SERIE: "WAS SICH ÄNDERN MUSS"

Krieg, Kippa, koscheres Essen

Juden sind in den Medien auf die immer gleichen Hauptsätze gebucht: "Wir Juden haben Angst", zum Beispiel. Wo Vielfalt draufsteht, bietet der deutsche Journalismus oft Einfalt – die immer gleichen Schablonen bedienend.

Von Dmitrij Kapitelman

In der Serie „Was sich ändern muss“ sprechen Medienschaffende aus ganz Deutschland darüber, was Redaktionen gegen rassistische Strukturen tun können und wie Journalismus diverser werden kann. Der Schriftsteller und Journalist Dmitrij Kapitelman („Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters“), 1986 in Kiew geboren, lebt seit 1994 in Deutschland. Eigentlich wollte er für diese Serie absagen. Dann hatte er eine schlaflose Nacht und schrieb seine Gedanken auf. Hier sind sie.

Herr Kapitelman, möchten Sie einen Film für das öffentlich-rechtliche Fernsehen über jüdisches Leben drehen? Aus jüdischer Sicht. Was für eine Möglichkeit, dachte ich. Und verfolgte die Idee, Menschen zu porträtieren, die hierzulande zum Judentum konvertieren wollen. Um das deutsche Judentum mal nicht als verängstigtes Überbleibsel der Nazizeit zu zeigen, sondern als etwas Lebendiges, Selbstbewusstes und Begehrenswertes – weg vom ewigen Opfernarrativ. Einer der Drehs war mit Rabbi Walter Rothschild, der nicht nur Konvertiten betreut, sondern auch als Kabarettist auftritt. Die Redaktion wünschte sich daher, dass jüdischer Humor thematisiert wird. Der Rabbi und ich haben uns dann einen Haufen jüdischer Witze erzählt und über laktoseintolerante Antisemiten gespottet. Nichts davon kam in den Film. Stattdessen nur die von der Redaktion gewünschte Frage, ob Humor denn dabei helfe, Schmerz zu verarbeiten. Ja, sagte der Rabbi. Humor helfe, Schmerz zu verarbeiten. 30 Sekunden, sie passten wie das Holz zur Schablone.

Warum jüdischen Humor zeigen, wenn man ihn löblich deutsch übermoderieren kann? Bei fast allen Drehs/Protagonisten, die ich wirklich spannend fand, hieß es: Das ist leider etwas zu anspruchsvoll für die Zuschauer. Der durchschnittliche Fernsehzuschauer wisse doch so gut wie nichts über Juden. Außer Krieg, Kippa und koscherem Essen. Aber wenn Juden kommen und mehr über sich erzählen wollen als Krieg, Kippa und koscheres Essen, ist das zu viel, zu kompliziert, zu lebendig, zu weit weg vom Deutschen. So bleibt die Vielfalt einfältig.

Wir Juden haben Angst – das ist so ein Hauptsatz

Wir Journalisten, deren Eltern aus einem anderen Land eingewandert sind, uns eine andere Hautfarbe, Religion oder diverse kulturelle Prägungen mitgaben, wir übersetzen unsere Perspektiven immer für ein mehrheitlich deutsches Publikum. Das ist unser realistischer Gestaltungsrahmen, das ist unsere spezifische Leistung, und das ist auch okay. Mein Eindruck ist aber, dass wir zu oft bereits gut einstudierte Hauptsätze wiederholen sollen. Nicht die Nebensätze, die allem erst richtige Kontur und Nuancierung geben, nicht unsere Sprachmelodie, nicht die Grammatik und schon gar nicht die Wortspiele. Wir Juden haben Angst - das ist so ein Hauptsatz. Wir sind schockiert vom dem Attentat - das ist so ein Hauptsatz. Wir Juden haben Angst, immer als die Opfer dargestellt zu werden, der Nebensatz fällt oft unter den Redaktionstisch. Wir sind schockiert davon, dass immer wieder ein Jude mit Kippa vor dem Brandenburger Tor als Bebilderung herhalten muss, wenn es um Antisemitismus geht. Dieser arme eine Jude am Brandenburger Tor, richtig Zores hat der!