50 Jahre S-Bahn München

"Sehr verehrte Fahrgäste, der Stellwerksleiter hat uns vergessen"

Manchmal fühlt man sich nicht nur wie auf dem Abstellgleis: Unvergessliche Erlebnisse von SZ-Leserinnen und -Lesern in der Münchner S-Bahn - die sogar den Atem rauben.

Fotos: Stephan Rumpf
27. Mai 2022 - 10 Min. Lesezeit

Seit fünfzig Jahren pendeln S-Bahnen hinein in die und hinaus aus der Stadt und bringen Menschen zur Arbeit, ins großstädtische Vergnügen oder aufs Land in den Münchner Speckgürtel. Da bleibt es nicht aus, dass manche Fahrten unvergesslich wurden. Wir haben SZ-Leserinnen und -Leser nach besonderen Erlebnissen in der S-Bahn gefragt. Eines wurde da schnell klar: Nicht immer läuft es wie auf Schienen.

Dann halt rückwärts

Bei der Ausfahrt aus Pasing stoppte der Zug plötzlich und legte dann den Rückwärtsgang ein. Durchsage des Lokführers: "Leider haben wir uns verfahren."

Instagram-User @louissupertramp

Also ich will ja nur Sex

Fremdgeh-Telefonat im S2-Waggon, der Mann hinter mir unüberhörbar: "Hallo, ich bin's. Wegen unseres Gesprächs, also du bist in einer Beziehung, nicht ich. Aber wenn du es willst, können wir uns gerne zum Vögeln treffen."

Instagram-Userin Kerstin

Nicht zu stoppen

Die Türen der S7 schließen sich am Marienplatz, als ein altes Ehepaar angehastet kommt. Der Mann schafft es, seinen Gehstock zwischen die Türen zu stecken. Nur öffnen sich die wider Erwarten nicht. Jetzt zerrt der Mann an seiner Gehhilfe, doch die S-Bahn fährt trotzdem los – mit einem weit herausstehenden Stock. Im Tunnel passiert erst nichts, dann knallt es immer wieder laut. Als der Zug am Stachus einfährt, erwischt der Stock kurz vor dem Halt noch einen unaufmerksam Wartenden, der aber offenbar unverletzt bleibt. Die Türen öffnen sich. Zu Boden fällt ein verbogener Gehstock.

Gabriel Meier, 22 Jahre

Wunder mit Haken

Meine S-Bahn ist einmal fünf Minuten zu früh angekommen. Wunder sind also möglich! Und nein, es war nicht die vorherige Bahn mit Verspätung. Aber mein Zug hatte aus irgendwelchen Gründen einige Stationen ausgelassen.

Instagram-User @Namismus

Kleiner Aussetzer

Der Fahrer hat zwar an der Donnersberger Brücke gehalten. Nur vergaß er dann, auch die Türen zu öffnen.

Instagram-User @paulinakalvelage

Der Gin des Lebens

Nachts in der S2 Richtung Erding, am Leuchtenbergring stiegen vier junge Kerle ein - alle schick gemacht, wahrscheinlich für eine Abschlussfeier. Irgendwann sagte einer zum anderen: „Deine Krawatte ist schlecht gebunden.“ Die Krawatte wurde vorsichtig abgenommen und weniger vorsichtig inspiziert, der Knoten löste sich zum Entsetzen des Trägers: "Mist, ich kann keine Krawatte binden, dabei hatte mir mein Vater geholfen. Kann einer von Euch Krawatten binden?" Konnten sie nicht.

Die lautstarke, fast verzweifelte Frage durch die S-Bahn: „Kann hier jemand Krawatte binden?“ Ich habe nur auf meinen Mann gezeigt. Schon der leicht schiefe erste Versuch wurde bejubelt und gleich umgehängt. Den Dankesschluck aus dem Flachmann lehnten wir ab.

Einer fragte, was denn drin sei: „Der Gin des Lebens!“ „Cool, was ist das denn?“ „Gin.“

Eva W., 39 Jahre

Und alle halten den Atem an

Nachts steigt in den Kurzzug ein Kerl mit drei 12er-Karton von Dunkin' Donuts. Als er merkt, dass er nicht alle Donuts allein schafft, verschenkt er ein paar und schließt dabei Freundschaften. Die neuen Kumpels hören laut „Atemlos durch die Nacht“ und singen so gut sie können mit, dann hören sie Helenes „Atemlos“ in Dauerschleife weiter. Plötzlich erhebt sich ein wahrer Grizzly von Mann, schwarz gekleidet, Vollbart, Musikrichtung eher Metal als Mainstream. Er geht auf den Kerl mit den Donuts zu: „Mach den Scheiß leiser!“

Alle ziehen die Köpfe ein, nur nicht der Donutmann: „Wir sind hier in einer Demokratie. Wer möchte ‚Atemlos‘ hören?“ Die Hände schnellen hoch. Sein Gegner: „Und wer möchte, dass ich dich aus der Bahn werfe?“ Die Hände bleiben unten. „Okay“, sagt der Metal-Grizzly, dann geh ich halt weiter vor. Aber ihr macht etwas leiser.“

Eva W., 39 Jahre

Voller Einsatz bei Schneetreiben

Damit wir weiterfahren konnten, musste der Lokführer bei Schneetreiben aussteigen und die Bahnschranke manuell betätigen.

Instagram-User @filzhut_369

Du kommst hier nicht rein

Ich rannte zur S-Bahn. Vor meiner Nase schloss sich die Tür. Durchsage: "Da kommste wohl zu spät, Junge!"

Instagram-User @maximil_

Irgendwas war noch ...

Technische Störung am Dachauer Bahnhof. Unser Zug wurde auf ein anderes Gleis geleitet, zum Bahnsteig des Regionalzugs. Dort standen wir dann - und sahen, wie gegenüber eine S-Bahn aus München hielt und weiterfuhr. Ebenso eine Bahn in unsere Richtung. Wir dachten, gleich geht es auch für uns weiter, doch nichts passierte. Nach 20 Minuten kam, hielt und fuhr die nächste S-Bahn. Da wurden die Leute langsam unruhig und drückten den Notrufknopf, um mit dem Lokführer zu sprechen. Der sagte kurz darauf durch: Der Stellwerksleiter hatte uns vergessen.

Thomas Dirlenbach, 32 Jahre

Und dann fällt die Tür ins Schloss

Pfingsturlaub, wir sitzen mit unseren Kindern in der S1 zum Flughafen. Als kundige S-Bahn-Nutzer haben wir etwas mehr Zeit eingeplant. Aber als der Aufenthalt in Moosach immer länger und länger dauert, werden wir doch nervös. Nach einer halben Stunde ohne Durchsage wollen wir raus zum nächsten Taxi eilen, da rollt der Zug doch an. Nun meldet sich auch die Lokführerin: Sie war ausgestiegen und hatte sich aus der Fahrerkabine ausgeschlossen. Wir hatten mit ihr auf den Ersatzschlüssel warten müssen. Am Bahnhof wird die Verspätung übrigens mit einer Baustelle begründet, der wahre Grund war wohl zu peinlich. Zu unserem Flug nach Neapel kommen wir gerade noch rechtzeitig.

Antje R.

Kleines Kommunikationsproblem

Ich stehe in der vollen S8 in Pasing, die Türen schließen sich nicht. Der hörbar sächsische Zugführer: „Bidde aus dr Dürschranke gehn!“ Keiner bewegt sich, auch nicht die Türen. Zugführer: „Aus dr Lischdschranke gehn!“ Nichts passiert. Zugführer: „Wenn ‘se nisch aus dr Düre gehn, dann gönn mr nisch weiterfahrn un ‘se müssn alle aussteign“. Nun verlässt fast die Hälfte der Fahrgäste fluchtartig den Wagen, ich bekomme einen Sitzplatz. Die Frau gegenüber fragt besorgt, was los sei, sie habe nur ‚alle aussteigen‘ verstanden? Ich sage ihr, dass sie sitzen bleiben könne, der Zugführer habe das Problem gerade gelöst. Und die S-Bahn fährt ab.

Gunnar Knoch, 58 Jahre

Schönheit des Augenblicks

Signalstörung, die Fahrt nach Pasing dauert schon 20 Minuten länger als normal, die Fahrgäste schimpfen über den MVV. Bei der Abfahrt aus Pasing macht der Fahrer Mut, ab jetzt werde es besser. Dann kommt die Durchsage: „Liebe Fahrgäste, schaut alle mal links aus dem Fenster, da seht ihr einen ganz beeindruckenden Wolkenhimmel.“ Alle schauen und sind fasziniert. Die ganze böse Stimmung im Zug ist wie weggeblasen.

Manfred Fratton

Gnade vor Recht

Monatsende, ich bin blank, muss aber die S-Bahn zur Arbeit nehmen. Prompt ist Ticketkontrolle. Ich sage dem Kontrolleur direkt, dass ich kein Geld dafür hatte. Er tut in Anwesenheit seiner Kollegen so, als ob er den Vorfall sehr korrekt aufnähme, lässt sich aber nur meine Versichertenkarte zeigen, notiert eifrig und gibt mir den Durchschlag. Zuhause stelle ich fest, dass er nur einfach etwas hingekritzelt hat und als zu zahlender Betrag: 0 Euro.

Klaus S., 46 Jahre

(K)ein Zeichen

Ich war gerade aus der Kirche ausgetreten. Und dann explodiert auf der Rückfahrt vor meiner S-Bahn bei der Donnersberger Brücke eine Bombe.

Instagram-User @frenzi.franzi

Wieder zurück auf Los

14 Stunden Flug, endlich gelandet. Rein in die S-Bahn Richtung Hauptbahnhof. Die Bahn ist rappelvoll, viele Asiaten fahren mit - wahrscheinlich mit mir angekommen. Am Ostbahnhof plötzlich eine Durchsage in tiefstem Bairisch. Oder ist es gar Niederbairisch? Verstehen können das nur Einheimische.

Ich bemerke, dass viele Fahrgäste aussteigen. Auf Nachfrage sagte mir jemand, dass die S-Bahn nicht weiter-, sondern an den Flughafen zurückfahren werde. Die Mitreisenden in meiner Nähe kann ich informieren. Die meisten jedoch, die des Bairischen nicht mächtig sind, fahren nichts ahnend wieder an den Flughafen zurück und werden sich gewundert haben, dass der Münchner Hauptbahnhof so weit außerhalb liegt…

Gabriele K., 66 Jahre

Sonst kommt man ja zu nichts

Unterwegs mit der S3 nach Holzkirchen. Ein älterer Herr nimmt sein Gebiss heraus und reinigt es in aller Ruhe. Auch im Waggon wird es sehr ruhig und die Augen der anderen Fahrgäste sehr groß.

Sigi Sabath

Falsch abgebogen

Meine S-Bahn hat sich mal verfahren, anstatt nach Obermenzing ist die S2 Richtung Moosach abgebogen und wir haben eine Rundfahrt über den damaligen Rangierbahnhof in Ludwigsfeld direkt nach Dachau gemacht. Leider musste ich nach Allach.

Instagram-User @Mandalapois

Nächster Halt: New York

Vor 30 Jahren, kurz bevor der Flughafen von Riem nach Erding umzog: Frühmorgens, kurz nach sechs Uhr in der S6 nach München. Alle Fahrgäste dösen im Halbschlaf. Ansage des Lokführers: "Nächster Halt Riem, Umsteigemöglichkeit nach New York, Rio oder Tokio." Großes Gelächter, alle sind nun wach.

Anne K., 51 Jahre

Wiesn verbindet

Montagmorgen in der S8, ein Tag nach Wiesn-Ende: Unter den Menschen im schicken Business-Look sitzen zwei Männer im Tiefschlaf, die Haare völlig wirr und noch in Lederhosen. Bestimmt hatten sie durchgefeiert und schon einige Stunden in der S8 friedlich geschlafen. Sonst hat man wenig Kontakt zu den anderen Menschen in der S-Bahn. Aber über die Szene haben sich alle amüsiert und sich gegenseitig angelächelt.

Instagram-User @Maud

Ticket-Soforthilfe

Ich habe mal einem armen alten Mann geholfen, der keinen Fahrschein hatte. Ich bin zu einem Angebertypen, der mich die ganze Zeit angeschaut hatte und der gerade schon kontrolliert worden war, und habe gesagt: "Gib mir mal dein Ticket!" Er hat es mir tatsächlich gegeben. Also bin ich hinter den alten Mann und habe ihm das Ticket rübergeschmuggelt. Er hat es plötzlich "gefunden" und dem Kontrolleur gezeigt.

Instagram-User @majacosh

Und was sich reimt, ist gut - bestimmt

Finster war ˋs, der Mond schien helle / von Giesing weg, erst auf die Schnelle, / bewegt sich unsre S-Bahn fort, / doch seltsam dünkt uns dieser Ort / Kein bekanntes Licht durch ˋs Fenster - / was dort glimmt - sind es Gespenster? / Der Zug verlangsamt seine Fahrt / das ist sonst eher nicht die Art, / nicht auf gewohnter, freier Spur, / die man doch kennt - was ist das nur? / Stationen - nicht mehr angezeigt / der Fahrgast ist bestürzt geneigt, / zu glauben, das sei irreal / Da hält der Zug mit einem Mal! / Ein fremder, leerer Bahnsteig glimmt / der Passagier sodann vernimmt / die Stimme, die nun Richtung gibt: / "Der Fahrdienstleiter hat ˋs versiebt! / Nach Giesing jäh die falsche Weiche / Taufkirchen - Perlach - nicht das Gleiche; / ich fahr' nach Aying - Ihr zurück / na, gute Nacht - und Euch viel Glück!

Barbara Metzner Lucas

Team
Redaktion Jana Jöbstl, Katja Schnitzler
Digitales Storytelling Katja Schnitzler
Fotos Stephan Rumpf