



Warmes Licht strahlt auf die nackte Haut von Laura Glauber. Unter ihr bloß etwas Tüll, hinter ihr die gebogenen, weißen Wände eines Fotostudios. Es ist die Angst, sich mit allen Makeln und Fehlern zu zeigen, die sie als Musikerin schon länger beschäftigt.
Zu leicht sei es, sich als Künstlerin hinter Klamotten und Make-up zu verstecken. Also schlug die Fotografin Shahin Hefter vor, sie in Unterwäsche zu porträtieren. „Da habe ich echt ein paar Tage überlegen müssen“, sagt Laura, 28. Und dann legte sie sogar ihre Beinprothese für das Fotoshooting ab.
„Face your Fears“ heißt das Konzept der Münchner Fotografin Shahin. Mit der Aufforderung, sich in ihren Porträts einer ganz persönlichen Angst zu stellen, holte die 26-Jährige die zehn Musikerinnen und Musiker der Ausstellung 10 im Quadrat aus ihrer Komfortzone. „Das war total krass“, sagt Laura, Sängerin der Band Lauraine, aber „sie hat mir auch total ein schönes Gefühl im Vorfeld gegeben.“
Bei 10 im Quadrat, organisiert von der Junge-Leute-Seite der Süddeutschen Zeitung, treffen zwei Welten aufeinander. In einem Zeitraum von eineinhalb Monaten hatten zehn Fotografinnen und Fotografen die Aufgabe, zehn Musikerinnen und Musiker zu porträtieren. Entstanden ist eine Ausstellung, die den ganzen Mai über im Feierwerk-Farbenladen besichtigt werden kann. Zu sehen: im Idealfall zehn Fotostrecken zu je zehn Porträts, ergibt – richtig gerechnet – hundert Porträtfotografien. Vor der Kamera junge Münchner Musikerinnen und Musiker, hinter der Kamera junge Münchner Fotografinnen und Fotografen. Außerdem die Headlineshow der beteiligten Musikerin Diana Goldberg, 28, am selben Abend wie die Ausstellungseröffnung. In der Feierwerk Kranhalle gleich nebenan.
Die Herausforderung an dem Projekt? Dass Porträts etwas sehr Intimes sind. Sich von fremden Fotografen ablichten zu lassen, fiel nicht allen Musikerinnen leicht. Es braucht das Vertrauen, dass der Mensch einen richtig liest und der Künstlerpersönlichkeit entsprechend darstellt. So hatte der 23-jährige Musiker Tianping Christoph Xiao, bekannt als Plainhead, deutlich weniger Schwierigkeiten, sich vor der Kamera von Freunden locker zu machen. Aber „eine Person zu treffen und direkt abgelichtet zu werden“, war durchaus ungewohnt.
Ein Dienstagnachmittag im Café Jasmin. Der 28-jährige Münchner Fotograf Daniel Nguyen hat sich mit Malva Scherer dort verabredet, wo sie am liebsten an ihren Songtexten schreibt. Sie quatschen bei einer Tasse Kaffee mit Hafermilch und einer Tasse Ingwertee mit Minze. Die Kamera ruht am Tisch und wartet auf ihren Einsatz. Daniel möchte den Musikern erst menschlich näherkommen, bevor er sie fotografiert. Porträtfotografie bedeutet für ihn, „dass man intime Momente teilen kann, dass man sich gegenüber Personen öffnet und sich auch kennenlernt“, sagt er. Er ist sich des notwendigen Vertrauensvorschusses bewusst. Für seine Fotoreihe traf er sich daher mit den Musikerinnen und Musikern deutlich ausführlicher als nur für ein flottes Fotoshooting.
Bedenkt man Daniels Fotokonzept, so lässt sich der Zeitaufwand des Projekts 10 im Quadrat erahnen. Um den Farbenladen mit hundert Porträtfotografien zu füllen, bedurfte es im Vorfeld hundert Treffen. Immer wieder mussten Fotoshootings verschoben und vereinzelt sogar wiederholt werden, weil das Ergebnis nicht gefiel. 10 im Quadrat sorgte gleichermaßen für Reibung wie auch für Vernetzung. „Ich finde es super, sich in der kreativen Szene mit Menschen auszutauschen, die nicht nur aus der Musik kommen, und kreative Visionen zu teilen“, sagt Seda Yagci, 28 und Münchner Pop-Artist. Vor allem das Gefühl für Ästhetik brauche es in beiden Sparten, betont Seda. Und so entstanden neue Kontakte und Jobmöglichkeiten.
Schlussendlich wurden allerdings nur neun von zehn Fotografinnen und Fotografen auch zu Ausstellenden – aufgrund des hohen Arbeitsaufwandes stieg einer der Fotografen aus dem Projekt aus. Aber auch das gehörte zum Prozess, den die 20 Mitwirkenden gemeinsam bestritten. Verständnis für die Entscheidung kam von allen Seiten. Verständnis dafür, dass ein Künstlerleben selten linear verläuft.
Die größte Gemeinsamkeit aller Beteiligten? Ihr junges Alter. Die meisten stehen noch am Anfang ihrer Karriere, sind gar noch Studierende oder Newcomer in der Münchner Musikszene. In den Musikstilen fand sich dafür eine umso größere Bandbreite wieder: von Hip-Hop über Pop bis Alternative-Post-Punk.
Mariam Haitham Khalid hat mit ihrer Fotoreihe einen Einblick in die Räume, wo diese Musik entsteht, erhaschen können. Die 20-jährige Fotografin porträtierte die „Models“ in ihren Zimmern, Studios und Bandräumen. Weil sie analog fotografierte, haben ihre Porträts einen besonders stimmungsvollen Charakter: Mit überkreuzten Beinen sitzt Quirin Schacherl, der 22-jährige Leadsänger der Band Raketenumschau, auf einem Klavierhocker in seinem Zimmer.
Zurück im Fotostudio mit Shahin Hefter. An diesem Tag ist sie mit Isabel Leila Gütlein, 21 Jahre alt und bekannt unter dem Künstlernamen Gündalein, verabredet. Musik läuft im Hintergrund, Schoko-Bons stehen zur Stärkung bereit. Shahin hat einen dunkelblauen Trichter aus biegbarem Plastik gebastelt, den sie Isabel reicht.
Eine Metapher: Die Münchner Rapperin und Sängerin begleitet die Angst, alles zu geben und am Ende doch enttäuscht zu werden. Wie in die Öffnung eines großen Trichters sämtliche Energie in ein Projekt zu stecken, wovon schlussendlich kaum etwas bleibt.
Shahin dunkelt den Raum ab und greift zu ihrer Kamera. Isabel soll zur Seite schauen – „mit strongem Ausdruck“. Im Raum bloß Stille und die Furcht vor Enttäuschung.
10 im Quadrat 2023, Feierwerk Farbenladen, Hansastraße 31, 81373 München, Samstag und Sonntag im Mai, von 16 bis 20 Uhr.