerschichten erreicht, die sich lange von ihr abgewandt hatten.

Von Jan Bielicki

27. September 2021 - 4 Min. Lesezeit

Der Vorsprung des neu gewählten Abgeordneten war fast so groß wie der Name seines Wahlkreises lang. Genau 64 270 Wählerinnen und Wähler malten im Kreis Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II ihr Kreuz beim SPD-Kandidaten Scholz, Olaf. Das waren genau 34 Prozent der hier Wählenden. Die laut Wahlleiterdeutsch „erstunterlegene“ Bewerberin, die auf dem Stimmzettel als Baerbock, Annalena Charlotte Alma geführte grüne Kanzlerkandidatin, verbuchte 35 452 Erststimmen für sich, gut doppelt so viele wie vor vier Jahren, aber eben nur etwas mehr als halb so viele wie der Gewinner.

Der klare Sieg des Sozialdemokraten im kleinen Kanzlerkandidaten-Duell in Potsdam und Umgebung spiegelt wider, was Scholz und seiner SPD bei dieser Bundestagswahl gelang.

Der Wahlkreiskandidat Olaf Scholz legte gegenüber dem Ergebnis der vor vier Jahren hier gewählten SPD-Abgeordneten Manja Schüle, inzwischen Wissenschaftsministerin in Brandenburg, um knapp 7,6 Prozentpunkte zu.

Der Wahlkreiskandidat Olaf Scholz legte gegenüber dem Ergebnis der vor vier Jahren hier gewählten SPD-Abgeordneten Manja Schüle, inzwischen Wissenschaftsministerin in Brandenburg, um knapp 7,6 Prozentpunkte zu.

Seine Partei kam bundesweit auf ein Plus von 5,2 Prozentpunkten, und in absoluten Zahlen liest sich das Ergebnis sogar noch beeindruckender: Fast zwölf Millionen Deutsche haben der SPD ihre Zweitstimme gegeben, das waren 2,4 Millionen mehr als 2017.

SPD bei Bundestagswahlen

So viele Wähler haben die Sozialdemokraten nicht mehr für sich gewinnen können, seit sie mit ihrem bislang letzten Kanzler Gerhard Schröder in den Wahlkampf zogen – der freilich 2005 noch in der Niederlage seiner SPD mehr als 16 Millionen Stimmen erkämpfte. Dennoch: Der Wahlerfolg der Scholz-SPD ist durchaus ein großer. In zwölf der 16 Bundesländer lag sie ganz vorn und hat dabei Wähler über – fast – alle Bevölkerungsgruppen hinweg erreicht.

Unter Scholz' Führung haben die Sozialdemokraten vormalige Wähler fast aller anderen Parteien für sich gewinnen können. Laut der Wählerwanderungsanalyse, die das Meinungsforschungsinstitut Infratest-Dimap für die ARD erstellt hat, hat die SPD allein von CDU und CSU fast 1,4 Millionen Wähler zu sich ziehen können. Dazu kamen 600 000 Stimmbürger, die vor vier Jahren noch für die Linke votiert hatten, sowie 220 000 Ex-Wähler der AfD und 140 000 der FDP. Auch 330 000 Nicht-Wähler von 2017 entschlossen sich diesmal, SPD zu wählen.

Negativ war bei dieser Wahl der Wanderungssaldo der Sozialdemokraten nur in eine Richtung: 230 000 ehemalige SPD-Wähler stimmten diesmal für die Grünen. Das könnte daran liegen, dass, so das Ergebnis einer Befragung der Forschungsgruppe Wahlen, nur zehn Prozent der Wähler der SPD Kompetenz in Sachen Klimaschutz zusprachen.

Insgesamt aber: ein Erfolg, den sich die SPD noch vor wenigen Monaten kaum selbst zugetraut hätte. Woher rührt er? Die Wählerbefragungen der Meinungsforscher deuten alle auf den neuen Abgeordneten des Wahlkreises Potsdam und dessen Alleinstellungsmerkmal: Unter den zwei Männern und der einen Frau, die sich um Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel bewarben, war Olaf Scholz der einzige, dem eine Mehrheit der befragten Wähler die Befähigung zu diesem Amt auch zutraute. In einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen hielten 67 Prozent den Finanzminister und Vizekanzler für geeignet, die Regierung führen zu können – sein CDU-Mitbewerber Armin Laschet überzeugte davon nur 29, die Grüne Baerbock lediglich 23 Prozent der Befragten.

Ob es um Sympathie ging, um Glaubwürdigkeit oder Sachverstand – überall lag Scholz weit vor seinen Konkurrenten. Noch schmeichelhafter für den Kandidaten, allerdings weniger für seine Partei, ist ein Befund von Infratest-Dimap, laut dem fast die Hälfte der befragten Wähler die SPD ohne den Spitzenkandidaten Scholz nicht gewählt hätte.

Diese Scholz-SPD erreichte auch wieder Wählerschichten, die sich lange abgewandt hatten von den Sozialdemokraten.

Unter Arbeitern etwa war die einstige Arbeiterpartei diesmal wieder die Nummer eins, mit einem Stimmenanteil von 28 Prozent.

Unter Arbeitern etwa war die einstige Arbeiterpartei diesmal wieder die Nummer eins, mit einem Stimmenanteil von 28 Prozent.

Dazu passt, dass sie laut Analyse der Forschungsgruppe Wahlen mit 35 Prozent auch bei Wählern mit Hauptschulabschluss am stärksten abschnitt. Aber auch unter Angestellten, bei Menschen mit Mittlerer Reife oder Abitur war die SPD diesmal stärkste Partei.

Vor allem aber war die einstige Volkspartei – und das verbindet sie mit der Union – die bevorzugte Wahl der älteren Mehrheit des Wahlvolks. 35 Prozent der über 60-Jährigen stimmten für die SPD, damit lag sie in dieser Altersgruppe sogar vor CDU und CSU. Doch je jünger Wähler oder Wählerinnen sind, desto weniger waren sie der Sozialdemokratie zugeneigt. Bei den unter 30-Jährigen lag die SPD mit gerade einmal 17 Prozent hinter Grünen und FDP.

Wie flatterhaft Erfolg aber sein kann, zeigt ein Blick nach Sachsen-Anhalt: Noch bei der Landtagswahl im Juni hatten sich dort nicht einmal 90 000 Wählende für die SPD entschieden. Das entsprach 8,4 Prozent und Platz vier unter den angetretenen Parteien. Ein Vierteljahr später vertrauten nun mehr als 300 000 Sachsen-Anhalter der Scholz-SPD ihre Stimme an, was auch im Land an Elbe und Saale den klaren Platz eins bedeutet. Und so schlecht sich Resultate von Landes- und Bundeswahlen vergleichen lassen: Das schiere Ausmaß weist darauf hin, in welcher Depression die SPD noch im Frühsommer steckte. Und wie fragil ein Wahlsieg ist, der so sehr von einem Spitzenkandidaten und der Schwäche seiner Gegner abhängt.

Team

Text Jan Bielicki
Infografik Sarah Unterhitzenberger
Bildredaktion Julia Hecht
Digitales Design Felix Hunger
Digitales Storytelling Tobias Zick