Seit zweieinhalb Jahren lebt Rebecca mit ihrem Mann in einem Haus auf dem Grundstück ihrer Eltern in Dernau. Sie haben die Wohnung darin haben renoviert, eine neue Küche eingebaut, die Wände gestrichen, den Garten verschönert. Vor dem Haus parkt der VW-Bus, mit dem sie, so oft es geht, in den Urlaub fahren. Innen hat Rebecca, die gern malt und zeichnet, ihr eigenes kleines Atelier eingerichtet. Am Nachmittag des 14. Juli 2021 will Rebecca mit einem Freund weiter das Parkett verlegen. Der neue Boden wäre der letzte Schritt. Die Wohnung wäre dann endlich fertig und so, wie sie es sich vorgestellt haben. Dann fängt es an zu regnen. Und der Regen hört nicht mehr auf. Rebecca erzählt am Telefon:
Meine Alpträume waren mein Glück. Was ich nachts träume, ist am nächsten Tag lange in meinem Kopf präsent, ich reagiere darauf. Ein Traum, der zu dieser Zeit immer wiederkehrte, war, dass unser Haus einmal abfackeln würde. Das ist nie passiert. Aber ich habe meine Schlüsse daraus gezogen. Die Träume haben mich zum Nachdenken gebracht. Was würde ich in solch einer Situation als erstes retten? Intuitiv hatte ich schnell die Sachen beisammen, die ich unbedingt mitnehmen muss. Unsere Heiratsurkunde, Ausweise, den Laptop.“
Nach Angaben des Tourismusvereins sind etwa 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger des 1800-Einwohner-Ortes von den Schäden des Hochwassers betroffen. Etliche Gebäude in Dernau hat die Kraft der Wassermassen zerstört, andere Häuser müssen wegen der Feuchtigkeit entkernt oder abgerissen werden.
Manchmal habe ich mich schlecht gefühlt, weil ich so viel retten konnte. Andere Leute in Dernau haben alles verloren, einige sogar ihre Angehörigen. Ich habe aber auch einiges verloren. Ich male gerne, ein paar meiner Gemälde mussten weggeschmissen werden. Das Bulli-Buch, in dem wir unsere Reisen mit dem Bus festgehalten haben, auch. Genauso das Hochzeitsbuch, aber das hatte ich digital gespeichert und konnte es deshalb neu drucken. Am meisten habe ich mich über die Videokassetten geärgert. Ich wollte sie eigentlich endlich digitalisieren lassen, vor allem die Kassette von der Indienreise mit meinem Papa, bei der ich zwölf war. Denn diese Reise hat mich sehr geprägt. Hundert Euro hätte das gekostet. Ich war zu geizig. Jetzt bereue ich es.
In den Tagen nach der Flut reisten etliche Politikerinnen und Politiker in von der Flut betroffenen Gebiete, um den Betroffenen Mut zuzusprechen, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nachdem sie zuvor an anderen Orte war, besuchte sie auch Altenburg. Hier, zehn Kilometer entfernt von Dernau, leben Rebeccas Eltern.
Altenburg hatte direkt nach der Flut sehr wenige Hilfskräfte und kaum Soldaten von der Bundeswehr vor Ort. Das soll nicht undankbar klingen. Jeder, der dabei war, war eine große Hilfe. Wir hätten mehr Menschen dort gebraucht, und so musste die Hilfe in Altenburg fast komplett von freiwilligen Helfern gestemmt werden. Dann kündigte sich für den 3. September der Besuch von Angela Merkel an. Ich verstehe ja, dass es für viele Betroffene gut ist, mal gehört zu werden, und dass die politischen Führungspersonen vor Ort sind. Aber was der Besuch von Angela Merkel ausgelöst hat, hat mich sehr gewundert. Denn kurz bevor sie kam, passierten plötzlich Dinge, die tagelang, wochenlang nicht möglich waren. Auf einmal rückte das THW an und die Bundeswehr. Plötzlich war es offenbar möglich. Das fühlte sich an wie ein Fake.“
Wie in vielen betroffenen Gebieten waren es auch in Dernau die freiwilligen Helferinnen und Helfer, die in den Tagen und Wochen nach der Flut die überfluteten Keller und Häuser von Schlamm und Müll befreiten. Rebeccas Bruder sprühte nach der Flut seine Handynummer an die Fassade der Hauswand. Sie selbst sah sich für die nächsten Tage nicht in der Lage, zum Haus zurückzukehren. Kurz darauf meldeten sich mehrere Menschen, um zu helfen.
Ich bin ausgebildete Mediengestalterin und seitdem ich denken kann, zeichne und male ich leidenschaftlich gern. Schon immer wollte ich eines Tages ein wirklich großes Kunstwerk erschaffen. Und so dachte ich mir beim Anblick unseres Hauses: Das können wir sowieso nicht mehr nutzen. Jetzt ist da schon die Handynummer meines Bruders draufgesprayt. Wieso also nicht gleich die Fassade zur Leinwand machen? Eine Nachbarin hat schon ein paar Tage vorher damit angefangen.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt den Versicherungsschaden, der durch die Flut entstanden ist, auf mehr als sieben Milliarden Euro. Etwa die Hälfte der Betroffenen war nicht gegen Elementarschäden und damit nicht gegen die Schäden einer Flut geschützt. Das Haus, in dem Rebecca lebte, ist über ihren Vater versichert. Jedoch nicht ihr Hausrat. Organisationen und Unternehmen sammelten in den Wochen nach der Flut Spenden, um denjenigen zu helfen, die nicht versichert waren. Allein das das Aktionsbündnis „Deutschland hilft“ kam bis Mitte September auf mehr als 250 Millionen Euro.
Wir wollen unser Haus definitiv abreißen. Aber dazu sind wir noch immer im Austausch mit der Versicherung. Genauso ist es mit den Spendengeldern: Anfangs habe ich Termine verpasst, um Anträge einzureichen, es gab einfach zu viel zu tun. Außerdem waren die Schlangen vor Ort wahnsinnig lang. Um uns damit zu beschäftigen, waren wir zu schwach. Später haben wir es mit Hilfe der Familie geschafft. Einmal hatte sich rumgesprochen, dass vor Ort die Gelder aufgebraucht seien – was nicht gestimmt hat, wie wir im Nachhinein erfuhren.
Auch jetzt, drei Monate nach der Flut, müssen wir uns noch damit befassen. Über eine Spendeninitiative haben wir Geld bekommen, das war recht einfach. Vom Kreis Ahrweiler gab es ebenfalls Geld. Am kompliziertesten ist es mit den staatlichen Soforthilfen. Rückblickend kann ich sagen: Die Spenden der Bürger, Gemeinden, Firmen und Feuerwehrvereine waren deutlich mehr als die Hilfen des Staates.
Vor zwei Wochen habe ich die staatliche Wiederaufbauhilfe beantragt, die bis zu 80 Prozent der Schäden ersetzen soll für die Leute, die nicht versichert waren. Beim Ausfüllen des Antrags war ich mir sehr unsicher, denn ich wollte kein falsches Häkchen setzen und mich nicht wie eine Betrügerin fühlen. Unsere Küche ist kaputt, der Fernseher, der Thermomix und einiges mehr. Ein Wert von etwa 15 000 bis 20 000 Euro, haben wir geschätzt. Die Fahrräder konnten wir säubern, unser PC stand 20 Zentimeter im Wasser, trotzdem hat ein Kumpel ihn nach 13 Stunden Arbeit wieder repariert.
In einem Feld wurde man gefragt, wie hoch der Schaden denn sei: 25, 50, 75 oder 100 Prozent. Aber ob wir 75 Prozent oder 100 Prozent unseres Hausrats verloren haben? So genau kann ich das nicht sagen. Und dann stand: ,Ich versichere, dass meine Angaben richtig sind.‘ Als ich das Häkchen gesetzt habe, habe ich mich unwohl gefühlt.“
Nach der Flut sind Rebecca und ihr Mann in eine Ersatzwohnung mit drei Zimmern nahe der Mosel gezogen, die sie über einen Kollegen bekommen haben, etwa eine Stunde entfernt von ihrem alten Haus. Sie hatten Glück. Ihre Eltern müssen sich ein Ein-Zimmer-Apartment teilen.
Ich habe die Situation akzeptiert und denke nicht mehr ständig an unsere alte Wohnung, auch wenn ich weiß: An Weihnachten wird das Heimweh hochkommen.
In den Wochen nach der Flut war gerade nach anstrengenden Tagen mein erster Gedanke: Wann fahren wir denn nach Hause? Es fiel mir schwer, die neue Wohnung als Zuhause zu begreifen. Immer habe ich gesagt: Ich fahre in meine Unterkunft. Ich wusste nicht, wie ich es sonst nennen soll. Mittlerweile habe ich einen Weg gefunden, der weniger seltsam klingt. Die zwei Orte nenne ich: Mein jetziges Zuhause. Und meine Heimat. Das bleibt Dernau.
Mir ist klar geworden: Ich habe im Paradies gelebt. Ein riesiger Garten. Der Blick auf die Weinberge. Das schöne Haus meiner Familie. Die Nähe zu den Menschen, die ich liebe. Das ist es, was mir ausreicht. Große Reisen wären mir jetzt einfach zu anstrengend. Ich bin gesättigt von Abenteuern.“