Georgien zieht das Agentengesetz zurück

Nach heftigen Protesten gibt die Regierung in Tiflis einen Plan auf, mit dem Georgien seinen Europakurs stark gefährdet hätte. Die EU ist erleichtert, die Demonstranten feiern einen Sieg, doch das Misstrauen bleibt.

Georgien zieht das Agentengesetz zurück

Nach heftigen Protesten gibt die Regierung in Tiflis einen Plan auf, mit dem Georgien seinen Europakurs stark gefährdet hätte. Die EU ist erleichtert, die Demonstranten feiern einen Sieg, doch das Misstrauen bleibt.

9. März 2023 - 4 Min. Lesezeit

Sie hat am Dienstag in Tiflis demonstriert und auch am Mittwoch, Tatusha Arveladse hat die weiße Wolke gesehen und das Tränengas brennend in den Augen gespürt. Aber sie blieb. Zwei Fähnchen hatte die Georgierin dabei, eine georgische und eine mit dem gelb-blauen Sternenkranz der EU. Mehr als 70 Menschen wurden bei den Protesten in Georgien festgenommen, es gab Zusammenstöße mit der Polizei. Trotzdem sagt die Spezialistin für Digitalrecherche am Telefon: „Die Demonstrationen haben sich gelohnt. Es ist ein Sieg der georgischen Gesellschaft. Die beiden letzten Tage waren entscheidend.“

Der Sieg: Tatusha Arveladse meint damit, dass die georgische Regierung am Donnerstag ein umstrittenes Gesetz zurücknahm, das Zehntausende Menschen auf die Straßen getrieben hatte. „So viele habe ich hier noch nie gesehen“, sagt die junge Georgierin. Sie gehört zur großen Mehrheit jener Menschen in dem Kaukasusstaat, die ihr Land möglichst schnell auf dem Weg in die Europäische Union sehen will. Das geplante Gesetz hätte den Weg deutlich komplizierter gemacht. Wie viele in Georgien spricht auch Arveladse vom „Russischen Gesetz“, weil es dem berüchtigten Agentengesetz ähnelt, mit dem die Regierung in Moskau ihre Kritiker stigmatisiert, unter Kontrolle zwingt und auch ins Gefängnis bringt.

Ein Gesetz „gegen Extremisten“? Oder gegen europäische Werte?

Das georgische Agentengesetz hätte alle Organisationen dazu verpflichtet, sich als „ausländischer Agent“ zu registrieren, sobald sie mehr als 20 Prozent ihrer Einnahmen aus dem Ausland erhalten. Andernfalls hätten drastische Strafen gedroht. Die georgische Regierungspartei „Georgiens Traum“ erklärte, das Agentengesetz würde mehr Transparenz schaffen und zudem offenbaren, wer „extremistische Organisationen“ finanziere, die die Entwicklung des Landes verhinderten. „Es hat nichts mit Europa und europäischen Werten zu tun“, hatte Parteichef Irakli Kobachidse das Vorhaben verteidigt. Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, widersprach vehement: Das Agentengesetz widerspreche Georgiens Streben nach einem EU-Beitritt.

Am Dienstag wurde das Gesetz von der Regierungspartei mit deutlicher Mehrheit in erster Lesung verabschiedet.

Da standen in Tiflis schon die ersten Demonstranten vor dem Parlament.

Manche von ihnen hatten sich vorsorglich Gasmasken angezogen.

Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein.

Da standen in Tiflis schon die ersten Demonstranten vor dem Parlament.

Manche von ihnen hatten sich vorsorglich Gasmasken angezogen.

Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein.

Mit dem bedingungslosen Rückzug des Gesetzes wolle die Regierung nun eine „Konfrontation“ in der Gesellschaft vermeiden, erklärte sie. Dabei hatte Parteichef Kobachidse am Dienstag noch gesagt: „Heute ist ein schwarzer Tag nur für die radikale Opposition und die ihr nahestehenden Kräfte.“ Er hatte die Tragweite der Proteste offensichtlich unterschätzt.

Fußballer, Schachspieler, Theaterleute: Alle protestierten

Außerhalb der georgischen Regierungspartei war das Entsetzen groß gewesen. Die Opposition war ohnehin gegen das Agentengesetz, aber die Warnungen kamen aus allen Richtungen. Der Fußballverein Dinamo Tiflis schrieb, dass die Initiative die Integration mit Europa störe. Georgische Theater und Schauspieler wandten sich gegen das Vorhaben, ebenso das nationale Frauenteam im Schach und Georgiens derzeit berühmtester Fußballspieler Chwitscha Kwarazchelia vom SSC Neapel.

Die georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili hielt von New York aus eine emotionale Unterstützungsrede für die Demonstrierenden in Tiflis und ließ sie extra an ausländische Journalisten schicken. „Ich stehe hier in New York und hinter mir ist die Freiheitsstatue“, sagte sie. „Sie war immer ein Symbol für das, wofür Georgien gekämpft hat. Niemand braucht dieses Gesetz, das aus dem Nichts kommt“, erklärte die Präsidentin. Und dann: „Ich habe es vom ersten Tag an gesagt – ich würde gegen das Gesetz ein Veto einlegen.“ Das muss sie nun nicht mehr.

Die Europäische Union reagierte erleichtert. Ihre Delegation in Georgien sprach von einem „guten und hoffnungsvollen Signal aus Tiflis“ und ermutigte „alle politischen Führer in Georgien, die EU-freundlichen Reformen wieder aufzunehmen“. Georgien bemüht sich seit Langem um eine Annäherung an die Europäische Union, doch zuletzt hatten sich Sorgen vor Rückschritten bei der Demokratisierung verstärkt.

Die EU verlangt demokratische Reformen

Im vergangenen Juni traf die EU eine Entscheidung: Sie erklärte die Ukraine und die Republik Moldau zu offiziellen Beitrittskandidaten, verwehrte diesen Status aber Georgien vorerst. Die EU stellte dem Land zwölf Bedingungen: Georgien müsse seine Anti-Korruptionsbehörde stärken, eine unabhängige, verlässliche Justiz schaffen, die Menschenrechte besser schützen, den Einfluss von Oligarchen eindämmen und, sehr grundsätzlich, die starke Polarisierung der politischen Lager verringern.

Noch immer ziehe der Milliardär und Parteigründer Bidsina Iwanischwili die Strippen in der Regierungspartei, klagt die Opposition, und noch immer nehme das Land zu viel Rücksicht auf Russland. Iwanischwili, der als Unternehmer einst Geschäfte mit Russland machte, hatte 2012 gegen die Partei des damaligen Präsidenten Michail Saakaschwili gewonnen und war Premier geworden. Seitdem stehen sich Regierung und Opposition unversöhnlich gegenüber. Saakaschwili ist wegen angeblichen Machtmissbrauchs im Gefängnis, gegen kritische Sender geht die Justiz vor. Wie es nun weitergeht nach dem Rückzug des Gesetzes?

Der deutsche Botschafter in Georgien, Peter Fischer, twitterte optimistisch, dass Georgiens EU-Kandidatenstatus nun wieder in Reichweite sei. Der Jurist Lewan Alapischwili ist skeptisch. Er sagte der Plattform Jam-News, dass ein Gesetzentwurf nur vor der ersten Lesung zurückgezogen werden könne. Er hält es für möglich, dass das Gesetz am Ende des Frühjahrs oder im Herbst „sehr still“ doch noch gebilligt werde. Auch Tatuscha Arveladse, die demonstriert hat, sagt: „Ich bleibe misstrauisch.“

Team
Text Frank Nienhuysen
Digitales Storytelling David Wünschel