Bundestagswahl
So hat Deutschland gewählt
Seit der Wiedervereinigung haben in Deutschland nicht mehr so viele Menschen gewählt: 82,5 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben – und mit ihrer Stimme größtenteils auch die Aufforderung, dass sich politisch etwas ändern soll. Die Ampelregierung wurde abgestraft, alle drei (ehemaligen) Regierungsparteien verzeichnen Verluste, die FDP fliegt sogar ganz aus dem Bundestag. Die CDU gewinnt Stimmen dazu, ist aber längst nicht mehr die Volkspartei, die sie einmal war. Die politischen Ränder wachsen.
Die wichtigsten Erkenntnisse aus den Wahlergebnissen:
- Die Union ist der deutliche Wahlsieger – mit dem zweitschlechtesten Ergebnis der Parteigeschichte.
- Die Ampelparteien wurden abgestraft, die FDP fliegt aus dem Bundestag.
- Die AfD verdoppelt ihr Ergebnis im Vergleich zur vergangenen Wahl und wird zweitstärkste Kraft.
- Der Linken gelingt die politische Wiederauferstehung, das BSW scheitert denkbar knapp.
- Die Kräfteverhältnisse im neuen Bundestag geben der Union in der Regierungsbildung keinen Spielraum.
Wenn Sie die Analysen zur Bundestagswahl lieber in einfacher Sprache lesen möchten, klicken Sie bitte hier.
Die Union hat klar gewonnen
Am Sonntagabend gibt es Jubel im Konrad-Adenauer-Haus. Das absehbare Ergebnis ist eingetreten, die Union wird bei der Bundestagswahl stärkste Kraft. Auftritt vom Kanzlerkandidaten Friedrich Merz: „Wir haben diese Bundestagswahl 2025 gewonnen.“ Er, der in der Parteizentrale längst „Kanzler“ gerufen wird, bedankt sich zuerst bei CSU-Chef Markus Söder für die gute Zusammenarbeit – zu Recht, wie die Wahlkreisergebnisse der Union zeigen.
Die starken Gewinne haben allerdings einen bitteren Beigeschmack für die Union: Bei der vergangenen Bundestagswahl hat sie das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erzielt. Bei dieser Bundestagswahl ist es das zweitschlechteste, von früheren Erfolgen ist die Union immer noch meilenweit entfernt.
Friedrich Merz und die Union hätten am Sonntagabend gern ein Ergebnis von mehr als dreißig Prozent gesehen. Recht früh am Abend ist jedoch klar, dass dieses Ziel verfehlt wurde. Auch für das erklärte Ziel, nur mit einem Partner zu koalieren, sah es zwischenzeitlich schlecht aus: Wäre das BSW in den Bundestag eingezogen, hätte es nicht für Schwarz-Rot gereicht.
Was CDU und CSU Auftrieb verliehen hat, dürfte vor allem eins sein: die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Ampelregierung.
Die Ampelparteien wurden abgestraft
Der Wahlabend war noch nicht alt, da gab es bereits die erste Personalie zu verkünden. „Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist das völlig klar, dass ich dann auch aus der Politik ausscheide“, verkündete Christian Lindner im ZDF knapp zweieinhalb Stunden nach dem Schließen der Wahllokale. Einige Stunden später steht fest: Die FDP hat es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft, mehr als sieben Prozentpunkte hat sie im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 verloren. Doch auch die ehemaligen Koalitionspartner der Liberalen mussten harte Verluste hinnehmen.
„Das Ergebnis ist für die SPD sehr bitter“, sagt Olaf Scholz im ZDF. Zu einem Rückzug aus der Politik äußert er sich am Wahlabend nicht, stellt aber klar: Im Falle einer Regierungsbeteiligung der SPD strebe er keinen hohen Posten an. Bei den Sozialdemokraten soll es einen Umschwung geben. Es sei nun an der Zeit „dass wir uns organisatorisch anders aufstellen, dass wir uns programmatisch anders aufstellen und, ja, auch, dass wir uns personell anders aufstellen“, so Lars Klingbeil. Der Parteichef soll nun SPD-Fraktionsvorsitzender im neuen Bundestag werden.
Robert Habeck sieht den Wahlverlust seiner Partei vor allem im Erstarken der Zustimmung für Die Linke. Auch wenn das sicher nicht der einzige Grund ist, zeigt sich an den Ergebnissen von SPD, FDP und Grünen doch ein Trend der gesamten Wahl: Die politische Mitte wird dünner. Dass alle Ampelparteien verloren haben und auch die Union nicht das gewünschte Ergebnis von mehr als dreißig Prozent erreicht hat, nutzt vor allem Parteien an den politischen Rändern.
Das Parlament rückt nach rechts
Neben der Union ist die AfD der klare Wahlgewinner – ihr Ergebnis von 2021 konnte die Partei bei dieser Bundestagswahl verdoppeln und erreicht 20,8 Prozent. Damit schafft sie Historisches: Seit der Gründung der BRD waren immer Union und SPD die beiden stärksten Parteien im Bundestag. Diese Serie ist nun gebrochen, die AfD liegt mit ihrem Ergebnis weit vor den Sozialdemokraten.
Nach Erststimmen hat die Partei bei dieser Wahl mehr als 40 Wahlkreise gewonnen. Alle dieser Wahlkreise liegen in Ostdeutschland, in Pforzheim, wo die AfD gern ihr erstes westdeutsches Direktmandat gewonnen hätte, hat Gunther Krichbaum von der CDU erneut gewonnen.
Am Ergebnis der AfD zeigt sich beispielhaft, wie groß die regionalen Unterschiede im Wahlverhalten innerhalb Deutschlands auch noch mehr als 35 Jahre nach der Wiedervereinigung sind. Mehr als ein Drittel der Stimmen in den ostdeutschen Bundesländern (ohne Berlin) geht an die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD, während die Union dort nicht einmal 20 Prozent erreicht. Auch die Parteien der ehemaligen Ampelkoalition erreichen hier nicht ansatzweise die Zustimmungswerte der AfD. In den westdeutschen Bundesländern hingegen liegt die AfD nur knapp vor der SPD auf Platz zwei. Die Stimmen aus den ostdeutschen Bundesländern haben also maßgeblich zu dem historischen Erfolg der Partei beigetragen.
Doch nicht nur zwischen Ost und West zeigen sich Unterschiede, auch zwischen Stadt und Land: Zwar ist die Union in beiden Gruppen stärkste Kraft, doch in den ländlich geprägten Wahlkreisen kommt die AfD ihr bis auf wenige Prozent heran. In den städtischen Wahlkreisen hingegen liegt die SPD knapp vor der Rechtsaußen-Partei.
Doch deutlich wird eben auch: Stadt und Land wirken längst nicht so entfremdet wie Ost und West. Bei der Europawahl 2024 war die ehemalige innerdeutsche Grenze auf der Ergebniskarte bereits deutlich erkennbar – ein Bild, das sich nun wiederholt.
Der Aufstieg der Linken, der Abstieg des BSW
Der Linken gelingt die politische Wiederauferstehung: Zu Beginn des Jahres lagen die Umfragewerte der Partei noch um die drei Prozent. Der Einzug in den Bundestags erschien so unrealistisch, dass die Partei mit ihrer Mission Silberlocke auf die Grundmandatsklausel setzte. Gregor Gysi, Bodo Ramelow und Dietmar Bartsch sollten in ihren Wahlkreisen die meisten Erststimmen gewinnen und der Linken damit den Einzug in den Bundestag sichern. Alle drei Silberlocken haben ihren Wahlkreis tatsächlich gewonnen. Diesen Joker hat die Partei aber gar nicht gebraucht: Die Linke hat 8,7 Prozent der Zweitstimmen gewonnen. Ihren Erfolg verdankt sie vor allem einer Wählergruppe: Den jungen Menschen.
Bei Wählerinnen und Wählern unter dreißig wird Die Linke sogar stärkste Kraft, fast jede vierte Person in dieser Gruppe hat der Partei ihre Stimme gegeben. Je älter die Wählergruppe, desto schlechter das Ergebnis der Linken: Bei den über 60-Jährigen wäre die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Der Erfolg bei den Wählerinnen und Wählern unter 30 dürfte auch an der Bundesvorsitzenden Heidi Reichinnek liegen, die auf Social Media besonders viele junge Menschen erreicht.
Die Partei, die erst 13 Monate alt ist, hatte zunächst ein erfolgreiches Gründungsjahr: Aus dem Stand hat sie bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zweistellige Ergebnisse erzielt, ist sogar an den Regierungen in Thüringen und Brandenburg beteiligt. Am Wahlabend im Kosmos muss die Partei zunächst zittern. Am Ende reicht es ganz knapp nicht für den Einzug in den Bundestag, 4,972 Prozent stehen für das BSW zu Buche.
Nur eine Koalition ist wahrscheinlich
Insgesamt schaffen es also fünf Fraktionen in den 21. Deutschen Bundestag. Nach der Wahlrechtsreform wird dieser genau 630 Sitze haben. Aufgrund der Reform ziehen nicht alle Erststimmengewinnerinnen direkt in den Bundestag ein. Das trifft besonders die Union, die mehr Erst- als Zweitstimmen erhalten hat. Auch eine Bremer SPD-Kandidatin und vier AfD-Kandidatinnen und Kandidaten aus ostdeutschen Bundesländern sind von der Neuerung betroffen.
Die 630 Plätze teilen sich nun also Union, AfD, SPD, Grüne, Linke und SSW. In den Umfragen sah es lange so aus, als könnte die Koalitionsbildung aufgrund vieler Kleinparteien in diesem Jahr schwierig werden – nun gibt es im Grunde nur eine wahrscheinliche Option. Eine Koalition der stärksten Fraktionen scheint ausgeschlossen, zumindest von Seiten der Union. Alice Weidel und die AfD gaben zwar schon am Wahlabend immer wieder zu verstehen, die Hand sei „ausgestreckt“, doch Friedrich Merz scheint diese Hand auf keinen Fall ergreifen zu wollen. Das stellt den zukünftigen Bundeskanzler und seine Fraktion allerdings vor große Herausforderungen.
Mit der AfD fällt so der Partner weg, mit dem eine Zweierkoalition am komfortabelsten möglich wäre. Doch da weder FDP noch BSW der Einzug ins Parlament gelungen ist, wäre auch mit der SPD eine Koalition für die Union möglich. Gemeinsam hätten die beiden Fraktionen 328 Sitze, 316 Sitze reichen für eine absolute Mehrheit im Parlament. Schwarz-Grün würde keine Mehrheit finden.
So ist Friedrich Merz nicht in der angenehmen Situation, sich seinen Koalitionspartner aussuchen zu können. Die Frage ist nun eher, welche Zugeständnisse SPD und Union bereit sind, zugunsten der anderen Partei zu machen. In der ARD betonten sowohl Friedrich Merz als auch Olaf Scholz, dass es wichtig sei, möglichst schnell zu einem Ergebnis zu kommen, die Lage in der Ukraine und die Politik Donald Trumps erforderten eine handlungsfähige Bundesregierung. „Wir müssen sehen, dass wir international handlungsfähig sind“, so der zukünftige Bundeskanzler Friedrich Merz in der ARD. „Europa wartet auf Deutschland.“ Die Regierungsbildung will der CDU-Chef bis Ostern abgeschlossen haben.
Detaillierte Analysen für jeden Wahlkreis
Die Süddeutsche Zeitung bereitet die Ergebnisse aller Wahlkreise für Sie in automatisch aktualisierten Artikeln auf. Hier gelangen Sie zum Wahlergebnis in einem bestimmten Wahlkreis in der Einzelanalyse: