Stimmen zum Tod von René Pollesch

„Ich werde Dich immer lieben“

Einer ganzen Generation von Künstlern hat er ermöglicht, wieder ans Theater zu glauben: Weggefährtinnen und Freunde nehmen fassungslos Abschied von René Pollesch.

27. Februar 2024 - 12 Min. Lesezeit

Fabian Hinrichs, Schauspieler

René! Resilein! Ich werde jeden Tag an Dich denken. Jeden Tag wirst Du in meinem Herzen sein. Du warst kein Autor schneller, lustiger, geistreicher Diskursstücke. Das warst Du auch, Du konntest ja gar nicht anders, als zu schreiben und zu schreiben und anderen zu begegnen, voller Neugier, ganz offen. Aber noch viel mehr warst Du der große Poet, den wir haben im Theater. Voller Schmerz und Lust, voller Sehnsucht, voller Träume, voller Desillusionierungen. Ich habe Dich vor Augen, mit Deiner ganzen großen Menschlichkeit habe ich Dich vor Augen. There’s a light that never goes out, Reserl. Ich werde Dich immer lieben. Dein Fabian

Sibylle Berg, Schriftstellerin

Irgendwann waren wir alle weit entfernt vom Tod. René Pollesch, Christoph Schlingensief und ich hockten irgendwo, hatten gute Laune und gründeten eine Drei-Mann-Blaskapelle, oder etwas Ähnliches, ich habe es vergessen. Alle glaubten daran, die Welt ein wenig verändern zu können. Jetzt bin nur ich noch übrig, meine Welt ist nicht wirklich besser geworden, nun hat sie wieder einen Riss mehr, der sich nicht mehr schließen wird.

Harald Schmidt, Entertainer

Gestern Abend das Handy noch mal eingeschaltet, und dann ein echter Schock. Erst hab ich gar nicht realisiert, was ich lese. Ich sah es auf Bild.de: STAR-INTENDANT MIT 61 JAHREN GESTORBEN. Dann musste ich kurz lachen, denn genau das war er ja nicht. Hätte ihm aber vielleicht genau deswegen gefallen. Natürlich kann man keinen Satz über René Pollesch lesen, ohne sofort zu denken, was er dazu gesagt hätte. Vor allem kann ich keinen Text über ihn schreiben, der ihm gerecht würde. Ich habe am Schauspiel Stuttgart in zwei Stücken von ihm mitgespielt: „Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend brauchen, übernimmt Hedley Lamarr“ (jawohl, „Hedley“ Lamarr, nicht Hedy) und „Drei Western“. Er hat meine Sicht auf alles verändert. Also, lieber René, vielleicht geht das in Ordnung für Dich, wenn ich von den vielen tollen Sätzen, die ich von Dir gehört habe, hier einen meiner Lieblinge verrate: „Als andere Jungs Fußball spielten, ging ich zur Lilli-Palmer-Lesung.“

Lilith Stangenberg, Schauspielerin

René hat mich intellektuell wie organisch tief geprägt. Ich glaube, ich wäre nicht derselbe Mensch, wenn ich ihm nicht begegnet wäre. Sein fundamentales Hinterfragen unseres sozialen, gesellschaftlichen und emotionalen Selbstverständnisses und unserer Lebenseinstellung, René schien das Einzigartige in einem zu lieben, das Unvergleichliche. Wenn man sich getraut hat, aus seinem Käfig auszutreten und einen Gedanken zu packen oder sich physisch sinnlich selbst zu überraschen, dann hat er immer euphorisch und hungrig und genüsslich laut aufgelacht, wie nur er lachen konnte. René hat mir ganz viel Kraft gegeben, mein Verständnis von Liebe, von Beziehungen, von Schmerz ist tief von ihm geprägt. Seine letzte Arbeit mit Fabian Hinrichs ist eines der existenziellsten, dunkelsten Dinge, die ich jemals im Theater gesehen habe. Das hat mich fundamental berührt und mir viel Würde und Hoffnung zurückgegeben und den Glauben an das Theater als allergrößte Kunstform.

Birgit Minichmayr, Schauspielerin

Ach. Du hast auf Deine einmalige Weise dem Theater seine Fesseln gesprengt, den Spielern und Spielerinnen eine Freiheit, eine Mündigkeit zurückgegeben, hast mich immer in Mark und Bein erwischt und mich dabei so zärtlichst geküsst, wie nur Du es konntest. Du warst immer so akut in allem, so Gegenwart, so da. Jetzt nicht mehr. Das ist kaum auszuhalten. Kaum zu ertragen. Ach.

Caroline Peters, Schauspielerin

Lieber René, ich mag nicht glauben, was passiert ist. Seit ich 2000 das erste Mal mit Dir gearbeitet habe, hat es bis heute in jeder anderen Arbeit eine kleine Stimme in meinem Kopf gegeben, die alle Texte abglich mit dem, was wir in Deinen Stücken sprachen. Die Proben mit Dir waren eine intensive, Zigaretten-lustige Diskussion über alles, was wir sehen, lesen und erleben. Von Dir kommt der Satz „Denke von deinen alltäglichen Verrichtungen her“ in meine Arbeit. Von Dir habe ich die Gewissheit, dass Schauspieler eine Autorenschaft ausüben auf der Bühne. Dass die Frage nach der Urheberschaft am Theater immer nur das Gemeinschaftliche als Antwort kennt. Wie man nun überall lesen und hören kann. Der Konsens, den Du so verachtet hast, schließt Dich jetzt mit ein. Die Revolution frisst keine Kinder, sie frisst die Eltern. Ich vermisse Dich unendlich und bin todtraurig, um Dich, um uns, um alles, wofür Du laut warst. Laut und hedonistisch.

Ersan Mondtag, Regisseur

Ohne René wäre meine Generation sehr arm, orientierungslos und starr geworden. Er hat durch seine gemeinschaftsstiftende Art ein Theater als Erfahrungs- und Gemeinschaftsort erfunden, das sämtliche Konventionen sprengte. Die Art, wie die Menschen auf der Bühne mit dem Publikum in einen Dialog getreten sind, über die Texte und Sprache neue Denk- und Erfahrungsräume geschaffen haben, hat das deutschsprachige Theater und weit darüber hinaus geprägt und verändert. Plötzlich entstanden Möglichkeiten, die zuvor undenkbar waren. Die Leichtigkeit, Schlagfertigkeit, die Selbstironie hatten einen enormen Einfluss auf meine Jugend und auf die Arbeit, die wir alle heute praktizieren. René hat uns eine sehr lange Jugend ermöglicht. Jetzt scheint diese Jugend vorbei zu sein. Sein Tod markiert für mich und viele meiner Generation eine Zäsur. René hat mit Bert Neumann und vielen anderen ein neues Theater erfunden. Man wollte Teil davon sein und darin weiterdenken. Ein so lebendiges Theater, dass kein Tod der Welt es jemals aufhalten kann. Wir werden es weiterleben und -erleben, für ihn, für uns, für uns gemeinsam. Danke!

Diedrich Diederichsen, Poptheoretiker

Manche brachten Subjekte direkt aufs Theater, andere erkannten von einer externen Perspektive, dass denen Regeln und Strukturen zugrunde liegen. Dann ließ man diese Wahrheiten von heroischen Besserwissern verkörpern oder als Ergebnis tragischer Konflikte oder gesellschaftlicher Ursachen Bühnen bevölkern. Nur einer hat es geschafft, die Strukturen selbst auf die Bühne zu bringen: ohne höhere Ebene, ohne Verkörperung, sondern als das, was sich aus Vorgaben aller Art von selbst ergibt. Dessen Form folgte notwendig dem prinzipiellen Slapstick des Geistes in einer Welt, die ihm über den Kopf wächst. Dieser Slapstick ist keine Disziplin der Darstellung, kein Genre – eher ein Rhythmus, ein Beat, im neoliberalen patriarchalen Kapitalismus kann er besonders laut oder funky werden. Menschen sind keine Maschinen, aber auch nicht souverän, tragisch oder tief. Ihren legitimen Protest äußern sie intellektuell ausrutschend und nervensägenhaft repetitiv – aber auf hohem Niveau. Am besten als Band, Quartett, kleine Gang oder Chor. Heute wissen wir das, wir können mit diesem humanen Antihumanismus arbeiten. Vor René Pollesch gab es das nicht.

Berndt Schmidt, Intendant des Friedrichstadt-Palastes, Berlin

Ich habe René am engsten 2018 und 2019 bei der Vorarbeit und den Proben zu „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ kennengelernt. Es war für viele in der Theaterwelt die überraschendste Bühnenkooperation der Theatersaison 2019/20: Der damals noch designierte Volksbühnen-Intendant wagt sich an die größte Showbühne der Welt, die Fabian Hinrichs mit 27 unserer Tänzerinnen und Tänzer virtuos bespielte. René liebte das Genre der Revue, er hat sich, oft umgeben von seinen Kreativen, unsere Grand Shows angesehen. Aber natürlich war das Pollesch-Hinrichs-Stück dann alles andere als der Abklatsch einer Revue, es war ein purer Pollesch-Abend.

Für mich, aber auch für den ganzen Palast, war es eine völlig ungewohnte Art des Arbeitens. Bei unseren Grand Shows wissen wir schon ein Jahr vorher, wie der Aufbau ist, wie welche Szenen aussehen und wie das Finale aussieht. Mir schien, beide wussten am Vortag der Premiere noch nicht genau, vielleicht noch nicht mal am Morgen der Premiere, wie das Stück enden soll. Aber natürlich, wie immer, fanden sie den Bogen – und es wurde ein Triumph, auch die Medien überschlugen sich. Jede Vorstellung war ausverkauft (und in den Palast passen 1900 Menschen).

René war vieles und manchmal auch das Gegenteil, nur gemein war er nicht, und zwar niemals. Ein nahbarer Intellektueller, ein zugewandter, lächelnder Mensch. Selbstsicher unsicher, zweifelnd, aber nicht verzweifelt. Er war nicht eitel, keine Diva, aber er wusste, wer er ist und was er will, und einfach war er auch nicht. Aber auch nicht kompliziert. Er nahm sich nicht wichtig, wusste aber, dass er es war. Er war umgeben von Menschen, Menschen, die ihn liebten, aber er hatte, fand ich, auch eine Aura der Einsamkeit, eines Alleinseins unter Menschen, das ihn womöglich nicht traurig gemacht hat, sondern das er suchte. Er hatte so viel zu sagen, aber das tat er nicht über Gebühr, im Gegenteil, er hörte zu, fragte, interessierte sich, war einfühlsam. War er glücklich? Ich weiß es nicht, aber womöglich war er auch nicht unglücklich. Und das ist schon viel, wenn man mit so einem scharfen Verstand gesegnet (oder gestraft) ist, alles sieht – und nicht daran verzweifelt, sondern lächelt, nicht aufgesetzt, und weitermacht und Freude daran findet.

Es brauchte wohl diese scheinbaren, friedlich nebeneinanderher lebenden Widersprüche, um diese crazy Welt in immer auch liebevolle Theaterstücke zu gießen. Klug die Abgründe und Zumutungen des Lebens auszuleuchten, ernsthaft und empathisch, nicht spöttisch, und das auf eine denkbar witzige Weise, wie viel größer kann ein Widerspruch sein? Lachend an der Welt verzweifeln, und um das ins Bild zu setzen, brauchte und fand und band er kongeniale Partner, Schauspielerinnen und Schauspieler an sich, wie eben auch Fabian Hinrichs.

Nun lässt er uns allein und abgesehen von den aktuell noch laufenden Stücken wird es wohl keinen authentischen Pollesch-Abend mehr geben. Neuaufnahmen? Ohne Pollesch für mich eigentlich undenkbar. Aber auch wenn seine Stücke nun vielleicht sterben, er wird es in einem immateriellen Sinne nicht.

Christiane Rösinger, Musikerin, Autorin

Ich bin geschockt. Als René 2003 seine Stücke im Volksbühnen-Prater inszenierte, habe ich überhaupt erst angefangen ins Theater zu gehen. Vorher war Theater für mich meistens langweilig und prätentiös. Pollesch-Stücke haben Spaß gemacht, sie waren lustig und gleichzeitig überfordernd mit toller Musik und nie zuvor gehörten elliptischen Theorie-Satz-Kaskaden. Als ich mit meiner Band Britta die Musik für seine Serie „24 Stunden sind kein Tag“ gespielt habe, wurde mir auch klar, was für ein außergewöhnlicher Regisseur und Mensch er war. Ich glaube, alle auf und hinter der Bühne haben ihn sehr geliebt. Wenn man ihn in der Volksbühne getroffen hat, war er auch als Intendant unglaublich liebenswürdig und interessiert. Er war einfach ein so guter Typ, und es tut so weh, dass er nicht mehr da ist. Er war eine Ausnahmeerscheinung erst recht im Vergleich zu den anderen aufgeblasenen Intendanten, die sonst so an den Bühnen sind. Berlin wird ohne ihn nicht mehr dieselbe Stadt sein. Ich bin sehr traurig.

Juliane Liebert, Musikerin und Autorin

Es war vor einem Jahr im April, wir hatten gerade zur Einweihung von Raphaela Vogels Skulptur auf dem Rosa-Luxemburg-Platz ein Lied aufgeführt und saßen danach, wie man es so tut, in kleiner Runde in der Kantine der Volksbühne. Es war ein Samstag, früher Abend, die Kantine, sonst vollgestopft mit Schauspielern und Angehörigen und Technikern und Fleißigen und faulen Hinzugeschleppten, war fast leer. In einer Ecke, so meine ich mich zu erinnern, saßen ein paar Techniker. An einem Tisch nicht weit von uns saßen, hockten zwei oder drei Schauspielerinnen mit einem Laptop, die irgendetwas planten. Ab und zu gab es Durchsagen, und die Leute verließen die Kantine, um zu arbeiten. Wir aßen Würstchen, glaube ich, aber Würstchen fühlen sich in der Kantine der Volksbühne natürlich ganz anders an, es waren quasi Ehrenwürstchen, Künstlerischer-Underground-Würstchen. Vielleicht war es auch Gulasch.

Plötzlich gab es Streit. Ein freundlicher schlanker Herr, der an unserem Tisch saß, hatte einem anderen Tischgenossen ein Video zeigen wollen, worauf die Schauspielerin vom Nebentisch aufsprang, zum Tisch stürzte, und sagte, sie arbeiteten an etwas, wir sollen gefälligst leise sein. Nun war es Samstagabend, leerer als gewöhnlich, aber doch Samstagabend, aber wir verstanden, natürlich, entschuldigten uns, sie ging zurück zu ihrem Laptop, das Video wurde leiser gedreht. Zeigen wollte der Herr es dennoch, die Schauspielerin sprang wieder auf, fuhr uns an, leise zu sein, wobei sie uns regelrecht anspuckte. Einer von uns war peinlich berührt und ging. Wir diskutierten, es war inzwischen halb neun, ob wir im Unrecht waren, aber es war doch Samstagabend!

Dann kam der Hausmeister. Oder Kantinenchef, ich war mir nicht sicher. Er erkannte ein paar am Tisch und setzte sich kurz zu uns, ich sagte ihm, er müsse aber leise sein. Wegen der Konzentration. Er fragte, wer das behauptet hätte, dass man jetzt leise sein müsse, an einem Samstagabend, wir wollten nicht petzen. Eine Durchsage kam, der Hausmeister musste weiter. Aber auf dem Weg nach draußen ging er zum Nebentisch und verteidigte uns. Die Kantine, sagte er den Laptop-Damen, sei ein Ort des Miteinanders. Es gäbe andere frei verfügbare Räume für Laptop-Arbeit, die er ihnen gerne aufschließen könne, aber hier sollten Gäste willkommen sein und sich wohlfühlen, hier sollte Austausch stattfinden. Denn nur so (aber vielleicht habe ich mir den folgenden Satz in den Monaten danach dazu gedacht) bliebe der Ort lebendig. Dann ging er wieder an seine Arbeit.

Das war aber nett von dem Hausmeister, sagte ich den anderen am Tisch. Sie lachten mich aus. Und eröffneten mir: Der Hausmeister war René Pollesch.

Milan Peschel, Schauspieler

Ich habe mich sofort gefragt, was passiert nun mit der Volksbühne? Mir fiel Heiner Müller ein, der nach der Wende gesagt hat, man sollte die Theater jetzt alle mal schließen, um zu sehen, ob sie noch gebraucht werden. Man kann nach Renés Tod nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Lücke muss möglichst lange sichtbar bleiben, um zu verstehen, was für ein Verlust sein Tod ist. Er war für mich ein großes Vorbild. Ich habe an der Volksbühne erst relativ spät, 2016, mit Pollesch gearbeitet.

Wir haben drei Stücke zusammen gemacht, gemeinsam mit Martin Wuttke und Trystan Pütter. Da habe ich erlebt, was es bedeutet, in einer Art Autorenschaft an so einem Prozess beteiligt zu sein. René war einer, der einem den Blick und die Gedanken geschärft hat. Wir haben nicht nur ein Stück reproduziert, Figuren gespielt, sondern wir haben uns mit Gedanken, mit Inhalten beschäftigt und uns darüber ausgetauscht. Dadurch wussten wir auf der Bühne immer, worüber wir reden. Das, was ich auf der Bühne gesagt habe, habe ich nicht als Dienstleister für den Autor oder Regisseur gesagt, sondern das wollte ich auch sagen. Das Stück entstand aus unseren Gesprächen, aus dem gemeinsamen Austausch und dem Ausprobieren der Dialoge, es war fertig am Tag der Premiere.

Ich hatte eine Freiheit beim Spielen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Das ist das größte Geschenk, das man einem Schauspieler machen kann. Ich habe das als absolutes Glück erfahren. Das hat auch meine eigene Arbeit als Regisseur sehr beeinflusst, indem ich in den Dialog mit Schauspielern trete und versuche, ein Stück nicht einfach nur abzulatschen, sondern gemeinsam an Vorschlägen zu arbeiten. Man muss solche Erfahrungen weitergeben. René war ein wahnsinnig warmherziger, neugieriger und freundlicher Mensch, der jedem zugehört hat. Ein Mensch ganz ohne Dünkel. Er hat sich auch nichts darauf eingebildet, wer er ist und was er tut. Es war für ihn eine Notwendigkeit. Ich weiß noch gar nicht, wie sehr ich ihn vermisse und wie er uns allen fehlen wird. Die Liebe zu ihm wird nicht kleiner werden, sondern größer.

Matthias Lilienthal, Dramaturg und Ex-Intendant

Eines der ersten Theaterbilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekam, war der sterbende Molière in Ariane Mnouchkines Film über den französischen Dramatiker. Wie er endlos blutspuckend die Treppe hinuntergetragen wurde. René wurde vielleicht der deutsche Molière, kleidungsmäßig stilisierte er sich zum Brecht des neuen Jahrhunderts. Er lebte mit seiner Clique von Schauspielerinnen und Schauspielern zusammen. Er rannte gern mit ihnen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser oder Psychiatrien, wartete dort auch mal sieben Stunden, wenn es nur seiner Familie gut ging. Kaum war er am Probieren mit ihnen, ging es darum, genug Zeit zum Schreiben zu haben. Er reflektierte das Internetzeitalter als Erster in Form der von ihm hervorgerufenen Hysterie, wenn schon nicht mehr direkt geredet wird. Es machte Spaß, Zeit mit ihm zu verbringen. Meist auf dem Innenhof der Kammerspiele. Schade, dass wir in ihm nicht unseren Komödienautor entdeckt haben, der Boulevard und Intellektualität in einer neuen Form verband. Ich hoffe, wir entdecken seine Texte neu und finden eine Möglichkeit, sie neu zu spielen. Und ich sehe ihn jetzt im barocken Theater in Paris interessiert auf uns herunterblicken.

Pınar Karabulut, Regisseurin

Es ist unfassbar, wie jung René Pollesch von uns gegangen ist. Er war nicht nur für mich, sondern für eine ganze Generation ein wichtiger Künstler des Theaters. Ohne Polleschs Inszenierungen hätte ich mich niemals in das deutsche Theatersystem getraut. Seine Arbeiten haben uns gezeigt, wie Theater auch sein kann und wie neue spielerische Formen gehen. „Ping Pong D’Amour“ an den Münchner Kammerspielen habe ich 2009 mindestens siebenmal angeschaut. Er war eine Inspiration für uns alle. Ruhe in Frieden.

Fabian Hinrichs, Schauspieler

René! Resilein! Ich werde jeden Tag an Dich denken. Jeden Tag wirst Du in meinem Herzen sein. Du warst kein Autor schneller, lustiger, geistreicher Diskursstücke. Das warst Du auch, Du konntest ja gar nicht anders, als zu schreiben und zu schreiben und anderen zu begegnen, voller Neugier, ganz offen. Aber noch viel mehr warst Du der große Poet, den wir haben im Theater. Voller Schmerz und Lust, voller Sehnsucht, voller Träume, voller Desillusionierungen. Ich habe Dich vor Augen, mit Deiner ganzen großen Menschlichkeit habe ich Dich vor Augen. There’s a light that never goes out, Reserl. Ich werde Dich immer lieben. Dein Fabian

Sibylle Berg, Schriftstellerin

Irgendwann waren wir alle weit entfernt vom Tod. René Pollesch, Christoph Schlingensief und ich hockten irgendwo, hatten gute Laune und gründeten eine Drei-Mann-Blaskapelle, oder etwas Ähnliches, ich habe es vergessen. Alle glaubten daran, die Welt ein wenig verändern zu können. Jetzt bin nur ich noch übrig, meine Welt ist nicht wirklich besser geworden, nun hat sie wieder einen Riss mehr, der sich nicht mehr schließen wird.

Harald Schmidt, Entertainer

Gestern Abend das Handy noch mal eingeschaltet, und dann ein echter Schock. Erst hab ich gar nicht realisiert, was ich lese. Ich sah es auf Bild.de: STAR-INTENDANT MIT 61 JAHREN GESTORBEN. Dann musste ich kurz lachen, denn genau das war er ja nicht. Hätte ihm aber vielleicht genau deswegen gefallen. Natürlich kann man keinen Satz über René Pollesch lesen, ohne sofort zu denken, was er dazu gesagt hätte. Vor allem kann ich keinen Text über ihn schreiben, der ihm gerecht würde. Ich habe am Schauspiel Stuttgart in zwei Stücken von ihm mitgespielt: „Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend brauchen, übernimmt Hedley Lamarr“ (jawohl, „Hedley“ Lamarr, nicht Hedy) und „Drei Western“. Er hat meine Sicht auf alles verändert. Also, lieber René, vielleicht geht das in Ordnung für Dich, wenn ich von den vielen tollen Sätzen, die ich von Dir gehört habe, hier einen meiner Lieblinge verrate: „Als andere Jungs Fußball spielten, ging ich zur Lilli-Palmer-Lesung.“

Lilith Stangenberg, Schauspielerin

René hat mich intellektuell wie organisch tief geprägt. Ich glaube, ich wäre nicht derselbe Mensch, wenn ich ihm nicht begegnet wäre. Sein fundamentales Hinterfragen unseres sozialen, gesellschaftlichen und emotionalen Selbstverständnisses und unserer Lebenseinstellung, René schien das Einzigartige in einem zu lieben, das Unvergleichliche. Wenn man sich getraut hat, aus seinem Käfig auszutreten und einen Gedanken zu packen oder sich physisch sinnlich selbst zu überraschen, dann hat er immer euphorisch und hungrig und genüsslich laut aufgelacht, wie nur er lachen konnte. René hat mir ganz viel Kraft gegeben, mein Verständnis von Liebe, von Beziehungen, von Schmerz ist tief von ihm geprägt. Seine letzte Arbeit mit Fabian Hinrichs ist eines der existenziellsten, dunkelsten Dinge, die ich jemals im Theater gesehen habe. Das hat mich fundamental berührt und mir viel Würde und Hoffnung zurückgegeben und den Glauben an das Theater als allergrößte Kunstform.

Birgit Minichmayr, Schauspielerin

Ach. Du hast auf Deine einmalige Weise dem Theater seine Fesseln gesprengt, den Spielern und Spielerinnen eine Freiheit, eine Mündigkeit zurückgegeben, hast mich immer in Mark und Bein erwischt und mich dabei so zärtlichst geküsst, wie nur Du es konntest. Du warst immer so akut in allem, so Gegenwart, so da. Jetzt nicht mehr. Das ist kaum auszuhalten. Kaum zu ertragen. Ach.

Caroline Peters, Schauspielerin

Lieber René, ich mag nicht glauben, was passiert ist. Seit ich 2000 das erste Mal mit Dir gearbeitet habe, hat es bis heute in jeder anderen Arbeit eine kleine Stimme in meinem Kopf gegeben, die alle Texte abglich mit dem, was wir in Deinen Stücken sprachen. Die Proben mit Dir waren eine intensive, Zigaretten-lustige Diskussion über alles, was wir sehen, lesen und erleben. Von Dir kommt der Satz „Denke von deinen alltäglichen Verrichtungen her“ in meine Arbeit. Von Dir habe ich die Gewissheit, dass Schauspieler eine Autorenschaft ausüben auf der Bühne. Dass die Frage nach der Urheberschaft am Theater immer nur das Gemeinschaftliche als Antwort kennt. Wie man nun überall lesen und hören kann. Der Konsens, den Du so verachtet hast, schließt Dich jetzt mit ein. Die Revolution frisst keine Kinder, sie frisst die Eltern. Ich vermisse Dich unendlich und bin todtraurig, um Dich, um uns, um alles, wofür Du laut warst. Laut und hedonistisch.

Ersan Mondtag, Regisseur

Ohne René wäre meine Generation sehr arm, orientierungslos und starr geworden. Er hat durch seine gemeinschaftsstiftende Art ein Theater als Erfahrungs- und Gemeinschaftsort erfunden, das sämtliche Konventionen sprengte. Die Art, wie die Menschen auf der Bühne mit dem Publikum in einen Dialog getreten sind, über die Texte und Sprache neue Denk- und Erfahrungsräume geschaffen haben, hat das deutschsprachige Theater und weit darüber hinaus geprägt und verändert. Plötzlich entstanden Möglichkeiten, die zuvor undenkbar waren. Die Leichtigkeit, Schlagfertigkeit, die Selbstironie hatten einen enormen Einfluss auf meine Jugend und auf die Arbeit, die wir alle heute praktizieren. René hat uns eine sehr lange Jugend ermöglicht. Jetzt scheint diese Jugend vorbei zu sein. Sein Tod markiert für mich und viele meiner Generation eine Zäsur. René hat mit Bert Neumann und vielen anderen ein neues Theater erfunden. Man wollte Teil davon sein und darin weiterdenken. Ein so lebendiges Theater, dass kein Tod der Welt es jemals aufhalten kann. Wir werden es weiterleben und -erleben, für ihn, für uns, für uns gemeinsam. Danke!

Diedrich Diederichsen, Poptheoretiker

Manche brachten Subjekte direkt aufs Theater, andere erkannten von einer externen Perspektive, dass denen Regeln und Strukturen zugrunde liegen. Dann ließ man diese Wahrheiten von heroischen Besserwissern verkörpern oder als Ergebnis tragischer Konflikte oder gesellschaftlicher Ursachen Bühnen bevölkern. Nur einer hat es geschafft, die Strukturen selbst auf die Bühne zu bringen: ohne höhere Ebene, ohne Verkörperung, sondern als das, was sich aus Vorgaben aller Art von selbst ergibt. Dessen Form folgte notwendig dem prinzipiellen Slapstick des Geistes in einer Welt, die ihm über den Kopf wächst. Dieser Slapstick ist keine Disziplin der Darstellung, kein Genre – eher ein Rhythmus, ein Beat, im neoliberalen patriarchalen Kapitalismus kann er besonders laut oder funky werden. Menschen sind keine Maschinen, aber auch nicht souverän, tragisch oder tief. Ihren legitimen Protest äußern sie intellektuell ausrutschend und nervensägenhaft repetitiv – aber auf hohem Niveau. Am besten als Band, Quartett, kleine Gang oder Chor. Heute wissen wir das, wir können mit diesem humanen Antihumanismus arbeiten. Vor René Pollesch gab es das nicht.

Berndt Schmidt, Intendant des Friedrichstadt-Palastes, Berlin

Ich habe René am engsten 2018 und 2019 bei der Vorarbeit und den Proben zu „Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt“ kennengelernt. Es war für viele in der Theaterwelt die überraschendste Bühnenkooperation der Theatersaison 2019/20: Der damals noch designierte Volksbühnen-Intendant wagt sich an die größte Showbühne der Welt, die Fabian Hinrichs mit 27 unserer Tänzerinnen und Tänzer virtuos bespielte. René liebte das Genre der Revue, er hat sich, oft umgeben von seinen Kreativen, unsere Grand Shows angesehen. Aber natürlich war das Pollesch-Hinrichs-Stück dann alles andere als der Abklatsch einer Revue, es war ein purer Pollesch-Abend.

Für mich, aber auch für den ganzen Palast, war es eine völlig ungewohnte Art des Arbeitens. Bei unseren Grand Shows wissen wir schon ein Jahr vorher, wie der Aufbau ist, wie welche Szenen aussehen und wie das Finale aussieht. Mir schien, beide wussten am Vortag der Premiere noch nicht genau, vielleicht noch nicht mal am Morgen der Premiere, wie das Stück enden soll. Aber natürlich, wie immer, fanden sie den Bogen – und es wurde ein Triumph, auch die Medien überschlugen sich. Jede Vorstellung war ausverkauft (und in den Palast passen 1900 Menschen).

René war vieles und manchmal auch das Gegenteil, nur gemein war er nicht, und zwar niemals. Ein nahbarer Intellektueller, ein zugewandter, lächelnder Mensch. Selbstsicher unsicher, zweifelnd, aber nicht verzweifelt. Er war nicht eitel, keine Diva, aber er wusste, wer er ist und was er will, und einfach war er auch nicht. Aber auch nicht kompliziert. Er nahm sich nicht wichtig, wusste aber, dass er es war. Er war umgeben von Menschen, Menschen, die ihn liebten, aber er hatte, fand ich, auch eine Aura der Einsamkeit, eines Alleinseins unter Menschen, das ihn womöglich nicht traurig gemacht hat, sondern das er suchte. Er hatte so viel zu sagen, aber das tat er nicht über Gebühr, im Gegenteil, er hörte zu, fragte, interessierte sich, war einfühlsam. War er glücklich? Ich weiß es nicht, aber womöglich war er auch nicht unglücklich. Und das ist schon viel, wenn man mit so einem scharfen Verstand gesegnet (oder gestraft) ist, alles sieht – und nicht daran verzweifelt, sondern lächelt, nicht aufgesetzt, und weitermacht und Freude daran findet.

Es brauchte wohl diese scheinbaren, friedlich nebeneinanderher lebenden Widersprüche, um diese crazy Welt in immer auch liebevolle Theaterstücke zu gießen. Klug die Abgründe und Zumutungen des Lebens auszuleuchten, ernsthaft und empathisch, nicht spöttisch, und das auf eine denkbar witzige Weise, wie viel größer kann ein Widerspruch sein? Lachend an der Welt verzweifeln, und um das ins Bild zu setzen, brauchte und fand und band er kongeniale Partner, Schauspielerinnen und Schauspieler an sich, wie eben auch Fabian Hinrichs.

Nun lässt er uns allein und abgesehen von den aktuell noch laufenden Stücken wird es wohl keinen authentischen Pollesch-Abend mehr geben. Neuaufnahmen? Ohne Pollesch für mich eigentlich undenkbar. Aber auch wenn seine Stücke nun vielleicht sterben, er wird es in einem immateriellen Sinne nicht.

Christiane Rösinger, Musikerin, Autorin

Ich bin geschockt. Als René 2003 seine Stücke im Volksbühnen-Prater inszenierte, habe ich überhaupt erst angefangen ins Theater zu gehen. Vorher war Theater für mich meistens langweilig und prätentiös. Pollesch-Stücke haben Spaß gemacht, sie waren lustig und gleichzeitig überfordernd mit toller Musik und nie zuvor gehörten elliptischen Theorie-Satz-Kaskaden. Als ich mit meiner Band Britta die Musik für seine Serie „24 Stunden sind kein Tag“ gespielt habe, wurde mir auch klar, was für ein außergewöhnlicher Regisseur und Mensch er war. Ich glaube, alle auf und hinter der Bühne haben ihn sehr geliebt. Wenn man ihn in der Volksbühne getroffen hat, war er auch als Intendant unglaublich liebenswürdig und interessiert. Er war einfach ein so guter Typ, und es tut so weh, dass er nicht mehr da ist. Er war eine Ausnahmeerscheinung erst recht im Vergleich zu den anderen aufgeblasenen Intendanten, die sonst so an den Bühnen sind. Berlin wird ohne ihn nicht mehr dieselbe Stadt sein. Ich bin sehr traurig.

Juliane Liebert, Musikerin und Autorin

Es war vor einem Jahr im April, wir hatten gerade zur Einweihung von Raphaela Vogels Skulptur auf dem Rosa-Luxemburg-Platz ein Lied aufgeführt und saßen danach, wie man es so tut, in kleiner Runde in der Kantine der Volksbühne. Es war ein Samstag, früher Abend, die Kantine, sonst vollgestopft mit Schauspielern und Angehörigen und Technikern und Fleißigen und faulen Hinzugeschleppten, war fast leer. In einer Ecke, so meine ich mich zu erinnern, saßen ein paar Techniker. An einem Tisch nicht weit von uns saßen, hockten zwei oder drei Schauspielerinnen mit einem Laptop, die irgendetwas planten. Ab und zu gab es Durchsagen, und die Leute verließen die Kantine, um zu arbeiten. Wir aßen Würstchen, glaube ich, aber Würstchen fühlen sich in der Kantine der Volksbühne natürlich ganz anders an, es waren quasi Ehrenwürstchen, Künstlerischer-Underground-Würstchen. Vielleicht war es auch Gulasch.

Plötzlich gab es Streit. Ein freundlicher schlanker Herr, der an unserem Tisch saß, hatte einem anderen Tischgenossen ein Video zeigen wollen, worauf die Schauspielerin vom Nebentisch aufsprang, zum Tisch stürzte, und sagte, sie arbeiteten an etwas, wir sollen gefälligst leise sein. Nun war es Samstagabend, leerer als gewöhnlich, aber doch Samstagabend, aber wir verstanden, natürlich, entschuldigten uns, sie ging zurück zu ihrem Laptop, das Video wurde leiser gedreht. Zeigen wollte der Herr es dennoch, die Schauspielerin sprang wieder auf, fuhr uns an, leise zu sein, wobei sie uns regelrecht anspuckte. Einer von uns war peinlich berührt und ging. Wir diskutierten, es war inzwischen halb neun, ob wir im Unrecht waren, aber es war doch Samstagabend!

Dann kam der Hausmeister. Oder Kantinenchef, ich war mir nicht sicher. Er erkannte ein paar am Tisch und setzte sich kurz zu uns, ich sagte ihm, er müsse aber leise sein. Wegen der Konzentration. Er fragte, wer das behauptet hätte, dass man jetzt leise sein müsse, an einem Samstagabend, wir wollten nicht petzen. Eine Durchsage kam, der Hausmeister musste weiter. Aber auf dem Weg nach draußen ging er zum Nebentisch und verteidigte uns. Die Kantine, sagte er den Laptop-Damen, sei ein Ort des Miteinanders. Es gäbe andere frei verfügbare Räume für Laptop-Arbeit, die er ihnen gerne aufschließen könne, aber hier sollten Gäste willkommen sein und sich wohlfühlen, hier sollte Austausch stattfinden. Denn nur so (aber vielleicht habe ich mir den folgenden Satz in den Monaten danach dazu gedacht) bliebe der Ort lebendig. Dann ging er wieder an seine Arbeit.

Das war aber nett von dem Hausmeister, sagte ich den anderen am Tisch. Sie lachten mich aus. Und eröffneten mir: Der Hausmeister war René Pollesch.

Milan Peschel, Schauspieler

Ich habe mich sofort gefragt, was passiert nun mit der Volksbühne? Mir fiel Heiner Müller ein, der nach der Wende gesagt hat, man sollte die Theater jetzt alle mal schließen, um zu sehen, ob sie noch gebraucht werden. Man kann nach Renés Tod nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Die Lücke muss möglichst lange sichtbar bleiben, um zu verstehen, was für ein Verlust sein Tod ist. Er war für mich ein großes Vorbild. Ich habe an der Volksbühne erst relativ spät, 2016, mit Pollesch gearbeitet.

Wir haben drei Stücke zusammen gemacht, gemeinsam mit Martin Wuttke und Trystan Pütter. Da habe ich erlebt, was es bedeutet, in einer Art Autorenschaft an so einem Prozess beteiligt zu sein. René war einer, der einem den Blick und die Gedanken geschärft hat. Wir haben nicht nur ein Stück reproduziert, Figuren gespielt, sondern wir haben uns mit Gedanken, mit Inhalten beschäftigt und uns darüber ausgetauscht. Dadurch wussten wir auf der Bühne immer, worüber wir reden. Das, was ich auf der Bühne gesagt habe, habe ich nicht als Dienstleister für den Autor oder Regisseur gesagt, sondern das wollte ich auch sagen. Das Stück entstand aus unseren Gesprächen, aus dem gemeinsamen Austausch und dem Ausprobieren der Dialoge, es war fertig am Tag der Premiere.

Ich hatte eine Freiheit beim Spielen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Das ist das größte Geschenk, das man einem Schauspieler machen kann. Ich habe das als absolutes Glück erfahren. Das hat auch meine eigene Arbeit als Regisseur sehr beeinflusst, indem ich in den Dialog mit Schauspielern trete und versuche, ein Stück nicht einfach nur abzulatschen, sondern gemeinsam an Vorschlägen zu arbeiten. Man muss solche Erfahrungen weitergeben. René war ein wahnsinnig warmherziger, neugieriger und freundlicher Mensch, der jedem zugehört hat. Ein Mensch ganz ohne Dünkel. Er hat sich auch nichts darauf eingebildet, wer er ist und was er tut. Es war für ihn eine Notwendigkeit. Ich weiß noch gar nicht, wie sehr ich ihn vermisse und wie er uns allen fehlen wird. Die Liebe zu ihm wird nicht kleiner werden, sondern größer.

Matthias Lilienthal, Dramaturg und Ex-Intendant

Eines der ersten Theaterbilder, die ich nicht mehr aus dem Kopf bekam, war der sterbende Molière in Ariane Mnouchkines Film über den französischen Dramatiker. Wie er endlos blutspuckend die Treppe hinuntergetragen wurde. René wurde vielleicht der deutsche Molière, kleidungsmäßig stilisierte er sich zum Brecht des neuen Jahrhunderts. Er lebte mit seiner Clique von Schauspielerinnen und Schauspielern zusammen. Er rannte gern mit ihnen in die Notaufnahmen der Krankenhäuser oder Psychiatrien, wartete dort auch mal sieben Stunden, wenn es nur seiner Familie gut ging. Kaum war er am Probieren mit ihnen, ging es darum, genug Zeit zum Schreiben zu haben. Er reflektierte das Internetzeitalter als Erster in Form der von ihm hervorgerufenen Hysterie, wenn schon nicht mehr direkt geredet wird. Es machte Spaß, Zeit mit ihm zu verbringen. Meist auf dem Innenhof der Kammerspiele. Schade, dass wir in ihm nicht unseren Komödienautor entdeckt haben, der Boulevard und Intellektualität in einer neuen Form verband. Ich hoffe, wir entdecken seine Texte neu und finden eine Möglichkeit, sie neu zu spielen. Und ich sehe ihn jetzt im barocken Theater in Paris interessiert auf uns herunterblicken.

Pınar Karabulut, Regisseurin

Es ist unfassbar, wie jung René Pollesch von uns gegangen ist. Er war nicht nur für mich, sondern für eine ganze Generation ein wichtiger Künstler des Theaters. Ohne Polleschs Inszenierungen hätte ich mich niemals in das deutsche Theatersystem getraut. Seine Arbeiten haben uns gezeigt, wie Theater auch sein kann und wie neue spielerische Formen gehen. „Ping Pong D’Amour“ an den Münchner Kammerspielen habe ich 2009 mindestens siebenmal angeschaut. Er war eine Inspiration für uns alle. Ruhe in Frieden.