Paradise Papers -
Die Schattenwelt des großen Geldes

Ein Schatten auf Trudeau

Der kanadische Premier ist angetreten, die Steuerflucht zu bekämpfen. Doch einer seiner wichtigsten Berater taucht in den Paradise Papers auf

Von Frederik Obermaier und Nicolas Richter - 05. November 2017

Justin Trudeau ist jung und sieht gut aus, das Klatschportal E-Online findet ihn "superheiß und zuckersüß". Vor ein paar Jahren ist er, der Ex-Kiffer, Ex-Türsteher und Ex-Parlaments-Hinterbänkler, für die höchsten politischen Ämter angetreten, um Kanada moderner und toleranter zu machen. Es verbindet ihn so viel mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama, dass ihn manche den "kanadischen Obama" genannt haben. Beide Politiker waren oder sind Hoffnungsträger, vor allem für jüngere Wählerinnen und Wähler, und beide haben in ihren Wahlkämpfen eine bessere, vor allem gerechtere Zukunft versprochen.

Trudeau hat die Parlamentswahl 2015 mit dem Slogan "Real Change" gewonnen. Er kündigte an, mit der alten, auf die Interessen der Elite zugeschnittenen Politik zu brechen, die Reichen höher zu besteuern und Steueroasen zu bekämpfen. Zu diesem Ziel hat sich Trudeau abermals bekannt, als er dann Premierminister war. Im Jahr 2016 sagte er, er sei auch wegen des Versprechens gewählt worden, dass künftig alle Bürgerinnen und Bürger "ihren fairen Anteil an Steuern zahlen". Und er fügte hinzu: "Steuervermeidung und Steuerflucht sind etwas, das wir sehr ernst nehmen."

Trudeaus Aufstieg in der Politik ist eng mit Stephen Bronfman verknüpft

Nun wecken die Paradise Papers den Verdacht, dass ausgerechnet einer der engsten Parteifreunde und Förderer Trudeaus selbst in ein Modell zur Steuervermeidung verstrickt ist. Der Vertraute ist Stephen Bronfman, mit dem Trudeau seit vielen Jahren befreundet ist. Stephen Bronfman ist ein Geschäftsmann aus Montréal, er stammt aus einer der reichsten Familien des Landes, die ein Vermögen unter anderem mit Immobilien verdient hat. Stephen Bronfman ist wie sein Vater Charles geschäftlich erfolgreich, politisch einflussreich und als Philanthrop engagiert.

Trudeaus Aufstieg in der Politik ist eng mit Stephen Bronfman verknüpft. Als der junge Trudeau 2013 an die Spitze der Liberalen Partei strebte, bat er Bronfman um Hilfe beim Spendensammeln. Als Trudeau dann den Parteivorsitz erobert hatte, vertraute er Bronfman die Parteifinanzen an, und der sammelte im Jahr 2014 so viel Geld ein wie schon lange nicht mehr. Das half Trudeau, die Parlamentswahl zu gewinnen. Als Trudeau bald darauf zum Staatsbesuch nach Washington aufbrach, um Obama zu treffen, war Bronfman dabei. Als Verantwortlicher für die Parteifinanzen ist Bronfman bis heute eine Größe der kanadischen Liberalen.

Der Trust im Mittelpunkt dieser Geschichte heißt Kolber Trust

Nun werfen die Paradise Papers allerdings die Frage auf, ob das finanzielle Gebaren des Liberalen-Vorstandsmitglieds Bronfman immer zu vereinbaren war mit der politischen Agenda des jungen kanadischen Premiers. Den Unterlagen zufolge haben Stephen Bronfman und sein Vater im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte mindestens 34 Millionen US-Dollar an einen mysteriösen Trust auf den Kaimaninseln übertragen. Außerdem war Stephen Bronfmans Investmentfirma Claridge zumindest zeitweise in die Betreuung des Trust-Vermögens verwickelt. Interne Dokumente legen nahe, dass dabei womöglich sogar Steuern hinterzogen wurden.

Nach Recherchen des kanadischen Senders CBC, der Zeitung Toronto Star sowie der Süddeutschen Zeitung heißt der Trust im Mittelpunkt dieser Geschichte Kolber Trust - benannt nach dem früheren liberalen Senator Leo Kolber. Kolber war lange Zeit einer der einflussreichsten Kanadier, und er war mit den Bronfmans aufs Engste verbunden: Zeitweise verwaltete er ihr Vermögen, fungierte als Berater und wurde Patenonkel von Stephen Bronfman. Der Trust, der seinen Namen trägt, ist auf der Kaimaninsel Grand Cayman beheimatet. Er ähnelt juristisch einer Stiftung und wurde im Jahr 1991 gegründet. Leo Kolber kann laut Gründungsurkunde in die Geschäfte eingreifen, Begünstigter war von Anfang an sein Sohn Jonathan. Das Geld dafür stammte - das zeigen die Paradise Papers - unter anderem von den Bronfmans, seinen engen Freunden. Charles Bronfman gewährte einmal ein Darlehen in Höhe von neun Millionen Dollar, später lieh Stephen Bronfman dem Trust fünf Millionen.

Es ist nicht ganz klar, warum die Bronfmans ihrem Freund Kolber und dessen Familie so viel Geld zur Verfügung stellten. Die Finanzen der beiden Familien haben sich mit der Zeit offensichtlich immer mehr vermengt. So führt Jonathan Kolber zeitweise eine Filiale der Investmentfirma Claridge, die die Bronfmans Anfang der Neunzigerjahre in Israel gegründet hatten.

Stephen Bronfman und Justin Trudeau bei einer Veranstaltung im Jahr 2013

Andrew Vaughan/The Canadian Press/AP

Stephen Bronfman und Justin Trudeau bei einer Veranstaltung im Jahr 2013

Allein die Entstehung und Finanzierung des Kolber Trusts ist schon politisch heikel, denn es ist das erklärte Ziel der linksliberalen Regierung Trudeau, für Steuergerechtigkeit zu sorgen und Steuerschlupflöcher zu schließen, die vor allem den Reichen zugutekommen. Wenn nun einer seiner engsten Vertrauten, zudem ein Parteifunktionär, jahrelang das Verschleierungssystem der Trusts und Steueroasen genutzt hat, zeugt das von jener Doppelmoral, die viele Wählerinnen und Wähler Kanadas eigentlich satthatten. Ein Anwalt, der Jonathan Kolber vertritt, erklärte auf Anfrage, "keine der genannten Transaktionen oder Organisationen hatten den Zweck, Steuern zu hinterziehen oder zu vermeiden". Alle Gesetze und Auflagen seien befolgt worden. Bronfman selbst äußert sich nicht.

Die Paradise Papers enthüllen jedoch eine Fülle von Details, die das Schattenreich um den Kolber Trust als sehr dubios erscheinen lassen. Zum einen belegen die Dokumente, dass sich die Beteiligten immer wieder zinslose Kredite in Millionenhöhe gewährten. Solche Kredite lassen Steuerfahnder hellhörig werden, denn sie sind ein Hinweis darauf, dass Einkünfte oder Geschenke als Darlehen getarnt und damit an der Steuer vorbeigeschleust werden sollen. Im Jahr 2004 etwa erhält Jonathan Kolber - der Begünstigte des Kolber Trusts - eine E-Mail seines Vermögensberaters; dieser erklärt ihm, dass zwei Trusts der Bronfmans ihm wegen gesetzlicher Vorschriften Zinsen berechnen müssten für Darlehen. Die Bronfman-Firma Claridge aber werde ihm das "irgendwie" ausgleichen. Womöglich könne er Claridge ja eine Rechnung stellen für Dienstleistungen, in Höhe der Zinsen. Im nächsten Jahr heißt es wiederum in einer E-Mail an Jonathan Kolber, die Zahlung von Zinsen sei immer "nur der Form halber" vereinbart gewesen. Zinslose Kredite, falsche Rechnungen - wenn die Steuerfahndung irgendwo misstrauisch sein müsste, dann hier. Der Anwalt Jonathan Kolbers erklärt, zinslose Kredite seien "unter gewissen Umständen" erlaubt.

"Hier sieht man etliche Warnsignale, und ich vermute, dass die Steuerbehörden da näher hinsehen werden."Steuerrechtler Grayson McCouch

In den Paradise Papers findet sich noch ein weiterer Hinweis auf Steuervermeidung. Neben Jonathan zählt spätestens ab 2007 dessen Schwester Lynne zu den Begünstigten des Kolber Trusts. Lynne lebt in den USA und müsste Einkünfte aus dem Trust deswegen in den USA versteuern. In einer Aktennotiz der Kanzlei Appleby heißt es im Jahr 2007, Lynne solle deswegen "auf anderen Wegen" unterstützt werden. Ihr Bruder Jonathan solle ihr zum Beispiel Geld schenken, dies werde in den USA nicht besteuert.

Der Sender CBC und der Toronto Star haben die entsprechenden Dokumente etlichen angesehenen Steuerexperten vorgelegt. Der Steuerrechtler Grayson McCouch von der University of Florida sagte nach Durchsicht der Unterlagen: "Hier sieht man etliche Warnsignale, und ich vermute, dass die Steuerbehörden da näher hinsehen werden." Der Anwalt Jonathan Kolbers erklärte auf Anfrage, nach 2006 habe es keine Geschenke an Lynne gegeben.

Die Paradise Papers werfen kein gutes Licht auf die Liberalen

In den Paradise Papers tauchen diverse hochrangige Politiker der Liberalen Partei Kanadas und deren Firmen auf. Der einstige Regierungschef Paul Martin (2003 bis 2006) war vor seiner Zeit im Amt Inhaber der CSL Group, die eine Tochterfirma auf den Bermudas registrierte. Als Martin Premier wurde, übertrug er die Firma an seine Kinder, und die registrierten ein Dutzend weiterer Firmen in Bermuda. Ex-Premier Jean Chrétien (1993 bis 2003) etwa war demnach im Besitz von Optionen der in der Steueroase Mauritius registrierten Madagascar Oil Limited. Chrétien sagte auf Anfrage, er habe nie eine Option besessen, man habe ihm nie Unterlagen geschickt, und er habe nie einen Jahresbericht erhalten.

Die Paradise Papers werfen also kein gutes Licht auf die Liberalen. Es war die Regierung Chrétiens, die Ende der Neunzigerjahre zunächst ein Gesetz für ein härteres Vorgehen gegen Trusts und damit gegen reiche Steuerflüchtlinge auf den Weg brachte, es dann aber unter dem Druck von Lobbyisten wieder zurücknahm. Das Gesetz hätte wahrscheinlich auch die Trustkonstruktion betroffen, die der damalige liberale Senator Leo Kolber und der heutige Geldbeschaffer der Liberalen, Stephen Bronfman, beauftragt oder mitverwaltet haben. Interessanterweise war damals unter den Gegnern des Anti-Trust-Gesetzes ein Anwalt aktiv, der sonst die Bronfman-Trusts vertrat. Die Bronfmans also zeigten sich nach außen linksorientiert, nach innen aber waren sie womöglich mehr an ihrem eigenen Vermögen interessiert.

Erst 2007, nach Abwahl der Liberalen, wurde das Gesetz verschärft. Es sah vor, dass Geld, das von Kanada in Offshore-Trusts verschoben wird, versteuert werden sollte. Der Kolber Trust, an den regelmäßig Geld aus Kanada floss - etwa im Jahr 1995, als Stephen Bronfman einen zinsfreien Fünf-Millionen-Kredit an den Trust vergab -, war davon offenkundig betroffen. Berater des Kolber Trusts entschieden sich deswegen frühzeitig für einen Neuanfang. Sie gründeten 2007 einen neuen Trust auf den Kaimaninseln: den Lacombe Trust. Der offizielle Gründer des Trusts war der Offshore-Dienstleister Appleby, allerdings hatte Senator Leo Kolber das Recht, jederzeit die Begünstigten auszuwählen. Mit dieser dicken Schicht der Geheimhaltung, indem sich Kolber hinter Appleby versteckte, sollten die strengeren Gesetze womöglich umgangen werden. Kurz darauf wurden 23 Millionen Dollar vom Kolber Trust auf den Lacombe Trust übertragen.

Justin Trudeau, der smarte Premierminister, wollte sich auf Anfrage nicht zu der Angelegenheit äußern. Die Enthüllungen könnten ihn in Erklärungsnot bringen: Nun zeigt sich, dass einer seiner engsten Parteifreunde mit genau jenen Steuertricks hantierte, die Trudeau selbst im Wahlkampf so gegeißelt hat.

Das sind die Paradise Papers

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