Im Zauberwald

Zwischen Lost Place und Mittelerde - im neuen Walderlebniszentrum Grafrath reisen Besucher zu amerikanischen Mammutbäumen, japanischen Eiben und Magnolien mit Riesenblättern.

Im Zauberwald

Zwischen Lost Place und Mittelerde - im neuen Walderlebniszentrum Grafrath reisen Besucher zu amerikanischen Mammutbäumen, japanischen Eiben und Magnolien mit Riesenblättern.

Von Ingrid Hügenell und Jana Islinger (Fotos)
22. März 2023 - 5 Min. Lesezeit

Wer bis in die Wipfel der Mammutbäume schauen will, muss den Kopf weit in den Nacken legen. So hoch sie sind, so weich ist ihre dicke Rinde – sie schützt vor Feuern. 

Wer die Baumriesen erleben will, muss nicht unbedingt nach Amerika fahren. Es reicht, nach Grafrath zu kommen. 

Dick und weich ist die Rinde der Mammutbäume.
Dick und weich ist die Rinde der Mammutbäume.

Mammutbäume, Hemlocktannen mit weichen Nadeln, die auch an trüben Tagen in einem hellen Moosgrün strahlen, mystisch anmutende japanische Eiben, Baummagnolien mit riesigen Blättern – von 200 Baumarten aus Europa, Amerika und Asien kann man sich im neuen Walderlebniszentrum Grafrath im Westen des Landkreises Fürstenfeldbruck verzaubern lassen.

Nur 30 Kilometer von München entfernt und vom Marienplatz in etwa 40 Minuten leicht mit der S-Bahn zu erreichen, öffnet es am 24. März erstmals seine Pforten für die Besucher.

Die SZ hat sich vorab durch den „Welt-Wald“ führen lassen, wie ihn Franz-Josef Mayer nennt. Er ist praktisch dessen oberster Chef und ein großer Fan. Der Leiter des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Fürstenfeldbruck, selbst ein studierter Forstmann, schwärmt von der „friedvollen Atmosphäre“.

Noch mehr Begeisterung strahlt Siegmar Wüst aus. Der Forstingenieur, Wald- und Umweltpädagoge leitet das zwölfte Walderlebniszentrum Bayerns.

Er spricht vom „Lost-Place-Charakter“ der ungewöhnlichen Bäume in dem Wald, in dem kein Holz geschlagen wird. Wie ein Urwald entwickle er sich, mit vielen versteckten Ecken. 

Besucher durchwandern ihn auf einem barrierefreien Forstweg - oder auf kleinen Pfaden. 

Besucher durchwandern ihn auf einem barrierefreien Forstweg - oder auf kleinen Pfaden. 

„Sie werden bei uns direkt aufgefordert, vom Weg abzugehen“, sagt Wüst.

Wenn sie das tun, entdecken sie ungewöhnliche Bäume ebenso wie Kunstwerke der Schülerinnen und Schüler der Städtischen Holzbildhauerschule München. Diese kommen seit zehn Jahren einmal im Jahr zu einem Kurs nach Grafrath.

Die Kunstwerke bleiben im Wald, wo sie sanft verwittern. 

Jetzt, im Frühling, kann man den ersten Sträuchern und Laubbäumen beim Austreiben zuschauen oder das Moos bewundern, das auf umgestürzten Stämmen wächst.

Die Kunstwerke bleiben im Wald, wo sie sanft verwittern. 

Jetzt, im Frühling, kann man den ersten Sträuchern und Laubbäumen beim Austreiben zuschauen oder das Moos bewundern, das auf umgestürzten Stämmen wächst.

Die Bäume bleiben liegen, ihr Holz geht über in den Kreislauf des Lebens. 

Im Sommer spürt man, wie angenehm kühl es im tiefen Schatten der Bäume ist. Und im Herbst muss niemand nach Amerika reisen, um den Indian Summer zu erleben.

Dann verfärben sich die Blätter des Zuckerahorns und der amerikanischen Roteiche zum spektakulären Leuchten.

Dann verfärben sich die Blätter des Zuckerahorns und der amerikanischen Roteiche zum spektakulären Leuchten.

Dass man auf 34 Hektar im westlichen Oberbayern so viele unterschiedliche Baumarten entdeckt wie kaum irgendwo sonst, liegt daran, dass das Walderlebniszentrum aus dem Forstlichen Versuchsgarten Grafrath hervorgegangen ist.

Er wurde Ende des 19. Jahrhunderts angelegt, weil die königlich-bayerischen Forstleute probieren wollten, welche "fremdländischen Gewächse" sich für die Pflanzung in heimischen Gefilden eignen könnten. Meist wurden sie in Gruppen gepflanzt, so wie die japanischen Eiben.

Der Gründer Heinrich Mayr reiste um die halbe Welt, um Saatgut zu sammeln. Sein Gedenkstein wurde von seinem Grab in den Wald versetzt, der auf ihn zurückgeht.

Und so stehen jetzt in Grafrath Bäume, von denen manche 130 Jahre alt sind und weit in den Himmel ragen, wie eben die Mammutbäume.

Der Gründer Heinrich Mayr reiste um die halbe Welt, um Saatgut zu sammeln. Sein Gedenkstein wurde von seinem Grab in den Wald versetzt, der auf ihn zurückgeht.

Und so stehen jetzt in Grafrath Bäume, von denen manche 130 Jahre alt sind und weit in den Himmel ragen, wie eben die Mammutbäume.

Doch bei weitem nicht alle Arten haben sich als tauglich für die heimischen Wälder erwiesen. Mammutbäume und Thujen empfiehlt Wüst beispielsweise ausdrücklich nicht, Douglasien schon. 

Denn nach wie vor berät die Einrichtung Waldbesitzer sowie Gartenbauer und züchtet Bäume. Vor allem solche, die mit dem Klimawandel zurechtkommen sollen. 

In den Gewächshäusern, die von der Baumschule des Versuchsgartens übrig sind, stehen in Reih und Glied etwa kniehohe Bäumchen in Töpfen.

Auf stabile Unterlagen – junge Stämme – werden einzelne Zweige von Bäumen mit besonders wünschenswerten Eigenschaften gepfropft.

Für diese Veredelung werden die Unterlage aufgeschnitten, der ebenfalls angeschnittene Zweig hineingelegt und alles fest mit einem schmalen weißen Band umwickelt. 

Das sieht aus, als trügen die Bäumchen Verbände. Unterlage und Zweig wachsen zusammen.

Es entstehen Klone von Exemplaren, die besonders gut mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen. So werden etwa die im Fünf-Seen-Land heimische Elsbeere und die aus dem Mittelmeerraum stammende Schwarzkiefer vermehrt.

Im Erlebniszentrum können Waldbesitzer und Gartenbauer sehen, wie die Bäume wirken, wenn sie groß sind.

Die Emailleschilder zeigen genau, in welchem Jahr die Bäume gepflanzt wurden. 

Die Emailleschilder zeigen genau, in welchem Jahr die Bäume gepflanzt wurden. 

So müssen die Förster das Alter nicht schätzen oder den Stamm anbohren, um die Jahresringe zu zählen.

Immer gehe es darum, auch auf die Ökologie zu achten - Arten zu pflanzen, von denen die heimischen Insekten, Vögel und Säugetiere sich ernähren können, erklärt Zentrumsleiter Siegmar Wüst.

Während manche Besucher sich vor allem informieren wollen, suchen andere Erholung und innere Ruhe beim Waldbaden. Bei den Kursen, die das Walderlebniszentrum anbietet, werden die Teilnehmer unter den japanischen Eiben fündig. 

„Da sieht es aus wie in Mittelerde“, sagt Wüst. „Oder, wie wir Forstleute sagen, es ist ein zweischichtiger Bestand mit laufender Verjüngung.“ 

Die Stimmung unter den Eiben jedenfalls ist eine ganz besondere, und ganz anders als in einem europäischen Buchenwald.

Die Stimmung unter den Eiben jedenfalls ist eine ganz besondere, und ganz anders als in einem europäischen Buchenwald.

Dicht neben dem Eibenhain stehen zwei riesige Scheinzypressen. „In den Wurzelgabeln sitzen die Leute und genießen den Wald“, erzählt Forstamtsleiter Marc Koch, lässt sich nieder, lehnt sich an den Stamm und lächelt zufrieden.

Waldbaden ist eines der vielen Angebote für die Besucher, es gibt aber auch Vogelstimmen-Exkursionen oder Kräuterspaziergänge. Das Programm wird gerade noch fertiggestellt, man kann es dann auf der Homepage des WEZ finden.

Besonders Kinder sollen den Wald erleben können, bei Ausflügen mit der Schulklasse oder dem Kindergarten. Wüst weiß aus Erfahrung, wovon sie besonders begeistert sind: von Fellen. 

Am tollsten fänden die Buben und Mädchen es, wenn sie ein Wildschweinfell streicheln dürfen, eines von Hase oder Reh oder auch vom Waschbären, der besonders kuschelig sei, sagt er.

Bevor er das Walderlebniszentrum Grafrath aufgebaut hat, hat der Forstmann das Pendant im Gramschatzer Wald nördlich von Würzburg geleitet. Jetzt schafft er Felle für das neue Zentrum an.

Dessen Kernstück ist ein barrierefreier Neubau. Die beiden Teile des Gebäudes sind im spitzen Winkel aneinander gefügt wie bei einer Astgabel. Sie stehen auf Stelzen, um den gewachsenen Waldboden zu schützen. Die Innenwände sind mit ockergelbem Lehm verputzt.

Von außen erinnern sie an große Scheunen oder an die Bootshäuser am nahegelegenen Ammersee. Sie sind ganz aus Holz gebaut und sogar mit Holzschindeln gedeckt.

Von außen erinnern sie an große Scheunen oder an die Bootshäuser am nahegelegenen Ammersee. Sie sind ganz aus Holz gebaut und sogar mit Holzschindeln gedeckt.

Es gibt eine kleine Küche, in der Kräuter, die bei Wanderungen durch das WEZ gesammelt wurden, zum Verzehr zubereitet werden können – etwa als Kräuterquark. 

Im linken Flügel ist ein großer Saal für Vorträge oder Tagungen untergebracht, im rechten befinden sich die Büros der Mitarbeiter. 

Auch die beiden jungen Leute, die von September an im WEZ ein Freiwilliges Ökologisches Jahr absolvieren, finden dort Platz. Bewerbungen werden noch angenommen.

Das Foyer bietet Schutz vor Regen oder starkem Sonnenschein, öffnet sich aber zur Umgebung hin. Rohe Latten aus Tannenholz bilden einen halboffenen Holzlamellen-Vorhang, der Licht, Luft und die Geräusche des Waldes herein lässt.

Hier können Schulklassen, Kindergartengruppen und andere Besuchergruppen erste Informationen bekommen.

Und dann direkt in den Wald laufen.

Hier können Schulklassen, Kindergartengruppen und andere Besuchergruppen erste Informationen bekommen.

Und dann direkt in den Wald laufen.

Team
Text Ingrid Hügenell
Fotos und Video Jana Islinger
Redaktion Florian J. Haamann, Katja Schnitzler
Digitales Storytelling Ingrid Hügenell, Florian J. Haamann