Am 11. Mai 1990 lag zum ersten Mal ein SZ-Magazin der Zeitung bei. 35 Jahre! Das sind viele Kerzen auf einem Geburtstagskuchen.
Zu diesem Anlass hat die Redaktion nochmal überlegt: Welche Geschichte aus dreieinhalb Jahrzehnten ist uns besonders in Erinnerung geblieben?
Generalverdacht
SZ-Magazin 37/2006

Im Nachhinein war der Sommer 2006 das »Sommermärchen« der Fußball-Heim-WM. In der Gegenwart war es auch der Sommer des Misstrauens. Angst vor Terroranschlägen, Angst vor Menschen mit Migrationshintergrund, nicht zuletzt geschürt von Boulevardmedien. Die Idee der Redaktion dazu: den schmalen Grat aufzuzeigen zwischen Achtsamkeit und Hysterie.
Dafür fotografierte der Art Director sechs dunkelhaarige Redaktionsmitglieder mit dem Handy, so gut das damals eben ging. Die Ausdrucke kopierte er, dann wieder die Kopien und so weiter. Es entstanden sechs Porträts, zu denen das eines echten Terroristen gestellt wurde. Die große Stärke der Sammlung: Sie kommt ohne weitere Ausführung aus. Und ohne Auflösung.
empfohlen von Dirk Schönlebe, Chef vom Dienst
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Endlich frei
von Kerstin Greiner
SZ-Magazin 47/2002

So ein alberner Quatsch, dachte ich insgeheim, als die neue, junge Zimmerkollegin ihre Idee in der Themenkonferenz vortrug. Hennen aus der Legebatterie sollen wieder ein normales Leben auf dem Bauernhof führen? Wie soll das funktionieren? Drei Hühner mussten es sein, denn so könnten die Hühner eine Gruppe in der neuen Schar bilden, falls sie sich nicht integrieren würden. Kerstin nannte ihre drei Hühner Henni, Heide und Helga und besuchte sie wochenlang immer wieder auf dem neuen Bauernhof, in den sie umzogen. Die ersten Gehversuche im ungewohnten Freigang beschrieb Kerstin liebevoll und kenntnisreich. Sie holte auch wissenschaftlichen Rat ein, aber selbst für Wissenschaftler war so ein Versuch Neuland. Was soll ich sagen? Kerstins Schnapsidee stellte sich als großer Wurf heraus, für viele begeisterte Leser, für Henni, Heide und Helga ohnehin, und auch einige Journalistenpreise heimste diese grundsympathische Reportage ein.
empfohlen von Lars Reichardt, Redakteur
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Hurra, ich lebe noch!
von Susanne Schneider
SZ-Magazin 51/2006

Allein schon der Anfang: »Wer möglichst unbemerkt auf einer deutschen Intensivstation sterben will, sollte dies gegen 14 Uhr tun.« Susanne Schneider beschreibt ihre Zeit als Patientin auf der Intensivstation des Krankenhauses in München-Großhadern, auf der sie sich sieben Monate lang nach der Entfernung eines Tumors zurück ins Leben kämpfte. Sie schreibt ohne Pathos, immer wieder blitzt ihr trockener Humor hervor.
Noch ein Satz in dieser Reportage bewegt mich sehr: »Wochenlang war ich schon kurzatmig, konnte kaum noch über die Straße gehen; jedes einzelne Stockwerk im Büro fuhr ich mit dem Lift. Ich versuchte, so gut es eben ging, den Zustand vor meinen Kollegen zu verbergen.« Wir waren damals oft zusammen zu Mittag essen, ich und andere haben tatsächlich nichts gemerkt, bis Susanne plötzlich weg war, herausgerissen aus dem Leben. Wie ernst es wirklich um sie stand, haben wir erst erfahren, als ihre Reportage zwei Monate nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus erschien. Vor Kurzem ist Susanne Schneider in Rente gegangen, verdient, wie man sagt, eine große Stimme im deutschen Journalismus.
empfohlen von Kerstin Greiner, Redakteurin
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Zwei Nasen tanken
Tolstoi
von Andreas Bernard und Lars Reichardt
SZ-Magazin 44/2010

Zwei SZ-Magazin-Autoren, Zimmergenossen sogar, setzen sich zusammen ins Auto und fahren 5500 Kilometer in Richtung Osten, das Ziel ist Tolstois Grab, der Anlass sein 100. Todestag, die beiden hören Krieg und Frieden, 67 Stunden Laufzeit. Es gibt keine Kategorie für diesen Text, er ist zutiefst subjektiv, klingt wie improvisiert und ist doch sorgfältigst durchkomponiert, die vielen Themen und Ebenen sind kunstvoll verflochten. Landschaften ziehen gleichzeitig mit der Romanhandlung vorüber, der eine mag es warm im Auto und der andere kalt, und am Ende hat man das Gefühl, etwas mehr über Krieg und Frieden zu wissen, etwas mehr über die Autoren, etwas mehr über Bratislava, Kiew und Moskau und viel mehr über Tolstoi, sie zitieren ihn so: »Helenes Körper hatten die vielen tausend Blicke, die bereits über ihn hingeglitten waren, sozusagen schon mit einem Lack überzogen; Natascha dagegen sah aus wie ein Mädchen, das man zum ersten Mal entblößt hat.« Und schlussfolgern dann, lapidar: »Tolstoi, der Vollprofi.«
empfohlen von Gabriela Herpell, Redakteurin
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So werden wir eines Tages sterben
von Roland Schulz
SZ-Magazin 24/2016

Was genau passiert eigentlich mit uns, wenn wir sterben? Die Frage klingt so einfach, aber was findet da statt im Körper, in den Organen, in den Zellen, in den Molekülen? Wann genau ist man tot?
Mein Kollege Roland Schulz hat endlos recherchiert, er hat Ärzte und Professoren befragt, Pfleger und Hospizhelfer, er hat nicht losgelassen, bis er den Tod in allen Details beschreiben konnte. Das für sich ist schon eine Meisterleistung. Was seinen Text aber zu einem ganz besonderen Text macht, ja, zu einem Text, wie er eben vielleicht nur im SZ-Magazin erscheinen kann, war die zweite Person Singular. Schulz entschloss sich, die Leserinnen und Leser direkt anzusprechen: »Deine Kräfte versiegen, Schwäche bemächtigt sich deiner Glieder.« Und: »So beginnst du langsam, dich vom Leben zu lösen.«
Mit diesem Kunstgriff zieht Schulz uns schon nach wenigen Absätzen in seinen Bann, er kriecht uns schier unter die Haut, er flüstert uns aus nächster Nähe zu, wie unser Ende eines Tages aussehen wird. So entstand ein Text, der weit mehr ist als nur ein hervorragender Wissenschaftsartikel. Leichte Lektüre? Nein. Große Lektüre? Unbedingt.
empfohlen von Max Fellmann, Redakteur
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Das blaue Wunder
von Oliver Meier
SZ-Magazin 36/2023

Man könnte meinen, die Modehefte des SZ-Magazins verlieren nach dem Ende der jeweiligen Saison an Relevanz. Doch das Blättern oder Klicken durch die kreativ und ungewöhnlich inszenierten Produktionen lohnt sich auch dann – ganz besonders bei der Ausgabe »Neapel« vom Herbst 2023.
Die Mode wird an den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt gezeigt, oft kombiniert mit deren eigenen Stücken. Der Fotograf Sam Youkilis fängt so den Alltag Neapels eindrucksvoll ein, die Porträtierten erzählen ihre ganz eigenen Geschichten. Kurze Videos in der digitalen Version des Heftes lassen Lärm, Hitze und Einzigartigkeit der Stadt spürbar werden. Der begleitende Essay von Oliver Meiler beschreibt, was Neapel so besonders macht – und worin das Paradoxe dieser Stadt liegt. Eine kleine Auszeit in flirrender Spätsommerhitze, perfekt für trübe Regennachmittage oder graue Alltagsmomente.
empfohlen von Lea Sophie Fetköter, Grafikerin
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Hans. Im Glück?
von Axel Hacke
SZ-Magazin 51/1997

Zu den großen Namen des SZ-Magazins zählt Axel Hacke, Herr der vorvorletzten Seite und der Kolumne dort. Hacke kann aber auch anders: In den Anfangsjahren des SZ-Magazins schrieb er etliche Reportagen und Porträts – wie diesen wunderbaren Text über Hans Draga, den letzten Stallknecht Münchens.
empfohlen von Roland Schulz, Redakteur
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100 Fragen an Lemmy Kilmister
von Moritz von Uslar
SZ-Magazin 2003

Lemmy war Gott. Er war ein Unikat. Der letzte und einzige echte Rocker. Wir werden leider nie mehr seine berühmte Ansage hören: »We are Motörhead and we play Rock’n’Roll!«
Moritz von Uslar hat mir damals von seinem 100-Fragen-Termin zu meiner großen Freude ein Autogramm mitgebracht, Lemmy hatte es auf dem Abriss eines Aktendeckels verewigt: »To Marianne: Gluck auf! Lemmy Kilmister« – das Gluck tatsächlich ohne ü. Und die 100 Fragen von Moritz waren natürlich auch großartig.
empfohlen von Marianne Igl, Buchhaltung
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Wir sind schon da
SZ-Magazin 5/2021

Godehard Giese ist ein fantastischer Schauspieler, ein sehr kluger und extrem höflicher Mensch. Gemeinsam mit Karin Hanczewski hat er #ActOut gegründet, einen Zusammenschluss von lesbischen, schwulen, bisexuellen, nicht-binären und trans* Schauspieler*innen. Ihr gemeinsamer Wunsch: mehr Anerkennung in Theater, Film und Fernsehen. Die Idee: Wir outen uns gemeinsam, wir wollen gehört werden, wir wollen unsere Branche umkrempeln. Aber wie – wäre das SZ-Magazin daran interessiert, über diese Idee zu berichten?
Ab Herbst 2020 traf ich mich fast wöchentlich mit Giese und Hanczewski auf Zoom, wir wollten uns kennenlernen und schauen, ob wir einander vertrauen können. Bald waren wir uns einig: Ein großes Interview im SZ-Magazin wird eine Debatte anstoßen – in den Fernsehanstalten und Filmproduktionsfirmen, im besten Fall auch in der SZ-Magazin-Leserschaft, das sind Woche für Woche 1,2 Millionen Menschen. In seiner höflichen Art fragte Giese kurz vor Weihnachten in einem unserer Zoom-Gespräche: »Glaubst du. dass alle Teilnehmer nicht nur genannt werden, sondern auch auf einem Foto zu sehen sein könnten?« »Wie viele werdet ihr denn?«, fragt ich zurück und hatte ein Gruppenbild vor meinem inneren Auge, ungefähr so wie eine Schulklasse. Giese grübelte. »25 bestimmt, 50 vielleicht, oder auch noch ein paar mehr.« Wer würde den Schritt in die Öffentlichkeit wagen? Es wurden mehr als 25 oder 50 – sehr viel mehr. Die Heftproduktion lief schon an, da waren es bereits knapp hundert Teilnehmer*innen, Dutzende kamen dann täglich noch hinzu. 185 Menschen waren es am Ende, die im SZ-Magazin für LGBTQ-Akzeptanz einstehen wollten – niemand hätte gedacht, wie groß, wie vielfältig, wie einflussreich #ActOut mal werden würde.
empfohlen von Timm Klotzek, Chefredakteur
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Der Kick
von Krisha Kops
SZ-Magazin 38/2015

Zu den Besonderheiten im journalistischen Portfolio des SZ-Magazins gehören die Selbstversuche. Das sind Texte, in denen eine Journalistin oder ein Journalist nicht nur über etwas berichtet, sondern selbst etwas Ungewöhnliches ausprobiert – zum Beispiel auf Skiern die Streif in Kitzbühl herunterzurasen oder als Comedian auf großer Bühne 2000 Leute zum Lachen zu bringen.
Der extremste Selbstversuch in 35 Jahren erschien im September 2015, als unser Autor Krisha Kops einen Mixed-Martial-Arts-Kampf absolvierte. Falls Ihnen das nichts sagt: Mixed Martial Arts ist ein brutaler Kampfsport, in dem fast alles erlaubt ist. Kops hatte damals schon seit 13 Jahren Mixed Martial Arts trainiert, aber noch nie im Ring gekämpft – weil er sich nicht die Nase zerschlagen lassen wollte und auch sonst nicht so ganz in dieses Milieu passte, heute ist er Dozent an der Münchner Hochschule für Philosophie. Aus einer Mischung von Ehrgeiz und Abenteuerlust heraus entschloss er sich damals aber doch, bei einem Amateurturnier anzutreten. Und stand schließlich im Ring einem tätowierten Berserker gegenüber, der gleich zu Beginn des Kampfes auf ihn zustürmte und ihm zweimal die Faust ins Gesicht drosch.
empfohlen von Johannes Waechter, Redakteur
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Im Gesetz steht von Liebe kein Wort
von Gabriela Herpell
SZ-Magazin 6/2016

Ich wurde mit 26 Jahren aufgeklärt. Nicht über den schönen Teil der Liebe, den kannte ich. Sondern darüber, wie Liebe endet, wenn jedes Wohlwollen aus dem Raum gewichen ist. Das Interview mit der Scheidungsanwältin Helene Klaar ist so eindrücklich, dass ich es seit dem Jahr, in dem ich es erstmals las, in meinem Kopf mit mir herumtrage. Eigentlich würde ich es gern ausdrucken und in der Innenstadt verteilen und anderen Menschen zurufen: So ist das mit dem Ende der Liebe! Denn wer sich damit beschäftigt, versteht auch besser, was man tun kann, damit die Liebe vielleicht bleibt.
empfohlen von Dorothea Wagner, Online-Redakteurin
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Klassenunterschied
von Björn Stephan
SZ-Magazin 28/2016

Seit wir selbst Eltern sind, sprechen wir oft über Lian, Ali, Beren und Leonie, die Kinder aus der Reportage »Klassenunterschied« von Björn Stephan, meinem Mann. Als der Text erschien, wohnte ich noch in Berlin-Kreuzberg, im selben Kiez wie sie. Und manchmal fragen Björn und ich uns nun am Abendbrottisch, was wohl aus ihnen und den anderen Kindern aus den zwei Grundschulklassen geworden ist, die er damals ihr erstes Schuljahr lang begleitete. Die zwei Schulen, auf die sie gingen, lagen nur wenige hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt und doch in verschiedenen Welten. In der einen machten die Kinder manchmal ihre Hausaufgaben auf der Rückseite alter Rechnungen und schimpften sich »Schawarma«. In der anderen Schule gab es Yoga, viele der Erstklässler konnten schon vor dem ersten Schultag lesen, und geschimpft wurde selten.
Wie ich finde, schildert Björn all das auf berührende Weise, er lässt die Kinder reden, ohne sie je auszustellen, spricht mit Eltern und Lehrerinnen und erzählt dabei nicht nur, wie ungerecht das deutsche Schulsystem ist – ein System, das die Schwächsten schnell fallenlässt und oft die Stärksten stützt. Er zeigt auch, was die Kinder trotz der vielen Unterschiede verbindet: Neugierde, Eigensinn, Gemeinschaftsgeist, alles Eigenschaften, die dringender denn je gebraucht werden.
empfohlen von Mareike Nieberding, Redakteurin
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Edition 46: Atelier Goldstein
SZ-Magazin 46/2022

Jedes Jahr freue ich mich auf unsere Edition 46. Die Ausgabe von 2022 hat mich ganz besonders bewegt. Dort zeigten sechs Künstlerinnen und Künstler mit kognitiven Beeinträchtigungen aus dem Atelier Goldstein ihre Kunst. Tobias Haberl näherte sich Hans-Jörg Georgi, Franz von Saalfeld, Julius Bockelt, Tina Herchenröther, Juewen Zhang und Julia Krause-Harder und ihren Ideen mit Interviews und Portraits. Deren unbetretene Gedankenwelten und Werke abseits etablierter Ästhetik haben meinen Spaß an Kunst ganz neu befeuert. Mein Besuch der Galerie Goldstein ist für meine nächste Frankfurt-Reise schon fix eingeplant.
empfohlen von Jonas Natterer, stellvertretender Art Director
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Liebe Mama …
SZ-Magazin 10/2019

Die Beziehung zwischen Tochter und Mutter ist einzigartig. Mal innig, mal distanziert, zärtlich, schmerzlich, rätselhaft, voller Gram oder voller Bewunderung – stets gezeichnet von einer beispiellosen Liebe. Nora Gomringer, Monika Hohlmeier, Margot Käßmann, Jagoda Marinić, Ingrid Noll, Bettina Röhl und Natascha Wodin schreiben 2019 im Frauenheft des SZ-Magazins ihren Müttern einen Brief und erzählen darin die Geschichten ihres Lebens. Mein Lieblingssatz lautet: »Du hast mir das Meer gezeigt, obwohl du selbst nicht schwimmen konntest.«
empfohlen von Nele Sophie Karsten, Redakteurin
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Die NSU-Prozesse
von Annette Ramelsberger, Tanjev
Schultz, Wiebke Ramm und Rainer Stadler
SZ-Magazin 2013–2018

Vier Autoren haben über fünf Jahre hinweg den NSU-Prozess für das SZ-Magazin begleitet und jede einzelne Verhandlung lückenlos protokolliert – denn ein offizielles Wortprotokoll gab es nie. Entstanden ist daraus ein einzigartiges Protokoll deutscher Zeitgeschichte – über den größten Strafprozess seit der Wiedervereinigung, über institutionelles Versagen und das lange Wegsehen gegenüber dem Rechtsextremismus. In einer Zeit zunehmender rechter Gewalt und des Wiedererstarkens rassistischer Narrative in der gesellschaftlichen Mitte wird gerade heute deutlich, wie wichtig genaue Dokumentation und öffentliche Aufarbeitung sind.
empfohlen von Anna Sullivan, Grafikerin
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Man hat sich nicht um uns gekümmert
von Thomas Bärnthaler und Theresa Hein
SZ-Magazin 15/2024

Am 13. Oktober 1977 entführt ein palästinensisches Terrorkommando das Lufthansa-Flugzeug »Landshut«, um RAF-Häftlinge freizupressen. 47 Jahre später treffen sich zwei ehemalige Geiseln, der Co-Pilot sowie einer der Befreier in einem Hangar des Flughafens Friedrichshafen, wo sich die »Landshut« inzwischen befindet. Die Gespräche der Zeitzeugen und die Bilder erzählen von den dramatischen Ereignissen damals. Die Ereignisse gingen als »Deutscher Herbst« in die Geschichte der Bundesrepublik ein und werden hier eindrücklich erlebbar gemacht.
empfohlen von Jakob Feigl, Bildredakteur
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Ich und
der ganz andere
von Bastian Berbner
SZ-Magazin 21/2018

Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der die Menschen auseinanderdriften. Wir gegen die. Ich gegen den. Risse durch Familien, Klüfte durch Gesellschaften. Und überall so viel Wut, und so wenig Verständnis. Wo ist das Vertrauen hin, dass die oder der andere es gut meint? Dieses Vertrauen ist der Geist demokratischer Gesellschaften. Und es ist nicht tot. Es lässt sich wiederbeleben. Das zeigt sehr anschaulich die Reportage »Ich und der ganz andere« von Bastian Berbner, erschienen im SZ-Magazin Nr. 21/2018. Darin geht es im Großen um ein Experiment in Irland: Ein Parlament, das nicht aus professionellen Politikerinnen und Politikern, sondern aus Bürgerinnen und Bürgern besteht, soll über strittige Fragen der Gegenwart beraten und dann abstimmen. Das Ergebnis wäre nicht bindend, aber eine gewichtige Empfehlung an die politischen Entscheider. Eine dieser strittigen Fragen: Soll die Homo-Ehe in Irland legal werden?
Im Kleinen erzählt Berbners Reportage von der unwahrscheinlichen Freundschaft zwischen einem alten, homophoben Mann namens Finbarr und einem jungen, schwulen Mann namens Chris. Diese Freundschaft und das Bürgerparlament wecken in Finbarr – und nicht nur in ihm – im Laufe der Zeit wieder das Vertrauen, sich auf andere Sichtweisen einlassen zu können. Und: etwas bewirken zu können. Ein kluger, rührender und ungemein wichtiger Text.
empfohlen von Marc Schürmann, Textchef
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Der lange Abschied
von Mario Kaiser
SZ-Magazin 12/2013

Mario Kaisers Porträt über den Mann namens Läufer hat mich eingesogen. Aus seinem Leben voller Gelegenheitsjobs und Beratungsgespräche steigt Läufer eines Tages aus. Wohnsitz, Papiere, Menschen, alles lässt er hinter sich, aber niemals die Struktur. Und das ist gar nicht so einfach. Kaiser ist mit ihm und seinem Fahrradanhänger durch die Bundesrepublik gezogen, die Läufer so oft die Hand reicht und ihm das Leben doch so schwer macht. Diese Reise hat mich bewegt. Dank des Autors und dessen einmaligem Auge für Detail und Struktur. Dank der Menschen, die am Wegesrand warten. Und dank Läufer selbst, über den Kaiser schreibt, er sei kein Obdachloser, er habe nur kein Gehäuse.
empfohlen von Jonas Junack, Redakteur
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Im Wasser fühle ich mich leicht
von Barbara Bachmann
SZ-Magazin 35/2024

Marilena, Rosa, Assunta und Giuseppa sind alle über 80 Jahre alt, im Sommer fahren sie jeden Morgen um 8:30 Uhr mit einem Bus an die Küste von Capri und springen ins Meer. Meine Kollegin Barbara Bachmann hat die Frauen für ihre Reportage »Die Strand-Clique« ins Wasser begleitet. Ihre Reportage erzählt nah und lustvoll von einer Freiheit, die man sich im Alter nehmen kann, wenn man nur will. Und diese wunderbaren Fotos! Die Frauen zeigen Haut, die etwas zu groß geworden ist für die dazugehörigen Körper, strahlend weißes Haar und Perlenketten auf altersbefleckten Dekolletés. Ich will altern wie diese Frauen, dachte ich, als ich die Reportage las: angstfrei und in Freundschaft verbunden mit den Menschen und dem Ort, an dem ich lebe – und mir selbst.
empfohlen von Lisa McMinn, Online-Redakteurin
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Mamma mia: Griechisches Blut
von Alexandros Stefanidis
SZ-Magazin 19/2007

Manchen Autoren ist es gegeben, mit wenigen Worten viel zu sagen. Sie beschreiben nicht, sie lassen die Dinge sprechen. Ihre Texte sind wie Short Stories, virtuos gebaut, verzichten sie auf jeden Ballast oder Schmuck und erreichen so eine besondere Unmittelbarkeit. Dieser kleine Text meines Ex-Kollegen Alexandros Stefanidis, publiziert 2007 in einem Heft über Mütter, hat mich damals zu Tränen gerührt. Es sind nur ein paar Absätze und Szenen, doch in ihnen wird ein so entbehrungsreiches wie geglücktes Leben sichtbar, das einem lange nachgeht. Eigentlich lässt einen schon der erste Satz ins Bodenlose fallen.
empfohlen von Thomas Bärnthaler, Redakteur
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Ins Ungewisse
von Julia Latscha
SZ-Magazin 41/2015

Der Text, der mir im Kopf geblieben ist wie kein anderer, ist zehn Jahre alt. Ich bin 29, ich trage ihn also schon fast ein Drittel meines Lebens mit mir herum. Es geht darin um eine Mutter und ihre Tochter. Die Tochter, Lotte, hat während ihrer Geburt zu wenig Sauerstoff bekommen, sodass große Teile ihres Gehirns zerstört wurden. Sie braucht Hilfe, immer, und wenn niemand sie versteht, kann sie so wütend werden, dass sie sich die Hände blutig beißt. Auf einer Reise durch die Mongolei, auf Pferderücken und zu einem Schamanen, findet die Mutter ein bisschen näher zu ihr. Ich kann nicht sagen, ob der Text Lotte gerecht wird, aber ich mag, wie ernst er alle Menschen nimmt, die darin vorkommen, und mit welch liebevoller Präzision er sie beschreibt.
empfohlen von Agnes Striegan, Online-Redakteurin
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Na, du Sau?
von Toshiteru Yamaji
SZ-Magazin 18/2012

Hiroshi Kamimura ist ein japanischer Schweinezüchter aus der Präfektur Kagawa, der für den liebevollen Umgang mit seinen Tieren bekannt wurde. Er wuchs auf einem Bauernhof auf und übernahm als junger Mann den elterlichen Betrieb, den er auf mehr als 1200 Schweine erweiterte. Er behandelt die Tiere besonders fürsorglich, spielt ihnen Gitarre vor, liest aus der Zeitung und schläft mit Ferkeln auf dem Bauch. All das hat Toshiteru Yamaji dokumentiert, ein Beamter der Stadtverwaltung, der über zehn Jahre hinweg Fotos von Kamimura und seinen Schweinen gemacht hat. Die Bilder wurden in dem Bildband Pigs and Papa veröffentlicht.
empfohlen von Ralf Zimmermann, Bildredakteur
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