Ein Mond ist an ihrem Schlüsselbein zu sehen, ein fein gestochenes Tattoo. Auf dem Rücken ein nackter Frauenkörper mit einem Kassettenrekorder, eine Trompete auf ihrem Arm, dahinter ihre Brust. Ihr Bein ist aufgestellt und man sieht den Ansatz ihres Nippels. Sie ist leicht nach vorn gebeugt, sodass eine Falte unter ihrer Brust entsteht. Nackte Haut, mehr nicht.
Ein Blick durch die Kamera: Mal ist der nackte Körper komplett der Kamera ausgesetzt, nichts ist versteckt. Mal deutet das Bild lediglich an, was mit einer einzigen Bewegung sichtbar werden könnte. Tageslicht fällt auf den nackten Körper der Musikerin Loni Lipp, die Kamera erfasst nur das. Hinter ihr ein beiger Hintergrund – keine Ablenkung, keine Verdeckung.
„Die Atmosphäre war sehr Zen und intim“, sagt Lisa Nguyen. „Es war mein erstes Nackt-Shooting. Loni hat null Probleme, alles an ihrem Körper zu zeigen.“ Die Fotos zeigen, wie wohl sich Loni Lipp in ihrem Körper fühlt. Sie wünscht sich sogar, dass ihre Brüste in der Ausstellung „10 im Quadrat“ im Farbenladen des Feierwerks zu sehen sind.
„Wenn ich einen Teil von meinem Körper nicht zeigen dürfte, würde sich das wieder wie ein Verstecken anfühlen. Das würde den Sinn der Freiheit an dem Foto nehmen“, sagt sie.
Hinter der Kamera als Münchner Fotografen: Max Blaumeiser, David Buchner, Dominik Patzelt, Lilia Piperova, Lisa Nguyen, Lilith Kampffmeyer, Laurin Hirsch, Ferdinand Putz, Claudia Sobe und Viktoriya Zayika.
Vor der Kamera als Münchner Musiker: Benito Altmann, Elias Bohatsch, Annika Lange, Elan Pinar, Daniel Fahrländer, Cosima Kiby, Sofia Lainovic, Loni Lipp, Maria Ferreira und Niklas Halm.
Die Ausstellung wird den ganzen Mai im Farbenladen des Feierwerks zu sehen sein. Zehn unterschiedliche Konzepte, mit Fotostrecken von jeweils zehn Bildern, die unterschiedlicher fast nicht sein könnten.
Wie wertvoll es ist, den Austausch zwischen diesen zwei Welten zu schaffen, zeigen die Fotostrecken. Auch, wie sehr sich Musik und Fotografie in kreativen Prozessen bereichern können. Bei der Ausstellung kommt es zu Vernetzung, Reibung, aber auch zu aufwallenden Emotionen. Ein Aufeinanderprallen. Immer wieder wurden Musikerinnen und Musiker aus ihrer Komfortzone gerissen, haben sich darauf eingelassen und sind über sich selbst hinausgewachsen.
Sie mussten sich Fragen stellen: Was ist nur ungewohnt, vielleicht ungemütlich? Und wo liegen die eigenen Grenzen?
Das wurde besonders deutlich bei den Shootings mit dem Fotografen David Buchner. Drei Musiker wollten sich nicht so fotografieren lassen, wie David Buchner es an sich geplant hatte. Elias Bohatsch hat sich, wie einige andere, darauf eingelassen.
Auf einen abgedunkelten Raum, ein Studiolicht, vor Elias Bohatsch drei Stricke und Stacheldrähte, an denen drei von ihm geschriebene Briefe befestigt sind.
Das Thema Abschiednehmen hat den Fotografen David Buchner, seit er 2019 nach München zog, nicht losgelassen. Ein Thema, das schwierig für ihn ist. Um dieses Gefühl zu verdeutlichen, hat er sich für makabere Symbole entschieden. Ein Konzept, das für manche am schwersten war, mitzugehen, andere freuten sich am meisten darauf.
So verhält es sich bei einigen Konzepten. Elan Pinar, der sich als Musiker Allan Cari nennt, hat am meisten Überwindung für sein Shooting mit der Fotografin Viktoriya Zayika benötigt. Viktoriya Zayikas Konzept heißt „Achillesferse“. Sie fragte die Musiker im Vorhinein, was ihre verletzliche Stelle ist. Als wunder Punkt wurde genannt: Sich mit anderen zu vergleichen, die Angst vor Verlusten, Loslassen, die eigene Haut – oder wie bei Elan Pinar: seine Beine.
Durch das Shooting ist Elan Pinar klar geworden, wie viel Zeit und Energie er verschwendet hat, über vermeintliche Schwächen nachzudenken, ohne dass das anderen Menschen überhaupt aufgefallen wäre.
Eines fällt den Musikern auf: Bei „10 im Quadrat“ entstehen intime Porträts. Model zu sein bedeutet, auch in unterschiedlichste Rollen zu fallen. Auch, sich fallen zu lassen. Sich vor Fotografen zu öffnen, die sie noch nie zuvor gesehen haben. Eine Herausforderung.
Das spürt auch Niklas Halm, der sich als Musiker Nkalis nennt, bei seinem Shooting mit Lilith Kampffmeyer. Er lässt sich zurück in den Stuhl fallen. Sein leerer Blick wandert zur Kamera.
Genauso, wie es das Konzept von Lilith Kampffmeyer vorsieht. Sie sieht das Fotostudio wie eine Theaterbühne an. Sie überzeichnet Eigenschaften und Themen der Musiker bühnenhaft, fast als wären sie der Protagonist ihres eigenen Schauspiels.
Zurück zur Freiheit: Singen, ganz schief und laut und schreien, so laut wie es nur irgendwie geht – und niemand hört es. Unter Wasser wird genau das möglich.
Ein Dienstagabend im April. Die Fotografin Lisa Nguyen trifft sich mit der Musikerin Sofia Lainovic in einem Schwimmbad, sie wollen Bilder im Wasser machen.
Deswegen war für Lisa Nguyen direkt klar: Sie machen ein Shooting im Wasser. Bis vor ein paar Minuten hat es noch in Strömen geregnet, fotografieren müssen sie trotzdem. Jetzt, während die beiden ins Schwimmbad laufen, scheint die Sonne plötzlich.
Lisa Nguyens Fotostecke zeigt, wie unterschiedlich Freiheit für jeden Mensch aussehen kann. Im Bikini im Wasser wie bei Sofia Lainovic. Oder ganz nackt. Für viele würde das zu Scham oder Unwohlsein führen. Für Loni Lipp ist es eine Befreiung.