Thüringens neue Farben

Die Linke triumphiert in den Städten, die AfD vielerorts auf dem Land. Alle Daten und Grafiken zur Landtagswahl

3 Minuten Lesezeit

Von Christian Endt, Julian Hosse, Michael Mainka, Michael Söhl und Sarah Unterhitzenberger

Bodo Ramelow ist zum zweiten Mal etwas gelungen, was vorher keiner seiner Parteikollegen geschafft hat: Nachdem er vor fünf Jahren als erster Politiker der Linken zum Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslandes gewählt wurde, hat er seine Partei nun zum ersten Wahlsieg ihrer Geschichte geführt. Die Linke ist bei der Landtagswahl in Thüringen stärkste Kraft, mit großem Abstand vor der AfD. Erst auf dem dritten Platz liegt die CDU, die 2014 noch stärkste Kraft war, gefolgt von SPD und Grünen. Mit 5,0 Prozent der Stimmen zieht die FDP nur ganz knapp erneut in den Landtag ein. Fünf Stimmen weniger, und die Liberalen wären draußen.

Das liegt allerdings nur zum Teil an Ramelows Stärke: Die Linke gewinnt gegenüber 2014 nur leicht dazu. Dramatisch ist dagegen der Einbruch der CDU, die 11,7 Prozentpunkte verliert und ihren Status als stärkste Partei einbüßt.

Das Wahlergebnis weicht an einigen Stellen deutlich von dem ab, was die letzten Umfragen vor der Abstimmung erwarten ließen. Überraschend sind vor allem das schwache Abschneiden der CDU und die Stärke der Linken. Erklären lässt sich das mindestens zum Teil mit taktischem Wahlverhalten: Mutmaßlich wollten viele Wähler verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird, und entschieden sich kurzfristig für die aussichtsreichste der anderen Parteien. Vergleichbare Effekte ließen sich zuletzt bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Anfang September beobachten.

Zumindest bei den Direktmandaten kann die CDU ihre Spitzenplatz verteidigen, sie gewinnt 21 von 44 Wahlkreisen. Linke und AfD gewinnen je elf Direktmandate. Für die SPD verteidigt Matthias Hey seinen Wahlkreis Gotha II (lesen Sie hier ein Porträt des "roten Ritters von Gotha").

In zwölf Gemeinden kommen jeweils zwei Parteien mit Stimmengleichheit auf den ersten Platz; hier richtet sich die Einfärbung nach der Zahl der Wahlkreisstimmen.

Die politische Landkarte Thüringens hat seit diesem Sonntag eine neue Topographie, und die ist vor allem rot und blau. Die vormalige Dominanz der CDU existiert nur noch in einem kleinen Teil der Gemeinden. Die meisten Orte wählten, wie das Land insgesamt, mehrheitlich links.

Am stärksten ist die Linke in der ehemaligen Bergbaustadt Suhl (+). Auch in den Metropolen des Landes ist die Partei der klare Sieger. Ihr schwächstes Ergebnis erzielt sie in Eichsfeld I (-) mit 17,9 Prozent.

Die AfD ist in ländlichen Gemeinden besonders stark. Ihr stärkstes Ergebnis erzielt sie allerdings in Gera, nach Erfurt und Jena die drittgrößte Stadt Thüringens. In der Studentenstadt Jena dagegen ist die AfD am schwächsten.

Auch die CDU erzielt im Wahlkreis Jena I mit 13 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis landesweit. Ihre Hochburg liegt im Landkreis Eichsfeld in der nordwestlichen Ecke des Freistaats.

Eichsfeld I ist wiederum der schwächste Wahlkreis der SPD: Die Sozialdemokraten holten dort nur 5,8 Prozent. Doch selbst in ihrem stärksten Wahlkreis Gotha II kam die SPD nur auf 16,4 Prozent. Danach kommt lange nichts: Der zweitstärkste Wahlkreis ist Gotha I mit 11,2 Prozent. Noch dramatischer wird das Lagebild, wenn man sich die Zahlen auf der Ebene der Gemeinden ansieht: In jeder sechsten Gemeinde scheitert die SPD an der Fünf-Prozent-Hürde. In Gerstengrund (49 Wahlberechtigte) und Moxa (64) bekommt sie keine einzige Stimme.

Mit 16,3 Prozent holen die Grünen ihr bestes Ergebnis in Jena II. In Saale-Orla-Kreis I im Dreiländereck mit Bayern und Sachsen stimmen nur 2,4 Prozent der Wähler für die Partei, die bundesweit zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen ist.

Ein ähnliches Bild ergibt sich für die FDP: Stärkstes Ergebnis mit 7,9 Prozent in Jena II, schwächstes Ergebnis mit 2,7 Prozent in Sonneberg I an der bayerischen Grenze. In sechs Gemeinden entschied sich kein einziger Wähler für die Liberalen.

Insgesamt ergeben diese Zahlen für Thüringen ein starkes Stadt-Land-Gefälle: In den kreisfreien Städten liegt die Linke 16 Prozentpunkte vor der AfD, in den Landkreisen dagegen nur fünf Prozentpunkte. Die Grünen sind in den Städten mehr als doppelt so stark wie auf dem Land.

Was bedeutet das alles? Zunächst einmal, dass 23,4 Prozent derjenigen, die in Thüringen zur Wahl gegangen sind, die Partei des Rechtsaußen-Politikers Björn Höcke gewählt haben. Und dass die Regierungsbildung nun sehr schwierig wird: Selbst eine Viererkoalition aus CDU, SPD, Grünen und FDP hat keine Mehrheit im Landtag.

Denkbar wäre nun eine Minderheitsregierung aus Linken, SPD und Grünen. Wahrscheinlicher ist, dass sich Linke und CDU doch noch auf eine Form der Zusammenarbeit verständigen – auch wenn die CDU eine formelle Koalition ausschließt.