Die Wiesen unterhalb von Gut Oberhof gleichen um 1950 noch weitgehend einer ländlichen Idylle vor der Alpenkulisse des Isarwinkels. Bis auf wenige versprengte Häuser prägen Wiesen und Bäume den Charakter.
Nur als schmaler Fußweg ist damals auf dem Schwarz-Weiß-Foto die heutige Eichenstraße auszumachen, die in die Eichmühle führt.
So kann Walter Freis Vater den zehnjährigen Buben für eine Aufnahme im Frühling mitten in die freie Blumenwiese vor die Berge mit weiß bedeckten Gipfelhauben setzen.
Frei sagt aber auch: „Der Verkehr, das moderne Leben machen Veränderung notwendig.“ In seinem neuesten Bildband „Bad Tölz. Eine Stadt im Wandel“ spielt der inzwischen 82-jährige Zahnarzt im Ruhestand mit dem Gefühl beim Wiedererkennen von tief Vertrautem und dem Staunen darüber, wie sehr sich die Kreisstadt verändert hat.
Die Herausforderung, einen Bildband vor Publikum zu präsentieren, spricht Frei zur Buchvorstellung in der Tölzer Franzmühle Ende April direkt an. Denn die darin gezeigten Ansichten müssen praktisch aus sich heraus, durch die Motivkomposition wirken. „Wenn ich einen Liebesroman geschrieben hätte, würde ich mich einfacher tun, weil ich dann Passagen lesen und mit Anekdoten würzen könnte.“ Für die Liebeserklärung an seine Heimatstadt, wie Frei sein Buch nennt, funktioniert es an diesem Abend aber auch ohne Beiwerk.
Das mag auch daran liegen, dass unter den geladenen Gäste viel örtliche Prominenz vertreten ist, darunter Landrat Josef Niedermaier, der katholische Stadtpfarrer Peter Demmelmair oder die Greilinger und Gaißacher Bürgermeister Anton Margreiter und Stefan Fadinger. Wer die Stadt gut kennt, hat den Wiedererkennungsfaktor auf seiner Seite. So spricht der Landrat von den besonderen Momenten, in denen „das Kopfkino zu laufen“ beginne, wenn der Leser das Buch aufklappe. Freis „Liebe zur Heimatstadt“ sei in den ausgewählten Bildern immer zu spüren, sagt Niedermaier.
Von einem besonderen Zeitdokument spricht der Hirmer-Verlagschef
Produziert hat das Buch der Münchner Hirmer Verlag, bei dem Frei bereits Publikationen über den sogenannten Hoichermaler Georg Demmel aus Königsdorf sowie zum malerischen Erbe zwischen Isar und Loisach veröffentlicht hat. Das spricht für Freis Beharrungsvermögen, das Verlagsleiter Thomas Zuhr zu verdeutlichen weiß. „Wenn er sich etwas in den Kopf setzt, dann verfolgt er das.“ So sei es gelungen, aus Kisten von Bildmaterial – ergänzt von imposanten aktuellen Drohnenaufnahmen des Fotografen Hias Krinner – ein Zeitdokument besonderer Art zu gestalten, das über den Blickwinkel von Alt und Neu hinausgehe.
Knapp 300 Abbildungen zeigt der Bildband auf 240 Seiten. Als Grundlage für die Komposition diente Freis etwas mehr als zwei Jahrzehnte alte Veröffentlichung „Tölz in alten Bildern“. Um den Wandel der Stadt zu illustrieren, hatte er die Idee, die historischen Ansichten aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 mit aktuellen Fotos möglichst gleicher Perspektive zu ergänzen. Weil viel freie Landschaft inzwischen überbaut ist, war dies oft nur mit Drohnenaufnahmen möglich. Auch deshalb dauerte es zweieinhalb Jahre, bis das Buch fertig war.
Das ist nun durch die vorangestellte Zeittafel mit wichtigen Eckdaten zur Stadtgeschichte und kurze Einführungen zu den prominentesten Stadtteilen für Tölzer und historisch interessierte Zuzügler gleichermaßen informativ. Und führt auch zurück in Freis ganz persönliche Familiengeschichte.
Viele der historischen Fotos stammen aus dem Fundus von Freis Schwiegermutter Maria Zantl.
Wiederzuentdecken ist auch der Wirtschaftsfaktor Flößerei, der Tölz jahrhundertelang geprägt hat, hier die Lände an der Königsdorfer Straße um 1930.
Laut Frei sollen um 1750 jährlich um die 400 Flöße in Tölz abgelegt haben. Sie brachten über die Isar Bier und Baumaterialien wie Kalk oder Holz nach München, aber auch andere Konsumgüter wie italienischen Wein, der anschließend weiter über die Donau bis nach Wien und Budapest gebracht wurde.
Die radikale Veränderung der Wirtschaftswiese zeigt sich deutlich auf den Bildern. So ist etwa die Landwirtschaft aus dem unmittelbaren Stadtgebiet verschwunden.
Zum Kurort schwang sich Tölz auf, nachdem Kaspar Riesch Mitte des 19. Jahrhunderts am Sauersberg die Jod-Schwefel-Quellen entdeckt hatte. Links der Isar entwickelte sich der sogenannte Badeteil. Die einst freien Wiesen unterhalb der Wackersberger Höhe überdeckten bald Hotels und Pensionen.
Inzwischen hat aber das einst durchaus mondäne Kurwesen in Tölz um seinen Markenkern zu kämpfen. Während der 1990er-Jahre reformierte der spätere bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer als damaliger Gesundheitsminister die kassenärztlich verschriebene Kurpraxis im Gesundheitswesen. Damit war eine verlässlich sprudelnde Einnahmequelle, von der viele Betriebe gut leben konnten, endgültig versiegt.
Die Kur-Lichtspiele, Freis Stammkino, existieren nicht mehr
Während manches, wie die von Gabriel-von-Seidl gestaltete Markstraße, bis heute praktisch unverändert scheint, ist anderes architekturhistorisch Markantes für immer verschwunden. An der Buchener Straße wurde etwa das Parkhotel 1971 abgerissen. An dessen Stelle steht heute das Seniorenheim „Haus im Park“. Auch die Kur-Lichtspiele in der Angerstraße gibt es nicht mehr. Städtebaulich mag das ein Detail sein, für Frei aber ist es ein prägendes, weil diese in der Nachkriegszeit sein Stammkino waren, wie er erzählt.
In eineinhalb Jahrhunderten hat sich die Einwohnerzahl von Bad Tölz versechsfacht, die Stadtsilhouette hat sich vielfach geändert und kontinuierlich ins Umland ausgebreitet.
Wer nur die Panoramaaufnahmen von 1968 und heute am Ende des Bildbands vergleicht, wird sich fragen, wie Tölz wohl in fünf Jahrzehnten ausschauen mag.
Auf der fünfeinhalb Jahrzehnte alten Aufnahme sind an der Isar noch die Moralt-Werke im Betrieb zu sehen. Inzwischen steht deren Gelände leer. Im Bildhintergrund breitet sich die Tölz lange prägende Kaserne aus. Zur Zeit der Nazi-Diktatur war dort eine SS-Junkerschule, später waren dort US-amerikanische Besatzungssoldaten stationiert.
Inzwischen ist aus der einstigen Kaserne ein neues Stadtviertel geworden - mit Wohn- und Gewerbebauten sowie dem Sitz des Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen auf der sogenannten Flinthöhe.
Er hoffe, dass zumindest die „grünen Lungen“ am Stadtrand, etwa gen Norden Richtung Ellbach, erhalten bleiben, schreibt Frei im Vorwort.