Die Liebe kennt kein Alter, kein Geschlecht und keinen Ort. Sie kann die Menschen überall und zu jeder Zeit treffen. Unverhofft. Sie zu suchen, kann dagegen mühevoll sein. Und gerade dieses München ist dafür ein ganz besonderer Ort.
Wer neu in diese Stadt kommt, fühlt sich erst einmal, als ob sich ein Filter über die Augen gelegt hätte. Mittendrin, dort, wo das Herz dieser Metropole schlägt, ist alles so wunderbar ansehnlich. Die pastellfarbenen Häuser tragen Stuck, jede Gasse ist gekehrt. Auch die Menschen sind herausgeputzt. Gepflegte Zähne, gefärbte Haaransätze, im Winter tragen sie gerne kamelhaarfarbene Wollmäntel, im Sommer Leder-Sandalen.
Und dann ist da die Isar, dieser wunderbare Fluss mit seinen irre schönen Ufern, an denen die Menschen so wunderbar entspannt liegen, wie sie der Hast überhaupt gerne den Rücken zukehren.
Jenseits der Bürotürme und der Enge in den U- und S-Bahnen ist diese Stadt immer noch herrlich gelassen. An ihren sonnigen Plätzen gibt es kaum Gehetze, aber viel gemütliches Im-Biergarten-Sitzen und auf den breiten Straßen wohlerzogenes An-der-Ampel-Warten, auch wenn kein Auto in Sicht ist. Jeder weiß, wo er hinwill, und jeder weiß, wo er hingehört.
Rike (56) und Abi (60)
Abi kam zum Gipswechsel am Fuß in die Nothilfe in Bogenhausen, wo ich als Krankenschwester arbeitete. Damit die Patienten sich entspannten, sagte ich immer: „Machen Sie die Augen zu und denken an die Malediven.“ Er antwortete: „Das geht nicht, ich muss an Sie denken.“ Elf Monate später heirateten wir in der Ludwigskirche. Die Architektur Schwabings ist auch 29 Jahre später tief in unsere Beziehung eingebaut. Das italienische Flair, der bunte Herbst, Hohenzollernplatz und Barerstraße, wo wir anfangs gewohnt haben – da sind wir bis heute gerne.Genau das aber macht es vielen auch schwer, nicht nur Zugezogenen, sondern allen Singles: Dass alles seinen Platz hat. Für die Suchenden gibt es seit der Wende Berlin. Dort sind immer alle auf der Umschau, da fällt man nicht groß auf in den Menschenströmen, die Tag und Nacht die Plätze queren, die Augen groß und freudig und fragend. Wer aber in München sucht, findet vor allem: Menschen, die schon angekommen sind.
Dabei klingt es wie ein grandioses Versprechen: Mehr als 440 000 Menschen leben in dieser Stadt alleine. „Singlemetropole“ – das klingt nach Größe und Weltläufigkeit, nach einer Auswahl ohne Horizont, nach Suche, Spaß, und – na klar – auch Sex. Aber wer es dann wirklich wissen will, der merkt schnell: Das Anschlussfinden kann mühsam sein in dieser Stadt, das Familie gründen auch. Und selbst das Auseinandergehen hat hier ganz eigene Tücken.
Wer die Stadt im Sommer kennt, weiß, dass sie einen großen, euphorischen Sog entwickeln kann: das Draußen-sein, die dörfliche Nähe in den Vierteln, der Wille zur guten Laune. Ein Abend, verbracht am Gärtnerplatz, am Monopteros, im Hofgarten, wird schnell zur Nacht.
Der Zauber des Unausgelebten kann die Flirtenden dann bis in den Morgen tragen, bis zu einem Bad im Eisbach oder einem Kaffee in der „Schmalznudel“, die eigentlich „Café Frischhut“ heißt.
Und dann erst die Oktoberfestzeit! Zu der ist der Himmel oft unverschämt blau, da rauscht und gurgelt das Bier nicht nur über die Wiesn, da hat es den Anschein, als flute die Feierlaune die ganze Stadt. Es sind Tage voll Zuckerwatte, in denen das Glück mitunter auch den Dreisten zur Hilfe eilt.
Sophie und Tim (beide 22)
Tim ist ein Freund meines Bruders, wir kannten uns schon lange. Aber erst beim Oktoberfest im Bierzelt, wo alles ein bisschen hemmungsloser ist, haben wir uns geküsst. Das ist jetzt vier Jahre her. Wir sind beide Münchner Kindl, deshalb gibt es für uns keine andere Stadt. Ich studiere in Nürnberg, sobald ich fertig bin, wollen wir in München zusammenziehen. Das „München-Feeling“ gibt es eben nur hier. Wir lieben die Isar, das Oktoberfest, Tim mag das Glockenbachviertel, ich den Bahnwärter Thiel.
Schwieriger wird es ab Herbst, wenn das Draußen wegfällt. Dann verzieht sich alles nach drinnen, vor den Clubs patrouillieren die Streitschlichter, die den Rauchenden und Flirtenden das Flüstern beibringen müssen. „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“: Es ist, als habe Rainer Maria Rilke diese Verse genau für diese Zeit geschrieben. 1887 bis 1890 war er in München schwer verliebt – in die Intellektuelle Lou-Andreas Salomé.
In den Achtzigerjahren besang Falco die „Munich Girls“, in den Sechzigerjahren wurde Uschi Obermaier angeschwärmt und die junge Uschi Glas streifte in „Zur Sache, Schätzchen“ durch Schwabing. Diese lässige Grundmelodie ist leiser geworden. Heute swipen sich die Suchenden durch Datingportale und lernen dabei, dass die Anzahl der DAX-Unternehmen in der Stadt auch hier durchschlägt. Die Ingenieursdichte ist bedrückend, das zur Schau gestellte Selbstbewusstsein vieler Nutzerinnen oft nicht von inneren Werten, sondern von einem ganz besonderen, vergleichsweise neuen Münchner-sein-Status geprägt.
Wer auf Tinder, LemonSwan, Lumbaro, LoveScout24 oder KissNoFrog nach Künstlerseelen sucht oder nur einen Anzug besitzt, den er auch zu Hochzeiten, Beerdigungen und Vorstellungsgesprächen trägt, fühlt sich schnell verloren.
Natürlich kann man auch Glück haben. Angenommen, man hat jemanden getroffen, den man halbwegs leiden kann, der nicht nur die Hobbys „Berge/im Winter Kletterhalle“ teilt, wenn man sich also wirklich was zu erzählen hat und auf einen winterkalten Dienstagabend im Restaurant sitzt, bis alle Stühle auf den Tischen stehen und immer noch weiterreden will: Wohin dann? Da ist München unerbittlich.
Dabei sind das doch genau die Momente, in denen etwas passieren kann, was mit einem Dann-eben-zu-Dir nicht zu holen ist. Liebe muss gerade am Anfang so viel aushalten, die ganzen Missverständnisse, die irreführenden Assoziationen. Genau jetzt bräuchte man die Stadt, den Vorwand des Absackers, das Unter-Menschen-Sein, um sich langsam heranzutasten an die Person, die da genau vor einem steht.
In München aber ist das gar nicht so leicht, hier müssen Dates durchgeplant werden. Ins Kino? Fein, aber danach gibt es höchstens noch Currywurst. Ins Restaurant? Geht nur mit Vorausschau, ohne Reservierung bekommt man ja nichts. Weil hier alle um die gleiche Zeit loslaufen, um das tägliche Workhard mit einem Playhard beim Italiener auszugleichen, genau wie sie an den Wochenenden alle in die Berge stürmen, pünktlich um zwölf auf dem Gipfel zu sein und um spätestens fünf wieder im Auto für den Rückweg. Kein Wunder, dass es sich bei Sonnenschein so zuverlässig zur gleichen Zeit an den gleichen Stellen staut.
Orte, an denen die Menschen Zeit und Muße mitbringen? Doch, auch die gibt es in München: die Museen, den Gasteig, die Programm-Kinos. Dort kann es dann auch zu dem kommen, was andernorts – in Wien, in London, in Melbourne – oft vorkommt: einem spontanen, interessierten Gespräch mit Unbekannten, einem Anfang, dem ein Zauber innewohnt.
Esther (41) und Herbert (45)
Ich habe meine Frau das erste Mal bei der Münchenpremiere des Kinofilms „Komm näher“ von Vanessa Jopp gesehen. Ich habe den Filmtitel sehr ernst genommen, denn ich saß im Publikum und habe mich sofort in sie verliebt, als sie als Kinomitarbeiterin der Regisseurin einen Blumenstrauß überreichte. Ich sprach sie also an – und ein paar Monate später hat sie sich auch in mich verliebt. An München lieben wir die Nähe zu den Alpen und die Natur. Deshalb ist einer unsere Lieblingsorte auch der Nordteil des Englischen Gartens, weil dort die Stadt-Hektik so weit weg ist.
Auch die sehr spezielle Gastronomie des Münchner Wirtshauses kann so etwas möglich machen, wobei dort schon wieder ein spezielles Charakteristikum dieser Stadt zu beachten ist: Die Wahl des Stadtteils ist entscheidend.
In der Maxvorstadt ist das Publikum ein ganz anderes als in Sendling oder am Harras. „Leicht vom Schicksal gestreift, aber mit Drang zu Höherem“, so umschrieb der Monaco Franze das Klientel dort. Stimmt natürlich auch nicht mehr ganz, ist ja länger her als die Wende. Aber es ist schon seltsam, welch großen Unterschied die Wahl des Viertels in dieser Stadt immer noch machen kann, die doch so schnell wächst.
München ist nicht nur beeindruckend sauber, es ist auch gesellschaftlich betrachtet aufgeräumt. Wer auf engem Raum Freiheit sucht, es sich leisten kann und seinesgleichen finden mag, den zieht es ins Gärtnerplatzviertel.
Patrik (30) und Florian (40)
Nach unserem ersten Kino-Date hat Flo mich heimgebracht. Ich habe damals am Sendlinger Tor gewohnt und vor dem ADAC in der Sonnenstraße haben wir uns zum ersten Mal geküsst – das war Liebe, Hals über Kopf, obwohl ich mir vorgenommen hatte, dass da beim ersten Date nix passiert. Deshalb müssen wir da bis heute immer schmunzeln, wenn wir dran vorbeikommen. Außerdem sind unsere Lieblingsplätze der Friedensengel, der Gärtnerplatz und im Winter der Weihnachtsmarkt in Haidhausen.Haidhausen mag ein wunderbarer Ort sein. Aber auch der kann zur Hölle werden. Wer mit Kinderwunsch dorthin zieht, aber kinderlos bleibt, der sitzt in der Falle: Kindergarten- und Kinderkrippen-Gruppen, die über die Gehsteige zu den Spielplätzen wackeln, führen einem dann ständig vor Augen, was zum angestrebten Glück fehlt.
Der wahre Test für die meisten Beziehungen kommt in dieser Stadt ohnehin meist, wenn zwei sich wirklich gefunden haben. Denn eine bezahlbare, geräumige Wohnung aufzutun? Für ein Paar? Für drei? Oder gar für noch mehr? Das ist bei den immer weiter steigenden Mieten ein Problem, das die Sache mit der Liebe auch in die andere Richtung kompliziert macht.
Sich zu trennen – nicht nur emotional, sondern räumlich – ist gar nicht so leicht. Ach was. Es ist quasi unmöglich. Nein, diese flirrende, flimmernde, anregende Stadt – sie macht es den Suchenden nicht wirklich leicht.