Paradise Papers -
Die Schattenwelt des großen Geldes

Bauen allein ist
nicht genug

Acht Fragen und Antworten zu einem der drängendsten Themen der Zeit: dem Wohnungsmarkt

Von Thomas Öchsner - 06. November 2017

Die Mieten in den Metropolen und in den prosperierenden Universitätsstädten sind in den vergangenen Jahren weit schneller gestiegen als andere Preise. Zwischen 2010 und 2015 kletterten die Mieten in München um 30 Prozent, in Stuttgart um 24 Prozent. Und zuletzt ging es immer weiter aufwärts. In 77 deutschen Großstädten müssen bereits 40 Prozent der Haushalte mehr als ein Drittel ihres Einkommens für die Kaltmiete ausgeben, heißt es in einer Eine Analyse der sozialen Lage in 77 GroßstädtenUntersuchungEine Analyse der sozialen Lage in 77 Großstädten der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Diese Menschen sind nach der amtlichen Definition „durch Wohnkosten überbelastet“.

Warum sind die Preise so stark gestiegen?

In vielen Städten gibt es schlichtweg nicht genügend (bezahlbare) Flächen, auf denen sich bauen lässt. Die Preise spiegeln also ein Knappheitsproblem wider. Gleichzeitig drängen die Menschen in die Städte – oder versuchen es zumindest und kämpfen dabei oft um Wohnraum. Die Wunschwohnung hat drei Zimmer plus Küche und am besten einen Balkon, möglichst im Zentrum, und das alles für sechs, sieben, acht Euro pro Quadratmeter. Gerade von diesen Wohnungen gibt es aber viel zu wenig.

Woran liegt es noch, dass Wohnraum in Städten zum knappen Gut geworden ist?

Es wird mehr, aber immer noch zu wenig gebaut. 2016 entstanden in Deutschland 278.000 Wohnungen. Die amtierende Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) hat als Ziel 350.000 Wohnungen ausgegeben, Mieterbund und Immobilienwirtschaft halten sogar 400.000 pro Jahr für nötig. Die Wohnungen, die entstehen, befinden sich aber oft am falschen Ort, also eher in Kleinstädten und ländlichen Gebieten als in den Metropolen. Außerdem entstehen meist Objekte der gehobenen Kategorie, die erst ab elf, zwölf, dreizehn Euro pro Quadratmeter zu mieten sind. Billiger zu vermieten, lohnt sich für die Investoren nicht, sie mussten ja selbst höhere Preise bezahlen: für teurer gewordenes Bauland, die in vielen Bundesländern kräftig gestiegene Grunderwerbsteuer, und das Bauen selbst, das aufgrund der energetischen Standards, etwa beim Dämmen, deutlich mehr kostet.

Was ist aus dem sozialen Wohnungsbau geworden?

In Wien, Europas Vorzeigestadt für den öffentlichen Wohnungsbau, leben immer noch zwei Drittel der Bewohner in geförderten Wohnungen. Deutsche Großstädte sind davon weit entfernt. Mitte der Siebzigerjahre, als die ärgste Wohnungsnot beseitigt war, erschlaffte das Engagement von Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau. Später kam erschwerend hinzu, dass einige Kommunen während der Privatisierungswelle ihren Wohnungsbestand verkauften. Meist landeten die Wohnungen bei großen Immobilienkonzernen oder internationalen Kapitalanlegern, die sich naturgemäß vor allem für ihre Rendite interessieren.

Wer zahlt für den sozialen Wohnungsbau?

Zuständig sind seit 2006 die Länder. Sie bekommen vom Bund derzeit jährlich 1,5 Milliarden Euro dafür, Sozialwohnungen zu errichten. Teilweise haben die Länder mit dem Geld aber gar nicht gebaut. Außerdem plant der Bund, die Zahlungen 2020 einzustellen. Es ist deshalb ungewiss, was aus dem sozialen Wohnungsbau wird

Hilft die Mietpreisbremse nicht?

Die Mietpreisbremse, die die Bundesregierung im Sommer 2015 eingeführt hat, gilt in mehr als 300 Städten. Viel bewirkt hat sie jedoch nicht, im Gegenteil: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wies darauf hin, dass in Regionen mit der Bremse die Mieten sogar noch etwas stärker gestiegen sind als ohne. Das liegt vermutlich daran, dass Eigentümer vor Inkrafttreten des Gesetzes noch schnell die Miete erhöht haben. Bei Neuvermietungen sollte die Bremse dafür sorgen, dass die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Doch viele Ausnahmen machen es möglich, die Mietpreisbremse zu umgehen.

Wie lässt sich Spekulation mit Grundstücken bekämpfen?

Großinvestoren und Vermögensverwalter reicher Familien kaufen längst Grund und Boden auf Vorrat – in der Hoffnung, dass der Preis steigt. Eine Sondersteuer auf dieses „Land Banking“ gibt es jedoch nicht, obwohl schon vor mehr als 40 Jahren der damalige Bundesbauminister Hans-Jochen Vogel eine Steuer auf den Zuwachs der Bodenwerte gefordert hatte. Eine immer größere Rolle spielen ausländische Geldgeber, die im großen Stil Häuser und Grundstücke aufkaufen. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verlangte deshalb bereits vor einem Jahr, für ausländische Investoren die Immobiliensteuern drastisch zu erhöhen und gegen legale Tricks bei der Umgehung der Grunderwerbsteuer vorzugehen. Die Grünen haben dies auch in ihrem Wahlprogramm gefordert. Ob sie sich damit in einer Jamaika-Koalition durchsetzen können, ist jedoch fraglich.

Gibt es Vorbilder im Kampf gegen horrende Miet- und Immobilienpreise?

Vancouver in Kanada gehört zu den teuersten Städten der Welt. Zuletzt trieben dort vor allem Käufer aus China die Immobilienpreise nach oben. 2016 wurde deshalb in Vancouver und später auch in Toronto eine Steuer für ausländische Hauskäufer eingeführt. Die Preise für Immobilien gingen daraufhin zum Teil deutlich um 20 Prozent zurück. In Vancouver sind sie seit Anfang des Jahres aber wieder gestiegen. Die Sondersteuer wirkte offenbar vor allem psychologisch: Investoren zogen sich zurück, weil sie nicht mehr daran glaubten, dass die Immobilien-Party immer weitergeht.

Bringt der Milieuschutz etwas?

Städte müssen nicht machtlos zusehen, wie Finanzinvestoren Häuser und ganze Siedlungen kaufen und dann die Mieten in die Höhe treiben. In Berlin stehen deshalb bereits in sieben Bezirken 39 Gebiete mit gut 300.000 Wohnungen unter Milieuschutz. In diesen Gebieten brauchen Eigentümer eine Genehmigung, wenn sie Mietwohnungen luxussanieren oder in Eigentumswohnungen umwandeln wollen. Der Milieuschutz funktioniert immerhin so gut, dass der Investor Phoenix Spree sich in seinem Geschäftsbericht 2016 darüber beklagt, daran gehindert worden zu sein, Wohnungen in Eigentumswohnungen umzuwandeln. 

Genehmigungspflichtig heißt aber auch, dass viel Auslegungssache ist. So wurden in Berlin auch in den Schutzgebieten Tausende Wohnungen umgewandelt. Das geht, wenn die Eigentümer versichern, dass sie in den nächsten sieben Jahren nur an die aktuellen Mieter verkaufen. Das Problem dabei: Nur wenige Mieter könnten sich einen Kauf leisten, heißt es beim Berliner Mieterverein. In den geschützten Gebieten haben die Bezirke auch ein Vorkaufsrecht, wenn der Milieuschutz gefährdet ist. Der Berliner Senat hat jetzt 100 Millionen Euro bereitgestellt, damit die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften bei Bedarf große Spekulanten ausstechen können.

Das sind die Paradise Papers

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