Viele der Flüchtlinge sind zermürbt, nach diesen Nächten, mit oder ohne Schlafsack, auf dem Boden liegend, direkt neben ihren eigenen Ausscheidungen in Tijuana, nur wenige Meter von ihrem Ziel entfernt.

Grafik: Sara Scholz
"Ich werde keinen Monat mehr aushalten können, wir haben fast nichts mehr", sagt der 20 Jahre alte Lenín Herrera, der mittlerweile weiß, dass es aufgrund der verschärften Regeln der US-Regierung etwa sechs Monate dauern dürfte, bis er an der meistfrequentierten Grenze der Welt um Asyl bitten darf. Herrera ist mit seiner Frau und dem zwei Jahre alten Sohn aus San Pedro Sula in Honduras geflüchtet, einer der gefährlichsten Städte der Welt.
Er sagt, dass Dealer gedroht hätten, ihn vor den Augen seiner Familie zu töten – und dass sie genau das mit dem Nachbarn getan hätten. In Honduras ist Drogenhandel allgegenwärtig, er frisst sich in Gesellschaft, Polizei und Regierung. Wie tief, das zeigt ein Vorfall an diesem Dienstag: Juan Antonio Hernández, der Bruder des honduranischen Präsidenten, wurde in Miami festgenommen. "Tony" Hernández, wie er genannt wird, war mal Kongressabgeordneter in seinem Land. Jetzt werden ihm Drogenhandel und Waffenbesitz vorgeworfen. Laut dem New Yorker Staatsanwalt Geoffrey Berman soll Hernández mit Maschinengewehren gesicherte Kokain-Lieferungen aus Kolumbien organisiert, Ermittler bestochen und Schmiergeld von Drogenbossen gefordert haben. Kaum jemand in Honduras glaubt, dass Tony Hernández so was ohne Wissen seines Bruders, des Präsidenten, tut.
Kann man es einem 20-jährigen Familienvater verdenken, dass er weg wollte aus dieser Vorhölle? Er hat ein Köfferchen dabei, auf dem „Essentials“ steht und genau das war drin: Medikamente, die nun aufgebraucht sind. Er hat noch 1300 Pesos, umgerechnet etwa 55 Euro. Herreras Frau lässt sich an diesem Montagnachmittag in einem Zelt die Läuse aus den Haaren entfernen, fast alle haben inzwischen Läuse hier, der Sohn kickt mit einem Freund eine Getränkedose über die Straße, es gibt sonst nichts zu tun.
Herrera sucht Essen für seine Familie, irgendwas, er selbst hat nur eine Handvoll Reis gegessen und eine Cola getrunken, die er von einem freiwilligen Helfer bekommen hat. Ein bisschen Zucker, immerhin, später soll es Tacos geben, von Helfern gebacken. Er sagt, und es ist ein Satz, den niemand vergessen kann, der ihn gehört hat: „Ob ich hier verrecke oder zurück nach Honduras muss, das macht für mich keinen Unterschied.“
Donald Trump hat sie während des Midterm-Wahlkampfes zu einer monströsen Armee hochstilisiert. Nun sitzt diese Armee der Elenden im alten Sportzentrum Benito Juárez herum, das Tijuanas Bürgermeister Juan Manuel Gastélum zur Verfügung gestellt hat – übrigens ein Bewunderer Donald Trumps, der gerne mit Baseball-Mütze herumläuft, auf der steht: „Make Tijuana great again“.
Flüchtlinge sind für ihn da nicht der richtige Weg, er hat sie „vagos y mariguanos“, Penner und Kiffer, genannt, die die Regierung in Mexiko-Stadt schnellstens zurückschicken sollte. An die 100 von ihnen trifft nun dieses Schicksal, es sind die Mauerstürmer, sie werden nach Mittelamerika abgeschoben.
Dauerhaft aber will Mexikos gewählter Präsident Andrés Manuel López Obrador, der am Samstag sein Amt antritt, mit den USA über eine Art Marshallplan für Zentralamerika verhandeln, denn aufhalten könne man die Menschen nicht, so viel hat der linksgerichtete Politiker festgestellt. Die Erfolgsaussichten für seinen Plan sind jedoch gering, denn Trump sieht das ganz anders, er will die Hilfen eher kürzen.
Es sind am Montag zwei Leute zur Straßenecke der Baja California und der Avenida 5 de Mayo gekommen, ein älterer Gringo im Miami-Dolphins-Trikot und ein junger Mexikaner. Sie wollen nicht helfen, sie wollen auch keine Empathie zeigen. Sie wollen gucken und schimpfen. Der Mexikaner sagt, er will keine Scheißkerle in seiner Stadt, der Amerikaner ist stinksauer, weil seine Freundin aus Panama nun wohl länger auf ihren Asyl-Termin warten muss.
Er schimpft ein bisschen, er sieht den Flüchtlingen zu, wie sie sich in Pfützen waschen oder an den Toiletten anstehen, dann hält er sich die Nase zu und sagt: "Was das für Leute sind, das erkenne ich doch schon an diesem abscheulichen Geruch."
Tijuana ist der Ort, wo die Armen mit den Ärmsten konkurrieren.