Ende der Ampel
Szenen einer Entfremdung
Die Geschichte der Ampel beginnt mit einem banalen Selfie. Am späten Abend des 28. September 2021 taucht es auf den Instagram-Accounts des FDP-Chefs Christian Lindner, seines Generalsekretärs Volker Wissing sowie der beiden Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck auf. Diese vier zeigt das Foto auch, leger gekleidet. Alle vier schreiben denselben Text dazu: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
Das ist zwei Tage nach der Bundestagswahl. Das Foto dokumentiert die ersten Gespräche über eine neue Regierung, es hat die Botschaft: Es bewegt sich was. Grüne und Liberale können sich vorstellen, ihre nicht geringen Differenzen zu überwinden.
Das müssen sie auch: Da mit AfD und Linken niemand koalieren will, bleibt im Bundestag nur eine große Koalition aus SPD und Union – oder ein Bündnis einer der beiden mit Grünen und FDP.
Bald beginnen die Sondierungs-, später Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und FDP - über das erste Ampelbündnis in Deutschland auf Bundesebene.
Am 7. Dezember steht die Ampelkoalition auch formal: Der Koalitionsvertrag wird unterschrieben, anderntags wählen die Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und FDP Olaf Scholz zum Kanzler.
Die drei Parteien sprechen von einer „Fortschrittskoalition“, sie wollen Reformen nachholen, die in der 16-jährigen Kanzlerschaft Angela Merkels liegen geblieben seien. Mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschreiben sie ihren Koalitionsvertrag – präsentiert wird er von den Spitzenvertretern auf Abstand. Das Land steckt noch immer in der Corona-Pandemie.
Doch dann wird die Bundesregierung überrumpelt: Krieg in Europa - Russland marschiert im Februar 2022 auf breiter Front in die Ukraine ein. Der Kanzler tritt vor den Bundestag und spricht von einer „Zeitenwende“ für das Land, für die Welt.
Deutschland wird zu einem der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, wo die Bundesregierung gegen den Ruf zu kämpfen hat, zu freundlich zu Russland zu sein. Drei Monate nach dem Überfall besucht Scholz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron den ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenskij in Kiew.
Baerbock, inzwischen Außenministerin, fährt noch viel öfter dorthin. Innerhalb der Regierung werden die Grünen zu den wichtigsten Fürsprechern der Ukraine. In der Frage, wie viele und welche Waffen man dem Land liefert, treten in der Koalition Risse auf.
Der Krieg wird zugleich zu einer Zeitenwende für die Ampelkoalition. Für die Bundeswehr stellt sie ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro bereit. Die Versorgung mit Energie ist gefährdet, vor allem die mit Gas – Milliarden pumpt die Regierung in Hilfs- und Stützungsmaßnahmen im Land. Das gelingt ihr noch gemeinsam. Aber klar ist auch: Alles, was sich die Ampel vorgenommen hat, steht nun infrage.
Das zeigt sich im März 2023: Der Koalitionsausschuss kommt zusammen – es wird die mutmaßlich längste entsprechende Sitzung in der Geschichte der Bundesrepublik. Von Sonntagabend bis Dienstagabend verhandeln die Spitzen der Ampel teils übermüdet über ein „Modernisierungspaket“, mit dem am Ende niemand so wirklich glücklich ist. Vor allem die Grünen fühlen sich überfahren.
Im August 2023, am Ende der Sommerpause, trifft sich das Kabinett in Meseberg in Brandenburg. Es soll der Startschuss sein für die zweite Hälfte der Regierungszeit, soll harmonisch wirken und Tatendrang demonstrieren – energisch schreiten Wirtschaftsminister Habeck, Scholz und Finanzminister Lindner zu ihrer Freiluft-Pressekonferenz.
Die drei bilden das Zentrum der Regierung. Wenn es irgendwo hakt, wird in dieser kleinen Runde verhandelt. Doch das anfängliche Vertrauen beginnt zu erodieren. Die inhaltlichen Differenzen werden zunehmend sichtbar, vor allem weil Lindner als Finanzminister strikt darauf beharrt, an der Schuldengrenze festzuhalten. Auch dann noch, als ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Regierung ein Riesenproblem bereitet: Die Richter verwerfen den Trick der Ampel, 60 Milliarden Euro, die eigentlich für Corona-Folgen gedacht waren, einfach in Programme für Klimaschutz und den Umbau der Wirtschaft zu stecken. Nun fehlt noch mehr Geld.
Und die Atmosphäre leidet auch aus anderen Gründen: Wirtschaftsminister Habeck unterstellt den Koalitionspartnern, ihn bewusst beschädigt zu haben, indem sie in einem frühen Stadium der Beratungen seinen Entwurf des Heizungsgesetzes an die Presse durchgestochen hätten.
In Deutschland wird die politische Stimmung hitziger: Mit Anti-Ampel-Stimmung machen CSU und Freie Wähler in Bayern erfolgreich Wahlkampf. Bauern protestieren gegen die Bundesregierung, andere Berufsgruppen wie Handwerker schließen sich an, mancherorts wird der Protest von Rechtsaußenkräften angeheizt. Habeck wird eines Abends an einem Fähranleger an der Nordsee von einer wütenden Menge daran gehindert, das Schiff zu verlassen.
Öffentlich wahrgenommen werden zunehmend die Spannungen und Konflikte innerhalb der Ampelkoalition. Und es ist wieder ein Selfie, das Anfang 2024 diesen Eindruck korrigieren soll: Habeck und Lindner nehmen es am Rande einer Kabinettssitzung auf und posten es auf ihren Accounts. Sie wirken entspannt bis fröhlich.
Doch das Jahr wird schrecklich für die Koalitionäre: Die Umfragewerte von SPD, Grünen und FDP rauschen in den Keller, bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September werden die drei Parteien abgestraft. Ricarda Lang und Omid Nouripour treten als Grünen-Vorsitzende zurück, genauso wie der Rest des Parteivorstands. In der FDP wird der Unmut über die Koalition immer lauter, in der SPD fordern viele von Scholz, er solle mal auf den Tisch hauen und Lindner in die Schranken weisen.
Immer lauter wird in Berlin nun über ein vorzeitiges Ende der Ampel gesprochen. Anfang November legt Lindner ein Papier mit Forderungen vor, die SPD und Grüne nur unter massiver Selbstverleugnung mittragen könnten. Zugleich ist der Handlungsdruck groß, die Koalition muss sich binnen weniger Tage über einen Haushaltsentwurf einigen. Krisentreffen reiht sich an Krisentreffen – im Gedächtnis bleiben wird ein verschwommenes Foto, das Lindner mit Weinglas (samt unbekanntem Inhalt) zeigt.
In einiger Distanz von und zu ihm sitzt Scholz – die beiden sprechen zu zweit im Büro des Kanzlers. Noch öfter aber in der Dreierrunde mit Habeck.
Vor dem Kanzleramt fahren die Spitzenkoalitionäre am Dienstag und Mittwoch dieser Woche mehrmals vor, sie ringen um einen Etatentwurf, ihre Wirtschaftspolitik, ihre Zukunft. Am Ende finden sie nicht mehr zusammen.
Am Mittwochabend, in der Sitzung des Koalitionsausschusses, entlässt Scholz seinen Finanzminister. Die FDP kündigt darauf an, alle ihre Minister aus dem Kabinett zurückzuziehen. Es ist das Ende der Ampel.
Das aber scheint nicht mehr viele ihrer Mitglieder zu schmerzen. In einer Sondersitzung der SPD-Fraktion spätabends wird Scholz gefeiert. Zuvor gibt er vor der Presse ein langes Statement ab, das einer Generalabrechnung mit Lindner gleichkommt: „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert“, „zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, „als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden“.
Und da ist noch einer, der mit Lindner zwar nicht in Worten abrechnet, aber durch Taten klarmacht, dass er es nicht richtig findet, dass sein Parteichef das Ende der Koalition zumindest forciert hat: Volker Wissing, der Verkehrsminister, verkündet am Morgen, dass er im Kabinett bleibe und aus der FDP austrete. Schon in der vergangenen Woche hat er öffentlich kundgetan, sich aus einer Regierung zurückzuziehen, sei „respektlos“ gegenüber den Wählern. Wissing hatte den Vertrag der Ampelkoalition federführend mitverhandelt, in der FDP gab es Kritik an ihm, weil er gegenüber SPD und Grünen angeblich zu kompromissbereit gewesen sei.
Und Wissing war es auch, der das Handy in der Hand hielt, als das Vierer-Selfie mit Baerbock, Habeck und Lindner entstand. Ganz am Anfang der Ampelkoalition.
Ende der Ampel
Szenen einer Entfremdung
Die Geschichte der Ampel beginnt mit einem banalen Selfie. Am späten Abend des 28. September 2021 taucht es auf den Instagram-Accounts des FDP-Chefs Christian Lindner, seines Generalsekretärs Volker Wissing sowie der beiden Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck auf. Diese vier zeigt das Foto auch, leger gekleidet. Alle vier schreiben denselben Text dazu: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“
Das ist zwei Tage nach der Bundestagswahl. Das Foto dokumentiert die ersten Gespräche über eine neue Regierung, es hat die Botschaft: Es bewegt sich was. Grüne und Liberale können sich vorstellen, ihre nicht geringen Differenzen zu überwinden.
Das müssen sie auch: Da mit AfD und Linken niemand koalieren will, bleibt im Bundestag nur eine große Koalition aus SPD und Union – oder ein Bündnis einer der beiden mit Grünen und FDP.
Bald beginnen die Sondierungs-, später Koalitionsgespräche von SPD, Grünen und FDP - über das erste Ampelbündnis in Deutschland auf Bundesebene.
Am 7. Dezember steht die Ampelkoalition auch formal: Der Koalitionsvertrag wird unterschrieben, anderntags wählen die Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und FDP Olaf Scholz zum Kanzler.
Die drei Parteien sprechen von einer „Fortschrittskoalition“, sie wollen Reformen nachholen, die in der 16-jährigen Kanzlerschaft Angela Merkels liegen geblieben seien. Mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschreiben sie ihren Koalitionsvertrag – präsentiert wird er von den Spitzenvertretern auf Abstand. Das Land steckt noch immer in der Corona-Pandemie.
Doch dann wird die Bundesregierung überrumpelt: Krieg in Europa - Russland marschiert im Februar 2022 auf breiter Front in die Ukraine ein. Der Kanzler tritt vor den Bundestag und spricht von einer „Zeitenwende“ für das Land, für die Welt.
Deutschland wird zu einem der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, wo die Bundesregierung gegen den Ruf zu kämpfen hat, zu freundlich zu Russland zu sein. Drei Monate nach dem Überfall besucht Scholz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron den ukrainischen Staatschef Wolodimir Selenskij in Kiew.
Baerbock, inzwischen Außenministerin, fährt noch viel öfter dorthin. Innerhalb der Regierung werden die Grünen zu den wichtigsten Fürsprechern der Ukraine. In der Frage, wie viele und welche Waffen man dem Land liefert, treten in der Koalition Risse auf.
Der Krieg wird zugleich zu einer Zeitenwende für die Ampelkoalition. Für die Bundeswehr stellt sie ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro bereit. Die Versorgung mit Energie ist gefährdet, vor allem die mit Gas – Milliarden pumpt die Regierung in Hilfs- und Stützungsmaßnahmen im Land. Das gelingt ihr noch gemeinsam. Aber klar ist auch: Alles, was sich die Ampel vorgenommen hat, steht nun infrage.
Das zeigt sich im März 2023: Der Koalitionsausschuss kommt zusammen – es wird die mutmaßlich längste entsprechende Sitzung in der Geschichte der Bundesrepublik. Von Sonntagabend bis Dienstagabend verhandeln die Spitzen der Ampel teils übermüdet über ein „Modernisierungspaket“, mit dem am Ende niemand so wirklich glücklich ist. Vor allem die Grünen fühlen sich überfahren.
Im August 2023, am Ende der Sommerpause, trifft sich das Kabinett in Meseberg in Brandenburg. Es soll der Startschuss sein für die zweite Hälfte der Regierungszeit, soll harmonisch wirken und Tatendrang demonstrieren – energisch schreiten Wirtschaftsminister Habeck, Scholz und Finanzminister Lindner zu ihrer Freiluft-Pressekonferenz.
Die drei bilden das Zentrum der Regierung. Wenn es irgendwo hakt, wird in dieser kleinen Runde verhandelt. Doch das anfängliche Vertrauen beginnt zu erodieren. Die inhaltlichen Differenzen werden zunehmend sichtbar, vor allem weil Lindner als Finanzminister strikt darauf beharrt, an der Schuldengrenze festzuhalten. Auch dann noch, als ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts der Regierung ein Riesenproblem bereitet: Die Richter verwerfen den Trick der Ampel, 60 Milliarden Euro, die eigentlich für Corona-Folgen gedacht waren, einfach in Programme für Klimaschutz und den Umbau der Wirtschaft zu stecken. Nun fehlt noch mehr Geld.
Und die Atmosphäre leidet auch aus anderen Gründen: Wirtschaftsminister Habeck unterstellt den Koalitionspartnern, ihn bewusst beschädigt zu haben, indem sie in einem frühen Stadium der Beratungen seinen Entwurf des Heizungsgesetzes an die Presse durchgestochen hätten.
In Deutschland wird die politische Stimmung hitziger: Mit Anti-Ampel-Stimmung machen CSU und Freie Wähler in Bayern erfolgreich Wahlkampf. Bauern protestieren gegen die Bundesregierung, andere Berufsgruppen wie Handwerker schließen sich an, mancherorts wird der Protest von Rechtsaußenkräften angeheizt. Habeck wird eines Abends an einem Fähranleger an der Nordsee von einer wütenden Menge daran gehindert, das Schiff zu verlassen.
Öffentlich wahrgenommen werden zunehmend die Spannungen und Konflikte innerhalb der Ampelkoalition. Und es ist wieder ein Selfie, das Anfang 2024 diesen Eindruck korrigieren soll: Habeck und Lindner nehmen es am Rande einer Kabinettssitzung auf und posten es auf ihren Accounts. Sie wirken entspannt bis fröhlich.
Doch das Jahr wird schrecklich für die Koalitionäre: Die Umfragewerte von SPD, Grünen und FDP rauschen in den Keller, bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen im September werden die drei Parteien abgestraft. Ricarda Lang und Omid Nouripour treten als Grünen-Vorsitzende zurück, genauso wie der Rest des Parteivorstands. In der FDP wird der Unmut über die Koalition immer lauter, in der SPD fordern viele von Scholz, er solle mal auf den Tisch hauen und Lindner in die Schranken weisen.
Immer lauter wird in Berlin nun über ein vorzeitiges Ende der Ampel gesprochen. Anfang November legt Lindner ein Papier mit Forderungen vor, die SPD und Grüne nur unter massiver Selbstverleugnung mittragen könnten. Zugleich ist der Handlungsdruck groß, die Koalition muss sich binnen weniger Tage über einen Haushaltsentwurf einigen. Krisentreffen reiht sich an Krisentreffen – im Gedächtnis bleiben wird ein verschwommenes Foto, das Lindner mit Weinglas (samt unbekanntem Inhalt) zeigt.
In einiger Distanz von und zu ihm sitzt Scholz – die beiden sprechen zu zweit im Büro des Kanzlers. Noch öfter aber in der Dreierrunde mit Habeck.
Vor dem Kanzleramt fahren die Spitzenkoalitionäre am Dienstag und Mittwoch dieser Woche mehrmals vor, sie ringen um einen Etatentwurf, ihre Wirtschaftspolitik, ihre Zukunft. Am Ende finden sie nicht mehr zusammen.
Am Mittwochabend, in der Sitzung des Koalitionsausschusses, entlässt Scholz seinen Finanzminister. Die FDP kündigt darauf an, alle ihre Minister aus dem Kabinett zurückzuziehen. Es ist das Ende der Ampel.
Das aber scheint nicht mehr viele ihrer Mitglieder zu schmerzen. In einer Sondersitzung der SPD-Fraktion spätabends wird Scholz gefeiert. Zuvor gibt er vor der Presse ein langes Statement ab, das einer Generalabrechnung mit Lindner gleichkommt: „Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert“, „zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen“, „als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden“.
Und da ist noch einer, der mit Lindner zwar nicht in Worten abrechnet, aber durch Taten klarmacht, dass er es nicht richtig findet, dass sein Parteichef das Ende der Koalition zumindest forciert hat: Volker Wissing, der Verkehrsminister, verkündet am Morgen, dass er im Kabinett bleibe und aus der FDP austrete. Schon in der vergangenen Woche hat er öffentlich kundgetan, sich aus einer Regierung zurückzuziehen, sei „respektlos“ gegenüber den Wählern. Wissing hatte den Vertrag der Ampelkoalition federführend mitverhandelt, in der FDP gab es Kritik an ihm, weil er gegenüber SPD und Grünen angeblich zu kompromissbereit gewesen sei.
Und Wissing war es auch, der das Handy in der Hand hielt, als das Vierer-Selfie mit Baerbock, Habeck und Lindner entstand. Ganz am Anfang der Ampelkoalition.