Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier geht es um die große Zustimmung der westlichen Bundesländer zum neuen Grundgesetz. Und um Bayern, das sich sträubt.
Was vorher geschah:
Von Joachim Käppner
Die Herren schätzten sich über Parteigrenzen hinweg. Theodor Heuss, FDP-Abgeordneter und später Bundespräsident, bezeichnete den gelehrten und zur Fülle neigenden Rechtsprofessor Carlo Schmid von der SPD als deren „Paradestück“ und dichtete sogar:
„Der Carlo celebriert wie ein Gedicht
die hohen Worte seines Staatsfragments
auf jedem Comma wuchtet sein Gewicht
jetzt die Cäsur, dann fühlsam die Cadenz.“
Das war noch 1948, im Parlamentarischen Rat, der die großen Linien des Grundgesetzes festlegte und seine Arbeit übrigens mit einem Festakt im Bonner Museum Koenig aufnahm, das vom Krieg unzerstört war und Platz genug bot (der Legende nach ragte der Kopf der ausgestopften Giraffe über die Abdeckungen hinaus, so dass es schien, als verfolge das Tier die Feierstunde). Die 65 Abgeordneten, von den jungen Landtagen gewählt, entwarfen hier eine moderne, stabile Verfassung, die bis heute den festen Grund bildet, auf dem die deutsche Demokratie steht. Verfassung durfte das Werk aber nicht heißen, man sprach vom Grundgesetz, weil es nur für den Westen und nicht für die sowjetische Ostzone galt.
Das Grundgesetz, angenommen am 8. Mai 1949, übernahm alle guten Aspekte der Weimarer Verfassung von 1919, vermied aber ihre Schwächen, die den Aufstieg der Nazis begünstigt hatten. Der Präsident hatte nur noch überwiegend repräsentative Aufgaben, die Grundrechte galten als unabänderlich, der Charakter der jungen Demokratie als wehrhaft gegenüber Extremisten.
Die Ostdeutschen mussten noch 40 Jahre warten; nach dem Fall der Mauer trat die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei, große Änderungen gab es nicht mehr.
Der folgende Text ist auf Seite 1 der SZ-Sonderausgabe vom 9. Mai 1949 erschienen. Am 24. Mai 1949 ist das Grundgesetz in Kraft getreten.
Am vierten Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation ist in Bonn das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland endgültig beschlossen worden.
Daß es sich bei den 146 Artikeln, deren endgültige Fassung in dieser Sonderausgabe veröffentlicht wird, nur um ein Provisorium handelt, welches an dem Tage seine Gültigkeit verliert, da sich das gesamte deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung geben kann, ist oft genug betont und auch am gestrigen Sonntag von den Sprechern der großen Parteien deutlich zum Ausdruck gebracht worden.
Gleichwohl ist das Grundgesetz, dessen Zustandekommen man noch vor wenigen Wochen nur geringe Chancen einräumte, ein bedeutungsvoller Meilenstein auf dem Wege, das Hitlersche Erbe - Verlust der Souveränität und Zersplitterung des Landes - zu beseitigen.
Artikel 79
(3) Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
Noch ist es schwer, zu entscheiden, ob der deutlich sichtbare Weg des Kompromisses, die Mitte zwischen starrem Zentralismus und überspitztem Föderalismus suchend, zu jenem positiven Ziele führen wird, das den Deutschen - jenseits jeglicher Parteipolitik - vorschwebt.
In diesem Zusammenhang ist es besonders bemerkenswert, daß in Bonn, dem Beispiel Italiens folgend, in einer wenn auch interimistischen Verfassung die Möglichkeit geschaffen wurde, durch Uebertragung von Hoheitsrechten des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen gleichberechtigtes Mitglied eines zukünftigen europäischen Staatenbundes zu werden.
Im übrigen wird das Grundgesetz in seinen Einzelheiten sowohl nach der menschlichen wie nach der staatsrechtlichen Seite noch eingehend zu würdigen sein. Gerade in den letzten Tagen hat man sich vielfach mit der Frage beschäftigt: Was wird Bayern zu diesem Grundgesetz sagen, das in seiner endgültigen Fassung die Forderungen mindestens der bayerischen CSU (wie man dort versichert) weitgehend unerfüllt läßt?
Zunächst ist festzustellen, daß von den dreizehn bayerischen Vertretern in Bonn sieben Ja gesagt haben - neben den vier Sozialdemokraten und dem Vertreter der FDP auch zwei fränkische CSU-Abgeordnete, die sich, wie sie bereits angekündigt hatten, mit dem am Samstag in München getroffenen Mehrheitsentscheid ihrer Partei, das Gesetz abzulehnen, nicht identifizierten.
Damit hat sich eine wenn auch sehr knappe Majorität der bayerischen Vertreter zugunsten des Bonner Gesetzes entschieden, wenn auch das offizielle Bayern, nämlich die Vertreter der bayerischen Regierungspolitik, sich zu einem Nein entschloß.
Aber auch dieses Nein, so schmerzlich es in Bonn empfunden werden mochte, ist ohne entscheidende politische Bedeutung und, wie Ministerpräsident Ehard in München und ebenso wie Dr. Schwalber in Bonn zum Ausdruck brachten, keine Absage an den westdeutschen Bundesstaat und kein Abrücken von der gesamtdeutschen Schicksalsgemeinschaft.
Es ist nichts anderes, als die konsequente Durchfühung der führenden föderalistischen Rolle, die Bayern, seine Chancen geschickt wahrnehmend, in Bonn gespielt hat, wobei es, obwohl die Partie am Ende nicht gewonnen werden konnte, unzweifelhafte Erfolge zu verbuchen vermochte.
Diese Opposition - nicht zuletzt im Hinblick auf die Propagandatrommel der in Bonn nicht vertretenen Bayernpartei betrieben - entspricht durchaus den demokratischen Spielregeln und dürfte mehr einen demonstrativen Charakter haben, als für die Zukunft ein grundsätzliches Programm beinhalten.
Der Artikel 144 des Grundgesetzes wird freilich für Bayern zu einem Problem werden. Er verlangt, daß die Volksvertretungen der Länder über das Grundgesetz entscheiden, wobei es zur Ratifizierung einer Annahme durch zwei Drittel aller Länderparlamente bedarf.
Artikel 144
(1) Dieses Grundgesetz bedarf der Annahme durch die Volksvertretungen in zwei Dritteln der deutschen Länder, in denen es zunächst gelten soll.
(2) Soweit die Anwendung dieses Grundgesetzes in einem der in Artikel 23 aufgeführten Länder oder in einem Teile eines dieser Länder Beschränkungen unterliegt, hat das Land oder der Teil des Landes das Recht, gemäß Artikel 38 Vertreter in den Bundestag und gemäß Artikel 50 Vertreter in den Bundesrat zu entsenden.
An dieser Mehrheit ist zwar nicht zu zweifeln - eigentlich ist die Annahme des Grundgesetzes nur im bayerischen Landtag fraglich -, aber gerade in Bayern erhebt sich hier wieder einmal die Frage, wie es um die Spaltung der CSU bestellt ist.
Schon in Bonn zeigte sich die Unterschiedlichkeit der Auffassungen in Franken und Altbayern. Im Landtag wird sie noch deutlicher sichtbar werden, so daß trotz der gegenwärtigen CSU-Mehrheit eine Annahme des Gesetzes durchaus im Bereich des Möglichen liegt.
Wobei noch einmal betont sei, daß auch eine Ablehnung praktisch bedeutungslos wäre, da sich vermutlich alle übrigen Länderparlamente für das Gesetz entscheiden werden.
Obwohl laut Beschluß von Bonn keine Volksabstimmung notwendig ist, wäre es doch erwägenswert, ob man nicht gerade in Bayern über das Grundgesetz, mag dessen provisorischer Charakter noch so sehr betont werden, das Volk entscheiden lassen solle; Ministerpräsident Ehard hat sich mehrfach für diese Lösung ausgesprochen, obwohl sie gerade seine Partei in die Gefahr bringen könnte, daß durch ihre Repräsentanten verschiedene Parolen ausgegeben werden - je nachdem, ob man die Angelegenheit etwa von Franken aus oder aus Oberbayern betrachtet.
Immerhin läge ein Volksentscheid schon im Hinblick auf die oft angefochtene Zusammensetzung des derzeitigen Landtages nahe, in dem weder die Bayernpartei noch die Flüchtlinge vertreten sind.
Die Bayernpartei aber bekäme ohne Volksentscheid nur willkommene Gelegenheit, erneut aus ihrem Ausgeschaltetsein Kapital zu schlagen und eine ohne ihre Mitwirkung getroffene Entscheidung als „nicht im Namen Bayerns erfolgt“ zu bezeichnen. Damit geriete eine Frage, die jeden einzelnen zutiefst betrifft, abermals in parteipolitische Gleise, was der weiteren Entwicklung gewiß nicht förderlich wäre.