Pegasus-Projekt

„Digitale Überwachung ist eines der am meisten unterschätzten Phänomene”

Christian Mihr von „Reporter ohne Grenzen” über Spähangriffe auf Journalisten - und die Frage, warum er den Mord an Jamal Khashoggi in Deutschland vor Gericht bringen will.

Interview: Kristiana Ludwig

18. Juli 2021 - 4 Min. Lesezeit

SZ: Warum wollen Sie den Mord an dem saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi in der Türkei ausgerechnet in Deutschland vor Gericht bringen?

Christian Mihr: Reporter ohne Grenzen hat die Strafanzeige hier eingereicht, weil in Deutschland das sogenannte Weltrechtsprinzip gibt, mit dem man gegen schwerste Verbrechen von internationaler Bedeutung vorgehen kann – auch dann, wenn sie im Ausland und ohne Bezug zu Deutschland verübt wurden. Das gilt besonders, wenn an anderer Stelle eine unabhängige Rechtsprechung offenbar nicht möglich ist.

Aber der Fall wurde doch bereits vor einem saudi-arabischen Gericht verhandelt.

Der Fall war zwar in Saudi-Arabien vor Gericht, aber die Öffentlichkeit konnte nur sehr wenig aus diesem Prozess erfahren – nicht einmal, wer am Ende wirklich verurteilt wurde. Die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für den Mord, bis hin zum Kronprinzen Mohammed bin Salman persönlich, wurden dort gar nicht angeklagt. Es handelte sich um ein durch und durch politisches Verfahren, in dem fundamentale Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verletzt wurden. Außerdem beschäftigt sich unsere Strafanzeige zusätzlich mit der willkürlichen Inhaftierung von 34 Journalisten in Saudi-Arabien.

Auch in der Türkei sind derzeit Verdächtige im Fall Khashoggi angeklagt, haben Sie da die gleichen Vorbehalte?

Angesichts der Politisierung der türkischen Justiz ist es auch dort schwierig, davon auszugehen, dass es einen fairen Prozess gibt. Mit unserer Erfahrung aus verschiedenen türkischen Gerichtsverfahren sehen wir, wie abhängig die Justiz dort ist. Zu dieser Einschätzung kam auch das Auswärtige Amt. Im Fall Khashoggi beobachten wir, dass sich das Verhältnis zwischen Saudi-Arabien und der Türkei in den vergangenen zwei Jahren verändert hat. In der Türkei herrscht eine Wirtschaftskrise, deshalb bemüht man sich dort offenbar um bessere Beziehungen zu Saudi-Arabien. Wir vermuten, dass man gerade nach den Verwerfungen infolge dieses Mordes nun die Wogen glätten möchte.

Sie hoffen also, dass der deutsche Generalbundesanwalt das genauso sieht und selbst Ermittlungen aufnimmt?

Ja. In Deutschland ist das Völkerstrafrecht sehr fortschrittlich, und der Generalbundesanwalt verfügt über zahlreiche Mitarbeiter, die sich solchen internationalen Fällen widmen können.

Die Recherchen des Pegasus-Projekts legen nahe, dass der saudi-arabische Staat mit einer hohen Wahrscheinlichkeit das Umfeld von Jamal Khashoggi überwacht hat – welchen Einfluss hat dies auf die juristische Aufarbeitung des Mordes?

Das würde uns einerseits darin bestärken, dass wir mit dieser Strafanzeige richtigliegen, aber es würde vor allem den Druck auf den Generalbundesanwalt erhöhen, Ermittlungen aufzunehmen. Ich glaube, solche zusätzlichen Belege für die Verantwortung der saudischen Regierung wären eine Ermutigung und würden es ihm erleichtern voranzugehen.

Wie groß ist das Problem der Überwachung von Journalistinnen und Journalisten weltweit?

Ich glaube, digitale Überwachung, sowohl von Journalisten als auch von vielen anderen Menschen, ist eines der am meisten unterschätzten Phänomene. Weil es so vermeintlich unsichtbar und nicht spürbar ist. Unsere Organisation bietet Nothilfe für weltweit verfolgte Journalistinnen und Journalisten an. Wir haben festgestellt, dass etwa die Hälfte von ihnen deshalb in Bedrängnis geraten sind, weil sie und ihre Recherchen digital ausgespäht wurden. Dies führte bis zu Folter, Haftstrafen oder der Notwendigkeit, ihr Heimatland zu verlassen.

Wie reagieren Sie darauf?

Wir beschäftigen uns zunehmend damit, wie diese Überwachungstechnik funktioniert und auch, wie sie exportiert wird. Schließlich stammt sie oft aus europäischen Ländern oder Israel. Außerdem planen wir ab Herbst ein eigenes digitalforensisches Labor, in dem wir Computer und Smartphones auf Spionagesoftware untersuchen können.

Wie können sich Journalisten denn vor Überwachung schützen?

Wir empfehlen, digitale Spuren so weit wie möglich zu vermeiden. Dabei geht es auch um Metadaten, also beispielsweise Ortsangaben, die Smartphones automatisch sammeln. Daraus können Geheimdienste schon Profile erstellen. In einer immer digitaleren Welt wird auch Quellenschutz immer schwieriger. Die sicherste Kommunikation ist deshalb das Gespräch ohne Handy in der Tasche, mit Papier und Stift.

Christian Mihr, 45, ist Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen in Deutschland.

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Interview Kristiana Ludwig
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Digitales Design Felix Hunger