1992: Mafia-Morde

Breschen in der Mauer des Schweigens

Die SZ hat zum Jubiläum historische Texte aus 75 Jahren neu aufbereitet. Hier geht es um die Mafia in Italien: Immer mehr Überläufer sagen gegen die Bosse des organisierten Verbrechens aus und suchen den Schutz des Staates vor der grausamen Rache. 

Von Klaus Brill

Was vorher geschah:

Was vorher geschah:

Von Andrea Bachstein


Zeit der Massaker oder blutige Zeit – fast jeder in Italien weiß, wie grausam die Jahre 1992/1993 waren, wie viel auf dem Spiel stand für das Land. Die sizilianische Mafia Cosa Nostra, angeführt vom Boss der Bosse Totò Riina, ein vielfacher, für seine Grausamkeit gefürchteter Killer, wollte den Staat in die Knie zwingen wegen des „Maxiprocesso“, des historischen Mammutprozesses in Palermo. Dessen Urteile gegen Hunderte Mafiosi bestätigt Anfang 1992 das Kassationsgericht in letzter Instanz. Nichts Vergleichbares gab es je, so wird erstmals in dem 1986 begonnenen Prozess vor Gericht überhaupt die Existenz der Cosa Nostra offiziell festgestellt.


Im „Bunker“, wie der extra errichtete, raketensichere Gerichtssaal heißt, sitzen die Angeklagten hinter Gitterstäben und hören fassungslos, wie Beweis um Beweis, Aussage um Aussage gegen sie vorgetragen wird. Wie Pentiti, geständige Mafiosi, das Schweigegebot brechen. Allen voran Tommaso Buscetta, wofür die Cosa Nostra 14 Verwandte, darunter zwei seiner Söhne, tötete.


Die Pentiti redeten über Hierarchien, den gnadenlosen Machtkampf der Cosa-Nostra-Clans, ein regelrechter Krieg, in dessen zwei Phasen bis in die achtziger Jahre Hunderte getötet wurden. Meist konkurrierende Mafiosi, aber auch Polizisten, Politiker, Kinder, Richter, Journalisten, Unbeteiligte. Die „Bestie“ Riina vom Clan der Corleonesi geht als Sieger hervor.


Dass gegen unendliche Widerstände, auch in der Justiz, der Maxi-Prozess zustande kommt und die Cosa Nostra ins Mark trifft, ist der unermüdlichen, todesmutigen Arbeit des Anti-Mafia-Pools zu verdanken, den die Richter Rocco Chinnici – ihn tötet die Mafia 1983 –und Giovanni Falcone begründet haben und zu dem Paolo Borsellino hinzukommt.


Der Maxi-Prozess entfesselte die Wut der Mafiosi. Riina steht nicht im Bunker vor Gericht, er ist untergetaucht, schmiedet Rachepläne und fasst 1991 mit einer „Kommission“ führender Cosa-Nostra-Männer Beschlüsse: Als die Urteile Anfang 1992 endgültig sind, nehmen sie wieder Krieg auf – jetzt gegen den Staat. Es ist eine blutige Erpressung mit Serien von Anschlägen und Morden. Die Cosa Nostra zeigt ihre Macht, verfolgt aber auch ganz konkrete Ziele. 


Zwei Anschläge sind symbolträchtiger und wirkmächtiger als die anderen, bis heute. Am 23. Mai 1992 explodiert gegen 18 Uhr an der Autobahn bei Capaci, wenige Kilometer von Palermos Stadtgrenze, eine 400-Kilo-Bombe. Sie reißt in ihren Autos Richter Giovanni Falcone, seine Frau und drei Leibwächter in den Tod, verletzt 23 Menschen und hinterlässt einen großen Krater. Falcone wusste, dass er den Kampf gegen die Mafia fast sicher mit dem Leben bezahlen würde. 


Sein Freund und Kollege Giovanni Borsellino weiß das auch schon lange. Ihm bleibe nicht mehr viel Zeit, sagt Borsellino nach dem Attentat auf Falcone. Es sind keine zwei Monate. Am 19. Juli 1992, einem Sonntag, fährt er seine Mutter in Palermos Via D’Amelio besuchen. Als er auf die Klingel drückt, explodiert ein Kleinwagen voller TNT. Mit ihm sterben vier Männer und eine Frau seiner Eskorte, ein sechster wird schwer verletzt. Italien ist unter Schock. 

Der folgende Text ist in der SZ vom 23. Dezember 1992 auf Seite 3 erschienen.

Jeder kennt ihn in Italien, und jeder weiß, daß ein Mann wie er sich tödlicher Gefahr aussetzt, wenn er einfach durch die Stadt spaziert oder in ein Restaurant geht, um Spaghetti zu bestellen.