Investigativprojekt
Was man über die Uber Files wissen muss
Was sind die Uber Files?
Es handelt sich um mehr als 124 000 Dokumente aus dem Unternehmen Uber, das über eine Smartphone-App Fahrer und Kunden miteinander zusammenbringt und dafür eine Gebühr bekommt. Die Daten stammen aus den Jahren 2013 bis 2017. Sie bestehen neben rund 83 000 E-Mails auch aus Textnachrichten, Powerpoint-Folien, Rechnungen über Ausgaben oder strategischen Memos.
Sie wurden der britischen Tageszeitung The Guardian zugespielt, die sie mit dem International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) und 42 weiteren internationalen Partnern teilte. Insgesamt arbeiteten mehr als 180 Journalistinnen und Journalisten aus 29 Ländern vier Monate an den Dokumenten. In Deutschland waren an der Recherche die SZ, der NDR und der WDR beteiligt.
Wie wurden die Daten ausgewertet?
Das ICIJ hat die Daten durchsuchbar gemacht und allen an der Recherche beteiligten Partnern auf einer eigens programmierten Rechercheplattform zur Verfügung gestellt. So konnten alle weltweit beteiligten Journalisten rund um die Uhr mit dem Material arbeiten. Recherchefunde wurden verschlüsselt ausgetauscht. Alle Personen und Firmen, gegen die in den Veröffentlichungen ein Vorwurf erhoben wird, bekamen vor Veröffentlichung die Möglichkeit zur Stellungnahme.
Was sind die wichtigsten Ergebnisse der Recherchen?
Die Uber Files gewähren einen Einblick in die Strategie der politischen und medialen Vernetzung, mit der das Unternehmen sich auch auf europäischen Märkten etablieren wollte. So enthüllen die Dokumente, dass die ehemalige EU-Kommissarin Neelie Kroes schon während der Karenzzeit, in der solch hochrangige Europapolitiker keine anderen Lobby-Jobs in ihrem früheren Zuständigkeitsbereich annehmen dürfen, für Uber zum Beispiel Treffen mit niederländischen Spitzenpolitikern organisierte – intern verabredete das Uber-Management absolute Diskretion, Kroes Name sollte auf keinem Dokument erscheinen. Mit Ablauf der Karenzzeit rückte sie dann ganz offiziell in den Uber-Beirat ein und arbeitete als Beraterin für den Konzern. Auf Anfrage erklärte die Politikerin, zuvor weder formell noch informell für das Unternehmen tätig gewesen zu sein.
Der heutige französische Staatspräsident Emmanuel Macron wiederum, damals Wirtschaftsminister seines Landes, soll auf Ubers Wunsch hin bei Behörden in Marseille interveniert haben, weil diese einen Uber-Service verboten hatten – ein paar Tage später war das Verbot vom Tisch. Macron ließ auf Anfrage erklären, als Wirtschaftsminister mit vielen Unternehmen im Dienstleistungssektor in Kontakt gekommen zu sein.
Gibt es auch Erkenntnisse über Deutschland?
In Deutschland zeigt sich, dass Uber eine große Lobbykampagne unter Führung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Otto Fricke (FDP) initiierte. Es ging vorrangig darum, das Personenbeförderungsgesetz im Sinne des Unternehmens zu ändern. Dabei lobbyierte man mit mäßigem Erfolg im Verkehrsministerium und beim heutigen Bundeskanzler Olaf Scholz, zu der Zeit Erster Bürgermeister Hamburgs.
Erfolgreicher war der kalifornische Konzern bei Wissenschaftlern oder Medienhäusern. So lieferte etwa der Staatsrechtler und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz ein Gutachten pro Uber. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap wiederum verfasste eine Studie sowie einen Gastbeitrag für die FAZ, die Uber zum Teil sogar redigierte. Rupert Scholz äußerte sich auf Anfrage nicht; eine Mitarbeiterin Haucabs teilte mit, die wissenschaftlichen Standards bei dieser Arbeit seien zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt worden.
Wie erfolgreich war Uber in Deutschland?
Die aggressive Lobbykampagne, die hierzulande 2014 begann, war wenig erfolgreich. Zudem musste Uber seine Dienstleistung Uber Pop, bei der jeder mit seinem eigenen Auto zum Uber-Fahrer werden kann, einstellen. Mittlerweile fahren nur noch Taxifahrer und lizenzierte Mietwagenunternehmen für Uber, außerdem bietet man einen Lieferservice namens Uber Eats an.
2021 wurde das Personenbeförderungsgesetz geändert, wovon auch Uber profitierte. Es wurde erstmals ein Rechtsrahmen für solche Fahrdienstvermittler geschaffen, und sowohl für Uber- als auch für Taxifahrer entfiel die Pflicht, nachweisen zu müssen, dass sie sich in München, Berlin oder Hamburg gut auskennen. Weiterhin müssen Uber-Fahrer jedoch nach Ende jeder Fahrt zur Betriebsstätte zurückkehren und können weder unterwegs Passagiere mitnehmen noch Fahrten annehmen.
Was sagt Uber zu den Recherchen?
Auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung erklärte Uber Deutschland, dass das „Verhalten unseres ehemaligen CEOs und einiger Führungskräfte rund um unseren Markteintritt in Deutschland (…) unentschuldbar“ bleibe. „Die Fehler, die das Unternehmen in dieser Zeit begangen hat, wurden eingehend untersucht und haben zu Recht schon vor Jahren weltweite Beachtung gefunden.“
Die Uber-Zentrale in San Francisco fügt hinzu: „Uber ist heute eine der größten Arbeitsplattformen der Welt und ein fester Bestandteil des täglichen Lebens von über 100 Millionen Menschen. Wir sind von einer Ära der Konfrontation zu einer Ära der Zusammenarbeit übergegangen und haben die Bereitschaft gezeigt, mit ehemaligen Gegnern, einschließlich Gewerkschaften und Taxiunternehmen, an einen Tisch zu kommen und eine gemeinsame Basis zu finden. Wir sind jetzt in mehr als 10 000 Städten auf der ganzen Welt reguliert und arbeiten auf allen Regierungsebenen, um das Leben der Nutzer unserer Plattform und der Städte, die wir bedienen, zu verbessern.“
Was ist das ICIJ, und wie wird es finanziert?
Das ICIJ, gegründet 1997, ist eine gemeinnützige Organisation, die wie eine Art internationaler Verein für investigative Journalisten zu verstehen ist. Ihm gehören weltweit mehr als 250 Journalisten und Journalistinnen an, darunter auch SZ-Reporter Georg Mascolo. Das ICIJ wird über Spenden finanziert. Zu den Unterstützern zählen neben der Schauspielerin Meryl Streep die Ford Foundation, die Adessium Foundation, die von George Soros gegründete Open Society Foundation sowie Luminate, eine philanthropische Organisation von Ebay-Gründer Pierre Omidyar.
Die Süddeutsche Zeitung arbeitet seit 2012 mit dem ICIJ zusammen, etwa bei den Projekten Panama Papers, Paradise Papers, Pandora Papers oder Luxemburg Leaks, aber auch den Implant-Files-Recherchen zu fehlerhaften Medizinprodukten oder den ChinaCables zu willkürlichen Masseninternierungen von Uiguren in China. 2017 erhielt das ICIJ für die von der SZ initiierten Panama-Papers-Recherchen den Pulitzer-Preis.