Bundestagswahl

Zuspruch und Enttäuschung

Beliebt bei jungen Menschen und Akademikern und dennoch schwächer als gedacht: Die Grünen freuen sich über Direktmandate, hadern aber mit dem Gesamtergebnis.

Von Claudia Henzler und Benedikt Müller-Arnold

27. September 2021 - 5 Min. Lesezeit

Die Grünen haben bei dieser Wahl deutlich dazugewonnen – und das vor allem im urbanen und studentischen Milieu. Erstmals ist es der Partei dabei gelungen, mehr als das fast schon obligatorische Direktmandat in Berlin-Kreuzberg zu gewinnen, das Christian Ströbele erstmals 2002 geholt hatte und das seit 2017 von Canan Bayram verteidigt wird.

Nun aber konnte die Partei in 16 Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinen – eine Zahl, die manche Grüne am Tag nach der Wahl noch erfreut überrascht.

Grüne Direktkandidaten konnten in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt, München und Stuttgart einzelne Wahlkreise gewinnen. Hinzu kamen Erfolge in Universitätsstädten wie Freiburg, Münster und Heidelberg. Der Erfolg ist dabei regional ungleich verteilt. Von den 16 Direktmandaten wurden vier in Baden-Württemberg, vier in Nordrhein-Westfalen und drei in Berlin errungen. In Hamburg stellen die Grünen künftig zwei direkt gewählte Abgeordnete, in München und Frankfurt jeweils einen.

Auch bei den Zweitstimmen werden regionale Unterschiede deutlich: Die grünen Hochburgen liegen in den Städten, die schlechtesten Ergebnisse erzielten die Grünen im Osten.

Das Direktmandat im Wahlkreis Flensburg-Schleswig, der Heimat des Co-Parteivorsitzenden Robert Habeck, kann wegen dessen Popularität einerseits als Sonderfall gelten. Andererseits ist auch das Zweitstimmenergebnis der Grünen in Schleswig-Holstein im Vergleich zu 2017 und zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich stark gestiegen.

Nachwahlanalysen haben gezeigt, dass die Grünen bei jungen Wählern und bei Menschen mit Abitur oder Hochschulabschluss besonders beliebt sind. Bei den unter 30-Jährigen bekamen sie laut der Forschungsgruppe Wahlen den größten Zuspruch: 22 Prozent aus dieser Altersgruppe wählten demnach die Grünen, überraschend dicht gefolgt von der FDP mit 20 Prozent. Bei den über 60-Jährigen entschieden sich hingegen nur neun Prozent für die Grünen.

Überdurchschnittlich beliebt ist die Partei jedoch bei Beamten. Würden nur Staatsdiener wählen, käme sie nach Erkenntnissen der Forschungsgruppe auf 23 Prozent.

Dass es in Groß- und Universitätsstädten nicht zu noch mehr grünen Direktmandaten gereicht hat, lag vor allem daran, dass es vielerorts zwar eine Mehrheit jenseits von CDU und CSU gibt, sich Grüne und SPD dort aber Konkurrenz machten.

So scheiterte im Wahlkreis München-West/Mitte der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek denkbar knapp. Ihm waren gute Chancen auf das Direktmandat vorhergesagt worden, am Ende zeigten die Ergebnisse aber: Er unterlag CSU-Mann Stephan Pilsinger mit weniger als 150 Stimmen.

So scheiterte im Wahlkreis München-West/Mitte der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek denkbar knapp. Ihm waren gute Chancen auf das Direktmandat vorhergesagt worden, am Ende zeigten die Ergebnisse aber: Er unterlag CSU-Mann Stephan Pilsinger mit weniger als 150 Stimmen.

In Nordrhein-Westfalen hat sich mit der Bundestagswahl eine Entwicklung fortgesetzt, die sich bereits bei den Kommunalwahlen vor einem Jahr abgezeichnet hat. Im September 2020 hatten die Grünen die meisten Stimmen bei den Ratswahlen in Köln, Bonn oder Aachen auf sich vereint. In Bonn und Aachen regieren seither außerdem grüne Oberbürgermeisterinnen. Alle genannten Städte zählen – auch dank vieler Studierender – zu den Gemeinden mit der jüngsten Durchschnittsbevölkerung in Nordrhein-Westfalen.

Die vier direkt gewählten Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen kommen nun allesamt aus Hochschulstädten. In Bonn lag die grüne Kandidatin Katrin Uhlig hauchdünn vor SPD-Rivalin Jessica Rosenthal. In den katholisch geprägten Universitätsstädten Münster und Aachen setzen sich erstmals grüne Bewerber durch. Und im ebenfalls katholischen Köln gewannen die Grünen eines von vier Direktmandaten – im vergleichsweise gut situierten Süden und Westen der Domstadt. „Grüne Politik ist in der Breite der Gesellschaft angekommen“, folgerte Oliver Krischer, siegreicher Direktkandidat der Grünen in Aachen, am Wahlabend.

In Baden-Württemberg sammelte der frühere Parteivorsitzende Cem Özdemir in seinem Wahlkreis in Stuttgart 40 Prozent der Erststimmen ein und zog mit Abstand an seinem CDU-Konkurrenten vorbei. Es war sein vierter Anlauf. Zuvor war die Karte der Wahlkreissieger in dem Bundesland immer tiefschwarz geblieben – allen Erfolgen der Grünen bei anderen Wahlen zum Trotz. In Heidelberg gewann Franziska Brantner das Direktmandat, neben Cem Özdemir Spitzenkandidatin in Baden-Württemberg. In Freiburg, wo die Partei von 2002 bis 2018 den bundesweit ersten grünen Oberbürgermeister einer Großstadt gestellt hatte, setzte sich die 26-jährige Chantal Kopf durch.

Insgesamt sind die Grünen in Baden-Württemberg enttäuscht. Denn ihr Zweitstimmenergebnis liegt mit 17,2 Prozent zwar höher als im Bund (14,8). Doch die Partei, die bei der Landtagswahl mit mehr als 30 Prozent stärkste Kraft wurde, landete nun wieder hinter CDU und SPD. Und nicht nur das: Bei der Bundestagswahl 2017 hatte nur Hamburg ein besseres Zweitstimmenergebnis (13,9 Prozent) gehabt als Baden-Württemberg (13,5). Nun sind alle Stadtstaaten an dem Land vorbeigezogen, in dem Deutschlands einziger grüner Ministerpräsident regiert. Und auch in Schleswig-Holstein ist ausweislich 18,3 Prozent Zweitstimmen der Enthusiasmus für die Grünen größer als am Neckar.

Wie immer zeigt das Wahlergebnis der Grünen ein starkes West-Ost-Gefälle. In den alten Bundesländern kommen sie auf insgesamt 15,4 Prozent, in den neuen auf 10,9 Prozent.

Bei aller Enttäuschung einzelner Grünen darüber, dass die Partei deutlich hinter Umfragewerten von um die 25 Prozent aus dem Jahr 2019 und dem Frühjahr 2021 zurückgeblieben ist: Unterm Strich bleibt, dass die Partei das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl von 8,9 Prozent deutlich verbessern konnte.

Grüne bei Bundestagswahlen

Laut dem Wählerwanderungsmodell von infratest dimap kam der Zuspruch von allen Seiten. Die meisten Stimmen haben die Grünen der Union abgenommen (900 000), gefolgt von der Linken (470 000).

Team

Text Claudia Henzler, Benedikt Müller-Arnold
Infografik Sara Unterhitzenberger
Digitales Storytelling Christian Helten