Lieber Tim Cook
Zum Jahresende präsentieren wir die Lieblingsgeschichten der SZ-Redaktion, die 17 aus 2017. Dieser Text zählt dazu. Alle anderen finden Sie auf dieser Seite.
Lieber Tim Cook,
Sie kennen mich nicht, aber ich Sie. Nicht persönlich, aber vom Fernsehen, von Livestreams Ihrer Auftritte, wenn Sie in Cupertino wieder mal ein neues iPhone vorstellen, und natürlich aus meiner eigenen Zeitung und von unserer Webseite. Ich bin Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, der führenden überregionalen Zeitung in Deutschland und des Blattes, bei dem vor einiger Zeit die Panama Papers und später die Paradise Papers gelandet sind, aus denen wir derzeit mit Kollegen der New York Times, des Guardian sowie des ICIJ und knapp 100 anderen Medien in aller Welt Informationen auswerten und veröffentlichen.
Ihr Unternehmen ist eines der bekanntesten und renommiertesten auf dem Globus, eines, das hervorragende Produkte herstellt. Das iPhone hat die Welt verändert – in einer Geschwindigkeit, wie es vor ihm kaum ein anderes technisches Gerät geschafft hat. Apple ist beliebt und bei vielen Menschen Kult. Ich selbst nutze seit zehn Jahren ein iPhone, das iPad ist mein tägliches Arbeitsmittel, und zu Hause steht ein Macbook. Wenn sich bei uns in der Redaktion jeder den Computer und das Smartphone aussuchen könnte, mit dem er oder sie am liebsten arbeitet, dann, da bin ich sicher, würde sich die Mehrheit für ein Apple-Gerät entscheiden.
Meine Kollegen und ich verfolgen seit Langem die Debatten, die es in den USA und insbesondere auch in Europa um die Besteuerung von Apple gibt. Sie persönlich haben dazu immer wieder Stellung bezogen, etwa bei Ihrem Auftritt im US-Senat 2013. Damals haben Sie gesagt, Apple sei nicht "abhängig von Steuertricks".
Zum Artikel über AppleDoch in den Paradise Papers haben wir Informationen gefundenZum Artikel über Apple, die das Bild von Apple trüben, das Sie gerne zeichnen. Auf Fragen, die wir als Süddeutsche Zeitung – gemeinsam mit den oben genannten Kollegen – gestellt haben, haben wir von Apple keine oder allenfalls schmallippige Auskünfte erhalten. Warum?
Apple beschäftigt Tausende exzellent ausgebildete Ingenieure, Techniker, Juristen, Betriebswirte und PR-Profis, die Schulen und Universitäten in aller Welt besucht haben. Viele dieser Schulen und Universitäten sind ganz oder teilweise mit Steuergeldern finanziert. Apple profitiert davon, dass Staaten eine Infrastruktur, nicht nur für Bildung, aufbauen und unterhalten. Sie, lieber Tim Cook, haben vor wenigen Wochen der New York Times gesagt, Apple habe eine "moralische Verantwortung", nicht nur zum Wohl der Vereinigten Staaten beizutragen, sondern auch zum Wohl "der anderen Länder, in denen wir Geschäfte machen".
Natürlich wissen wir, dass Apple einer der größten Steuerzahler der Vereinigten Staaten ist. Aber außerhalb der USA?
Aus öffentlich zugänglichen Informationen ergibt sich, dass Apple von 2010 bis 2017 im Durchschnitt zwei Drittel seiner Gewinne außerhalb der Vereinigten Staaten erwirtschaftet hat. 2016 waren es demnach 41,1 Milliarden US-Dollar, 2017 waren es 44,7 Milliarden. Die Steuern, die Apple ausweislich dieser Unterlagen außerhalb der USA auf diese Gewinne bezahlt hat, beliefen sich seit 2010 auf Sätze zwischen einem und sieben Prozent. Glauben Sie, lieber Tim Cook, dass das der von Ihnen angeführten "moralischen Verantwortung" entspricht? Diese – legale – "Steueroptimierung" ist nur dadurch möglich, dass spezialisierte Kanzleien, wie zum Beispiel Appleby, Firmenkonstrukte austüfteln, die andere Unternehmen nicht errichten können. Handwerker, Kleinunternehmer und Arbeitnehmer in den meisten Ländern außerhalb der USA, von denen viele sicherlich Apple-Produkte nutzen, haben keine Möglichkeit, sich auf diese Weise der normalen Besteuerung zu entziehen.
In Deutschland hat Apple Schätzungen zufolge (die genauen Zahlen veröffentlichen Sie ja nicht) im vergangenen Jahr einen Milliardenumsatz erzielt – und 25 Millionen Euro Steuern auf den Gewinn abgeführt. Anders gesagt: Nur 0,2 Prozent der Steuern, die Apple weltweit bezahlt, landen hier. Das entspricht in keiner Weise dem Anteil, den Deutschland am globalen Apple-Umsatz und am Apple-Gewinn hat; das ist unseren Lesern schwer zu vermitteln.
Was mich am meisten verstört, ist aber, wie Apple dazu kommt, eine Kanzlei damit zu beauftragen, sie solle von den Behörden oder der Regierung eines Landes eine Bestätigung dafür erwirken, dass man dort "keinerlei Besteuerung unterworfen" werde. Warum wollen Sie das? Warum erheben Sie den Anspruch, in einem Land keine Steuern zu bezahlen? Wollten Sie diese Null-Besteuerung zur Voraussetzung dafür machen, dass Sie sich dort niederlassen? Mit welchem Recht?
Und welches demokratische Verständnis steckt hinter der Frage, die Sie über diese Kanzlei haben stellen lassen: Ob es eine "glaubwürdige Oppositionspartei" in diesem Land gebe oder "eine Bewegung, die die jetzige Regierung ersetzen könnte"? Wollten Sie sicher sein, dass Ihnen diese Steuerbefreiung nach Wahlen oder einem Regierungswechsel erhalten bleibt?
Lieber Tim Cook, eine Menge Fragen, auf die wir und unsere Leser bislang keine Antworten erhalten haben.
Apple macht für sich geltend, ein transparentes Unternehmen zu sein. Wenn dem so ist, gibt es doch keinen Grund, weiterhin zu schweigen, oder?
Mit freundlichen Grüßen
Wolfgang Krach
Chefredakteur Süddeutsche Zeitung