Zypern

„Meine Generation trägt die Last des Konflikts auf ihren Schultern“

Seit 1974 ist Zypern ein geteiltes Land. Der Konflikt trennt die Menschen dort: Sie leben auf zwei Seiten, sprechen zwei Sprachen. Wie sich junge Menschen dort für den Frieden engagieren.

Zypern

„Meine Generation trägt die Last des Konflikts auf ihren Schultern“

Seit 1974 ist Zypern ein geteiltes Land. Der Konflikt trennt die Menschen dort: Sie leben auf zwei Seiten, sprechen zwei Sprachen. Wie sich junge Menschen dort für den Frieden engagieren.

Von Anna Flörchinger, Nikosia
27. Januar 2022 - 7 Min. Lesezeit

Katzen streunen herum, die Müllabfuhr tuckert die Straße entlang und im Café an der Ecke gibt es Cappuccino mit Hafermilch. In der Pufferzone Zyperns scheint das Leben normal stattzufinden – zumindest auf den ersten Blick. Denn eigentlich ist hier wenig normal. Die Pufferzone, auch Grüne Linie genannt, zieht sich quer durch die Insel. Im Süden leben seit der Teilung Zyperns vor fast 50 Jahren die griechischen Zyprioten und Zypriotinnen, im Nordteil ihr türkisches Pendant.

Ein zerrissenes Land, das kennen die Deutschen aus ihrer eigenen Geschichte. Doch in Zypern gibt es die Checkpoints noch, die Grenzpolizei, an der man vorbei muss, wenn man die Pufferzone betreten oder gar auf die andere Seite der Mittelmeerinsel wechseln möchte.

In der zypriotischen Hauptstadt Nikosia gibt es mehrere solcher Checkpoints. In einem von ihnen liegt das Home Café. Dort können Besucher sowohl mit dem Euro als auch mit der türkischen Lira bezahlen, sie können ihren Kaffee auf türkisch, griechisch oder englisch bestellen – und werden dabei nie auf fragende Blicke oder Unverständnis stoßen.

Ein neutraler Ort, an dem sich griechische und türkische Zypriotinnen und Zyprioten begegnen können, das ist eine Besonderheit. Das Café will den Austausch zwischen beiden Communities ermöglichen. „Hier, in dem Café, sollen neue Erinnerungen geschaffen und Brücken gebaut werden“, sagt Hayriye, 30 Jahre alt, Türken-Zypriotin.

Auf Englisch bedankt sie sich für den Tee, der ihr an einen der alten Holztische vor dem Café gebracht wird. Sie arbeitet für eine NGO namens Home 4 Cooperation (kurz H4C), die das Café initiiert hat. Die Begegnungen, die hier entstehen, sind für Hayriye ein Zeichen dafür, dass die Menschen die jeweils andere Seite kennenlernen und neue, gemeinsame Erinnerungen schaffen wollen. Das NGO-Team aus griechischen und türkischen Zyprioten und Zypriotinnen organisiert immer wieder Events: Sprachkurse, Sportveranstaltungen, dazu kommt der ganz normale Cafébetrieb.

Im Innenraum sind neben bunten Sesseln und den typischen Backgammon-Spielen auch einige Bücher in verschiedenen Sprachen zu finden: zum Konflikt, der Natur und der Kunst Zyperns. Am Tisch draußen neben Hayriye sitzen zwei ältere Männer mit einem Backgammon-Spiel. Sprechen sie die gleiche Sprache? Unwichtig, denn sie reden kaum miteinander. Das einzige Geräusch sind die Würfel auf dem Holzbrett des Spiels. Hayriye hingegen erzählt von dem Café, das von außen gar nicht besonders aussieht, in nahezu akzentfreiem Englisch, während sie sich die Finger an ihrer Teetasse wärmt. Obwohl Dezember ist, kann man in Zypern draußen sitzen: Mit einer leichten Winterjacke und einem heißen Getränk, bei Sonnenschein und 17 Grad.

Einen Begegnungsort wie das Home Café gibt es in Zypern nur ein einziges Mal. Die Insel ist schon lange geteilt. 1974 gab es dort einen Putsch – nationalistische Griechen-Zyprioten wollten ein Teil von Griechenland werden, die griechische Regierung unterstützte diesen Plan. Wegen des Putsches auf die zyprische Regierung landeten türkische Truppen im Norden, um den türkischsprachigen und muslimischen Teil der Insel zu schützen.

Viele der heute im Süden lebenden Menschen mussten damals aus dem Norden fliehen, ebenso flohen Menschen aus dem Süden der Insel in den Norden. Bis heute ist der Nordteil Zyperns von der Türkei besetzt. Kein Wunder also, dass es kaum Austausch zwischen den beiden Communities gibt.

1983 erklärte Nordzypern seine Unabhängigkeit, die nur Ankara anerkennt. Die EU nahm 2004 zwar ganz Zypern auf, EU-Recht aber gilt bis zur Wiedervereinigung nur im Süden. Die Situation ist festgefahren: Jegliche Lösungsansätze scheiterten bisher immer wieder, die Positionen beider Länder zu vereinen, hat sich nicht nur bei den letzten Verhandlungen im Juni 2021 als schier unmöglich erwiesen. Und: Durch Ölfunde im Mittelmeer wird der Konflikt zudem immer komplizierter.

Menschen wie Hayriye setzen sich dafür ein, dass sich dennoch etwas tut: „Der Konflikt ist unnötigerweise lang. Er ist eine unglaubliche Last, er existiert ein ganzes Leben. Es können nicht seit 45 Jahren die gleichen Argumente vorgebracht werden.“ Zypern habe sich verändert. „Meine Eltern haben die Last der Teilung auf ihren Schultern getragen. Meine Generation trägt die Last des Konflikts auf ihren Schultern.“

Einen kleinen Fortschritt hat es in all den Jahren aber schon gegeben. Seit 2003 sind die Grenzen auf der Insel wieder durchlässig. Wer auf die andere Seite möchte, muss zwar seinen Pass zeigen, darf aber passieren. Hayriye kann sich noch gut an den Tag erinnern, an dem die Grenze geöffnet wurde: „Ich war zwölf und sehe die Bilder im Fernsehen noch genau vor mir: Wie die Menschen vor Freude geweint haben und sie ihre alten Häuser besucht haben. Wir sind dann selbst ein paar Tage später in die Altstadt von Nikosia in den griechischen Teil gelaufen. Zuerst hatte ich Angst vor schiefen Blicken, wenn jemand uns türkisch sprechen hören würde. Aber so war es nicht. Eine Frau hat mir sogar ein Eis geschenkt.“ Seit der Öffnung ist Hayriye oft in den griechischen Teil gereist, für die Arbeit und in ihrer Freizeit. Sie finde es sehr wichtig zu wissen, wie Zypern auf beiden Seiten aussieht, erzählt sie. Denn ihre Hoffnung ist, dass Zypern einmal ein Land wird.

Auch heute sieht man die Teilung von Nikosia noch, wenn man durch die Altstadt läuft. Improvisiert wirkende Barrikaden teilen die gemeinsamen Straßen: südlich der griechische Teil, nördlich der türkische.

Die 30-Jährige kritisiert, dass die Politik sich nicht überzeugend genug um eine Lösung bemühe. Hayriye hat selbst Internationale Beziehungen in Istanbul und Amsterdam studiert und sich intensiv mit politischer Friedensbildung auseinandergesetzt. Sie weiß, wie mühsam die Arbeit um Frieden ist. Deshalb ist die Arbeit von H4C ihrer Meinung nach umso wichtiger. Sie konzentriert sich auf das Zusammenkommen von Kultur, Kunst, gemeinsamer Geschichte. Hayriye erinnert sich im Gespräch an ihren eindrücklichsten Moment: Ein Musik-Event, das H4C in Nordzypern organisiert hatte, mit Künstlern und Künstlerinnen von beiden Seiten.

Für eine Künstlerin aus Paphos, dem griechischen Teil Zyperns, war dieses Event besonders emotional, erzählt Hayriye: „Die Frau war damals 50 Jahre alt und hat die Grenze für unsere Veranstaltung zum ersten Mal übertreten. Es war unglaublich bewegend für sie, sie musste weinen.“ Hayriye war damals 25, hatte die Grenze bereits etliche Male überschritten. Die ältere Künstlerin hingegen noch nie. „Sie wusste gar nichts über Nordzypern. Sie hat mich sogar gefragt, ob wir Schulen hätten.“

Es sind Momente wie diese, die Hayriye motivieren, wenn die Politik sie frustriert. Während sie darüber nachdenkt, redet sie schneller, aufgeregter und gestikuliert viel. Sie streicht sich ihre dunklen Haare hinter die Ohren und betrachtet ihre Tasse, dann wird sie von der Müllabfuhr unterbrochen, die am Café vorbeifährt.

Der Checkpoint Markou Drakou, wo sich das Home Café und auch das Hauptgebäude der UN-Friedensmission befinden, ist sonst nicht sonderlich belebt. Die wenigen Häuser, die in der Zone stehen, sind verlassen, die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner können nicht zurück. Direkt neben dem Home Café steht ein solches Haus: zerfallene, braune Fensterläden, eine offene Tür, eingerostetes Metall. Die Hausmauern sind morsch und von Moos bedeckt. Das Gebäude muss einmal sehr schön gewesen sein.

Ordentlich und sauber hingegen mutet das Hauptgebäude der UN-Friedensmission an. Seit 1974 sind Blauhelme auf der ganzen Insel stationiert. Der 28-jährige Dan ist einer von ihnen. Er kommt aus Großbritannien und ist froh um den eigentlich ruhigen Konflikt, erzählt er. In den vergangenen Jahren forderte die angespannte Situation keinen einzigen Toten. Durch die seit Jahrzehnten anhaltende Waffenruhe gilt der Zypernkonflikt als gefroren, die Blauhelme der UN patrouillieren unbewaffnet an der Pufferzone.

Dan, der sich um die Öffentlichkeitsarbeiten der UN-Friedensmission kümmert, beschreibt das Ziel ihrer Mission so: „Wir versuchen, den Status Quo des Konflikts beizubehalten, auch, um die Positionen von 1974 mit dem damaligen Waffenstillstandsgesetz nicht zu verändern.“ Die UN-Soldaten und Soldatinnen schaffen Raum für politische Verhandlungen und versuchen, die Parteien an einen Tisch zu bringen, um irgendwann doch noch die Einigung zu erreichen, die derzeit so fern scheint.

Solange die Insel noch geteilt ist, kämpft Hayriye weiter, um gemeinsame Erinnerungen zu schaffen – und vielleicht eines Tages eine Lösung zu erleben: „Mein Wunsch ist, dass ich einmal ein vereintes Zypern sehe, mit einem föderalen Staat. Ich wünsche mir sehr, dass das noch in meinem Leben stattfindet. Und dass nicht noch mehr Menschen in einen Konflikt hineingeboren werden.“

Team
Text Anna Flörchinger
Digitales Storytelling Sophie Aschenbrenner